Challenge accepted
Der Dodge Challenger Hellcat mag für viele Menschen das unsinnigste Auto der Welt sein. Für mich ist er, Verzeihung, das absolut geilste. Notizen von unterwegs.
Vor drei Jahren habe ich mich in Kalifornien frisch verliebt. Und wissen Sie was? Meine wundervolle Freundin zuhause in Wien hat das überhaupt nicht gestört. Warum? Nun, die neue Flamme an meiner Seite stellte schlicht keine Konkurrenz dar. Im Gegensatz zu Frl. J. trank die Affäre nämlich viel zu viel, ihre Auftritte in der Öffentlichkeit waren ob des überkandidelten Äußeren meist peinlich, und die mangelnde Zurückhaltung ging Hand in Hand mit einer Stimme, die an Tom Jones nach einer durchzechten Nacht gemahnte. Kurzum: die perfekteste unperfekte Begleitung für ein paar Tage der unschuldigen Sünde.
Sie ahnen’s schon: Das G’spusi bestand nicht etwa aus Fleisch und Blut, sondern natürlich aus Blech und Benzin. Name: Dodge Challenger. Charakter wie erwähnt: verhaltensoriginell. Ich lasse die Zeit weiter unten gleich noch kurz Revue passieren, aber lassen Sie mich festhalten: Es waren intensive zwei Wochen, damals im November 2014 (nachzulesen hier), und ich war irgendwie froh, als es vorbei war. Niemals hätte sich dieses Ding in meinen österreichischen Alltag integrieren lassen. Unsere Straßen wären viel zu kurvig gewesen, die Lärmschutzgesetze zu streng, und der Benzinpreis hätte mich binnen weniger Monate ansatzlos verarmen lassen. Trotzdem: Die Liebe zum mit Abstand lässigsten Muscle Car der Vereinigten Staaten war erwacht, und ich verbrachte in der Folge zahllose schlaflose Nächte mit dem stupiden Schauen von Dodge-Werbungen wie zum Beispiel dieser da:
Dann zogen die Jahreszeiten ins Land, ich gewöhnte mich wieder an normale Testautos, der Alltag kehrte zurück. Aber irgendwo tief in mir drinnen blieb ein Loch, und nach einiger Zeit des Grübelns wurde mir bewusst, was ich lange verdrängen wollte: Ich hatte jetzt tatsächlich ein Lieblingsauto. Und: Ich vermisste es wahnsinnig. All die herzensguten, meist fehlerlosen Fahrzeuge, mit denen ich als Motorjournalist beruflich unterwegs war: Keines konnte "meinen" Dodge und seine Blödheiten ersetzen. Die Tragödie daran: Bei uns war und ist der Challenger nicht offiziell erhältlich. Sprich: Es würde für mich wohl bei einer unstillbaren Sehnsucht bleiben. Bis mich vergangenen Herbst ein befreundeter Kollege einer großen Tageszeitung anrief. Er hätte da was gehört…
Aber lassen Sie mich lieber von vorne beginnen, gut?
Rückblende 2014: Beginn einer großen Liebe
Eigentlich war ja alles von Anfang an eine "amour fou" – also eine Beziehung, die "nach gewöhnlichen Maßstäben nicht vernünftig ist, da sie entweder keine Aussicht auf Bestand hat, oder nicht erkennbar ist, was die Verliebten aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit miteinander verbindet", wie im schlauen Wikipedia nachzulesen ist.
Das trifft’s ziemlich gut: Hätte ich damals nämlich unsere standardisierten ÖAMTC-Test-Maßstäbe angelegt, wäre mein mit 90.000 Kilometern am Tacho bereits sehr gut abgehangener Miet-Challenger mit Bomben und Granaten durchgefallen: schwammiges Fahrwerk, indifferente Lenkung, katastrophale Verarbeitung (die Dach-Innenverkleidung löste sich stets beim Zuschlagen der Türen), dazu ein 5,7-Liter V8 mit 380 PS auf dem Papier und gefühlten 250 auf der Straße – trotz R/T-Ausführung, also der Sportversion "Road & Track".
Gefunkt hat es erst dann, als wir gemeinsam, Bruce Springsteen lauschend, die endlosen Wüstenregionen Südkaliforniens durchquerten. Simple Regel: Wer zusammen Abenteuer erlebt, entwickelt Vertrauen und Zuneigung. Es ist dann nicht mehr wichtig, ob der Dach-Himmel runterfällt, sondern ob man sich grosso modo aufeinander verlassen kann…
Katzen erreichen mühelos, was uns Menschen versagt bleibt: durchs Leben zu gehen, ohne Lärm zu machen.
