Wettlauf gegen die Zeit
Wenn Betroffenheit in Adrenalin umschlägt und die Flugrettungs-Crew statt 100 Prozent 130 gibt, dann steigen die Gelben Engel in den Himmel und retten Leben.
Kufen frei", funkt Flugrettungssanitäter Christoph Aichinger aus dem Cockpit. Es ist 16.45 Uhr. "Kabine fertig", erwidert Notarzt Dr. Werner Horn, nachdem er den Notfall-Rucksack festgegurtet hat. Johannes Schöffl, Pilot und Stützpunktleiter von Christophorus Europa 3, hat von seinem Team das "Go" zum Abflug bekommen. Über Funk ist er im ständigen Austausch mit der Leitstelle Innviertel. Aichinger gibt ihm die Koordinaten für den Unfallort durch. Der Notarzt Dr. Horn weiß zu diesem Zeitpunkt nur, dass es sich um eine Amputation handelt. Aber ob ein ganzes Bein oder nur ein Finger abgetrennt wurde, erfährt er erst am Unfallort. Jedes einzelne Crew-Mitglied ist die Ruhe in Person.
Aus der Luft erkennt man bereits einen Rettungswagen. Nach wenigen Minuten landet der Notarzthubschrauber in St. Stefan am Walde. Der anwesende Arzt hat bereits die Stabilisation der Patientin übernommen und der von einer Kreissäge abgetrennte Finger wurde in einer speziellen Schutzhülle zur Kühlung verpackt. Jede Minute zählt.
"Bei diesem Einsatz stand im Vordergrund, die 53-Jährige möglichst rasch ins UKH Linz zu bringen", schildert Dr. Horn. In der Mikrochirurgie werden die feinen Nervenbahnen des abgetrennten Fingers wieder zusammengenäht. Um 17.30 Uhr macht sich das Hubschrauber-Team von Linz auf zu seinem Stützpunkt. Der Notarzt füllt in der Kabine den Einsatzbericht fertig aus. Bei dieser klaren und weiten Sicht genießt er immer wieder den traumhaften Blick aus dem Hubschrauber. Der Pilot zeigt auf ein Wirtshaus: "Da unten habe ich schon mal ein Hendl gegessen."
Nach der Landung denkt zwar jeder an die angebissene Pizza, die er aufgrund des Einsatzes nicht mehr fertig essen konnte, aber das Abendmahl muss noch etwas auf sich warten. "Meine Aufgabe als Flugretter ist, den Hubschrauber wieder einsatzbereit zu machen", so Aichinger. "Nach dem Tanken schaue ich, dass rundum alles passt. Angefangen vom Austausch der Sauerstoffflaschen über das Nachfüllen der Medikamente bis zur Desinfizierung des Hubschraubers. Aber auch die Geräte – wie etwa Beatmungsgerät, EKG und Absauggerät – gehören für den nächsten Patienten aufbereitet." Jeden Moment kann per Funk erneut ein Einsatzbefehl hereinkommen.
Beste Versorgung
Zu den häufigsten Notfällen zählen die internistischen (Herzbeschwerden) und neurologischen (Schlaganfall), gefolgt von Verkehrs- und Freizeitunfällen. Ob er den Notarzt rasch zum Patienten bringt oder den Patienten möglichst schnell in ein geeignetes Krankenhaus transportiert – ein Notarzthubschrauber ist in jeder Situation ein Gelber Engel. "Ein Merkmal von Christophorus ist, dass man in Gegenden, wo man sonst eigentlich gar nicht hinkommt, beste notfallmedizinische Versorgungsqualität leisten kann", erzählt Werner Lang, Leiter der Flugrettungssanitäter bei Christophorus 10. Mit dem Tauberge-Verfahren wird der Notarzt zum Patienten gebracht. Bei extrem schwierigen Einsätzen, wie etwa der Bergung eines Verunglückten aus einer Schlucht, lässt sich der Flugrettungssanitäter jedoch ohne Notarzt mit einem Tau vom Hubschrauber hinab.
