Strom vs. Sprit
Die Strompreise steigen und so mancher ist überzeugt: In puncto Verbrauch seien Elektroautos jetzt teurer als Verbrenner. Stimmt das?
Marcel K. hat kein Mitleid. Zumindest kommentiert er so in den sozialen Medien einen Artikel. Dessen Inhalt: Elektroautos seien im Betrieb jetzt teurer als Verbrenner. Nicht nur "kein Mitleid", sondern Schadenfreude empfindet gar Gisele K. Ihr Kommentar unter einem ähnlichen Bericht: "sehr schön!"
Doch es gibt auch Gegenstimmen. Elektroauto-Fahrer Anders S. etwa, der laut eigenen Angaben lediglich vier Euro pro 100 Kilometer für Ladestrom aufwendet. Und Sebastian P. schreibt, dass ein Verbrenner nur rund zwei Liter Kraftstoff verbrauchen dürfe, um mit den Energiekosten eines Elektroautos mithalten zu können.
Marcel und Gisele, Anders und Sebastian – sie stehen exemplarisch für die aufgeheizte emotionale Stimmung, die im Netz zum Thema Elektromobilität herrscht. Und die durch die gestiegenen Energiepreise noch ein Stück aufgeheizter wurde.
Der Tenor: Die hohen Strompreise würden den Kostenvorteil von E-Autos gegenüber Verbrennern beim Verbrauch egalisieren.
Die Fakten? Bleiben allzu oft auf der Strecke.
Strom oder Sprit – was ist auf 100 Kilometer günstiger?
auto touring hat sich das genau angeschaut und nachgerechnet. Eines gleich vorweg: Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die Stromkosten für 100 Kilometer Autofahren höher als die Treibstoffkosten sind, gibt es nicht. Und das liegt an den Strompreisen.
"Aktuell ist das Problem, dass einerseits ja der Preisabstand zwischen Diesel und Super außerordentlich ist, die Unterschiede zwischen Bestandskunden- und Neukunden-Tarifen beim Haushaltsstrom aber noch größer sind", erklärt Daniel Hantigk, Produktleiter Mobilitätsrechner der E-Control.
Konkret: Wer über einen kostengünstigen Altvertrag verfügt, kann beispielsweise immer noch 20 Cent pro kWh zahlen. Wer hingegen im Oktober in Wien einen neuen Vertrag abschließen musste, der kommt laut Tarifkalkulator der E-Control bei einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh im günstigsten Fall mit rund 52 Cent für die Kilowattstunde weg.
Der Preisabstand zwischen Diesel und Super ist außerordentlich, aber die Unterschiede zwischen Bestandskunden- und Neukunden-Tarifen beim Haushaltsstrom sind noch größer.
Daniel Hantigk, E-Control
Bei den teuersten Tarifen liegt der Preis bei über 90 Cent pro kWh. Stichwort Verbrauch: Nicht nur die Frage, ob Alt- oder Neukunde, beeinflusst den Preis für Haushaltsstrom. Auch der Verbrauch spielt eine essenzielle Rolle. Das kommt dem Elektroauto zugute.
Haushaltsstrom: Viele Faktoren bestimmen den Preis
Denn: Je mehr Strom in einem Haushalt verbraucht wird, desto geringer fallen die Pauschalanteile ins Gewicht – und desto günstiger wird dann die Kilowattstunde. So liegt der niedrigste Preis für einen Wiener Haushalt mit einem Verbrauch von 2.000 Kilowattstunden pro Jahr bei rund 55 Cent pro kWh. Bei einem Verbrauch von 5.000 kWh ist der kWh-Preis um etwa vier Cent günstiger.
Abwegig ist so ein hoher Verbrauch in Haushalten, in denen ein E-Auto geladen wird, nicht: Wer mit einem Fahrzeug, das 20,5 kWh pro 100 Kilometer verbraucht, 13.000 Kilometer pro Jahr fährt und dieses in 80% der Fälle zu Hause auflädt, verbraucht allein dadurch 2.132 kWh jährlich.
Neben dem Verbrauch beeinflusst der Standort die Stromkosten enorm. Während in Wien bei einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh mit mindestens 52 Cent gerechnet werden muss, sind in Bregenz Neukundenpreise von unter 20 Cent pro kWh möglich. Vier Euro für 100 Kilometer, wie Anders S. im Netz behauptet? Selbst heute noch machbar.
Zeitbasierte Tarife sind wenig berechenbar und intransparent. Der Grund: die massiv schwankende Ladeleistung.
