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© David Keusch
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Mai 2019

Microlino: Der süße Kleine

Der Kabinenroller kommt zurück. Wie eine Schweizer Firma den Nachfahren der legendären Isetta ins Leben ruft.

Klappe zu. Die Kapsel ist geschlossen. Platz genug für zwei. Einschalten, losfahren. Elf Kilowatt (15 PS) im Heck lassen das Ding mehr als flott wegsausen.

Ich sitze im Microlino, einem Elektro­kleinstwagen für urbane Mobilität. Erdacht und produziert von Micro, jener weltweit bekannten Schweizer Firma, deren praktische Alu-Tret­roller die Kurzstrecken-Mobilität in Großstädten rund um den Globus beschleunigt haben.

Eines Tages, so geht die Mär, lasen die Söhne Merlin und Oliver des Micro-Gründers Wim Ouboter in einer Studie, dass Autos im Stadtverkehr im Schnitt mit 1,2 Personen besetzt sind und täglich nicht mehr als 35 Kilometer zurücklegen. Das muss doch besser gehen als mit großen, zwei Tonnen schweren Autos, dachten sie.

Klar. Den selben Gedanken hatte vor Jahren schon ein anderer Schweizer: Nicolas Hayek. Seine Idee wurde schließlich von Daimler in Form des ersten Smart verwirklicht.

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Video: Erste Ausfahrt mit dem Microlino

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Die Ouboters dachten aber noch weiter. Noch kleiner als der Smart, elektrisch angetrieben – und vor allem: cool und begehrenswert sollte ihr Mobilitätsvehikel sein. Wie jene Fahrzeuge, die schon in den Fünfzigerjahren den Menschen den Umstieg von Motorrädern und -rollern zum Auto erleichterten: so genannte Kabinenroller.

Wie die Isetta.

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Dreirad-Isetta von BMW (1955–1962). Lizenz Iso Rivolta.

An die Isetta erinnern sich noch viele – selbst Menschen, die lange nach den Fünfzigerjahren geboren wurden. Damals erwarb BMW die Lizenz am Rollermobil-Konzept des italienischen Kälteanlagen- und Motorradherstellers Iso Rivolta.

Im März 1955 brachten die Bayern ihre BMW Isetta als "Motocoupé" auf den Markt, angetrieben von einem Einzylinder-Motorradmotor, der vor dem (zunächst einzelnen) Hinterrad saß.

Eine Neuinterpretation der Isetta war schon einmal zu sehen: auf der Tokyo Motor Show 2013. Der D-Face blieb allerdings ein Prototyp.

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1 Auch die zweisitzige japanische Designstudie Durax D-Face von 2013 erinnerte an die Isetta. © Peter Pisecker

2 Der D-Face hatte aber kein schmal zulaufendes Heck wie der Kabinenroller der 1950er-Jahre. Die Spur der Hinterachse war nur wenig schmäler als die der Vorderräder. © Peter Pisecker

3 Der Einstieg erfolgte ebenfalls von vorn, doch die Tür öffnete sich nach oben. Es kam allerdings keine Serienfertigung des D-Face zustande, es blieb beim Einzelstück. © Peter Pisecker

Kurzerhand beauftragte Familie Ouboter einen Designer, das Fahrzeug nach ihren Vorstellungen zu entwerfen, und bestellte den Bau eines Prototypen in China.

Auftritt Genfer Salon 2016. Die Frage lautete: Bekommen wir 500 Reservierungen zusammen? Dann werden wir den Microlino bauen.

Die Liste war schon am zweiten Tag der Messe mit 500 Namen von Interessierten voll, die einen Microlino bestellen wollten. Anzahlungen nahmen die Ouboters zu diesem Zeitpunkt keine entgegen. Der Entschluss zur Serienfertigung war jedenfalls rasch gefasst.

Micro ging ein Joint Venture mit Tazzari in Imola ein, ein Unternehmen, das Erfahrung in Bau von kleinen Elektroautos hat. Vergangenen Sommer bestand der Microlino die Tests für die Zulassung als Kraftfahrzeug der Klasse L7e, ist also eingestuft wie ein Quad. Die Produktion wurde dann Ende 2018 von Tazzari zum deutschen Sportwagenhersteller Artega in Delbrück (Nordrhein-Westfalen) verlegt, was den Serienstart verzögerte.

