Gefährliche Nachtschicht
Sie schlagen sich die Nacht um die Ohren, denn es ist Ihr Beruf: unterwegs mit der ÖAMTC-Nachtpannenhilfe.
Das Thermometer bewegt sich um den Gefrierpunkt. "Heute wird viel los sein." Manuel Waschak, Nachtpannenfahrer des ÖAMTC, soll Recht bekommen. Als er knapp vor Dienstbeginn um 18.45 Uhr mit seinem Laptop online geht, ist das Display voll mit Pannenhilfe-Anforderungen. "Es wird Zeit, meine Kollegen zu unterstützen." Der Wiener drückt den Anmeldebutton. Sofort kommt der Einsatzbefehl: "Leerer Tank, Perchtoldsdorf".
Manuel Waschak ist seit zwei Jahren als Gelber Engel unterwegs, meist nachts: "Ich bin ein Nachtmensch." Der 26-jährige Techniker liebt seinen Job: "Helfen gehört zu meiner Lebenseinstellung." Durchschnittlich zehn Mal hilft er pro Nacht. In Perchtoldsdorf genügen dazu fünf Liter Sprit.
Jetzt geht es richtig los
Das Display auf seinem Armaturenbrett piept. Das tut es immer, wenn die ÖAMTC-Disponenten in der Wiener Donaustadt einen Auftrag für Manuel haben. Die Adresse wird direkt auf das Navigationsgerät in den Einsatzwagen gespielt, die Pannen-Infos erscheinen am Display: "Probleme mit der Gangschaltung." Das Kupplungsseil ist gerissen. Eine sofortige Reparatur ist nicht möglich. Das Auto muss in eine Werkstatt abgeschleppt werden. Für die Weiterfahrt bekommt das Mitglied ein Clubmobil.
Startproblem in Wiener Neudorf. "Die Batterie", mutmaßt der Profi. Und die Messung gibt ihm recht: Die Spannung ist zwar da, der Saft reicht aber nicht mehr. Eine neue Batterie muss her. Die baut Manuel direkt vor Ort ein. Das Clubmitglied ist dankbar.
Eine Schülerin hat ihren ersten Kontakt mit einem Pannenfahrer. Ihr erstes eigenes Auto stottert, sie befürchtet das Schlimmste. Waschak beruhigt: "Die Zündspule vom dritten Zylinder ist kaputt, eine neue kostet etwa 80 Euro." Der 18-Jährigen fällt ein Stein vom Herzen. Am Rückweg zum Stützpunkt schleppt Waschak noch ein hängen gebliebenes Auto in die Werkstatt.
Die "Mittagspause" um Mitternacht muss noch warten. Am Display leuchtet der erste Autobahneinsatz in dieser Nacht auf. Probleme mit dem Ladedruck. Die Panne ist rasch behoben. Die Fehlermeldung in der Elektronik wird gelöscht. Waschak: "Bei Autobahnpannen hab ich immer ein mulmiges Gefühl. Man weiß ja nicht, wie lange ein Fernfahrer schon am Steuer sitzt. Und wenn ein 35-Tonnen-Sattelschlepper ungebremst auf den Pannenstreifen kommt, bleibt von uns nicht viel übrig." Wir haben nachrecherchiert. Die Ängste des Pannenfahrers sind berechtigt. Bei einem Aufprall eines 35-Tonnen-Fahrzeuges mit Tempo 80 auf ein stehendes Hindernis entspricht der Anpressdruck tödlichen 2.800 Tonnen, soviel wie fünf vollbesetzte Airbusse 380 beim Start.
Die zweite Nachthälfte ist ruhig. Manuel muss noch zu drei Starthilfen ausrücken, bevor seine Nachtschicht um 6 Uhr früh endet.
