Minivans: Praktisch am Ende
In den 1990er-Jahren waren Vans nicht nur bei Familien beliebt. 30 Jahre später sind sie eine bedrohte Spezies.
Erinnern sie sich noch an den Chrysler Voyager? Oder an den Renault Espace der 1980er- und 90er-Jahre, den wir auf unserem Aufmacher-Foto ins rechte Licht gerückt haben? Das waren die Pioniere einer neuen Fahrzeugklasse – die Minivans.
Das riesige Raumangebot und die große Variabilität machten sie besonders bei Familien beliebt, die Berechtigung zum Vorsteuerabzug bei den Gewerbetreibenden.
Das Modell-Angebot wuchs, teilweise baugleiche Modelle unterschiedlicher Marken wie der "Eurovan" (Peugeot 806, Citroën Evasion, Fiat Ulysse, Lancia Zeta) eroberten den Markt. Das war einer jener Vans, die einen zusätzlichen Vorteil hatten: die Schiebetür für die zweite Sitzreihe.
Auch Ford Galaxy und VW Sharan waren ein Gemeinschaftsprojekt, später kam der Seat Alhambra hinzu. Für Opel war der siebensitzige Zafira lange Jahre eines der wichtigsten Modelle. Auch fernöstliche Hersteller setzten auf das Segment der Family Vans: Wer kann sich noch an den Kia Carnival oder – eine Konfektionsgröße darunter – den Mazda 5 erinnern?
Dann setzte der beispiellose Erfolgslauf der SUV, der Sport Utility Vehicles, ein. Ursprünglich konzeptionell an Geländewagen angelehnt, bieten diese heute eine große Bandbreite – vom kleinen City-SUV mit Frontantrieb bis hin zum Fünf-Meter-Schiff mit Allrad- und Plug-in-Hybrid-Antrieb.
Die steigenden SUV-Verkaufszahlen kosteten die Mittelklasse-Limousinen, die Kompaktklasse, aber vor allem die Family Vans gewaltig Marktanteile.
Kunden ziehen SUV vor, sagen Hersteller
Die Folge: Die Hersteller dünnten in den letzten Jahren das Angebot an Van-Modellen stark aus und konzentrieren sich auf SUV aller Größenordnungen. "Die Kundennachfrage zeigt eine klare Präferenz für SUV-Styling und Sportlichkeit", argumentiert etwa Thilo Schmidt, Direktor von Renault Österreich.
Aber auch ganz profane Argumente der Hersteller erklären den Trend: Trotz sinkender Verkaufszahlen bleiben die Entwicklungskosten für neue Modelle auf hohem Niveau. Das rechnet sich für Vans schlicht nicht mehr.
"Außerdem müssen die neuesten Schadstoffnormen erfüllt werden, was bei älteren Modellen zusätzlich Kosten verursacht", argumentiert Andreas Oberascher, Marketing-Direktor von Ford Österreich, die Einstellung der kompakten Vans B- und C-Max.
Was seiner Ansicht nach noch für SUV spricht: "Sie bieten ein attraktiveres Design, eine meist noch höhere Sitzposition, gute Übersicht und suggerieren ein besseres Sicherheitsgefühl."
Bei Ford bleiben aber die klassischen Minivans Galaxy und S-Max weiterhin im Programm. Sie haben sogar gerade zusätzlich Voll-Hybrid-Motoren bekommen.
Die volle Praktikabilität eines Van kann ein SUV bauartbedingt nicht ersetzen.
Andreas Oberascher, Marketing-Direktor Ford Austria
Abmessungen im Vergleich
Der Van (links) ist länger und höher als das SUV (rechts). Variabel sind die Innenräume bei beiden, mehr Kofferraumvolumen bietet der Van.
Motorisierung bei noch verfügbaren Vans eingeschränkt
Wer maximalen Platz und Variabilität braucht, kommt auch in Zukunft nicht an einem Van vorbei. Das meint auch Wolfgang Wurm, Geschäftsführer von Seat Österreich. Für ihn ist zum Beispiel der Alhambra das vernünftigste Auto der Welt.
