Anna Veith: Sehnsucht nach Schnee

Nach Schmerzen, zwei Knieoperationen und langer Reha-Pause schwingt Anna Veith wieder auf Schiern, drängt zurück in den Weltcup. Ohne Druck, aber mit einem Seitenblick auf Olympia.

Sie spricht leise. Anna Veith: Die dunkelhaarige Natur-Beauty des österreichischen Schiteams ist zurück. Die blau-grünen Augen, betont durch zarten Smokey-Eyes-Lidschatten, suggerieren Kraft. Anna schwärmt: “Es war pure Freude, den  Schnee zu riechen, wieder auf Schiern zu stehen, ganz ohne Schmerzen!“ Gefühle einer Sportlerin, die mit 28 Jahren auf zwei Brettln schon alles erreicht hat. Zum Thema Karriereende meint die Schi-Queen lächelnd: “Mein Ende wird anders aussehen!“

Endlich wieder auf Schnee


— Anna, was empfindest du, wenn der erste Schnee in den Bergen fällt?

Anna Veith: Mit dem Schnee und der Kälte kommt auch das Gefühl, dass es nun bald losgeht. Der Sommer ist immer eine schwierige Zeit: hartes Training, Hitze, mit der ich nicht so gut umgehen kann. Früher hab ich darauf gebrannt, irgendwo hinzufliegen in den Winter. Das war heuer anders: ein bewusster, intensiver Prozess. Eine Auseinandersetzung mit mir und meinem Sport. Da war die Freude, wieder auf Schnee zu sein, aber auch eine Unsicherheit: Was wird passieren?

— “So ungefähr stelle ich es mir vor, wenn man stirbt!“ Ein Satz aus deinem Buch. Was hat dieses beängstigende Gefühl ausgelöst?

Anna Veith: Es war vor zwei Jahren, drei Tage vor dem ersten Rennen: Vorangegangene Konflikte liegen zu dem Zeitpunkt hinter mir, sind gelöst. Ich bin toll in Form, schnell, habe Spaß. Und dann ein Innenschifehler. Ich verletze mich, die Patellasehne im Knie reißt. Es ist, als ob das Licht ausgeht. Ein Bruchteil einer Sekunde, der alles verändert. Der Schmerz ist extrem, die Verletzung schwer. Was ich mit diesem Satz beschreibe, waren Gefühle nach der Verabreichung eines starken Schmerzmittels.

Nach der Verletzung


— Hattest du Angst, deinen geliebten Sport nicht mehr ausüben zu können?

Anna Veith: Ich hatte in diesem Moment mit dem Schifahren abgeschlossen. Fühlte: Es ist vorbei! Es war niederschmetternd, ein Stich ins Herz. Ich hatte auch die Kontrolle verloren, alles lag in den Händen der Ärzte. Nach der Operation hab ich noch oft ans Aufhören gedacht. Es war unklar, ob Rennlauf jemals wieder möglich sein würde. Dem Körper wieder zu vertrauen, war auch harte Arbeit. Es funktioniert nicht einfach zu sagen: Ich vertrau jetzt!

— Hat vielleicht der Körper damals die Notbremse gezogen, weil alles zu viel war?

Anna Veith: Definitiv! So war es. In zehn Jahren als Weltcup-Läuferin bin ich alle Disziplinen gefahren. Das ist anders als bei Slalom-Spezialisten. Ich war körperlich ausgebrannt, ganz unten. Heute fühle ich mich um fünfzig Jahre jünger als noch vor einem Jahr (lacht). Aber auch mental hat mich die Verletzungspause verändert.






Meine Knie sind wieder schmerzfrei! Aber der Aufbau nach einem Sehnenriss ist ein Prozess von Jahren. Die beste Therapie ist Sport – Spitzensport!






Anna Fenninger, Schi-Rennläuferin


— Was ist die markanteste Veränderung an der neuen Anna?

