Der Rudi hilft
Vielleicht haben Sie ihn schon gesehen. Vielleicht wurde Ihnen von ihm sogar schon geholfen. Seit 28. Mai rückt die ÖAMTC-Pannenhilfe auch mit E-Bike und Anhänger aus – eine Alltags-Reportage aus Rudis Windschatten.
Die anderen ÖAMTC-Pannenfahrer haben es gut. Wird ihnen zu heiß, dann schalten sie in ihren Autos einfach die Klimaanlage ein. Der Rudi kann das klarerweise nicht. Um sich abzukühlen, muss er sich in Bewegung setzen, in Bewegung bleiben. Der laue Fahrtwind streicht dann über seine Haut, täuscht einen Temperaturunterschied vor, den es so eigentlich gar nicht gibt.
Als der Rudi an einem Juli-Tag den ÖAMTC-Stützpunkt in der Pasettistraße verlässt, losradelt, ist in Wien bereits Ferienzeit. Erkennbar sei das daran, sagt der Rudi, dass heute deutlich weniger Verkehr auf den Radwegen herrscht, als zu Schul- und Studienzeiten. Vor allem in der Innenstadt, rund um den Ring, ganz besonders aber im Bereich der Hauptuni. Der Rudi und seine insgesamt dreizehn radelnden Pannenfahrer-Kollegen sind seit 28. Mai täglich in Wien unterwegs. Vorwiegend innerhalb des Gürtels, jenem mehrspurigen Asphaltband, das mäanderartig, und mehr oder weniger parallel zu den Grenzen des ersten Bezirks, die äußeren Bezirke der Bundeshauptstadt von den inneren trennt.
Der erste Hilferuf ereilt Rudi quasi aus nächster Nähe. Vom ÖAMTC-Stützpunkt Pasettistraße bis zur Tiefgarage am Brigittaplatz sind es kaum mehr als zwei Kilometer. „Auto startet nicht“, lautet das knappe Aviso. Rudi ahnt schon, was ihn erwartet. Hitze und Kälte munden keiner Batterie, erst recht nicht alten oder schwachen Exemplaren. Die hohen Temperaturen der vergangenen Tage brachten also nicht nur die Menschen zum Schwitzen, sondern auch zahlreiche Autobatterien an den Rand eines Kollaps. So wie jenes Modell, an das Rudi gerade die Starterkabel anlegt. Ein kleiner Dreh mit dem Zündschlüssel, dazu ein kurzer Energiestoß aus dem mitgenommenem Powerpack, und schon springt der Diesel-Motor des schwarzen Peugeot 206 CC wieder an. Einer technischen Erklärung zur Problemlösung folgen freudig-fröhlich ausgesprochene Worte des Dankes. Problem gelöst, Auftrag beendet.
Rudi schwingt sich wieder in den Sattel seines Pedelecs, startet den 400 Watt starken Elektromotor und fährt über die steile Rampe dem Tageslicht entgegen. Es sind Momente wie diese, in denen sich die Wahl eines Elektrofahrrads als Zugmaschine für den fast fünfzig Kilogramm schweren Anhänger als richtig erweist. Ohne Unterstützung würde sich diese Auffahrt vermutlich wie der Steilanstieg hinauf zum Kitzbüheler Horn anfühlen. Mit Unterstützung aber bedarf es nur einiger kräftiger Pedalumdrehungen, und schon ist Rudi draußen.
Dass ausgerechnet der Rudi als radelnder Pannenfahrer auserkoren wurde, ist kein Zufall. Vor einigen Jahren noch kennzeichnete ihn ein solider zweistelliger Gewichtsüberschuss. Dann kam die Freude am Radfahren, und die Kilos gingen (verloren). Diese Leidenschaft fürs Radeln aber, die hat ihn nicht mehr losgelassen. Sie ist ihm sprichwörtlich anzusehen, ganz besonders aber seinen wohl definierten Wadeln. Kein Wunder, pedaliert er doch beinahe täglich zwischen dem nordwestlich gelegenen Speckgürtel und dem 20. Wiener Gemeindebezirk. Macht pro Jahr alleine rund 3.000 reine Pendler-Kilometer. Privat radelt er auch noch gerne, gerne öfter, gerne weiter, da kommen dann noch einmal locker weitere 9.000 Kilometer dazu. Mitgezählt? Aufaddiert ergibt das eine beachtliche Gesamtjahresleistung von rund 12.000 Kilometern! Es gibt Autofahrer, die in 365 Tagen deutlich weniger weit fahren.
Wenn der Rudi und seine Kollegen mit dem Pannen-Pedelec in Wien im Einsatz sind, dann zeigt der Tageskilometerzähler am Ende ihrer Schicht übrigens meist zwischen vierzig und siebzig Kilometer an. Bei einem Rad-Dienst pro Woche und einer Saison, die vermutlich bis Ende September dauern wird, ergibt das weitere rund 1.000 Kilometer. Immer noch mehr, als viele Hobby-Radler in 365 Tagen zurücklegen.
