Tast-Sinn

Wie schwierig ist die Bedienung moderner Autos geworden? Wir haben den Test gemacht: fünf Personen, fünf Autos, sechs Aufgaben. 

Bis zu 70 Funktionen können – oder besser gesagt müssen – heute in ­einem modernen Auto bedient werden. Die Klimaanlage beispielsweise, das Audiosystem, die diversen Assistenzsysteme, das Navi usw.

Fast immer wird dabei ein Touchscreen eingesetzt. Menüstrukturen, Aufteilung und meist ein Rest von herkömmlichen Schaltern werden von den Herstellern sehr unterschiedlich konfiguriert.

Aber wie gut machen sie das? Das wollten wir abseits unserer eigenen Eindrücke von fünf weiteren Testpersonen wissen – und haben ihnen in fünf aktuellen Autos verschiedene Aufgaben gestellt.

Die Tester (von links): Florian (37), Viktoria (29), Sophie (18), Doris (52) und Robert (62).
Die Fahrzeuge (von links): Tesla Model Y, Peugeot 3008, Kia Sportage, BMW X1 und VW Golf.

Überall spielt ein Touchscreen mehr oder weniger die zentrale Rolle bei der Bedienung. Aber ist er die eierlegende Wollmilchsau, die alles kann?

Prof. Manfred Tscheligi ist nicht dieser Meinung. Er leitet den Fachbereich Artificial Intelligence and Human Interfaces an der Universität Salzburg und das Center for Technology Experience am Austrian Institute of Technology.

"Touchscreen-Steuerung eignet sich bestens für Infotainment sowie nicht-zeitkritische Diagnostik und verringert auch den Platzbedarf. Aber klassische Regler bieten ein unmittelbares Feedback und sind durch ihre fixe Positionierung im Bedarfsfall eindeutig und nicht verwechselbar. Also: je zeit- und sicherheitskritischer, desto weniger Touch und desto eher klassisch."

Weniger ist oft mehr: Ein Zuviel an Bedienungsschritten führt schnell zur Ablenkung.

Prof. Manfred Tscheligi, Austrian Institute of Technology & Fachbereich Artificial Intelligence and Human Interfaces, Universität Salzburg

Eine weitere Empfehlung von Prof. Tscheligi für die Autohersteller: die Menütiefe gering halten. Mit vielen Untermenüs steigt die Gefahr, dass sich die Nutzer:innen nicht mehr zurechtfinden – und auch die Ablenkungsgefahr wird durch viele Schritte erhöht.

Manfred Tscheligi bringt hier unterschiedliche Bedienkonzepte ins Spiel: Man könnte etwa für die ältere Generation größere Symbole und Menüs mit weniger Funktionen anbieten – also bei einem Auto nicht nur nach Display-Optik auswählen lassen, sondern auch nach Benutzergruppen.

Eine Erkenntnis aus unserem Bedientest: Je jünger die Tester sind, desto leichter kommen sie mit umfangreichen Menüstrukturen auf den Touchscreens zurecht. "Das ist ja wie bei meinem Smartphone", kommentiert etwa die 18-jährige Sophie, während sie in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Menüs im Tesla turnt.

Die älteren Testpersonen haben damit deutlich mehr Probleme. Wo diese liegen, zeigt sich bei den einzelnen Aufgaben ganz deutlich.

Aufgabe Nr. 1: In Verbindung treten.

— Smartphone mit dem Fahrzeug koppeln.

Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung ist nicht nur gefährlich, sondern auch ein Vormerkdelikt – und zu Recht mit hohen Strafen bedroht. Daher sollte das Verbinden des Smartphones mit dem Fahrzeug einfach, schnell und unkompliziert funktionieren. Und das tut es in den meisten Fällen auch. Ganz flott und intuitiv geht das beim BMW. Führerscheinneuling Sophie hat die Daten ihres Handys in lediglich 17 Sekunden am großen Display.

Selbsterklärend und intuitiv empfinden alle Probanden die Menüstruktur im Kia und die Smartphone-ähnliche Steuerung im Tesla. Länger dauerte die Herstellung der Bluetooth-Verbindung in VW und Peugeot, wo auch ein zweiter Anlauf notwendig war, weil das Telefon vom Auto nicht auf Anhieb erkannt wurde oder, wie im VW, das „Quadrat“-Symbol von manchen Testern nicht als Hauptmenü-Taste wahrgenommen wurde.

Aufgabe Nr. 2: Für angenehmes Klima sorgen.

— Klimaanlage einschalten, die Temperatur auf 20 Grad stellen und Umluftbetrieb aktivieren.

