Wunsch vs. Wirklichkeit
Die Autoindustrie steht mächtig unter Druck. Wie sie sich retten will.
Text von Maria Brandl
Der Druck auf die Autohersteller wächst. Der Grund: Ab nächstem Jahr dürfen die mittleren Emissionen aller neu zugelassenen Pkw-Modelle eines Herstellers 95 Gramm CO2 pro Kilometer nicht überschreiten. Das entspricht einer Verbrauchssenkung gegenüber 2021 um rund 15%. Um diese Vorgabe zu erfüllen, müssen die Hersteller rund 20 bis 25% ihrer Neuwagen mit batterieelektrischem Antrieb verkaufen.
Derzeit entscheiden sich europaweit aber weniger als 15% der Käufer (in Österreich 17 %) für ein E-Auto. 54% der Neuzulassungen mit E-Antrieb in Europa entfielen 2023 auf nur drei Staaten, nämlich Deutschland, Frankreich und Norwegen. In mehreren Staaten lag der Elektroanteil dagegen unter fünf Prozent.
Die Achillesferse
Wird das 95-Gramm-Ziel nicht erreicht, drohen Strafzahlungen von bis zu 16 Milliarden Euro. Einige Konzerne suchten erfolglos um ein Verschieben des Ziels auf 2027 an. Andere, etwa der Multimarkenkonzern Stellantis, wollen bereits 2030 in der EU nur mehr E-Autos anbieten. Die EU-Vorgabe der Null-Emission-Neuzulassungen gilt ab 2035, de facto ist sie ein Verbrenner-Verbot.
Die ausschließliche Fokussierung auf den batterieelektrischen Antrieb macht Europas Autoindustrie "erpressbar", meint BMW-Chef Oliver Zipse. Europas E-Auto-Anbieter sind einerseits vor allem bei Batterien und E-Motoren sehr stark von China abhängig, andererseits erleben sie immer mehr Konkurrenz durch den Import chinesischer E-Autos.
China produziert mittlerweile neun Millionen E-Autos pro Jahr, rund zehn Mal so viel wie Deutschland. Immer mehr davon werden exportiert. Anders als Südkorea oder Japan ist Europa für Chinas Hersteller trotz der neuen Zölle relativ einfach zugängig, gibt Roman Benedetto, Experte für globale Automärkte, zu bedenken.
Die ausschließliche Fokussierung auf den batterieelektrischen Antrieb macht Europas Autoindustrie "erpressbar".
Oliver Zipse, Vorstandsvorsitzender bei BMW
Neue Spieler auf dem Feld
Zudem erwächst Europa auch bei Verbrennungsmotoren neue Konkurrenz aus Asien. So wird vor allem in China, Südkorea und Japan intensiv an neuen Verbrennungsmotoren für besonders sparsame und zugleich kompakte sowie kostengünstige Hybridantriebe gearbeitet. Die Rede ist von "Dedicated Hybrids", auf Deutsch "dedizierte Hybridantriebe". Sie gelten in der Branche als höchste Evolutionsstufe des Verbrennungsmotors in Hybridantrieben.
Bei ihnen werden die Antriebsstrangkomponenten nicht nachträglich elektrifiziert, sondern von vornherein dafür entwickelt und auf maximale Effizienz ausgelegt. Oft handelt es sich um serielle Hybride, wo die Räder im Normalbetrieb elektrisch angetrieben werden, nur bei Volllast kommt der Verbrenner dazu. "Sehr beliebt sind 1,5-l-Vierzylinder-Benziner für SUV", sagt Prof. Helmut Eichlseder von der TU Graz. Selbst in China sind diese als Hybridversion "ein Renner". Denn: Anders als die hohen E-Auto-Stückzahlen vermuten lassen, entfallen in China noch immer 76 Prozent der Produktion laut Statista auf Fahrzeuge ohne batterieelektrischen Antrieb.
In Japan läuft sogar ein mit mehr als 100 Millionen Dollar ausgestattetes Forschungsprojekt der Autohersteller und Universitäten, das an neuen, optimierten Motoren arbeitet. Laut Toyota sollen sie für verschiedene CO2-neutrale Kraftstoffe geeignet sein. Somit erlauben sie "emissionsarmes" oder sogar "emissionsfreies" Autofahren mit Verbrennungsmotor – wenn die Gesetzgeber bei den Abgasnormen auch die Kraftstofferzeugung oder Stromerzeugung mitberücksichtigen und nicht bloß den Abgasausstoß aus dem Auspuff, wie dies in der EU der Fall ist.
