An Grenzen gehen (1): auf dem Festland

Wann ist etwas extrem? Wenn es über das Normale hinausgeht. auto touring stellt in zwei Teilen insgesamt sechs Menschen vor, die das tun und sich selbst dabei am besten kennenlernen.

Die einen bezeichnen sie als verrückt, andere bewundern sie. Doch was sagen Extremsportler über sich selbst? Was motiviert sie? Sind sie nur auf den Kick aus oder gibt es andere, tiefere Beweggründe, an ihre Grenzen zu gehen?

Wir haben mit sechs Menschen gesprochen, die ihr Leben an Land und im Wasser extremen Spielarten der Mobilität widmen. Ihre Motive waren über­raschend, aber nie verrückt.

Im ersten Teil widmen wir uns den drei Extremsportlern an Land: Bergsteiger Markus Amon liebt es, hoch hinaus zu gehen. Als Flugretter im Beruf, als Bergbezwinger im Privaten. Die Natur und die Berge haben es auch Sigrid Huber angetan. Die Trailläuferin liebt es, draußen zu sein und lange Strecken zu laufen. Radprofi Christoph Strasser radelt bis zur Erschöpfung, immer wieder, immer weiter. Jede und jeder von ihnen will ihre, seine Grenzen ertasten. Tauchen Sie mit uns ein in eine Welt der Extreme, zu Land und zu Wasser: Teil 1, Land.

Teil 2 über jene, die am und unter Wasser an Grenzen gehen, finden Sie ab 11. August 2021 online, nur auf www.autotouring.at.

Auf Berge klettern

Markus Amon ist in extremen Höhen unterwegs

Den Berg hinauf ganz ohne "Doping" – so nennt Markus Amon die Verwendung von Flaschen-Sauerstoff beim Bergsteigen. Seit seiner Kindheit ist der Salzburger auf Bergen unterwegs, mittlerweile hat er fünfmal ohne Sauerstoff die "Todeszone" (oberhalb 7.500 Meter) erreicht. Trotz all der Erfahrung hat er den Respekt vor den gefährlichen Höhen nicht verloren. Er würde niemals kurzfristig einer Expedition zusagen. "Man muss sich mit dem Ziel gut auseinandersetzen und mental vorbereiten. Das kann schon einmal ein Jahr dauern", erzählt der 48-jährige ÖAMTC-Flugretter. 




Richtige Angst darf man nicht haben. Sie versteinert und man trifft irrationale Entscheidungen.






Markus Amon, ÖAMTC-Flugretter


Für diese extremen Exkursionen nimmt der Salzburger ebenso extreme Gefahren in Kauf. Ab 7.500 Meter Höhe kann der Körper nur mehr ungefähr 48 Stunden ohne zusätzlichen Sauerstoff auskommen, danach hat man mit Höhenkopfschmerzen und Kurzatmigkeit zu kämpfen und der Körper würde trotz ausreichend Nahrung immer weiter abbauen. Auch das Gehirn arbeitet in der Todeszone schlechter. Doch selbst unter diesen lebensgefährlichen Umständen behält Markus Amon einen klaren Kopf. "Solche Situationen ängstigen einen natürlich, aber richtige Angst darf man nicht haben. Angst versteinert und man trifft irrationale Entscheidungen." Auch nicht zu unterschätzen ist die Sonne. "Es fragen mich immer alle wie ich mit der Kälte klarkomme – dabei war unser größtes Problem beim Mount McKinley, dem kältesten Berg der Erde, die Bewegung in der Hitze. Gegen die Kälte kann man sich schützen, der Sonne ist man ausgeliefert. Da kann man nur einen Sonnenhut aufsetzen", erzählt der Bergsteiger lachend.

Amon geht auch bei begonne­ner Reise keine Risiken ein. "Wenn ich körperlich nicht vollständig bereit bin oder das Wetter nicht mitspielt, breche ich eine Tour ab. Jedes Warnsignal des Körpers ist als potenziell gefährlich einzustufen." Aus diesem Grund musste er auch eine Besteigung des Mount Everest schweren Herzens abbrechen. "Das ist das Schwierigste: Trotz des ganzen Aufwands einfach umzudrehen." Aber es warten noch viele Gipfel auf Markus Amon – und auch der höchste Punkt der Erde.

www.markus-amon.at

Auf den Berg laufen

Sigrid Huber läuft und läuft querfeldein

Rund 50 Trailläufe hat sie absolviert, von 100 bis über 300 Kilometer langen. Die Oberösterreicherin Sigrid Huber ist Ultratrailläuferin, so werden Trailrunner/-innen bezeichnet, die über 50 Kilometer laufen, auch bergauf. Extrem? Das Wort hört die 35-Jährige nicht gerne: 




Es ist total spannend herauszufinden, wie weit ich gehen kann.






Sigrid Huber, Trailläuferin


"Für jeden ist etwas anderes extrem. Für mich wäre es extrem, zwölf Stunden im Büro zu sitzen", grinst sie und ergänzt: "Ich habe auch vier Kinder und weiß, wie extrem das ist. Ein paar Tage mit den vieren sind manchmal anstrengender als ein 100-km-Lauf."

