Am Gummibandl
Beschleunigen mit dem Tesla Model S P85D ist ein besonderes Erlebnis: 700 PS, verteilt an alle vier Räder, rufen filmreife Reaktionen hervor. Ihn als normales Auto zu verwenden, geht aber auch.
Allradantrieb, das sagt sich so leicht. Im Normalfall bedeutet es aufwendige Übertragung der Motorkraft über Antriebswellen und Ausgleichsgetriebe zu allen vier Rädern. Nicht so bei diesem Tesla: Hatte das Model S bisher einen Heckmotor, der die Hinterräder antrieb, so bekam es jetzt einfach vorne noch einen zweiten Motor dazu, der die Vorderräder antreibt. Fertig.
Die Koordination besorgt der Computer. Das ist kein unkomplizierter Vorgang, wird jedoch durch die Tatsache erleichtert, dass es sich um Elektromotoren handelt.
Und was für welche! Der vordere E-Motor leistet 167 kW (224 PS), der hintere 355 kW (476 PS), was in Summe 522 kW ergibt, oder greifbarer ausgedrückt: 700 PS.
Das Auto ist zwar schwer (2,2 Tonnen), das Beschleunigungserlebnis dennoch einzigartig: 4,1 Sekunden maßen wir für den 0-auf-100-Sprint, acht Zehntel mehr als die Werksangabe verspricht. Aber diese 4,1 Sekunden gestalten sich so ansatzlos und spektakulär wie bei keinem anderen Pkw.
Erklärung: Durch die Eigenschaft von E-Motoren, ihr volles Drehmoment schon aus dem Stand liefern zu können, und die fehlende Zugkraftunterbrechung (weil kein Getriebe den Vorwärtsdrang durch Raufschalten zerhackt) entsteht das Gefühl, wie ein Pfeil von einer Sehne geschossen zu werden.
Um die Beschleunigung mit voller Kraft zu erleben, sollten die Akkus aufgeladen sein und als Fahrmodus ist nicht „Sport“, sondern die zweite Option zu wählen: Sie heißt treffend „Wahnsinn“.
Traktion ist kein Thema, nicht einmal ein kurzer Quietscher ist von den Reifen zu hören. Sehr wohl ein Thema ist allerdings die Reichweite: Wer allzu oft den „Wahnsinn“ ausprobiert, nagt heftig an ihr. Halbwegs normal gefahren, schafft der P85D aber bis zu 395 Kilometer, ehe ihm der Saft ausgeht.
Rechnerisch kommt dieses 700-PS-Elektrogeschoß sogar 16 Kilometer weiter als sein einmotoriges Pendant (Model S P85). Der Grund dafür ist laut Tesla, dass die Kraft beider Motoren seltener zu hundert Prozent abgerufen werden muss, um ähnliche oder sogar bessere Fahrleistungen zu erzielen.
Geladen werden kann der 85-kWh-Akku an jeder Haushaltssteckdose, aber das dauert. Bis zu 36 Stunden, wenn man mit ganz leerem Akku ankommt. Am Tesla-Supercharger „tankt“ man deutlich schneller (rund 1–1,5 Stunden) und gratis, es gibt in Österreich aber erst fünf Standorte: in Wien, Villach, Salzburg, Kitzbühel und St. Anton am Arlberg. Hier die Übersicht:
http://www.teslamotors.com/de_AT/supercharger
Tesla macht sich natürlich auch jede Menge Gedanken zum Thema autonomes Fahren. Jüngster Schritt ist die Installation eines Hardwarepakets in jedem Model S, das Tesla "Autopilot" nennt. Es besteht aus 12 Ultraschallsensoren, die einen Bereich von 4,8 Meter rund um das Fahrzeug überwachen, außerdem einer Frontkamera und einem Radarsystem. Damit sind einmal von der Ausstattungsseite her bereits die wesentlichen Elemente vorhanden, die für autonomes Fahren notwendig sind. So genannte Over-the-Air-Updates sollen den Autopiloten schrittweise um verschiedene Sicherheitsassistenten erweitern – bis hin zu der Zukunftsvision, dass der Tesla eines Tages in der Früh den Kalender des Besitzers checkt, die Fahrzeit zum ersten Termin anhand von Echtzeit-Verkehrsdaten berechnet und selbstständig zum optimalen Abfahrts-Zeitpunkt an der Haustür vorfährt. Der Innenraum ist bereits auf die richtige Temperatur gebracht, der gewünschte Radiosender in bevorzugter Lautstärke eingestellt; nur an der Tür klingeln wird der Tesla wohl nicht. Vielleicht hupen. Oder am Handy anrufen.
Und – wie ist das Leben so im Tesla?
Der Sitzkomfort ist ganz gut, wenn auch nicht auf dem Niveau vergleichbarer Limousinen wie Audi A6 oder E-Klasse. Gleiches gilt für die Material- und Verarbeitungsqualität im Innenraum, das Handschuhfach z.B. fühlt sich billig an. Seitenhalt auf den Rücksitzen sucht man vergeblich, Griffe zum Festhalten auch. Die Bedienung beinahe aller Funktionen über das große Tablet in der Mittelkonsole ist gewöhnungsbedürftig, doch schnell lernt man zu schätzen, wie praktisch und clever durchdacht diese Bedienoberfläche funktioniert.
Die Lenkung fühlt sich nicht ganz so präzise an, wie man es mit Recht in dieser Fahrzeugklasse (und von einer 112.000-Euro-Limousine) erwarten darf. Das können Audi, BMW und Mercedes-Benz klar besser, wenn der Unterschied in der Praxis auch nicht allzu sehr ins Gewicht fällt. Die Bremsleistung ist ausgezeichnet, schon nach 35,3 Meter kommt die 2,2-Tonnen-Fuhre zum Stehen, wenn man bei 100 km/h voll in die Eisen steigt. Nur das Ansprechverhalten der Bremsen lässt – im Vergleich zu Fahrzeugen mit ähnlichen Fahrleistungen – sowohl an einem klar definiertem Druckpunkt als auch an der Dosierbarkeit der Bremsleistung zu wünschen übrig.
Das Erstaunliche ist – und deswegen passt auch die Lenkung gut zum Auto –, dass trotz der herausragenden Fahrleistungen nicht der Wunsch aufkommt, sie ständig auszureizen. Der Tesla ist ein Gleiter. Das drückt schon die Gestaltung des Cockpits aus, das jede aufgesetzte Sportlichkeit wohltuend vermeidet. Stattdessen vermitteln fließende Formen ein Gefühl von Großzügigkeit und Ruhe. Im Fond gibt's ausreichend Beinfreiheit, dafür hapert's ein bisschen an der Kopffreiheit: Zugeständnis an die hinreißend fließende Form der Karosserie.
Und es ist sehr, sehr leise im Tesla. Bis auf die Schreie und das Kreischen von Beifahrern während der „Wahnsinns“-Beschleunigung.
Proberunde mit Dieter Quester
Die Rennfahrer-Legende auf dem Beifahrersitz neben auto touring-Chefredakteur Peter Pisecker.
Dieses Video entstand in Kooperation mit Servus TV für die Sendereihe Ring frei für die Speedgang (© Servus TV).
auto touring digital hat bei Dreharbeiten für das PS-starke TV-Format hinter die Kulissen geschaut, hier der Bericht: Total abgedreht