Auf den Auspuff fixiert
BMW-Chef Zipse fordert von der EU-Kommission in diesem Zusammenhang ein Umdenken. Auch CO2-arme oder CO2-neutrale Kraftstoffe wie E-Fuels (synthetische Kraftstoffe, die mit Ökostrom und abgespaltenem CO2 erzeugt werden), Ethanol und HVO100 (hydriertes Pflanzenöl als Dieselersatz) sollen in Betracht gezogen werden.
Damit könnte auch bei den mehr als 250 Millionen Bestandsfahrzeugen in der EU die CO2-Bilanz sofort verbessert werden. Auch die Berücksichtigung der Rohstoffgewinnung wäre wichtig. Hat doch der weltweite Bergbau mit rund sieben Prozent einen höheren Anteil am globalen CO2-Ausstoß als die EU insgesamt mit rund sechs Prozent, sagte Prof. Peter Prenninger, Manager bei AVL List. Tatsache ist: Batterien haben einen besonders hohen Rohstoffbedarf.
Wir sind fest davon überzeugt, dass die Zukunft elektrisch sein wird.
Arno Antlitz, Finanzchef bei Volkswagen
Europas Autohersteller werden jedenfalls anders als etwa Hyundai oder Toyota vorerst nicht am Boom der "Dedicated Hybrids" mitnaschen. Vor allem deutsche Hersteller setzen weiter stark auf Plug-in-Hybride. Sie erlauben zwar höhere elektrische Reichweiten als die klassischen Hybride, sind jedoch viel teurer, schwerer und ergeben ökologisch nur Sinn, wenn ihre Batterien regelmäßig geladen werden. Vom Vorwurf, dass Hybridantriebe weder Fisch noch Fleisch sind, hält Autoexperte Benedetto nichts: "Sie decken das Bedürfnis nach Mobilität auch in Regionen ab, wo es keine Ladeinfrastruktur gibt."
Gerade in Schwellenländern mit vielen Einwohnern wird künftig der größte Pkw-Zuwachs erwartet. Die Flexibilität dieser neuen Hybridantriebe in Sachen Kraftstoffe macht sie selbst für Länder mit einem hohen Anteil an Biosprit wie etwa Brasilien interessant. Benedetto erwartet, dass in Brasilien auch nach 2035 Ethanol im Tank vorherrschen und Elektroautos weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen werden.
Verbrenner bleibt wichtig
Der Verbrenner wird also auch über 2035 hinaus eine wichtige Rolle spielen. Das erfordert in Europa aber ein Umdenken. VW-Finanzchef Arno Antlitz sagt: "Wir sind fest davon überzeugt, dass die Zukunft elektrisch sein wird." Aber: "Rund ein Drittel der Investitionen zielt darauf ab, die Modelle mit Verbrennungsmotor wettbewerbsfähig zu halten."
Nicht der Energiewandler macht das Problem, sondern der Energieträger.
Prof. Helmut Eichlseder, TU Graz
Mercedes-Benz will bis in die 2030er-Jahre sowohl Autos mit Elektro- als auch mit Hybridantrieben anbieten. BMW hat sich sowieso alle Optionen offen gelassen und hält auch am Brennstoffzellenantrieb fest. Einen neuen Weg wählte der Renault-Konzern. Er gründete heuer mit der chinesischen Volvo-Mutter Geely eine Firma zur Entwicklung und Produktion von Verbrenner- und Hybridantrieben namens "Horse". Geplant sind fünf Millionen Antriebseinheiten in 17 Produktionsstätten weltweit.
Die Karten werden gerade neu gemischt. Ob Europas Autoindustrie ihre Trümpfe bewahren kann, hängt auch von der globalen Sichtweise der Gesetz- und Geldgeber ab. Eine Technikerweisheit gilt weltweit: "Nicht der Energiewandler macht das Problem, sondern der Energieträger", sagt Prof. Eichlseder. Die Emissionen hängen vom Kraftstoff ab, nicht vom Motor.
Neue Kraftstoffe
In der EU zählt gemäß den Abgasnormen nur, was hinten aus den Auspuffen kommt. Strom ist automatisch emissionsfrei, egal, wie er erzeugt wird. In der EU stammt er noch zu fast 40 Prozent aus fossilen Quellen wie Kohle, sagte der langjährige TU-Wien-Institutsleiter Prof. Bernhard Geringer auf dem diesjährigen Internationalen Wiener Motorensymposium.