Die Bedienung einer Klimaanlage muss schnell und intuitiv sein – vor allem, wenn’s heiß ist. Trotzdem muss man bei einigen Modellen immer noch in Untermenüs am Touchscreen vordringen, um ans gewünschte Ziel zu kommen. Im VW geht das erfreulich einfach, schnell ist die gewünschte Temperatur eingestellt. Ähnlich flott kühlt’s im BMW runter. Lediglich die Umluft-Taste "springt einem nicht sofort ins Auge", findet Robert. Probleme bereitet die Aktivierung der Umluft-Funktion übrigens in fast allen Modellen. Nicht unbedingt intuitiv ist das Handling im Kia. Auf einer schmalen Touchleiste wird mittels Antippen zwischen Infotainment (standardmäßig eingestellt) und Klimasteuerung gewechselt. Viktoria findet’s zwar "cool", andere suchen aber vergebens danach. Immerhin lässt sich die Temperatur aber auch über den großen Screen regulieren.

Aufgabe Nr. 3: Den richtigen Weg finden.

— Beim Navigationssystem Adresse manuell und mit Sprachsteuerung eingeben.

Stressfrei an den gewünschten Ort zu gelangen, ist komfortabel. Dazu muss allerdings erst einmal das Ziel ins Navigationssystem eingegeben werden.

Die erste Aufgabe: Eingabe einer vorgegebenen Adresse via Touchscreen. Das funktioniert in allen fünf Modellen erstaunlich reibungslos, im BMW ist Sophie nach blitzschnellen 15 Sekunden startklar. Ein übersichtlicher Bildschirm und flotte Reaktionszeiten machen’s möglich. Interessant: Während unsere jüngeren Tester die Adresse schneller eingeben können, dauert’s bei den beiden älteren Testern etwas länger. Benutzerfreundlich bei modernen Navis: Eine Reihenfolge bei der Adress-Eingabe (Postleitzahl, Ort, Straße) muss nicht mehr eingehalten werden.

Anders das Ergebnis bei der Adress-Eingabe mittels Sprachsteuerung. Weitgehend unkompliziert verläuft die Prozedur im BMW, nur einmal werden, trotz deutlicher Aussprache, Ziele angeboten, die mit dem Gesprochenen rein gar nichts zu tun hatten. Peugeot und Kia verlangen nach konkreten Sprachbefehlen bzw. Schlüsselwörtern wie "Navigiere nach…" Das Wort "Adresse" wird im Peugeot erst gar nicht erkannt. Im Tesla suchen die beiden ältesten Tester vergeblich den Knopf am Lenkrad für die Spracheingabe, zudem findet Florian das Handling der Lenkradtasten nervig. Viktoria und Sophie kommen mit dem Tesla bestens zurecht. "Das Handling ist total easy, ähnlich wie am Smartphone", meinen beide.

Die Bedienung ist total ähnlich wie auf meinem iPhone. Das taugt mir total, macht’s dadurch auch viel einfacher.

Viktoria gefällt das Handling am Tesla-Touchscreen

Aufgabe Nr. 4: Assistenzsystem bedienen.

— Den Spurhalteassistent ausschalten und wieder aktivieren.

Neue Autos müssen mit einem Spurhaltesystem ausgestattet sein. Dieses ist manchmal überfordert, etwa wenn die Begrenzungslinien auf der Straße nicht mehr gut erkennbar sind – da ist ein Abschalten sinnvoll. Beim Peugeot findet man die Funktion nicht wie alle anderen Sicherheitsassistenten am Touchscreen, sondern per Schalter links unter dem Lenkrad – schwer zu finden, da auch außerhalb des Sichtfelds, meint Robert.

Der Kia macht es den Testern leichter – die Taste am Lenkrad ist gut platziert. Beim Tesla wird auch diese Einstellung über ein Bildschirmmenü gesteuert. Logischerweise wird der Spurhalteassistent, der ein Sicherheitssystem ist, von unseren Probanden zuerst im Menüpunkt "Sicherheit" gesucht, danach meist unter "Lenkung" – aber nicht bei "Autopilot". Die vergleichsweise kleinen Anzeigen benötigen viel Konzentration. Resümee von Sophie: "Während der Fahrt würde ich das nie machen!" Beim VW erfolgt das Ein- und Ausschalten des Spurhalteassistenten über die gut bedienbaren Lenkradtasten, die Anzeige dazu sieht man am Display hinter dem Lenkrad. Für anfängliche Verwirrung sorgt fast immer, dass die Aktivierung des entsprechenden Menüs auf der linken Lenkradseite erfolgt, das Ausschalten dann aber rechts.