Markus Kaiser, ÖAMTC Elektromobilitäts-Experte
Doch Luft nach oben gibt es auch auf der anderen Seite des Preisspektrums. E-Autos werden in der Regel nicht ausschließlich zu Hause geladen. Und an den Ladesäulen ist die Situation nicht minder diffizil als in den Haushalten. Der Preis für die Kilowattstunde kann 40 Cent betragen – oder 79 Cent.
Intransparente Tarife an den Ladestationen
Hinzu kommt: Die meisten Anbieter verrechnen gar nicht die tatsächlich geladene Energie. Bezahlt wird, wie lange das Elektroauto an der Station angesteckt war. Das Problem dabei: "Wie lange ein E-Auto an die Säule muss, um beispielsweise 50 kWh nachzuladen, hat mit vielen Faktoren zu tun", erklärt Markus Kaiser, Elektromobilitäts-Experte beim ÖAMTC.
"Die Außentemperatur und natürlich die Frage, ob der Akku im optimalen Fenster arbeitet, beeinflussen die Ladeleistung massiv", so Kaiser weiter.
Das zeigt auch der Praxistest von auto touring: Mit ein und demselben (Roaming-)Tarif – nämlich 1,10 Euro pro Minute – ermittelten wir bei mehreren Ladungen kWh-Preise zwischen 0,69 und 1,84 Euro. "Zeitbasierte Tarife sind intransparent und wenig berechenbar", urteilt Markus Kaiser. Weshalb an den ÖAMTC ePower-Ladestationen nicht nach Zeit, sondern die tatsächlich geladenen Kilowattstunden verrechnet werden. Einen Test der Ladeinfrastruktur inklusive Tipps, um Zeittarife optimal auszunutzen, finden Sie hier.
20 Cent pro kWh in Vorarlberger Haushalten, 1,84 Euro beim Schnellladen – wie kann bei solchen Preisunterschieden eine seriöse Berechnung durchgeführt werden? Um die Realität gut abzubilden, haben wir drei verschiedene Szenarien berechnet.
Szenario eins: 80% des Stroms werden zu Hause geladen, 20% unterwegs an einer DC-Ladestation.
Szenario zwei: fifty-fifty.
Szenario drei: 20% des Stroms kommen aus dem Haushalt, in 80% der Fälle wird das Auto auswärts an der DC-Säule geladen. Der Preis dort: 65 Cent pro kWh.
Als Haushaltswert ziehen wir den gewichteten Österreich-Schnitt für Oktober heran. Bei einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh sind das 0,308 Euro, also knapp 31 Cent pro kWh.
Die Kraftstoffpreise: Im Oktober 2022 lag laut E-Control der Median der Preismeldungen von Super 95 bei 1,769 Euro, jener von Diesel bei 2,044 Euro.
Beim Verbrauch verlassen wir uns nicht auf die WLTP-Werte, sondern ziehen jene heran, die auf der auto touring-Verbrauchsrunde mit dem Peugeot 208 PureTech 100 (Benziner), 208 BlueHDi 100 (Diesel) und e-208 (Elektro) ermittelt wurden.
Das Ergebnis
Mit dem Elektroauto fährt man am günstigsten – und am teuersten. Wer viel zu Hause lädt, zahlt 7,72 Euro für 100 Kilometer. Wer überwiegend am Schnelllader ansteckt, muss mit Kosten von 11,92 Euro für 100 Kilometer rechnen. Und wird die Hälfte des benötigten Stromes zu Hause, die andere am Schnelllader geladen, ergibt das 9,82 Euro für 100 Kilometer.
Dem gegenüberstehen Kosten pro 100 Kilometer von 10,26 Euro beim Peugeot 208 mit Benzinmotor und 10,22 Euro beim Diesel-208.
Fazit: Die Verbrauchskosten von E-Autos können immer noch günstiger sein als die von Verbrennern. Klar ist aber auch: Die Differenz schmilzt – insbesondere zu Super 95. Und: Während die Spritkosten an der teuersten Tankstelle am selben Tag gute 25% höher sein können als an der günstigsten, sind bei den Strompreisen Schwankungsbreiten von 200% oder mehr Normalität.
"Das allerdings nicht erst seit 2022", ergänzt Markus Kaiser. Welches Fahrzeug über die gesamte Behaltedauer günstiger ist, hängt ohnehin von vielen weiteren Faktoren wie Kaufpreis, Wertverlust oder Wartungskosten ab. Die ÖAMTC Auto-Info verschafft hier einen guten Überblick.
Abweichungen beim kWh-Preis von 200% oder mehr gibt es nicht erst seit 2022.
Markus Kaiser, ÖAMTC Elektromobilitäts-Experte