Seilbahnbergung: Holt mich hier raus!

Der Sessellift steht, es gibt kein Vor oder Zurück mehr. Kälte, schlechte Sicht und schwankende Sitze erschweren die Evakuierung. Die Flugretter von Christophorus üben die Bergung, damit im Ernstfall jeder Handgriff sitzt. 

Nichts geht mehr. Alles steht. Zehn Minuten sitz' ich jetzt schon da, in luftiger Höhe, und warte darauf, dass sich der Sessellift wieder in Bewegung setzt. Aber nichts passiert. Der Sessel schaukelt nur sanft im Wind hin und her, anstatt sich nach vor oder zumindest zurück zu bewegen. Auf den Sesseln vor und hinter mir ebenfalls Fahrgäste – wir werfen einander fragende Blicke zu.






Seilbahnen zählen zu den sichersten Verkehrsmitteln, trotzdem kann es immer wieder zu einer Störung kommen.






Gerhard Hubmann, leitender Flugretter von Christophorus 12


Irgendwann wird klar: Eine Evakuierung der Insassen ist unumgänglich. Obwohl eine solche Situationzum Glück extrem selten ist, muss sie geübt und trainiert werden."Stützpunktübungen finden in einem vorgegeben Rhythmus statt", erklärt Gerhard Hubmann, leitender Flugretter von Christophorus 12. "Alle drei Jahre muss die Crew ein sogenanntes einsatztaktisches Intensivtraining absolvieren. In den Jahren dazwischen werden unterschiedliche Trainingsschwerpunkte gesetzt – wie eben diesmal die Seilbahnassistenz." Denn im Fall der Fälle muss jeder Handgriff auch wirklich sitzen. Die notwendige Routine dafür kann nur durch regelmäßiges Trainieren vermittelt werden. Das gemeinsame Üben von Flugrettern und den Bergespezialisten diverser Bergbahnen dient dazu, Abläufe zu verinnerlichen und das reibungslose Zusammenspiel zu perfektionieren.




Es kann losgehen…

Die Übung beginnt früh morgens. Die Trainer des AirRescueCollege der ÖAMTC-Flugrettung geben, bevor es richtig los geht, noch eine theoretische Einführung in die Besonderheiten der Seilbahnassistenz und erklären die notwendige Bergeausrüstung. Danach heißt es: Alle Mann an die Sessel, denn zunächst werden die nötigen Schritte im Trockentraining in der Talstation geübt. Dabei geht es für die Bergespezialisten vor allem darum, am Sitz des Sessellifts die geeigneten Absetz- und Sicherungspunkte zu finden.

Um die Übung so realistisch wie möglich fortsetzen zu können, werden die Sessel mit mir und einigen anderen freiwilligen Bergrettern besetzt. Und dann geht es bergwärts, doch nur bis knapp nach der zweiten Stütze, wo unsere Fahrt ein abruptes Ende nimmt. Hier sitzen wir nun also schon etwas mehr als zehn Minuten in 15 Meter Höhe und harren unserer Rettung. Und da ist er auch schon zu hören, der Rotorlärm des sich nähernden gelben Hubschraubers. Der erste Schritt einer erfolgreichen Bergung besteht nämlich darin, dass ein Bergespezialist am Sessel abgesetzt wird. Und wenn es darum geht, Menschen in vom Boden aus schwer zugänglichen Abschnitten zu bergen, wird der Retter eben mittels Tau dort hin geflogen.



Auch wenn der Helikopter hoch über mir schwebt, ist es mittlerweile ziemlich laut geworden und auch das Hin- und Herschaukeln ist jetzt nicht mehr ganz so sanft wie noch vor wenigen Minuten. Doch die Aussicht, schon bald aus meiner misslichen Lage befreit zu werden, tröstet über alle Unannehmlichkeiten hinweg. In der Zwischenzeit hat der Flugretter den Sessel zu fassen bekommen und zieht sich langsam heran. Vorsichtig gilt es, den Bergespezialisten so in Position zu bekommen, dass er sich am Sessel unmittelbar über mir gut sichern kann. Sobald er sich mit seinen Karabinern eingehängt und vom Tau losgemacht hat, das ihn mit dem Hubschrauber verbindet, gibt der Flugretter dem Piloten das OK zum Abflug. Jetzt bin ich also alleine mit meinem Retter, der zügig damit anfängt, mich ebenfalls zu sichern und auf die Bergung vorzubereiten.

Doch so einfach, wie sich die Rettungsaktion in der Theorie darstellt, ist die praktische Umsetzung bei weitem nicht. "Ganz allgemein gilt: Für alle Beteiligten ist die Evakuierung von Personen aus Seilbahnanlagen eine große Herausforderung", weiß ÖAMTC-Flugretter und Übungsleiter Tom Schwaiger. Reibungslose Kommunikation und das perfekte Zusammenspiel zwischen Flugretter und Pilot sind dabei das Um und Auf. "Da es nicht immer eine gute Sichtverbindung zwischen den beiden gibt, muss permanent über Funk miteinander kommuniziert werden", ergänzt Schwaiger.

Schwebt der Hubschrauber zu hoch über oder zu weit entfernt von der Liftanlage, kann es sein, dass der Flugretter den Sessel nicht zu fassen bekommt und ein Absetzen daher nicht möglich ist. Fliegt der Helikopter zu niedrig, können zu starke Abwinde die Sessel in gefährliche Schwankungen versetzen, sodass im schlechtesten Fall das Liftseil aus den Führungsrollen springt. "Hinzu kommt, dass jede Windböe sich unmittelbar auf die Position des Hubschraubers oder der Bergemannschaft am Tau auswirken kann", verdeutlicht C12-Pilot Peter Fleischhacker.

Während Flugretter Kilian einen provisorischen Flaschenzug am Sessel installiert und mir die weiteren Schritte meiner baldigen Rettung erläutert, fliegt der Hubschrauber weitere Bergespezialisten zu den übrigen Sesseln. Denn gerade bei eisigen Temperaturen im Winter muss die Evakuierung der Passagiere so schnell wie möglich erfolgen.

Bei durchschnittlich 500 Millionen Personenbeförderungen pro Winter liegen derartige Vorfälle zum Glück weit unter der Promillegrenze.

Tom Schwaiger, ÖAMTC-Flugretter und Übungsleiter 

Am Ende des Übungstages steht dann eine detaillierte Nachbesprechung. "Auf allen neuralgischen Positionen haben wir Trainer positioniert, die sämtliche Arbeitsabläufe genauestens dokumentieren und überwachen", berichtet Schwaiger. "Zudem setzen wir auch auf eine umfassende Videodokumentation der einzelnen Übungsabschnitte." Etwaige aufgetretene Probleme können so genau analysiert und gemeinsam besprochen werden.

Übrigens hat mich Kilian mittels eines eigens konzipierten Bergesets binnen kürzester Zeit erfolgreich von meinem Sessel abgeseilt. Am sicheren Boden hab ich dann auch meine "Mitgefangenen" wieder getroffen, die ebenso wie ich über die rasche und effiziente Bergung begeistert waren.