Aufgabe Nr. 5: Was braucht er denn?

— Am Bordcomputer den Durchschnittsverbrauch und Restreichweite auslesen.

"Wie weit kann ich noch fahren?", oder: "Was verbraucht mein Auto eigentlich?" Essenzielle Fragen, die in jedem Auto schnell und ohne viel Ablenkung ablesbar sein sollten. Sind sie aber nicht (immer)! Die Restreichweite erkennen unsere Tester in vier von fünf Testwagen (BMW, Kia, Peugeot und VW) nach kurzer Zeit. Warum? Alle vier Hersteller blenden diese Info sinnvollerweise permanent am Display ein. Nur im Tesla tippt man auf die Akkuanzeige, um die Reichweite anzuzeigen. Mühsamer zu ermitteln ist der Verbrauch. Im Peugeot muss dazu eine Taste am Lenkstockhebel gedrückt werden, um die Information abzurufen. Außerdem verschwindet die Anzeige nach ein paar Sekunden wieder. Im BMW verwirren die vielen kleinen Icons und im VW finden fast alle via Touchscreen oder Lenkradtasten zum Ziel, mit ein bisschen "Scrollen" auch im Tesla. Vorbildlich: die permanente Anzeige im Kia.

Aufgabe Nr. 6: Für die richtige Unterhaltung sorgen.

— Einen Radiosender suchen und als Favorit speichern.

Vor Einzug der Touchscreens war es üblich, dass Autos über fixe Stationstasten zur Speicherung eines Radiosenders verfügten. Heute läuft alles über Bildschirme, analoge Tasten werden zunehmend exotischer. "Ein Vorteil am Tesla ist der wirklich große Bildschirm. Das macht’s einfacher", findet Florian. Auch die 18-jährige Sophie ist vom Bedienkonzept "wie bei einem Smartphone" angetan. Die beiden ältesten Tester, Doris und Robert, kommen mit der Menüführung des Tesla dagegen weniger gut zurecht, finden sie "relativ kompliziert".

Im BMW hat keiner der fünf Tester ernsthafte Probleme beim Finden und Abspeichern eines Radiosenders. BMW-Eigenheit: Um einen Sender zu speichern, muss man mit einer BMW-ID eingeloggt sein. Im VW suchen alle sehr zielgerichtet und kommen auch rasch zu einem Ergebnis. Auffallend jedoch: Die direkt daneben platzierte Touchbar (für Lautstärke- und Temperatur-Verstellung) wird manchmal irrtümlich berührt, das führt dann zur Fehlbedienung. Selbsterklärend: die Senderspeicherung bei Peugeot und Kia. Diese Prozedur während der Fahrt zu erledigen, finden aber alle fünf Tester sehr ablenkend.

Video Bedienungstest

Interview: Manfred Tscheligi

Univ.-Prof. Mag. Dr. Manfred Tscheligi ist Professor für Human-Computer Interaction an der Universität Salzburg und Head of Center for Technology Experience am Austrian Institute of Technology (AIT). Er ist seit Jahren in den Bereichen Interaktiver Systeme, Human-Computer Interaction, Experience Engineering und User Interface Design tätig. Er gilt als Pionier dieses Gebietes in Österreich innerhalb der Ausbildung, in der Forschung sowie in der industriellen Anwendung. <br />
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An der Universität Salzburg leitet Manfred Tscheligi den Fachbereich Artificial Intelligence and Human Interfaces, bzw. den Bereich Human-Computer Interaction.

— Welche Empfehlungen kann man generell Autoherstellern für neue Bedienkonzepte geben?

MANFRED TSCHELIGI: Weniger ist oft mehr, was die Bedienung betrifft: Nicht jedes neu verbaute innovative System muss in neuer oder zusätzlicher Bedienung resultieren. Im Gegenteil: Man kann die Einstiegskurve einfacher gestalten, indem man auf bekannte Bedienelemente und -schritte zurückgreift, um Neuartiges zu steuern. Ein Zuviel an Bedienungsschritten führt schnell zu Ablenkung. Hinsichtlich Corporate Identity kann man viel mit Namen, Farbgebung und natürlich Funktionalität erreichen, da braucht es nicht zwingend neue Regler, zusätzliche Displays oder Übermenüs. Natürlich gilt immer: neue Bedienkonzepte, möglichst unter Echtbedingungen, empirisch überprüfen.

— Ist es sinnvoll, sich in erster Linie auf Touchscreen-Menüs zu konzentrieren oder sollen gewisse Funktionen weiterhin mit klassischen Schaltern/Drehreglern bedient werden können?