Nachtschicht im Großraum Graz
Angst kennt ÖAMTC-Nachtpannenfahrer Gernot Purgstaller keine, wenn er bei Dunkelheit in einsamen Gegenden unterwegs ist: "Die Leute freuen sich, mich zu sehen." Auch an die gefährlichen Einsätze auf der Autobahn hat sich der 32-jährige Steirer mittlerweile gewöhnt. "Wenn der Christbaum eingeschaltet ist, weichen die Autofahrer meist auf die Überholspur aus." Der Christbaum: So nennen die Gelben Engel ihr Pannenfahrzeug, wenn es voll beleuchtet ist.
Pannenfahrer Gernot Purgstaller ist in den Nachtstunden mit dem KAP (kombiniertem Abschlepp- und Pannenfahrzeug) unterwegs: "Bei Bedarf kann ich ein Auto sofort abschleppen."
Kurz nach Dienstbeginn um 19 Uhr kommt per SMS die Aufforderung zur ersten Ausfahrt der Nacht: Kalsdorf, Raxweg 11, Nissan Almera, Reifenschaden. 40 Minuten später ist der Reservereifen am Auto der jungen Frau montiert.
Wenige Minuten später der nächste Einsatz: In Lannach ist beim Volvo des Amtstierarztes von Deutschlandsberg der Zahnriemen gerissen. Der Arzt bekommt für die Heimfahrt ein Clubmobil, das Auto wird abschleppt.
21.10 Uhr: Die Verschnaufpause in der Einsatzzentrale vor dem Fernseher ist nur kurz. In Söding hat ein Auto Probleme mit der Radaufhängung. Bei der Anfahrt muss Purgstaller auf der A9 kurz nach dem Knoten Webling umdisponieren. Ein Auto steht auf dem Pannenstreifen. "Da ist Gefahr in Verzug, das Auto muss umgehend aus der Gefahrenzone gebracht werden." Eine Abschleppung mittels Seil zum Gemeindeamt Seiersberg ist möglich. Die Onboard-Diagnose mit dem Pannenhilfe-Laptop zeigt einen Defekt des Reglerventils für den Kraftstoffdruck. Das kann nur die Fachwerkstätte reparieren. Das Clubmitglied wird von seiner Frau abgeholt – Purgstaller plant die Abschleppung nach der Panne in Söding.
Ganze 45 Minuten dauert der Einsatz beim Ringerclub Söding. Die jungen Ringer hatten Glück im Unglück. Die Radaufhängung ist bei der Ausfahrt vom Parkplatz gebrochen und nicht auf der Autobahn. "Dem Klopfen haben wir keine Bedeutung geschenkt." Die Verladung des tiefer gelegten Peugeot gestaltet sich äußerst schwierig.
Stündlich Hilfe in der Nacht
Eine Stunde vor Mitternacht. Eine Abschleppungsanforderung im Großraum von Stainz erweist sich als Fehleinsatz. Bei der Rückfahrt zur Einsatzstelle wird in Seiersberg der Wagen mit dem defekten Reglerventil mitgenommen und zur Werkstätte in der Kärntnerstraße – vorbei am wahrscheinlich besten Würstelstand von Graz – geschleppt. Beim Ausfüllen des Reparatur-Auftrages klopft es an die Seitenscheibe. "Bei mir leuchtet die Ölkontrolllampe, können Sie mir helfen?" Und ob Purgstaller kann. Nach dem Nachfüllen von eineinhalb Liter Öl fährt der Student zufrieden weiter.
0.22 Uhr: Neuerlich piepst im Pannenauto der mobile Arbeitsplatz: VW Polo, Starthilfe in der Waagner-Biro-Straße. Purgstaller macht sich auf den Weg. Der geplante Mitternachtsimbiss beim "Würstl-Hannes" entfällt.
Nach einem Einsatz in Judendorf bei Graz, bei dem der ÖAMTC-Pannenfahrer Gernot Purgstaller die Nachtruhe für die Anwohner wieder herstellt – eine Autoalarmanlage spielte verrückt –, und einer Starthilfe beim Tanzlokal Rudolf in der Eggenberger Allee kehrt knapp vor zwei Uhr früh auch in der Grazer Einsatzzentrale des ÖAMTC Ruhe ein – zumindest bis zum Schichtwechsel um sechs Uhr früh.
