— Vor zwei Jahren hieß es, dass in fünf Jahren Level 5 erreicht sein wird. Wo stehen wir heute?
Michael Hafner:In den letzten Jahren wurde viel in Sachen Autonomes Fahren angekündigt. Ich denke, da haben viele Hersteller die Komplexität der Technologie ziemlich unterschätzt. Für Mercedes ist das Autonome Fahren ein Business Case – wann lässt sich damit Geld verdienen? Daher haben wir keinen fixen Zeitplan definiert, sondern die Entwicklung in unterschiedliche Phasen eingeteilt. Und je nach Technologie-Fortschritt passen wir die Terminschienen an.
Zuerst geht es um die Funktionsentwicklung und danach um die Industrialisierung, also es im großen Maßstab auf die Straße zu bringen.
Der nächste große Schritt erfolgt mit der S-Klasse. Etwa im zweiten Halbjahr 2021 werden Teile von Level 3 zur Verfügung stehen.
(Anmerkung: Das automatisierte Fahren wird in fünf Stufen eingeteilt. Bei Level 3 erkennt das System selbständig die Systemgrenzen. Der Fahrer muss die Längs- und Querführung des Fahrzeugs nicht mehr dauerhaft überwachen. Er muss jedoch dazu in der Lage sein, nach Aufforderung durch das System – mit einer gewissen Zeitreserve – die Fahraufgabe wieder zu übernehmen. Erst bei Level 5 ist kein Fahrer mehr nötig.)
— Was ist aus der Sicht eines Herstellers eigentlich die größere Herausforderung: die Technik für das Autonome Fahren oder einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen, die dem autonomen Fahren Rechnung tragen?
Michael Hafner:Beide Bereiche sind gleich herausfordernd. Deutschland ist aber auf einem guten Weg und hat bereits 2017 automatisiertes Fahren ermöglicht. Das Gesetz schafft die Voraussetzungen für hoch- und vollautomatisierte Systeme. Anders als bei teilautomatisierten Systemen, die den Fahrer lediglich unterstützen, übernehmen solche Systeme die Fahrzeugsteuerung komplett. Allerdings sind wir hier derzeit noch von einem maximalen Tempo von 60 km/h limitiert. Aber der Gesetzgeber ist auch da schon auf einem guten Weg.
— Level 5, also das Fahren ohne Fahrer, benötigt eine gute und schnelle Online-Anbindung des Fahrzeugs. Was passiert, wenn diese ausfällt?
Michael Hafner:Wir brauchen hochauflösende Karten und detaillierte, topaktuelle Informationen über die Strecken vor dem Fahrzeug. Wir arbeiten mit einem System, das jeweils die Informationen für die nächsten ein bis fünf Kilometer herunterlädt. Damit können wir auch lokale Funklöcher autonom überwinden. Fällt die Verbindung für längere Strecken aus, muss das Fahrzeug wieder an den Fahrer übergeben.
— Welche zusätzlichen Kosten entstehen geschätzt für ein vollautonomes Fahrzeug?
Michael Hafner:Die heute zur Verfügung stehende Technologie ist fast so teuer wie das gesamte Fahrzeug. So sind die Preise für die Sensoren noch exorbitant hoch. Das wird sich aber – wie bei jedem technischen Fortschritt – mit der steigenden Anzahl der produzierten Sensoren drastisch ändern. Wir werden es alle noch erleben, aber das dauert noch.
— Stimmt der Eindruck, dass wir bei der Entwicklung der nötigen Hardware schon sehr weit sind, es aber bei der Rechenleistung noch große Schritte benötigt? Immerhin müssen Unmengen von Daten innerhalb kürzester Zeit miteinander verknüpft und analysiert werden.
Michael Hafner:Nein, in beiden Bereichen, sowohl bei der Hardware, bei der Rechenleistung, als auch bei der Software liegt noch viel an Entwicklung vor uns. Was etwa die Sensorik betrifft: Wir müssen etwa bei sehr hohem Tempo sehr kleine Gegenstände auch in großer Entfernung erkennen können, da sind wir noch nicht so weit. Dann geht es auch um die Haltbarkeit der Sensorik und dass sie sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Temperaturen absolut zuverlässig arbeiten. Wir haben also noch einen ziemlichen Weg vor uns.
— Hat Mercedes-Benz Untersuchungen, welche Akzeptanz voll-autonome Fahrzeuge bei den potenziellen Autokäufern haben? Gibt es dafür überhaupt eine ausreichende Nachfrage? Oder würde vielen nicht einfach autonomes Fahren auf der Autobahn reichen, von der Auffahrt bis zur Abfahrt, und dann wieder selber fahren?
Michael Hafner:Wir haben da schon einiges an Befragungen gemacht, und bei einem gar nicht so kleinen Teil der Autofahrer herrscht schon großes Interesse. Natürlich kommt es auch auf die Kosten an. Aber ich würde diese Frage gar nicht im Sinne von Ja/Nein sehen. Wenn ich zum Beispiel mich selber nehme: Es kommt etwa auch auf die Tagesverfassung an. Habe ich einen anstrengenden Tag hinter mir, würde ich manche Fahrt sehr gerne an das Fahrzeug übergeben und mich währenddessen erholen oder mit etwas anderem beschäftigen. An anderen Tagen fahre ich lieber selber, weil es einfach Spaß macht. Aber einfach die Möglichkeit zu haben, sich nicht mit dem Fahren beschäftigen zu müssen, ist schon faszinierend.
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