Kraftstoffe, auch nichtfossile, haben dieses Privileg nicht. BMW-Chef Zipse fordert von der EU-Kommission hier ein Umdenken. Auch CO2-arme oder CO2-neutrale Kraftstoffe wie E-Fuels (synthetische Kraftstoffe, die mit Ökostrom und abgespaltenem CO2 auf Basis von grünem Wasserstoff erzeugt werden), Ethanol und HVO100 (hydriertes Pflanzenöl als Dieselersatz) sollen in Betracht gezogen werden. Damit könnte auch bei den mehr als 250 Millionen Bestandsfahrzeugen in der EU die CO2-Bilanz sofort verbessert werden. Derzeit anerkennt die EU nur Lkw-Verbrennungsmotoren, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden, als emissionsfrei.
Überlegungen der EU zu CO2-neutralen Kraftstoffen für Verbrennungsmotoren hielt Prof. Stefan Hausberger auf der A3PS-Tagung in Wien selbst unter dem Aspekt für nötig, dass ab 2035 nur mehr elektrische Neuwagen erlaubt sein werden. Ohne CO2-neutrale Kraftstoffe "werden 2050 in der EU noch immer 40 Prozent der Bestandsfahrzeuge mit Benzin und Diesel fahren", sagte der Emissionsexperte an der TU Graz. Der Aufbau einer entsprechenden Produktion, Infrastruktur sowie nötiger Lieferverträge erfordert jedoch sehr viel Geld und eine lange Vorlaufzeit. Dafür geeignete Firmen wollen aber nur dann investieren, wenn sie sichere Abnehmer haben, also ein Geschäftsmodell für sich sehen. Das setzt entsprechende Gesetze voraus. Sonst macht sich die EU auch auf diesem Gebiet von asiatischen und anderen Anbietern abhängig.
Japan etwa hat sich bereits vor Jahren in verschiedenen Staaten langfristige Lieferverträge für Wasserstoff und Ammoniak gesichert. Diese Kraftstoffe sollen entweder direkt in Fahrzeugen eingesetzt oder zu E-Fuels weiterverarbeitet werden, berichtete Prof. Junji Inukai von der Yamanashi-Universität auf der A3PS-Tagung. "Japan will das Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Valley werden", sagte Inukai, in Anlehnung an das berühmte Silicon-Valley in den USA.
"Obwohl die Technologie noch nicht so weit ist, wie sie sich das wünschen würden, setzen Japan und Südkorea sehr stark auf Wasserstoff", sagt Benedetto. Wasserstoff soll sowohl mit Brennstoffzellen als auch mit Verbrennungsmotoren emissionsfreies Fahren erlauben. Hyundai hat sogar eine eigene Tochterfirma für Wasserstofftechnologie gegründet: "Hyundai sieht Wasserstoff als ein zentrales Element seiner Energiestrategie." Die Tochterfirma arbeitet auch an neuen Produktionsverfahren, etwa an der Herstellung von Wasserstoff aus Plastik oder aus Abfall.
Während Japan und Südkorea die Technologie für Pkw und Lkw vorantreiben, konzentriert sich China dabei derzeit auf Nutzfahrzeuge, sagte Prof. Inukai. In der EU hält BMW weiter am Brennstoffzellenantrieb fest.
Die Rahmenbedingungen
Flottenverbrauchsziel: Dabei handelt es sich um Verbrauchsvorgaben in Gramm CO2 pro Kilometer für die gesamte Flotte an Pkw-Neuzulassungen eines Herstellers in der EU. Ab 2025 gelten im Schnitt 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Dieses neue EU-Fottenziel für 2025 erfordert einen Anteil an reinen Elektroautos von mindestens 20 Prozent, derzeit liegt er unter 15 Prozent im EU-Schnitt. Deshalb forderten einige Hersteller einen Aufschub des 95-Gramm-Zieles um zwei Jahre. Dies lehnte die EU-Kommission ab.
Verbrennerverbot in der EU: Dieses ergibt sich aus den Flottenverbrauchszielen der EU. 2035 soll der Verbrauch neu zugelassener Autos null Gramm CO2 pro Kilometer betragen. In der EU gilt der Abgasausstoß aus dem Auspuff, die Kraftstoff- bzw. Stromerzeugung wird nicht berücksichtigt. In anderen großen Automärkten wie China, den USA oder Japan gibt es bislang kein Verbrennerverbot.
Strafzahlungen: Alle Hersteller, die die EU-Vorgaben nicht einhalten, müssen Strafe bezahlen. Die Höhe ergibt sich aus der Emissionsüberschreitung, die mit der Anzahl der Neuzulassungen des Herstellers multipliziert wird. Insgesamt werden 2025 Strafzahlungen von bis zu 16 Milliarden Euro erwartet.