Der anders Denkende
Josef Zotter ist ein innovativer Unternehmer und Chocolatier mit höchsten Ansprüchen. Im Interview spricht er über Schoko mit Fischgeschmack sowie unternehmerische Höhen und Tiefen.
Das hübsche Fleckchen am Bergl mit Blick auf die wunderschöne steirische Hügellandschaft ist ein kleines Paradies. Wir sitzen in einem der größten Kreativ- und Produktionszentren für Schokolade weltweit, umgeben von einer biologischen Landwirtschaft, der Zotter Erlebniswelt und einem "Essbaren Tiergarten". Der sympathische Unternehmer Josef Zotter ist seit 30 Jahren Mastermind des gleichnamigen Unternehmens. Er lacht viel, erzählt von seiner Passion für Schokolade, spricht über Bio-Qualität und resümiert.
— Können Sie nach so viel Jahren Schokolade noch richtig genießen?
JOSEF ZOTTER:Aber natürlich! Jeden Tag, wenn ich die vielen Sorten professionell verkoste. Zotter-Schokolade ist ein Handwerk und ich bin die Qualitätskontrolle. In der Produktion arbeiten bei uns 120 Menschen. Mir ist Qualität enorm wichtig, daher produzieren wir sehr kleine Chargen mit nur 1.125 Stück Schichtschokolade, die wir von Hand verkosten. Das mache ich sehr häufig auch selbst. Für die Qualität will ich Spannung im Betrieb erzeugen. Das heißt: Es gibt Jobrochaden, damit Abwechslung herrscht, die Mitarbeiter:innen aufmerksam arbeiten und immer mit voller Konzentration dabei sind.
— Und Sie selbst sind nach wie vor mittendrin in der Produktion?
JOSEF ZOTTER:Ich habe darüber sogar ein Buch geschrieben. Für mich gehört der Chef an die Werkbank. Buchhaltung oder Strategie, das machen andere besser als ich. Wissen Sie, jeder hat ein Talent für irgendetwas. Ich kann Rezepte kreieren und abspeichern. Ich weiß exakt, wieviel Pfeffer, Kardamom, Salz, Himbeer, Schokolade oder Vanille bzw. Nougat in der Schokolade steckt. Daher bin ich sehr gern in der Produktion.
— Was war ihre letzte Kreation?
JOSEF ZOTTER:Wir feiern heuer 30 Jahre Zotter. Dafür habe ich zuletzt die Geburtstagsschokolade "Herzblut und Himbeerfisch" erfunden.
— Das klingt herausfordernd für die Geschmacksnerven…
JOSEF ZOTTER:Beim Geschmack geht es immer um Harmonie. In einer unserer Kreationen stecken zum Beispiel karamellisierte Mehlwürmer. Bei den Blindverkostungen läuft diese Schoko unter "Schokoschocker" (lacht). Aber das Erstaunliche: 95 Prozent der Verkoster tippen auf Nougat als Hauptzutat. Das heißt also, es kommt auf die Kombination an.
Für die Sorte "Herzblut und Himbeerfisch" habe ich lange getüftelt. In dieser Schoko steckt Schweineblut. Das klingt vielleicht grauslich, aber wenn man es sich genau überlegt, Blut ist in jedem Schnitzel drin. Blut ist relativ geschmacklos, hat nur ein wenig Eisenanmutung. Dazu gibt es, typisch steirisch, eine Kürbiskern-Nougatschicht.
Der Fischgeschmack hat mich lange beschäftigt; bis mir die Idee kam, ihn in Kokosfett zu betten. Das kennen wir alle aus der asiatischen Küche. Kokos nimmt dem Fischgeschmack die Intensität. Kokos mit Himbeere zu mischen, war dann eine logische Kombination. Dazu kommt aber noch ein weicher Fischgummi, sprich ein Marshmallow mit leichtem Forellengeschmack. Dieser Marshmallow wird hauchdünn mit weißer Schokolade überzogen und obenauf kommt zusätzlich eine Weißweinschicht mit Karamellkuvertüre. So wird diese Zusammensetzung im Ganzen harmonisch.
Und falls Sie das gerade fragen wollten: Nein, ich habe keine Lieblingsschokolade. Jede Rezeptur hat eine eigene Geschichte und ist wie ein eigenes Kunstwerk. Ich mag sie alle.