MANFRED TSCHELIGI: Eine Touchscreen-Steuerung ist für Infotainment, nicht-zeitkritische Diagnostik oder ähnliches bestens geeignet und verringert auch den Platzbedarf durch zusätzliche physikalische Schaltelemente.

Aber klassische, physikalische Regler bieten ein unmittelbares Feedback (Stichwort "habe ich nun erfolgreich gedrückt oder nicht") und sind durch ihre fixe Positionierung im Bedarfsfall eindeutig und nicht verwechselbar. Das bedeutet: Je zeit- und sicherheitskritischer, desto weniger Touch und desto eher klassisch.

— Gerade bei den Menüs auf den Touchscreens gibt es unzählige verschiedene Herangehensweisen. Was wäre hier bei der Gestaltung zu beachten?

MANFRED TSCHELIGI: Unbedingt die Menütiefe gering halten. Ab einer Tiefe von zwei aufwärts steigt die Unübersichtlichkeit und die Gefahr, dass sich Nutzer:innen nicht mehr zurechtfinden bzw. die Schritte als zu mühsam erachten. Auch hier gilt: Die Ablenkungsgefahr durch viele Schritte bis zum Ziel wird erhöht.

— Inwieweit wäre es sinnvoll, dass sich alle Hersteller auf gewisse Standards einigen bzw. gewisse Standards vorgeschrieben werden? Als Beispiel das Symbol für das Home-Menü, um schnell und eindeutig erkennbar wieder auf den Home-Bildschirm zu kommen.

MANFRED TSCHELIGI: Das ist nicht ganz so einfach mit ja oder nein zu beantworten, denn man muss den Herstellern Möglichkeiten lassen, die eigene Corporate Identity, das eigene Design unterzubringen, aber natürlich macht partielle Standardisierung Sinn.

So könnten die wesentlichen, auch sicherheitskritischen, Elemente mit den gleichen Symbolen oder der gleichen Positionierung umgesetzt werden. Das erhöht den Lerntransfer von einem Modell zum anderen Modell.

Dies ergibt also zwei Designebenen: Standards für die wichtigsten Elemente (auch wenn unterschiedlich grafisch aufgelöst) und Kreativität im Sinne des Herstellers für spezifische Funktionen.

— Wir hatten bei unseren Tests den Eindruck, dass in erster Linie für jüngere Autofahrer:innen entwickelt wird, ältere Menschen mit der Bedienung moderner Autos zunehmend schwerer zurechtkommen. Wird bei der Entwicklung zu wenig auf ältere Menschen Rücksicht genommen? Aber gerade das ist die Konsumentengruppe, die sich neue, moderne und zumeist teure Fahrzeuge leisten können…

MANFRED TSCHELIGI: Das ist richtig, aber vermutlich weniger ein Symptom eines Fokus spezifisch auf jüngere Menschen, sondern der generell Feature-getriebenen Entwicklung. Um sich abzugrenzen, muss das Fahrzeug mehr und bessere Features als die Konkurrenz, die eigenen Vorgängermodelle oder die eigenen Niedrigpreismodelle aufweisen. Je mehr Features, desto mehr Komplexität und um so höher das Risiko, dass man jene, die in einer anderen technischen Generation herangewachsen sind, verliert, da ihre Schwierigkeiten dann meist auf zwei Ebenen ablaufen: Das generelle Technologielevel (diese Barriere hat man in den "jüngeren" Generationen meist nicht) und dann noch die spezifischen neu hinzugekommenen Funktionen.

Es wäre aber auch eine Möglichkeit, Bedienkonzepte für unterschiedliche Benutzergruppen, etwa für die ältere Generation, auszurichten (z.B grössere Bedienelemente für ältere Personen, um die Überladung zu reduzieren. Also Stile nicht nur nach dem Design, sondern auch nach Benutzungsgruppen zur Auswahl anbieten.

— Wird die Sprachbedienung durch Künstliche Intelligenz (KI) zuverlässiger und stellt sie somit in Zukunft eine wichtige neue Bedienkomponente dar?

MANFRED TSCHELIGI: Im Kontext Auto wurden hier in den letzten Jahren sehr viele Fortschritte erzählt. Durch KI wird dies noch weiter optimiert. Es werden immer mehr personalisierte und adaptive Konzepte entstehen, die auf einzelne Bedürfnisse und Charakteristiken gut eingehen können. Gut gemachte Sprachbedienung kann jedenfalls Beiträge zu weniger Ablenkung leisten. Wichtig ist hier, keine andere Interaktionsmodalitäten (z.B. Zusatzeingaben am Bildschirm) zu benötigen, um die Komplexität nicht wieder unnötig groß werden zu lassen.