Ein Tag mit Karl
Der achte Mercedes SL in der Firmengeschichte wurde von AMG entwickelt. Karl Wendlinger fuhr ihn für auto touring.
Der SL war immer ein ganz spezieller Mercedes. Seit 1954 gibt es diese Baureihe, erst vor wenigen Jahren stellte eine zufällig im Konzernarchiv gefundene Pressemitteilung von 1952 klar, dass das Kürzel SL für "super-leicht" steht – und nicht für "Sport leicht", wie oft vermutet.
Zu Beginn gab es sogar zwei Modelle parallel: den berühmten Flügeltürer 300 SL und den zierlicheren 190 SL. Ihnen folgten der 230/250/280 SL ("Pagode" genannt) und fünf weitere Generationen – bis zur heutigen.
Die Mercedes-SL-Ahnengalerie
Karl Wendlinger gehörte schon 1990 dem Mercedes-Junior-Team in der Sportwagen-Weltmeisterschaft an, gemeinsam mit Heinz-Harald Frentzen und Michael Schumacher. Von 1991 bis 1995 fuhr er in der Formel 1, ab 2002 in der DTM und der FIA-GT-Meisterschaft.
Seine Karriere als Rennfahrer hat er inzwischen beendet und ist seit 2012 Markenbotschafter von Mercedes-AMG und Instruktor der AMG Driving Academy.
Karl, was hat man als Markenbotschafter zu tun? "Ich bin bei Events dabei, meistens Kundenveranstaltungen, bei denen die Leute verschiedene AMG-Modelle fahren können." Klingt nach einem Traumjob.
Den neuen SL kennt Karl natürlich schon gut. Die Entwicklung wurde vom Konzern erstmals an das Tochterunternehmen AMG in Affalterbach ausgelagert. Der 2+2-Sitzer (auch das ist neu, bisher war der SL stets zweisitzig) ist vorerst in zwei Versionen erhältlich: als SL 55 4matic+ und als SL 63 4matic+.
Karl fährt für uns den stärkeren: Höchstleistung 585 PS, maximales Drehmoment 800 Nm. Beide Varianten haben den gleichen 4,0-Liter-V8-Biturbo-Benzinmotor, im SL 63 mit höherem Ladedruck und modifizierter Motorsoftware.
Der neue SL soll stilistisch an frühere Generationen anknüpfen. Der Kühlergrill etwa soll an den W 194 erinnern – so hieß der SL-Rennwagen von 1952 (unten).
Karl Wendlinger zieht den Vergleich zum Mercedes-AMG GT, bekannt als FIA Safety Car in der Formel 1: "Der GT hat einen Front-Mittelmotor, der hinter der Vorderachse liegt, und Trockensumpfschmierung, daher keine Ölwanne – deswegen liegt sein Motor tiefer. Der SL 63 hat Allradantrieb und kein Transaxle (Anm.: Getriebe an der Hinterachse), sein Motor sitzt weiter vorn und höher."
Wie macht sich das bemerkbar? "Vorne hast einen höheren Schwerpunkt, spürst das Gewicht des Motors mehr als im AMG GT." Insgesamt ist der SL somit der etwas komfortabler ausgelegte Cruiser, kein Racer wie der GT. Die richtige Positionierung, findet Karl.
Für Normalsterbliche ist der SL 63 4matic mehr als sportlich genug, beschleunigt in 3,8 Sekunden von 0 auf 100 und soll 315 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichen können. "So fahren ihn aber net viele Kunden", meint Wendlinger. "Mit dem SL geht man eher nicht auf die Rennstrecke."
Wir schon, nämlich ins Experience Center des ÖAMTC Fahrtechnik Zentrums Saalfelden. Dort zeigt sich in kundiger Hand des ehemaligen Rennfahrers, wie ausgewogen das Handling des offenen Sportwagens ist und wie kräftig die Bremsen zupacken.
"Mir g'fallt das Auto optisch sehr gut", meint Karl Wendlinger. "Technisch mag ich besonders den 4Matic-plus-Allradantrieb mit dem Torque Vectoring, also dass das Rad, das am meisten Traktion übertragen kann, auch das meiste Drehmoment bekommt. Dadurch sind der Vortrieb und das Beschleunigen aus der Kurv'n sehr, sehr gut."
Lob von Wendlinger erhält auch die AMG Active Ride Control – "hält das Auto stabil, unterdrückt die Rollbewegung, dass du net, wenns d' in die Kurv'n reinfahrst, in Schräglage gehst" – und die aktive Hinterachslenkung: "Da lenkt er agiler ein, das merkst beim sportlichen, schnellen Fahren, auf einer Bergstraße die Serpentinen rauf."
Mir g’fallt das Auto optisch sehr gut. Und mit dem 4Matic-plus-Allradantrieb mit Torque Vectoring sind der Vortrieb und das Beschleunigen aus der Kurv’n sehr, sehr gut.
Karl Wendlinger, Rennfahrer und AMG-Markenbotschafter
Ein Mercedes-AMG SL ist, wer hätte das gedacht, auch heute kein billiges Vergnügen – war der SL ja nie: Der SL 63 4Matic+ kostet inklusive Mehrwertsteuer und NoVA, aber noch ohne jegliche Sonderausstattung, knapp 255.000 Euro; die Skala aufpreispflichtiger Extras und Ausstattungspakete (Night-, Chrome-, Carbon- etc.) ist nach oben offen. Testwagenpreis mit Sonderausstattungen: 293.000 Euro.
Zum Abschied erinnert Karl daran, dass der neue SL nicht der erste Sportwagen ist, dessen Entwicklung der Konzern ganz in die Hände von AMG gelegt hat: 2009 war der komplett in Affalterbach entwickelte SLS AMG präsentiert worden – mit seinen "Gullwing"-Flügeltüren eine Reminiszenz an den 300 SL von 1955. "Und jetzt der SL mit seiner langen Tradition – das zeigt, dass bei Mercedes auf die sportliche Abteilung von AMG viel Wert gelegt wird."