Wie gewinnen wir gegen China?
2023 kamen aus der oberösterreichischen Stadt Steyr 1,2 Millionen Motoren – hergestellt im weltweit größten BMW-Motorenwerk, das Klaus von Moltke führt. Ein Gespräch über Politik, Innovation und Christkindlbriefe.
Vor 45 Jahren wurde der Spatenstich zum Bau des BMW-Motorenwerks in Steyr gesetzt. Wo sehen Sie den Standort 2069?
Individuelle Mobilität wird auch dann noch von Bedeutung sein und sie wird einen Antrieb brauchen – in welcher Form auch immer. Für BMW-Modelle werden diese Motoren zu einem großen Teil vom Standort Steyr kommen.
Manche Experten prognostizieren den Siegeszug der Self-Driving-Cars. Wie sehen Sie das?
Wir werden in diesem Bereich Fortschritte sehen. Inwiefern sich diese Technologie aber durchsetzt, hängt nicht nur davon ab, wie schnell wir als Industrie vorwärts kommen, sondern auch wie die Rahmenbedingungen angepasst werden.
Verliert die individuelle Mobilität dadurch an Bedeutung?
Es wird immer Kund:innen geben, die in gewissen Fahrsituationen das Lenkrad gerne selbst in die Hand nehmen. Die Angst, dass wir uns alle zu Hardware-Produzenten für die Googles und Apples dieser Welt entwickeln, teile ich nicht. Man konnte auch während der Pandemie beobachten, dass die Menschen gerne auf ihre eigenen Fahrzeuge zurückgreifen.
Individuelle Mobilität wird auch dann noch von Bedeutung sein und sie wird einen Antrieb brauchen – in welcher Form auch immer.
Klaus von Moltke, BMW-Werksleiter
In das Werk wird ein Milliardenbetrag investiert, bald sollen hier E-Motoren im großen Stil produziert werden. Diese sind weniger komplex. Fallen Arbeitsplätze weg?
Der Elektromotor, so wie wir ihn heute kennen, ist grundsätzlich einfacher als ein komplexer Verbrenner. Doch der Elektromotor, den wir bauen werden, ist eine integrierte Einheit, die Motor, Getriebe und Steuereinheit kombiniert. Je nachdem, wie hoch die Fertigungstiefe sein wird, also wie viele Komponenten „inhouse“ produziert werden, ist der Arbeitsinhalt vergleichbar mit der Produktion von heutigen Sechszylinder-Verbrennungsmotoren. Deshalb ist das Beschäftigungsverhältnis pro Antriebseinheit ähnlich.
Können Mitarbeiter:innen, die aktuell an Verbrennungsmotoren arbeiten, einfach so an Elektromotoren arbeiten?
Natürlich braucht es bei E-Maschinen andere Kompetenzen. Hier müssen beispielsweise Schrauben mit einem Drehmoment von unter einem Newtonmeter angezogen werden. Da überzieht man und beschädigt die Komponente, wenn man nicht nur leicht mit den Fingern dreht. Aber wir haben erstens ein breites BMW-Netzwerk, zweitens Kooperationen mit diversen Fachhochschulen und Universitäten und drittens gibt es auch Ausbildungsprogramme bei uns im Werk.
Welche Bedeutung hat die Automobilindustrie denn generell für Österreich?
Unsere Wirtschaft lebt nicht nur vom guten Wein, dem Käse und den Bergen. Österreich ist auch ein Automobilland. Die Industrie schafft Beschäftigung und Umsatz. Deshalb ist es wichtig, den Standort wettbewerbsfähig zu halten.
Wie gelingt das, wenn Staaten wie China ihre Industrie massiv subventionieren?
Die Bedingungen sollten fair sein. Auch chinesische Hersteller müssen sich an unsere Regeln anpassen und etwa Lieferkettengesetze halten oder einen Battery Pass führen (eine Dokumentation des Batterielebens von der Produktion über die Nutzung bis zur Wiedernutzung und dem Recycling, Anm. d. Red.). Allerdings sind wir gegen die von der EU beschlossenen Strafzölle, denn diese führen letztendlich zu drastischen Gegenreaktionen. Wir müssen uns dem Wettbewerb stellen anstatt zu versuchen, ihm zu entgehen.
Wie wird das Match ausgehen, da China auf beträchtlichen Ressourcen sitzt?
Jeder uns heute bekannte Antrieb ist mit Chancen, aber auch mit Risiken verbunden. Die Abhängigkeit von Rohstoffen und Technologien ist jenes Risiko, das wir im Zusammenhang mit E-Mobilität sehen. Ich befürchte, dass Europa beim Infrastrukturausbau an Grenzen stoßen und nicht in der Geschwindigkeit vorankommen wird, die es braucht. Deshalb sollten wir uns nicht auf eine Technologie fokussieren, sondern ein Tor für Innovationen offen lassen.
Welche denn? Was sind die Alternativen?