Anna Veith: Es ist wieder der Umgang mit der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Woran ich immer arbeite, ist die Basis auf den Sport zu legen. Über die Jahre, in denen ich erfolgreich war, habe ich diese Basis schon früh gelegt. Es waren ganz viele Jahre, wo ich hart trainiert habe und voller Selbstbewusstsein war. Und ich habe genau gewusst, was ich brauche, um erfolgreich zu sein. Was mich immer wieder rausgeworfen hat, waren die Dinge neben dem Sport, ob es jetzt die Schwierigkeiten mit dem Verband waren, oder eben die öffentliche Aufmerksamkeit. Diese Dinge haben mich immer wieder gefordert und immer wieder verändert. Durch die Verletzung hatte ich wieder mehr Zeit dafür, was für mich fundamental wichtig ist: Die Basis zu bauen, um sportlich erfolgreich zu sein. Und ich habe gelernt mit dem Drumherum so umzugehen, dass es für mich okay ist. Dadurch glaube ich, bin ich sehr reif geworden und habe meine Karriere auf neue Säulen gestellt.

— Es gibt so viele Knieverletzungen im Schizirkus. Ist das Material belastender für den Körper als früher?

Anna Veith: Kniegelenke sind die am meisten beanspruchte Struktur beim Schifahren: Durch die extremen Winkel, die wir fahren, sind die Knie sind immer in einer Torsion, also verdreht. Mit den Jahren wurde auch das Material immer schneller. Früher ging’s bei einer Abfahrt gerade hinunter mit ein paar Richtungstoren. Heute geht es auch bei Abfahrten viel mehr hin und her, damit die Geschwindigkeit nicht zu hoch wird. Es gibt auch kein Rutschen mehr. Alles wird auf Zug gefahren. Nur wer top-athletisch ist, kann diesen Belastungen standhalten.

Aus klein wird groß

— Wie früh hast du denn schon mit dem Schi-Rennlauf begonnen?

Anna Veith: Mit zweieinhalb Jahren stand ich das erste Mal auf Schi. Mit fünf oder sechs Jahren bin ich dann Rennen gefahren. Als Kind war ich gut, aber nicht die Beste, war nur ab und zu auf dem Podest. Erst im Schüleralter ab der Skihauptschule, als ich Landes-Cup gefahren bin, war ich die Jahrgangsbeste. Von da an war auch Druck spürbar. Mir war klar: Wenn ich nicht gewinne, ist etwas schiefgelaufen.

— Sind Damen im Skizirkus, was die sportliche Betreuung betrifft, mit Männern wie etwa Marcel Hirscher mittlerweile gleichberechtigt?

Anna Veith: Seit ich das Problem angesprochen habe, hat sich schon etwas verändert, hauptsächlich das Bewusstsein dafür. Persönlich bin ich im Moment so gut betreut wie ich mir das vorstelle. Aber ich musste dafür auch meinen Mund aufmachen und sagen: So geht es nicht! Musste dafür auch einiges einstecken. Ich denke, es sind alle Möglichkeiten da. Wer sie ausschöpfen möchte, muss sich dafür auch einsetzen.

— Was hat dann dein erster WM-Titel 2011 in Garmisch ausgelöst?

Anna Veith: Stress! Kaum zu verkraften! Ich konnte mit der plötzlichen Bekanntheit gar nicht umgehen, wollte es auch nicht. Ich war diesbezüglich immer extrem sensibel. In den Jahren 2014 und 2015 hat sich alles nochmals gesteigert. Heute bin ich reifer, hab dazugelernt.

— Du zeigst auch eine andere Seite: Fotoshootings, Modeljobs. Wieso kannst du das?

Anna Veith: Auch nur durch Lernen. Fotografen helfen dir zwar, aber niemand hat mir gesagt, was ich bei den Aufnahmen tun soll. Ich hab’s unbewusst gemacht. Alles ist irgendwie passiert.

— Ich nehme an, es ist von Vorteil, wenn man fesch ist?