Einsatz: Jede Minute zählt
Taubergung: Millimeterarbeit
"Es passierte letzten Sommer in der Burggrabenklamm am Südufer des Attersees", erinnert sich Chefpilot Martin Lackner an den Canyoning-Unfall. "Wir benötigten ein 95 Meter langes Seil, da die Schlucht immer enger wurde und ich mit dem Hubschrauber nicht so weit hinunter konnte."Der Einsatz mit einer variablen Tauvariante zählt zu den aufwändigsten. Pilot und Flugretter müssen sich blind aufeinander verlassen können, denn optisch nimmt unter diesen Bedingungen einer den anderen nicht mehr wahr. Kommunikation ist hier alles.
In der Flugrettung werden sogenannte "Call Outs"verwendet. Anhand dieser standardisierten Kommandos ist das Crew-Mitglied mit dem Piloten ständig in Kontakt. "Vor", "zurück", "tief", "hoch eins"oder "eingehängt"sind einige der Anweisungen. Der Chefpilot erinnert sich daran, wie der Flugrettungssanitäter beim Abseilen im Wasserfall verschwunden ist: "Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Hier sind unsere Standardisierungen Gold wert. Man weiß genau, welche Kommandos kommen und welche zu erwarten sind. Damit produzieren wir Sicherheit. Wir sind sehr aufeinander eingespielt."Das Funkgerät hat sich durch den Aufprall des Wassers und der Feuchtigkeit auf Dauersenden umgestellt. "Ich habe ihn jedoch sehr gut gehört und konnte seinen Anweisungen tadellos folgen."
In der gesamten Rettungskette muss akribisch genau gearbeitet werden und kein Kommando darf fehlen. "Bei jedem Taueinsatz muss ich den Hubschrauber sehr genau über mir zentrieren, da ich beim Abheben sonst auspendeln würde", schildert Werner Lang. Ein langes Tau gibt zwar Sicherheit und der Flugretter kann sich in extremes Gelände abseilen, aber je länger das Tau ist, desto schwieriger wird auch die Bergung des Verunglückten. "Sollten wir mit der Felswand kollidieren, dann können wir nicht aufstehen und sagen, okay, ich mache es noch einmal. Daher wird dieser Teil ganz intensiv trainiert", erklärt Lang. Er ist seit 27 Jahren Flugretter und flog schon mit dem ersten organisierten Rettungshubschrauber in Oberösterreich mit. Inzwischen hat bereits mehr als 4.500 Einsätze hinter sich.
Eine harte Ausbildung, permanentes Training und ein großer Rucksack an Erfahrung schützen uns vor Panik und Angst.
Werner Lang, HCM-Flugretter
Viel Training, eine harte Ausbildung, standardisierte Verfahren und eine klare Kommunikation sind das Um und Auf der Crew und machen sie resistent gegen Nervosität und Unsicherheit. "Eine Taubergung ist ein Alpineinsatz. Da gehe ich immer mit einem positiven Gefühl hinein. Weil sie keine Alltagsroutine ist und weil der Flugretter sein Wissen und sein Können anwenden kann. Eine Taubergung wird öfter geübt, als sie in der Praxis angewendet wird", erzählt Werner Lang.
Dass sich die Freizeitunfälle in den letzten Jahren häufen, hängt laut Lang nicht mit schlechtem Equipment oder Leichtsinnigkeit zusammen: "Die Menschen sind in der Freizeit einfach aktiver geworden. Bergsport ist heutzutage Massensport." Lächelnd fügt das Urgestein unter den Flugrettern hinzu: "Wir sind da, wenn etwas schief gegangen ist, und dann richten wir es wieder. Und zwar wertfrei. Wir sind die Gelben Engel. Engel fragen nicht, wer schuld ist, Engel helfen einfach."