Dem Schriftsteller Ernest Hemingway (1899–1961) war der Hellcat-Dodge definitiv noch nicht bekannt.
Gestatten, Benz im Wolfspelz
Vorspulen, Herbst 2016: Kollege C. von der Zeitung K. ruft also an und unterbreitet mir Verheißungsvolles – Er weiß schließlich schon lange von meiner Affäre. Im oberösterreichischen Enns gäbe es eine auf Dodge-Importe spezialisierte Firma, sagt er. Und dass deren Chef gerade so wahnsinnig gewesen wäre, zum eigenen Vergnügen das einzige Exemplar der aktuell ärgsten Eskalationsstufe des Challenger nach Österreich geholt zu haben – einen "Hellcat"…
Vor lauter Freude wird mir kurz flau im Magen (Kennen Sie dieses Gefühl?), und ich rufe meinen Chefredakteur an. Ob ich eine Story über eine anachronistische, komplett sinnlose 717-PS-Benzinschleuder machen darf, die bei uns nicht regulär erhältlich ist und dem Großteil aller Autofahrer bei Anblick ein Dorn im Auge, frage ich. Hände und Stimme zittern. Stille am Ende der Leitung, Peter Pisecker seufzt unhörbar, aber ich sehe ihn vor mir. Und hake schnell nach: Es handle sich immerhin um das stärkste Muscle Car der Welt – Eltern vifer Kleinkinder kennen diese höchst perfide Verhandlungs-Taktik. Und tatsächlich: Dieses Argument sitzt. Danach Anruf in Enns bei Lappi Performance, dem potentiellen Quell der Freude. Ob zwei Tage ok wären, höre ich. "Ja, ja und nochmals ja", juchze ich eine Oktave höher ins Handy.
Ich packe Fotograf Markus und Kameramann Mario ins Auto, wir düsen nach Oberösterreich. Auf der Westautobahn ist es wie üblich fad, die beiden Camera-obscura-Kollegen dösen, ich mache derweil Fakten-Check und schalte vom Fan-Modus in den objektiv-professionellen: Was ist der Dodge Challenger überhaupt? Drei Gedanken aus dem Hirn-Protokoll:
1) optisch aggressivster Vertreter des heute noch verbliebenen US-Muscle-Car-Legenden-Triumvirats der glorreichen 1960er-Jahre – bestehend aus ihm und den Kollegen Chevrolet Camaro und Ford Mustang.
2) anno 2017 technisch völlig veraltetes Konzept: Unterm Brachial-Outfit des Dodge steckt im Prinzip eine Mercedes-E-Klasse aus den Neunziger Jahren – einer Zeit also, als die US-Marke noch zu Daimler gehörte und nicht zu Fiat/Chrysler wie heute.
3) als Hellcat mit 717 PS ist das stärkste Muscle Car aller Zeiten gleichzeitig auch der billigste Supersportler ever. Kostet in den USA umgerechnet einen Hauch über 50.000 Euro. "More bang for the buck", wie der Ami sagen würde, gibt es auf diesem Planeten nicht. Was man bei uns auslegen würde? Ganz am Schluss dieser Story erzähl ich's Ihnen. Sogar mit einem konkreten Angebot.
I've been to Pittsburgh, Parkersburg, Gravelbourg, Colorado, Ellensburg, Rexburg, Vicksburg, Eldorado, Larimore, Atmore, Haverstraw, Chatanika, Chaska, Nebraska, Alaska, Opelika, Baraboo, Waterloo, Kalamazoo, Kansas City, Sioux City, Cedar City, Dodge City, what a pity.
Johnny Cash (1932–2003) – „I’ve Been Everywhere“
Der wahre Volks-Rock 'n' Roller
Zur Einstimmung: Was hält unsere Höllenkatze eigentlich von Country-Legende Johnny Cash? Und wie reagiert sie auf dessen österreichische Möchtegern-Kopie? Warum küsst der Redakteur erstmals in seinem Leben ein Auto und streichelt es auch noch? Fragen über Fragen. Aber sehen Sie am besten selbst, unser Kameramann Mario hat sich ein bisschen ausgetobt…
(Vielen lieben Dank an dieser Stelle an den Longhorn Saloon Texas in St. Georgen an der Gusen, dass wir bei Euch drehen durften! Die Bratwürstel waren ein Gedicht!)