Nachtwache: Gelber Engel im Interview
Sein Dienst startet, wenn andere ihren Feierabend genießen: mit Einbruch der Dunkelheit. Pannenfahrer Albrecht Strini ist in der Nacht unterwegs. Mit den Nacht-Taxifahrern, vielen Schichtarbeitern und Bäckern ist er längst per Du. Die Nachtarbeiter kennen sich, auch in einer Millionenstadt wie Wien.
Ich habe im Dunkeln keine Angst. Die Menschen sind froh, wenn sie mich sehen und Hilfe bekommen. Da zählt Vertrauen.
Albrecht Strini, seit 15 Jahren Nachtpannenfahrer
Erst recht dann, wenn man wie Albrecht Strini seit 15 Jahren als ÖAMTC-Pannenfahrer im nächtlichen Wien unterwegs ist. Und wenn es nach dem 44-jährigen Floridsdorfer geht, möchte er bis zu seiner Pensionierung der Gelbe Engel der Nacht sein.
— Warum arbeiten Sie am liebsten in der Nacht?
Albrecht Strini: Es ist ruhiger, es gibt weniger Verkehr und viel weniger Stress. Auf den Straßen sieht man oft auch eine bunte Mischung aus Nachteulen und skurrilen Gestalten, aber ich habe es meistens einfach nur mit netten Leuten zu tun.
— Welche Pannen haben die Nachtschwärmer?
Albrecht Strini: Mindestens einen Einsatz pro Nacht habe ich am Flughafen, wenn nach einer Urlaubsreise das Auto eines Mitglieds nicht mehr anspringt. Sonst unterscheiden sich die Nachtpannen nicht von denen am Tag.
— Bei Einsätzen in dunklen Gassen: Wie schaut’s mit der Angst aus?
Albrecht Strini: Ich bin kein ängstlicher Typ. Das Zittern habe ich mir längst abgewöhnt. Die Menschen sind froh, wenn sie mich sehen und Hilfe bekommen. Da zählt Vertrauen.
— Wie reagiert der Körper nach zwölf Jahren Nachtdienst?
Albrecht Strini: Nachtschichten sind so eine Sache. Wenn man es nicht gewohnt ist, kann das an die Substanz gehen. Bei mir aber nicht. Meine innere Uhr ist vollkommen pflegeleicht. Da habe ich Glück. Ich kann mir gar nicht vorstellen, bei Tag zu arbeiten.
— Was sagt die Familie dazu?
Albrecht Strini: Ich habe eine verständnisvolle Frau und einen tollen Sohn. Wenn ich nach einer Nachtschicht gegen 6:30 Uhr nach Hause komme, bleibt immer Zeit für ein gemeinsames Frühstück. Wenn ich am Nachmittag aufstehe, ist meine Frau schon wieder von der Arbeit zurück.
Die Pannenhilfe-Bilanz 2014
Schnelle Hilfe ist in einer Notsituation entscheidend. Nur etwas mehr als 30 Minuten wartet ein Clubmitglied durchschnittlich auf die Pannenhilfe. Das perfekte Zusammenspiel von Anrufannahme und Einsatzdisposition in einer der vier Nothilfezentralen in ganz Österreich, die elektronische Übermittlung der Einsatzdaten an den Pannenfahrer und die GPS-gesteuerte Anfahrt zum Pannenort garantieren diese rasche Hilfe vor Ort.
Von den über 651.000 Einsätzen der mobilen Pannenhilfe entfielen im Vorjahr rund 90.000 auf die Nachtstunden. In neun von zehn Fällen konnten die Gelben Engel die Pannen direkt auf der Straße beheben oder die Mobilität mittels Abschleppung und Clubmobil bewahren.