— Die Entwicklung des I-Pace dauerte vom weißen Blatt Papier bis zur Auslieferung des ersten Fahrzeuges an einen Kunden vier Jahre. Wieso schafft es ein vergleichsweise kleiner Hersteller, ein E-Auto auf einer eigenen Plattform so schnell auf die Straße zu bringen, während große Hersteller Milliarden investieren, länger brauchen und dann ein E-Fahrzeug auf einer Verbrenner-Plattform auf den Markt bringen?
WOLFGANG ZIEBART: Diese Frage stellen mir Kollegen von größeren Firmen auch. Das ist relativ klar, wo das herkommt. Erstens sind in einer kleinen Firma die Entscheidungswege viel schneller. Unser Vorschlag in der Entwicklung war, ein kompromissloses E-Auto zu entwickeln. Der Vorstand war einverstanden damit. Danach brauchten wir niemanden mehr fragen, und wir haben am nächsten Tag damit angefangen. Zweitens habe ich in meiner beruflichen Laufbahn ja auch in anderen Bereichen gearbeitet, so etwa bei Infineon.
Das war sehr, sehr wertvoll, einmal in diesem High-Tech-Bereich gewesen zu sein. Da sieht man, wie Firmen mit ganz anderen Ansätzen arbeiten und ganz andere Entwicklungsgeschwindigkeiten erreichen. Solche Ansätze haben wir in der I-Pace-Entwicklung umgesetzt. Zum Beispiel das Zusammenziehen aller Entwickler in einem Raum – da haben sie die Kommunikation nur mehr über die Tische. Unsere Hierarchie war ganz flach, faktisch nur eine Management-Ebene. Vom Konzern hat sich niemand um die Entwicklung eines E-Autos gerissen, wir konnten also alle Entscheidungen auf unserer Ebene fällen.
Wir haben die Abläufe an die High-Tech-Industrie angepasst, speziell an die Mobilfunk-Industrie. Das ist die schnellste Industrie, die es überhaupt gibt, da kommt es auf Tage oder Wochen an. Während der Automann in Monaten denkt, denkt man dort in Tagen. Sehr viele Ansätze aus diesem Bereich haben wir auf unser Projekt übertragen.
— Und ein Weltkonzern schafft das nicht?
WOLFGANG ZIEBART: In einem Weltkonzern sind so viele Leute, die im Weg stehen. So eine Kultur entwickelt sich ja in einer Firma anhand von Dingen, die gut gelaufen sind. Damit entwickeln sich Prozesse – wenn man die genau so macht, weiß man, dann kommt hinten ein gutes Auto heraus. Sehr viele dieser Prozesse sind aber nicht mehr zeitgemäß und für ein Elektro-Auto nicht geeignet.
Ein paar Beispiele: Wenn man die klassische Auto-Entwicklung betrachtet und mit anderen Industrien vergleicht, dann passiert da pro Zeiteinheit relativ wenig. Für die jetzige Art von Fahrzeugen war das ja auch okay. Wenn sie aber jetzt eine Technologie haben, die sich viel schneller fortentwickelt, dann wird das klassische Vorgehen zur Katastrophe. Also, wenn etwas Neues kommt, probiert man das erst einmal aus: eine Komponente oder ein neues Fahrwerk. Man probiert es aus, entwickelt und schaut, ob es auch liefert, was es versprochen hat. Wenn es funktioniert, dann kommt das neue Fahrwerk in das nächste Auto, das entwickelt wird. Also erst Entwicklung einer Komponente abschließen, dann in ein neues Auto einbauen. Damit sind wir schon bei einem Entwicklungszeitraum von fünf bis sieben Jahren.