Herumschleichen und Beschnuppern
Der Leib/Die Glut/Die Kraft
Sie haben’s bereits gelesen: Dieses unpackbar arge Auto ist – rein technisch – im Prinzip eine antiquierte Mercedes E-Klasse, die sich im harten Kindergarten an der verruchten Detroiter "8 Mile" als Superman verkleidet hat. Bloß: "The difference between men and boys is the size of their toys". Sprich: Es geht um das Herz des Hellcat-Challenger – Und das ist ein Triebwerk, das so noch nie aus den USA kam.
Wir halten fest: Der betagte 6,2-Liter-Standard-V8 aus dem Chrysler-Holzregal (Anm.: Bis 10.2. stand hier wegen eines Flüchtigkeitsfehlers "GM-Holzregal" – Sorry!) wurde von Dodge für die PS-Orgie, nun ja, angepasst. Verdreifachte Kühlleistung, verstärkte Kupplung, auf fette 1,3 Zentimeter Durchmesser erweiterte Benzinleitungen, weil das Aggregat bei Volllast sonst keinen Sprit mehr bekäme – die anfängliche Idee einer Direkteinspritzung wurde verworfen, weil es derzeit keine Pumpe mit ausreichender Förderleistung gibt…
Ritt auf der Kanonenkugel
Mein Fazit
Zuerst vielleicht meine Meinung als professioneller Motorjournalist, die vermutlich auch mit Ihrer Ansicht korreliert: Dieses hoffnungslos übermotorisierte Relikt, das unter unkundigen Händen schon bei zart feuchter Fahrbahn eine mehr als riskante Gefahr im Straßenverkehr darstellt und lauter ist als eine handelsübliche Rockfestival-Bühne, braucht niemand. Korrekt. Noch weniger will heutzutage irgendjemand Autos haben, deren 70-Liter-Tank nach knapp 200 lustigen Kilometern leer ist wie in diesem Fall. Auch korrekt. Sogar das Gros der leistbaren Elektro-Fahrzeuge kann das mittlerweile fast besser als dieser polternde Hardcore-Trinker aus dem Trump’schen La-la-Land.
Aaaaber: Dinosaurier wie der Dodge Challenger Hellcat sind eine aussterbende Rasse. Liebenswürdig, fordernd, mit körperlich-motorischer und vor allem geistiger Arbeit verbunden. Plus-700-PS-Autos wird es früher als später nicht mehr geben, denke ich. Und wenn, dann werden Sie oder ich nicht mehr am schönen Akt des aktiven Fahrens beteiligt sein. Schade, denn: Wer sich so etwas heute noch zulegt (egal, ob in den USA oder im Salzkammergut), tickt entweder nicht ganz richtig, hat zuviel Geld – oder ist ein fröhliches Kind im Körper eines Erwachsenen.
Fakt ist: Keines der Handvoll Hellcat-Exemplare, die weltweit vereinzelt ein Herrchen oder Frauchen finden, ist per se verantwortlich für die Erderwärmung, das Verhungern eines Eisbären oder das Umfallen eines Baumes im Amazonasgebiet. Diese Bürde tragen nämlich schon noch immer die Abermillionen Kunden, die zum Beispiel einen VW Golf fahren, gern um 99 Euro nach Barcelona fliegen oder täglich beim großen Online-Kaufhaus bestellen.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin kein konservativer Verfechter der Verbrennungsmotor-Philosophie, ganz im Gegenteil: Im Alltag ziehe ich nämlich mittlerweile jedes E-Auto seinem stinkerten Pendant vor (hier nachzulesen). Aber Himmel noch mal – wenn für einen Dodge Hellcat schon kein Platz in unserem Leben mehr sein darf, dann müssten wir konsequent sein und auch Paul McCartney nicht mehr auftreten lassen. Der kommt nämlich auch aus einer anderen Zeit – und man schätzt ihn trotzdem, wie's scheint. Speaking words of wisdom…
Info
Sie haben Kaufgelüste bekommen? Unser rares Test-Exemplar stünde abholbereit beim oberösterreichischen Dodge-Spezialisten Lappi Performance in Enns. Mit nur 750 Kilometern Laufleistung und um rund 100.000 Euro. Mehr Informationen auf der Firmen-Website unter www.lappi-performance.at.