Nächster Einsatz. Der Rudi wird aus dem bretteleben daliegenden 20. Bezirk nach Wieden beordert – ans obere Ende der Argentinierstraße. Und oben meint in diesem Fall tatsächlich oben, also ein paar Höhenmeter mehr. Sieben Kilometer trennen Abfahrts- und Zielort, doch weder die flotte Anreise, noch der vermeintlich knackige Anstieg sind wirklich spürbar, Elektroantrieb sei Dank. Nur zur zwischenzeitlichen Erinnerung: Der Anhänger an Rudis Pannen-Pedelec wiegt knapp fünfzig Kilogramm. Wer schon einmal ein vollgeräumtes Einkaufswagerl durch den Baumarkt manövrieren musste weiß, wieviel Kraftaufwand das erfordert. Doch mehr als ein paar zusätzliche, unaufgeregte Pulsschläge entlockt die Steigung entlang des Radiokulturhauses Rudis Kondition nicht. Am Ziel angelangt erwartet ihn bereits ein sichtlich aufgeregtes Mitglied. Die Dame erzählt, dass sie mit ihrem Cabrio eigentlich ja gerade in die Werkstatt fahren und die Benzinpumpe tauschen lassen wollte. Das derzeit noch eingebaute Trumm sei nämlich defekt, aber es gäbe da einen kleinen Trick, um die Pumpe zumindest kurzfristig zu reaktivieren: Ein zarter Hieb mit dem Hammer an der richtigen Stelle bewirke angeblich Wunder. Klingt plausibel, denkt sich der Rudi, und so kommt es, dass er sich über die Pannen-Ursache dieses eine Mal erst gar keine großen Gedanken machen muss. Gesagt, getan, der Motor springt nach einem kurzen „Klong“ tatsächlich an.
Was ÖAMTC-Mitglieder wie Passanten jedoch am meisten überrascht, ist die Vielseitigkeit der Pannenradler. Tatsächlich können der Rudi und seine Kollegen mit dem Werkzeug im Anhänger mehr als drei Viertel aller Pannen beheben. Bumm, mit diesem Wert rechnet keiner der Skeptiker. Schön zu sehen, wie das Erstaunen kurzzeitig ihre Gesichtszüge prägt. Dementsprechend kurz ist damit aber die Liste jener Pannen, bei denen sie nicht helfen können: Reifenwechsel steht da etwa drauf (mangels mitgeführtem Wagenheber), oder Batterietausch (ebenfalls nicht dabei). Und Abschleppen ist mit dem Pannen-Pedelec freilich auch nicht möglich.
Der Rudi erledigt noch die Formalitäten, als auf seinem Tablet schon der nächste Auftrag aufpoppt: 1. Bezirk, Nähe Staatsoper, ein VW Caddy mag sich partout nicht starten lassen. Wer die ÖAMTC-Notrufnummer 120 wählt, landet nie direkt bei einem der Pannenfahrer, sondern zunächst immer bei einem Mitarbeiter der Notrufzentrale im 22. Bezirk. Dort werden die Daten erfasst, selektiert und disponiert. Nun ist wieder der Rudi an der Reihe. Er wirft einen prüfenden Blick auf die übermittelten Kontaktdaten, die Zieladresse und den Grund des Notrufs. Scheinen ihm Problem und Destination lös- bzw. rasch erreichbar, bestätigt er den Einsatz, schwingt sich auf den Sattel und fährt los – wie eben jetzt. Sein Weg führt ihn die Favoritenstraße hinab, vorbei an trendigen Geschäftslokalen, den ewigen Außengebäuden der TU Wien, der hoch eingerüsteten Karlskirche und quer über den gleichnamigen Platz in Richtung Oper.
Mittlerweile hat er ja einen sechsten Sinn für notleidende Fahrzeuge und ihre Lenker entwickelt. Mit einem spähenden Blick scannt er das Zielgebiet, braucht meist nur einen kurzen Augenblick lang, um die Gestrandeten zu entdecken. Die kurze Wartezeit ergibt, dass dieses Mal die Begrüßung spürbar freundlicher, ja beinahe euphorisch ist. Schließlich liegen noch zwei Stunden Fahrt vor den Hilfesuchenden. Je eher man die Bundeshauptstadt hinter sich lassen kann, desto besser. Dass der Rudi radelnder Weise auftaucht, stört die beiden Damen nicht im geringsten. Im Gegenteil: „Cool“, finden sie seinen Auftritt, attestieren dem ganzen Konzept ein „schlau und platzsparend“. Endgültig alle Sympathien gewinnt der Rudi, als kurze Zeit später der Dieselmotor des kleinen Lieferwagens wieder laut nagelnd auf sich aufmerksam macht. Die Fehlerquelle? Die Batterie, wieder einmal.
Wenn anderen ÖAMTC-Pannenfahrern tagsüber nach Unterhaltung zumute ist, dann schalten sie in ihren Pannen-Autos einfach das Autoradio ein. Der Rudi kann das klarerweise nicht. Stattdessen spitzt er die Lippen und beginnt zu summen. Und es nicht nur er, der summt. Der Elektro-Mittelmotor seines Pannen-Pedelecs tut es ihm gleich, stimmt mechanisch sanft in die melodische Eigenbeschallung ein.
Die Batterie. Schon wieder? Rudi erreicht die Nachricht eines lahmenden Porsche Cabrio älterer Bauart. Haube hoch, Messgerät angeschlossen, Motor kurz zu starten versucht, der Verdacht erhärtet sich: Die Batterie. Ja, schon wieder!
Wer immer nur gibt, muss irgendwann aber auch nehmen. Und weil Rudis Gerätschaften allesamt keine Perpetuum Mobiles sind, sprich sich nicht selbst mit Energie versorgen können, steuert er gegen Mittag wieder seine Homebase, den ÖAMTC-Stützpunkt in der Pasettistraße, an.
Wenn andere ÖAMTC-Pannenfahrern in ihren Pannen-Autos Pause machen wollen, dann müssen sie sich bei der Einsatzzentrale abmelden.
Der Rudi macht das jetzt auch.
Video E-Bike-Pannenhilfe des ÖAMTC
Was ist in dem gelben Anhänger eigentlich alles drin? Unser Video zeigt es Ihnen.