Die naturverbundene Läuferin ist täglich unterwegs, vor großen Wettkämpfen intensiviert sie ihr Training. Als Motivation benötigt sie nicht viel, denn sie "brennt" für den Sport. Ohne dieses Gefühl hätte es keinen Sinn. Sie war immer sportlich und auch im Triathlon aktiv, als sie mit 25 Jahren ihren ersten 68-km-Trail lief. Da wusste sie auf Anhieb: Das ist die richtige Sportart für mich! "Es war so lässig, mit Gleichgesinnten in den Bergen unterwegs – einfach wunderschön!"

Dennoch ist Trailrunning ein Einzelsport, bei dem „man mit sich selbst kämpft und ein Tempo finden muss, das man durchhalten kann.“ erklärt Huber. Doch für sie ist es immer ein Highlight, wenn sie am Trail jemanden trifft: "Das gibt einen Motivationsschub, vor allem wenn man einen Durchhänger hat."  

Im Vordergrund steht für die Sportlerin stets das Erlebnis, nie ein Rekord. "Auch wenn es pathetisch klingt: 'Ich komme bei mir selbst an, wenn ich unterwegs bin'."

Gerade die langen Läufe faszinieren sie. "Zu wissen, wie weit ich eigentlich gehen kann, wo ist die Grenze." Ihr bisher längster Lauf dauerte eine ganze Woche. Bei der Tor des Géants im italienischen Aostatal war sie Tag und Nacht unterwegs, geschlafen wurde nur rund 90 Minuten pro Tag. Unvorstellbar, aber laut der Oberösterreicherin "ist man danach relativ gut erholt. Der Körper holt sich die benötigte Energie, um weiterzumachen." Eine unglaubliche Leistung von Körper und Geist. "Da nimmt man einfach für den Alltag, für das Leben so viel mit, um mit schwierigen Situationen besser umzugehen", sinniert sie. Dieser Ultralauf sorgte auch für ihr einprägsamstes Erlebnis: "Nach zirka drei Tagen verliert man komplett das Zeitgefühl. Du konzentrierst dich nur mehr auf die notwendigsten Dinge. Alles andere, der Alltag, das normale Leben, wird dir egal. Das war irre."

Um diese "irre" Erfahrung zu verarbeiten und sich von den Eindrücken zu erholen, benötigte die 35-Jährige rund zwei Wochen. Dieser Abschluss ist wichtig, um sich danach wieder auf etwas Neues einstellen zu können.

Nach verletzungsbedingter Pause in den vergangenen Monaten, befindet sich Huber bereits wieder im Training. Im September plant sie den Transalpine Run vom Arlberg bis Sulden in Italien mit 255 km und rund 14.500 Höhenmetern: "Da läuft man täglich ungefähr einen Marathon."

Und danach? Da gibt es noch ihre Traumstrecke, den UTMB Ultra Trail du Mont Blanc, die innoffizielle WM der Trailläufer über 170 km und 10.000 Höhenmeter…

Ihre Lauf-Erfahrungen teilt Huber als Coach und Herausgeberin des Trailrunning Szene Magazins

www.sigridhuber.at
www.trailrun365.com

Extrem radeln

Christoph Strasser fährt Rad

23 Stunden Radfahren, eine Stunde schlafen – und das acht Tage lang: Christoph Strassers Leidenschaft zeigt, was mit eisernem Willen möglich ist.




Am Anfang meiner Karriere bin ich aufgrund von Lungenproblemen ausgeschieden. Das hat mich sehr verunsichert.






Christoph Strasser, Radprofi
Seit Jahren fährt er extreme Radrennen und ist heute der erfolgreichste "Race Across America"-Fahrer – ein Bewerb, in dem 5.000 Kilometer in nur wenigen Tagen zurückgelegt werden müssen.

Bei seinen extremen Rennen kümmert sich stets sein Team um ihn. Gegessen und getrunken wird während des Fahrens, höchstens kurze Pausen für biologische Bedürfnisse sind erlaubt. "In der einen Stunde Pause pro Tag schlafe ich hauptsächlich, aber Katzenwäsche und frische Kleidung sind genau­so wichtig, auch um Entzündungen vorzubeugen", erzählt der Steirer. Zeit für richtiges Duschen bleibt da nicht mehr.

Strasser hat schon zahlreiche Erfolge in der Tasche. Aber auch Niederlagen haben seine Karriere geprägt. "Zweimal bin ich aufgrund von Lungenproblemen ausgeschieden. Beim ersten Mal stand ich noch ganz am Anfang, da hat mich das sehr verunsichert." Neben Krankheiten gibt es zahlreiche andere Gefahren bei solchen Extremrennen. Sekundenschlaf und Dehydrierung sind nur zwei davon. Besonders die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls bereitet dem Rennfahrer Sorgen. "Ich weiß, was mein Körper schaffen kann, aber andere Verkehrsteilnehmer kann ich nicht kontrollieren."

Nach sechs Siegen des "Race Across America" hat er ein neues Ziel: 1.000 Kilometer in 24 Stunden zu fahren und so den momentanen Weltrekord zu brechen. Und nächstes Jahr? Nach Amerika, für den siebten Sieg! 

www.christophstrasser.at