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Oliver (links) und Merlin Ouboter.
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Die Tür öffnet sich mitsamt Lenkrad und Lenksäule nach vorne. Wichtig: Beim Ein- und Aussteigen besser nicht am Lenkrad festhalten.
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Man betritt aufrecht den Innenraum und lässt sich in einer mehr oder weniger eleganten Drehung auf der Sitzbank nieder. Der Beifahrer oder die Beifahrerin muss derweil draußen warten: Gleichzeitig einsteigen ist unmöglich.
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Der Kofferraum fasst bis zu 300 Liter Volumen. Für den Wochenend-Einkauf sollte das reichen.

Noch singt das Differential, knarrt's in der Karosserie. Der Microlino, in dem ich durch die hohlen Gassen der Ortschaft Küsnacht rolle, ist ein Prototyp früheren Entwicklungsstadiums, er stammt noch aus der italienischen Tazzari-Produktion.

Heute, kurz vor Serienbeginn, sei es im Innenraum schon wesentlich leiser und die Sitzbank nicht mehr so spartanisch wie die, auf der ich sitze, versichert mir Marketing-Chef Merlin Ouboter. Woran noch zu arbeiten ist: Leichtgängigkeit der Lenkung und der Türöffnung von innen.

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1 Der Prototyp fährt sich flott und fühlt sich stabil an. Nur im Innenraum ist es noch etwas laut. Dieses Manko wird aber, so Marketingchef Merlin Ouboter, beim Serienmodell mittels mehr Dämmmaterial behoben sein. © David Keusch

2 Mit 2,4 Meter Länge passt der Microlino auch quer zur Fahrtrichtung in Parklücken. In Österreich ist das aber nicht erlaubt: Mehrspurige Fahrzeuge müssen parallel zum Fahrbahnrand abgestellt werden, außer Bodenmarkierungen schreiben etwas anderes vor. © David Keusch

3 Lenkrad (an der Tür befestigt), Display in der Mitte, einige Schalter. Mehr gibt's nicht. © David Keusch

Doch jetzt geht's los: Die ersten Microlinos werden demnächst in der Schweiz ausgeliefert. Auch Deutschland und Österreich könnten heuer noch drankommen – wenn sich's nicht mehr ausgehen sollte, dann im nächsten Frühjahr. Wer einen will (zum Stückpreis von rund 12.000 Euro), wende sich direkt an Microlino: www.microlino-car.com

Einige Daten:

  • Länge 2.435 mm, Fahrzeuggewicht (exkl. Batterie) 435 kg.
  • Zur Wahl stehen zwei Batteriegrößen mit 8 oder 14,4 kWh.
  • Reichweite bis 200 km.
  • Der Microlino ist an jeder Haushaltssteckdose in kurzer Zeit aufladbar.
  • Höchstgeschwindigkeit 90 km/h.

Nachtrag

14. Mai 2019: Micro Mobility Systems AG hat in einer Presseaussendung erklärt, dass es noch etwas länger dauern wird als geplant, ehe die ersten Microlinos ausgeliefert werden können.

"Wir haben uns dazu entschieden, den zuletzt auf April geplanten Auslieferungsstart des Microlino zu verschieben. Der Verkauf unseres Produktions- und Entwicklungspartners TMI (bekannt für ihre Stadtautos unter der Marke Tazzari) an Artega und die Verlegung der Produktion nach Deutschland haben sehr viel Zeit gekostet. Der aktuelle Entwicklungsstand entspricht noch nicht unseren Qualitätsstandards.

Zudem gibt Uneinigkeiten mit dem neuen Geschäftsführer Klaus Frers bezüglich der Entwicklung und Produktion des Microlinos. Unser Ziel ist es, ein qualitatives und preiswertes Fahrzeug auf den Markt zu bringen. Aus diesem Grund haben wir den Entscheid getroffen, den Auslieferungsstart zu verzögern, um TMI mehr Zeit zu geben die Entwicklung bis zur Kundentauglichkeit abzuschliessen.

Wir bleiben trotzdem zuversichtlich, dass der seit 2015 entwickelte Microlino bald auf den Markt kommen wird. Unsere oberste Priorität ist und bleibt, den Microlino so bald wie möglich und in guter Qualität an unsere Kunden ausliefern zu können."

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