E-Fuels können helfen. Wir sehen aber auch großes Potenzial bei Wasserstoff – nicht nur für die individuelle Mobilität, sondern für viele Sektoren. In Deutschland sind 2022 mehr als sechs Terawattstunden Energie nicht ins Netz eingespeist worden. Damit hätten wir 100.000 Tonnen Wasserstoff produzieren und Millionen von Kilometern fahren können.
Aktuell sind Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Autos sehr teuer. Warum sollte sich das ändern?
Wenn ein Hersteller nur ein paar Tausend Stück von einem Fahrzeug verkauft, sind die Entwicklungs- und Produktionskosten natürlich deutlich teurer. Deshalb kooperieren wir beim Thema Wasserstoff auch mit Toyota, um den Einmalaufwand, die Entwicklungsleistung und die Herstellungskosten möglichst niedrig zu halten. 2028 wird BMW ein Brennstoffzellen-Fahrzeug auf den Markt bringen.
Leistbare Mobilität braucht also Masse?
Das ist ein wesentlicher Faktor, der im Übrigen auch für Elektromobilität gilt. Setzt sie sich langfristig durch, wird sie kein Luxusobjekt bleiben – zumindest, wenn die Rahmenbedingungen passen. Wir rechnen dann mit ähnlichen Preisen wie bei Verbrennern.
In Österreich ist BMW die aktuell zweiterfolgreichste Marke bei den Neuzulassungen von E-Autos. Was machen Sie besser als die anderen?
Ich glaube, der Ansatz, durch technologieoffenen Umgang Fortschritte zu machen, war der richtige. Wir lassen alles offen, arbeiten kontinuierlich an Innovationen und haben dadurch immer mindestens ein zweites Standbein, auf das wir setzen können. Wir fokussieren uns nicht nur auf ein Segment oder eine Antriebsform, sondern berücksichtigen, wie sich die Zustände und Rahmenbedingungen am Weltmarkt entwickeln. In Österreich sehen wir eine sehr gute Entwicklung bei der Elektromobilität, aber das passiert nicht überall. Deshalb sind wir mit einer mehrgleisigen Strategie für diese Übergangsphase besser aufgestellt.
Global läuft es bei BMW aktuell nicht optimal, wegen Problemen in der Zulieferindustrie müssen 1,5 Millionen Fahrzeuge zurückgerufen werden, Dingolfing, das größte Werk der Marke in Europa, stand längere Zeit still. Wie wirkt sich das auf Steyr aus?
Natürlich hat all das Auswirkungen auf uns. Wir müssen flexibel reagieren und trotzdem sicherstellen können, dass wir lieferfähig sind, wenn Motoren gebraucht werden – und zwar mit der richtigen Qualität. Aber genau das ist eine Stärke des BMW-Standorts in Steyr. Wir können das sehr gut abfedern.
Rechnen Sie mit dem Verbrenner-Aus aus 2035?
Im Fokus sollte das Erreichen der Emissionsziele stehen, nicht das Verbot einer bestimmten Technologie. Und wir sollten alle Sektoren im Blick haben, nicht nur die Automobilindustrie. Ohne Energiewende wird es keine Mobilitätswende geben. Wir wollen uns als Automobilindustrie nicht herausreden, aber BMW allein wird das Problem nicht lösen können.
Von 2035 zu 2025: Nächstes Jahr werden neue CO2-Flottengrenzwerte eingeführt. Wer sie nicht erreicht, muss Strafen zahlen. Wie ist die Lage bei BMW?
Diese Ziele sind nicht erst seit gestern bekannt. Wir haben uns auch dementsprechend gut aufgestellt, sind vorbereitet, werden sie erreichen und stellen sie auch nicht zur Diskussion.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Versäumnisse in der Politik?
Mobilität ist ein Emissionsfaktor und muss transformiert werden. Hierfür sollten aber die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden – und zwar nicht über eine Politik der Verbote, sondern über eine, die Innovationen fördert.
Ihr Christkind-Brief an die Politik?
Wir müssen gemeinsam verhindern, dass das Fahrzeug zum Luxusobjekt wird. Das gilt besonders für E-Mobilität. Es kann nicht sein, dass nur jene mit einem eigenen Haus samt Photovoltaikanlage am Dach ein Elektroauto fahren können und wir auf die Menschen in Wohnungen in der Stadt vergessen. Deshalb braucht es auch weiterhin punktuelle Anreize. Die müssen dann aber auch fortbestehen, denn was passiert, wenn sie plötzlich verschwinden, haben wir Ende 2023 in Deutschland gesehen.
Als die Förderungen für E-Autos ausliefen, ging der Absatz von E-Autos rapide zurück.
Genau. Das hat Unsicherheiten beim Endverbraucher erzeugt. Die Menschen behalten dann lieber ihre alten Autos, weil sie unsicher sind, welchen Antrieb sie wählen sollen. Wie Günther Kerle, Vorsitzender des Arbeitskreises der Automobilimporteure, bei einer Präsentation, in der die heimische Automobilwirtschaft einen Appell an die künftige Regierung richten konnte, gesagt hat: "Man muss die Rechnung schon gemeinsam mit den Konsumentinnen und Konsumenten machen."