Trotzdem reduzierte Seat das Motorenangebot bei seinem Van massiv: Der Alhambra ist nur noch – genauso wie sein Schwestermodell VW Sharan – mit einem 150 PS starken Benziner zu haben, die beliebten Dieselmotorisierungen wurden ersatzlos gestrichen.
Kurios: Bei der Einführung der aktuellen Modell-Generation im Jahr 2015 ging Seat noch von einem Diesel-Anteil von 99 Prozent aus. Das reduzierte Motorenangebot wirkt sich aber kaum auf die Beliebtheit des Alhambra aus: 2020 entschieden sich immerhin über 2.800 Neuwagenkäufer für den spanischen Van.
Ein leichter Widerspruch zur Argumentation eigentlich aller Hersteller, dass die Käufer nur noch auf SUV abfahren. Auch auf dem Gebrauchtwagenmarkt werden Vans weiterhin hoch gehandelt.
Kofferraum-Dimensionen: 1:0 für den Van
Große SUV werden von den Herstellern als ebenso praktisch und geräumig wie Minivans angepriesen, diese Meinung hat sich offenbar auch bei vielen Käufern durchgesetzt.
Das stimmt aber nicht. Der direkte Vergleich zwischen einem klassischen Van und einem großen SUV zeigt: Bei allen Kofferraumabmessungen hat der Van eindeutig die besseren Karten, zudem sind alle drei Sitze in der zweiten Reihe gleichwertig.
Links: Seat Alhambra (Van),
rechts: Škoda Kodiaq (SUV).
E-Auto-Plattformen geben Hoffnung
Tatsuya Namura, bei Toyota Europa für Produkte und Marketing zuständig, ist vom Trend zu den SUV überzeugt: "Wir glauben, dass SUV die Anforderungen vieler Kunden erfüllen. Allerdings nicht für alle. Daher bleiben bei uns Hochdach-Kombis und Kleinbusse weiterhin im Programm."
Auch die aktuell boomenden E-Autos geben Van-Fans derzeit wenig Anlass zur Freude. Ein Großteil der neuen Modelle fällt auch hier in die Kategorie SUV.
Ein Hoffnungsschimmer zeichnet sich trotzdem ab: Die technischen Plattformen von Elektroautos mit ihren Akkus im Fahrzeugboden lassen relativ einfach auch verschiedene Van-Modelle zu. So soll 2022 das Serienmodell des VW ID.Buzz vorgestellt werden, eines Elektro-Van mit Design-Anleihen des legendären "Bulli" (des ersten VW-Bus T1 aus den 1950er-Jahren).
Vom Aussterben bedroht
Kommentar von Christian Stich, Redakteur
Immer wieder erreichen uns in der Redaktion Anrufe, in denen uns Mitglieder fragen, welches Auto sie sich kaufen sollen, da sie in Kürze ihr drittes Kind erwarten und der aktuelle Mittelklasse-Kombi dann aus allen Nähten zu platzen droht.
Unsere erste Antwort lautet dann immer: Am sinnvollsten ist ein Van. Klar, ein klassischer Minivan vom Schlage eines VW Sharan, Seat Alhambra, Ford Galaxy oder Renault Espace ist wegen seiner spöttisch oftmals "Seilbahngondel" genannten kastenförmigen Bauweise optisch nicht gerade sexy. Die praktischen Qualitäten im Alltag sind allerdings schlichtweg überragend.
Trotzdem spielen weltweit gesehen die sinnvollen Minivans eine immer kleinere Rolle. Vor allem die Flut an neuen SUV setzt den Van-Verkaufszahlen arg zu. Okay, moderne SUV sind optisch attraktiver und die höhere Sitzposition ist ein oft gehörtes Kaufargument. Weitere Vorteile? Fehlanzeige!
Vor allem in Sachen Alltagstauglichkeit kann ein SUV nur in wenigen Punkten mit der enormen Praktikabilität eines Van mithalten. Beispiele gefällig? Dank drei gleichwertiger Einzelsitze können im Van drei Kindersitze in der zweiten Sitzreihe problemlos nebeneinander montiert werden. Im SUV ist der mittlere Sitz schmäler – und damit zu klein.