In der Tech-Industrie funktioniert das so nicht. Man vertraut einfach auf gewisse Entwicklungslinien, etwa in der Halbleiter-Industrie. Da arbeitet man mit dem Moore’schen Gesetz. Man weiß und geht davon aus, dass sich alle 18 Monate die Anzahl der Transistoren verdoppelt, vereinfacht gesagt. Wenn ich etwas entwickle, das in drei Jahren erscheint, und ich arbeite mit den aktuellen Komponenten, dann ist das beim Erscheinen schon total veraltet.
Ich muss also einfach darauf vertrauen, dass zu dem Zeitpunkt, wenn das Auto auf den Markt kommt, die Technik schon viel weiter ist. Ich muss also mit etwas entwickeln, das ich noch nicht habe, oder derzeit noch horrend teuer ist, aber beim Zeitpunkt, zu dem das Auto auf den Markt kommt, zu vernünftigen Kosten verfügbar ist.
So haben wir das auch gemacht, zum Beispiel bei der Batterie. In den letzten Jahren konnte pro Jahr um fünf bis sechs Prozent mehr Energie pro Kilogramm Batterie gespeichert werden. Darauf haben wir vertraut, dass das so auch weitergeht. Damit haben wir mit einer Batterie entwickelt, die eigentlich kleiner war, als wir für die angestrebten 450 Kilometer Reichweite gebraucht hätten. Hätte man die damalige Akkutechnik herangezogen, hätten wir eine viel größere Batterie einplanen müssen. Wenn sie also mit einer Technologie arbeiten, die sich viel schneller entwickelt als die herkömmliche Technik, müssen sie eben anders arbeiten. Bis vor einem Jahr haben wir die Batteriezellen, die jetzt verbaut sind, noch nicht einmal gesehen.
— Für die Elektromobilität kommen die Batteriezellen fast ausschließlich aus dem asiatischen Raum. Muss die europäische Fahrzeugindustrie eine heimische Zellenproduktion aufbauen, um nicht in eine gefährliche Abhängigkeit zu geraten?
WOLFGANG ZIEBART: Ich würde das nicht unbedingt als Risiko sehen. Es gibt Bereiche, da ist die Abhängigkeit von einem Standort noch viel größer. Ich denke da zum Beispiel an das Thema der Halbleiter, speziell der High-End-Prozessoren, Mikroprozessoren und so weiter, die praktisch alle aus Taiwan kommen. Da haben sie teilweise noch eine größere Abhängigkeit.
Was aber unerfreulich in Zusammenhang mit den Batterien ist: Je nach Größe des Akkus hat die Batterie einen Anteil von rund 40 Prozent an den Gesamtkosten des Fahrzeuges. Und wenn diese 40 Prozent komplett von außerhalb Europas zugeliefert werden, dann ist das natürlich ein Problem. Das ist etwas, was sich die Autoindustrie überlegen muss: Wollen wir das auf alle Ewigkeit so weiterlaufen lassen? Oder wollen wir irgendwann im Laufe der Zeit diese Wertschöpfung in Europa ansiedeln?
Im Moment ist das nicht ganz so einfach zu entscheiden, da der Aufwand dafür relativ hoch ist. Und die Margen bei der Zellenproduktion sind im Moment auch nicht besonders überwältigend, weil die Zellenhersteller alle um Marktanteile kämpfen. Wenn da einer neu einsteigt, hat er im Moment nicht nur die großen Einmal-Investitionen zu tragen, sondern auch einen relativ großen Zeitraum vor sich, um dann auch einmal Geld zu verdienen.
— Aber ist es nicht so, wenn man eine E-Auto-Produktion hochfahren will, dass dann die Zellen der Flaschenhals für hohe Produktionszahlen sind?
WOLFGANG ZIEBART: Ja, das betrifft nicht nur die Batteriezellen, sondern auch viele andere Komponenten von Zulieferbetrieben. Als Autohersteller macht man einen Verkaufs-Forecast, und nach dem richten sich die Zulieferer und richten ihre Kapazitäten danach aus. Wenn man dann auf einmal doppelt so viele Komponenten beziehen will, dann können viele Zulieferer nicht liefern.
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