Anna Veith: Natürlich ist das ein Vorteil! (kichert)

Anna in Afrika


— Und die tollen Bilder mit Geparden…

Anna Veith: Ich wollte immer schon nach Afrika, dem Ursprung der Menschheit. Wollte wissen, was es heißt, in dieser wilden Natur zu sein, sie zu spüren. In einer Großstadt wie Wien kann ich das nicht erleben. Durch den Fotografen, der damals die Fotos in Namibia gemacht hat, habe ich erfahren, dass Geparden vom Aussterben bedroht sind, dass eine Botschafterin aus Europa zur Rettung dieser Tiere gesucht würde. Dieser Gedanke hat mich fasziniert. Ich hab sofort zugesagt. Wenn du Geparden, die schnellsten Landtiere der Welt, einmal in Freiheit erlebst, das hat etwas Prägendes. Als Sportler bekommst du so viel Aufmerksamkeit. Aber da draußen in der Wildnis Afrikas zählt das alles nichts. Ohne Auto, ohne Zelt würden wir nicht lang überleben.

— Bei deiner Liebe für Raubkatzen, hast auch du eine wilde Seite?

Anna Veith: Ja, aber nur im Sport… (lacht). Okay, es hat auch rasante Motorradfahrten gegeben. Früher war ich sicher um vieles wilder. Bin ja schon mit zwölf Jahren Motocross gefahren, aber das ist ja auch Sport. Den ich übrigens immer total intensiv ausgelebt habe.

— Du suchst offenbar immer nach Speed. Wird das eine Sucht?

Anna Veith: Kann passieren. Obwohl es eher das Adrenalin ist. Als Sucht würde ich bezeichnen, sich Herausforderungen zu stellen, die nur zu bewältigen sind, wenn man alles gibt. Danach überwiegt ein zutiefst befriedigendes Gefühl. Das ist die eigentliche Sucht.

Karriere-Höhepunkt: Olympia-Gold in Sotchi

— Zurück zum Schisport: Sind die Olympischen Spiele in Korea auch noch ein Ziel für dich?

Anna Veith: Ein Ziel auf jeden Fall. Ich habe das große Glück, dass ich ja schon Olympiasiegerin bin und es auch ein Leben lang bleibe. Ein Titel, den ich nicht verteidigen muss. Daher steht Olympia für mich im Moment noch im Hintergrund. Erst muss ich Leistungen im Weltcup erbringen, sonst hätte ich in Korea nichts verloren. Es wäre aber auch wichtig, spätestens zwei Wochen vor den Spielen schon in Topform zu sein. Was meine Olympia-Erfahrungen angeht, erinnere ich mich noch gut an meine ersten Spiele in Vancouver: Die waren eine große Enttäuschung für mich. Vor allem sportlich. Und auch das ganze Drumherum: Die weiten Wege und die vielen Sicherheitskontrollen waren für alle Athleten einfach nur anstrengend. Auch ich war damit ein Stück weit überfordert. Erlebnisse, die ich nach Sotschi mitgenommen habe. So bin ich praktisch ganz ohne Erwartungen hingefahren. Und das war genau die richtige Einstellung, um Erfolg zu haben.

— Gibt es Träume, Ziele für die Zukunft?

Anna Veith: Im Moment ist der Sport im Fokus. Was danach kommt? Schwer zu sagen! Ich weiß ja nicht, in welcher Situation ich sein werde, wenn ich aufhöre. Irgendwann will ich eine Familie gründen. Alles andere ist Zugabe.

— … und die Kinder werden Schifahrer?

Anna Veith: Vielleicht auch Snowboarder (lacht).

Von “Fenninger“ bis Anna Veith


Geboren am 18. Juni 1989 in Hallein
Aufgewachsen in Adnet, steht sie mit 2 Jahren das erste Mal auf Schi
2001: Besucht die Schihauptschule in Bad Gastein
2006: Weltcup-Debut in Levi (Finn­land)
2011: WM-Gold in der Superkombi in Garmisch, der erste Weltcup-Sieg folgt erst am 28. Dezember im Riesentorlauf in Lienz
2014: Olympiasieg im Super-G in Sotchi
2015: Gewinnt zum zweiten Mal den Gesamtweltcup. Im Oktober der Schock: Sehnenriss im Knie beim Gletschertraining
2016: Heirat mit dem Snowboarder Manuel Veith. Die Marke “Fenninger“ ist somit Geschichte.




http://www.anna-veith.com