Kurven-Diskussion
Beim Schnellladen von E-Autos gibt es immer wieder Versprechungen der Hersteller, die falsch verstanden oder enttäuscht werden. Erklärungen, Tipps und Test.
Auf der Langstrecke mit einem E-Auto ist die Schnellladefähigkeit das wichtigste Kriterium. Denn sie entscheidet, wie lange der Wagen an der Ladestation warten muss, bis es die nächste Etappe starten kann. Die Hersteller geben eine maximale Ladeleistung in Kilowatt an. Je höher diese ist, desto stolzer die Besitzer. Oft findet sich allerdings nicht einmal im Kleingedruckten der Hinweis, dass dies ein Wert ist, der nur im Optimalfall erreicht werden kann – und auch dann nicht über den gesamten Ladevorgang.
Laden ist nicht gleich laden
Während das Laden eines E-Autos zu Hause oder am Arbeitsplatz meist über eine Wallbox mit Wechselstrom und einer maximalen Leistung von 11 Kilowatt erfolgt, sind die Schnellladestationen etwa an der Autobahn von ganz anderem Kaliber. Mittlerweile haben sie eine Ladeleistung von bis zu 300 Kilowatt. Das entspricht etwa der Anschlussleistung von 50 Einfamilienhäusern.
Was technisch möglich ist
Wie bekomme ich nun möglichst viel Kilowattstunden in möglichst kurzer Zeit in meinen E-Auto-Akku?
Ein zwar seltenes, aber doch vorkommendes Missverständnis: Auch wenn die Ladesäule eine Leistung von 300 kW hat, ist die Aufnahme von der höchstmöglichen Ladeleistung des E-Autos beschränkt. Liegt diese zum Beispiel bei 100 kW, macht es keinen Unterschied, ob ich eine 300-kW- oder eine 150-kW-Ladesäule ansteuere. Mehr als die 100 kW des Fahrzeugs (oder knapp darüber) werden nicht erreicht.
Je höher der Ladezustand des Akkus („State of Charge“ – SoC) ist, desto geringer die Ladeleistung: Die Batteriezellen würden sonst schneller altern. Daher reduziert das Batteriemanagementsystem (BMS) die Leistungsaufnahme bei steigendem Ladezustand. Das sieht man dann eben an den abfallenden Ladekurven. Daher: Für ein effizientes Laden mit einem möglichst geringen SoC an die Ladesäule andocken, am besten unter zehn Prozent.
Nicht bis 100 Prozent laden: Die Ladeleistung fällt zum Ende hin stark ab, daher ergibt es keinen Sinn, für die letzten zehn Prozent noch einmal eine halbe Stunde zu laden.
Eine große Rolle spielt auch die Temperatur des Akkus. Die Batteriezellen haben speziell für den Ladevorgang eine gewisse „Wohlfühltemperatur“. Diese liegt bei rund 25 Grad. Sind die Zellen kälter: geringere Ladeleistung. Sind die Zellen wärmer: geringere Ladeleistung.
Ja, so eine Batteriezelle ist empfindlich. Daher kümmert sich die Software im Auto auch liebevoll um sie. Sie wärmt, wenn die Batterie zu kalt ist und kühlt, wenn der Akku zu heiß sein sollte – alles für die Dauerhaltbarkeit des Stromspeichers.
Konditionierung nutzen
Immer mehr E-Autos bieten daher die Möglichkeit der „Konditionierung“ des Akkus. Sie bezeichnet die Temperierung des Akkus vor einem Schnellladevorgang.
Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Gibt man in das fahrzeugeigene Navigationssystem eine Schnellladesäule als Ziel an, startet die Konditionierung automatisch und zeitgerecht vor dem Ladestopp, damit an der Säule die bestmögliche Performance beim Laden erzielt wird.
Die zweite Möglichkeit bei vielen neuen E-Autos ist der manuelle Start der Konditionierung. Das Fahrzeug zeigt an, welche Ladefähigkeit aktuell erzielt werden kann und wie lange die Temperierung für ein optimales Ladeergebnis noch dauert. Ideal ist natürlich, wenn ein E-Auto beide Konditionierungsarten bietet.
Dabei muss aber klar sein: Die Konditionierung des Akkus benötigt auch einiges an Energie aus dem Akku und treibt damit den Verbrauch etwas in die Höhe.
Manuelle Konditionierung
Beim Kia EV9 lässt sich die Konditionierung, also die Batterieheizung für ein optimales Schnellladen, manuell starten.
All diese Aspekte berücksichtigen wir bei unseren Tests. Die Rahmenbedingungen sind immer gleich: Gestartet wird bei einem Ladestand von zumindest 80 %. Bei Autobahntempo wird auf einen SoC von unter zehn Prozent gefahren und erst dann eine 300-kW-Ladesäule angesteuert. Damit ist sichergestellt, dass der Akku alleine durch die Fahrtstrecke entsprechend temperiert ist. Gibt es Möglichkeiten zur Konditionierung, sei es via Navi oder manuell, werden diese genutzt.
Dabei zeigt sich, dass unter diesen optimalen Bedingungen die Herstellerangaben zur maximalen Ladeleistung erreicht und teilweise auch leicht übertroffen werden. Da die Ladekurven aber mit zunehmenden Akkuladestand früher oder später abfallen, ist die durchschnittliche Ladeleistung von zehn bis 90 Prozent ein noch aussagekräftigerer Messwert.
Wie haben die unterschiedlichen Modelle bei unseren Tests abgeschnitten?
An der Spitze liegt hier der neue Audi Q6 e-tron mit beachtlichen 150 kW, gefolgt vom Hyundai Ioniq 6 mit 137 kW. Die "geringste" durchschnittliche Ladeleistung der neun Testkandidaten weist der Hyundai Kona Elektro mit 64 kW auf. Aber der wichtigste und aussagekräftigste Messwert ist die geladene Reichweite innerhalb der ersten 20 Minuten des Ladevorgangs. Dabei setzen wir die geladenen Kilowattstunden nicht mit dem Normverbrauch des Fahrzeugs, sondern mit dem Testverbrauch auf der auto touring-Normrunde in Relation.
An dieser Stelle überholt der Hyundai Ioniq 6 mit seinem geringen Verbrauch von 16,5 kWh/100 km den Lademeister Audi Q6 (24,8 kWh/100 km). Der Hyundai lädt innerhalb von 20 Minuten 354 km Reichweite nach, während es beim Audi 275 km sind.
Dass es eben nicht nur auf eine hohe Spitzenleistung ankommt, zeigt auch der Vergleich zwischen BMW i5 Tourer und Hyundai Kona. Während der BMW in der Spitze 210 kW schafft und der Hyundai nur 101 kW, liegen sie in der 20-Minuten-Reichweite fast gleichauf.