Schiebetüren wie bei VW Sharan und Seat Alhambra erleichtern den Zugang in Reihe zwei ebenfalls massiv. Selbst der Gepäckraum ist geräumiger und wegen seiner quadratischen Bauform wesentlich besser nutzbar.
Auch wenn uns die Marketing-Abteilungen der diversen Hersteller immer wieder vom Gegenteil überzeugen wollen: Ein Van, egal ob Kompakt- oder Mini-Van, wird in nahezu allen Fällen stets praktischer sein als das größenmäßig entsprechende SUV.
Schade, dass das die Hersteller mittlerweile nicht mehr so sehen (wollen).
Noch erhältliche Kompakt- und Family-Vans
Noch gibt es sie, doch die Auswahl an praktischen und variablen Vans wird immer geringer. Ein Überblick der in Österreich noch erhältlichen Modelle:
BMW 2er Gran Tourer, 4,57 m lang, Kofferraum 645 l, optional 7 Sitze, ab 31.150 Euro.
Dacia Lodgy, 4,5 m lang, 827 l Kofferraum, optional 7 Sitze, bereits ab 15.950 Euro.
Ford S-Max, 4,8 m lang, Kofferraum 700 l, optional 7-Sitze, nur als Diesel zu haben, ab 41.200 Euro.
Ford Galaxy, 4,85 m lang, Kofferraum 746 l, sieben Sitze serienmäßig, derzeit nur als Diesel zu haben, ab 44.400 Euro, kommt heuer auch als Voll-Hybrid.
Renault Grand Scénic, 4,6 m lang, Kofferraum 718 l, optional 7 Sitze, nur als Benziner zu haben, ab 26.390 Euro.
Renault Espace, 4,86 m lang, Kofferraum 693 l, optional 7 Sitze, nur als Diesel zu haben, ab 44.490 Euro.
VW Touran, 4,53 m lang, Kofferraum 834 l, optional 7 Sitze, ab 31.240 Euro.
VW Sharan, 4,85 m lang, Kofferraum 955 l, optional 7 Sitze, mit Schiebetüren, nur als Benziner zu haben, ab 35.490 Euro.
Die Alternativen zu den Vans
Die Hochdachkombis
Die preisgünstigen Hochdachkombis sind besonders für Familien attraktiv und zeichnen sich durch kompakte Abmessungen, Schiebetüren und einen riesigen Stauraum aus. Das Angebot ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, nahezu jeder Hersteller hat aktuell eines dieser Modelle im Programm.
Hochdachkombis entwickelten sich aus den Nutzfahrzeugen, der Plastikanteil im Innenraum ist daher (noch) relativ hoch.
Klassische Vertreter sind VW Caddy (ab € 23.333,–), Renault Kangoo (ab € 20.790,–), Ford Tourneo Connect (ab € 21.098,–) oder Citroën Berlingo (ab € 22.830,–). Hersteller-Kooperationen erweitern das Angebot darüber hinaus enorm.
Die Kleinbusse
Eine weitere Alternative zu den klassischen Minivans sind die einerseits deutlich größeren, aber auch spürbar teureren Kleinbusse. Ähnlich wie der VW Golf die Klasse der Kompaktautos definiert hat, steht der VW-Bus (heute heißt er Multivan) für die Klasse der bis zu neunsitzigen Kleinbusse. Preis ab 46.973 Euro.
Auch hier ist das Angebot dank diverser Hersteller-Kooperationen größer geworden, zum Teil werden Modelle in unterschiedlichen Fahrzeuglängen zwischen 4,6 und gut 5,3 Metern angeboten.
Aktuelle Angebote neben dem VW Multivan: z.B.Mercedes-Benz V-Klasse (ab € 58.369,–), Ford Tourneo Custom (ab € 55.702,–), Peugeot Traveller (ab € 42.850,–) oder Opel Zafira Life (ab € 39.319,–).