— Stichwort Ibiza-Affäre – da gab es doch auch eine spezielle Schokoladenkreation?
JOSEF ZOTTEr: (lacht) Ja, rund um die Ibiza-Affäre des damaligen Vizekanzlers brachten wird die Kreation "Bergl statt Ibiza" auf den Markt, das war ein echter Erfolg. Die Schokolade war innerhalb von drei Tagen "zack, zack, zack" hergestellt. Statt Koks, Red Bull und Wodka beinhaltet sie Hanfnougat und Zwetschkenschnaps, dazu eine sehr dünne "blaue" Schicht aus Johannisbeerschoko und Chili "um die Geschmackslinse scharfzustellen", wie es im Infotext der Verpackung heißt. Wir nahmen also Bezug auf die Aussage des damaligen Vizekanzlers Heinz Christian Strache: "Ma, is de schoaf". Das i-Tüpferl war die symbolische reine weiße Weste aus weißem Schokoüberzug. Wir haben damals zunächst nur 2.000 Stück produziert, dann aber in drei Wochen 80.000 Stück verkauft, das war verrückt.
Ich habe keine Lieblingsschokolade. Jede Rezeptur hat eine eigene Geschichte und ist wie ein einzigartiges Kunstwerk. Ich mag sie alle.
Josef Zotter, Gründer und Inhaber des gleichnamigen Unternehmens in der Steiermark
Zotter-Allerlei in Wort und Bild
1.500 Sorten und 80 Innovationen
— Wieviel Schokolade-Variationen haben Sie bisher auf den Markt gebracht?
Josef Zotter:Ich schätze 1.500 Sorten. Wir erfinden jährlich bis zu 80 Innovationen. Da müssen wir auch einige aus dem Sortiment nehmen, manchmal auch beliebte Sorten. Für sie gibt es draußen am Hügel unseren Schokoladen-Friedhof, ca. 700 Sorten liegen da begraben und können von Besucher:innen und uns betrauert werden.
Aber es braucht einfach stets neue Ideen. Ich hatte z.B. sehr früh die Idee für ein Sortimentssplitting. Ich weiß, dass die Leute bestimmte Geschmacksrichtungen lieben: Marzipan, Nougat, Milchschokolade. Das heißt: Ein Drittel unserer Schokoladen beinhaltet diese Geschmäcker, das sind die Cashcows im Marketing. Über diese wird nicht geredet, aber sie werden gekauft.
Dann gibt es ein weiteres Drittel, das sind jene Schokolade-Kreationen, die vielleicht kurz vor dem Durchbruch stehen. Ich nenne sie Question Marks, weil es noch fraglich ist, wie populär sie tatsächlich werden.
Das dritte Drittel sind die extremen und schrägen Kreationen, die kauft keiner. Dieses Drittel ist einzig dafür da, dass darüber geredet wird. Gute Produkte brauchen gute Geschichten.
— Es gab für Zotter nicht nur gute Zeiten, es waren auch herausfordernde Jahre dabei. Vor bald drei Jahrzehnten sind Sie mit ihren Konditoreien in Konkurs gegangen. Sie sprechen aber offen darüber und sagen, Sie hätten dabei viel gelernt…
Josef Zotter:Lassen Sie mich von vorne beginnen. Nach meiner Ausbildung zum Koch, Kellner und Konditor, ging ich nach New York in die Luxushotellerie. Das war für mich der erste Scheideweg: Ich habe mich damals gefragt, ob ich tatsächlich in der Luxusgastronomie bleiben will. Will ich das Aufgeblähte, die Dekadenz? In einer Blase leben? Ich entschied mich dagegen und machte mich gemeinsam mit meiner Frau mit einem Kaffeehaus und einer Konditorei in Graz selbstständig. Wir waren jung, engagiert und euphorisch.
Ich wollte neue Produkte kreieren, aber es war eine alte Konditorei, das Publikum passte nicht zu uns. Also habe ich zuerst Chili in die Sachertorte gemischt und bald darauf gab es unsere "Hanftorte". So habe ich mir die jungen Leute geholt – aber auch die Polizei und die Medien, obwohl die Hanfsamen kein berauschendes THC beinhalteten und natürlich legal waren. Durch diesen Coup war jedenfalls die Hütte voll. Im nächsten Schritt erfand ich die handgeschöpfte Schichtschokolade, die wir bis heute produzieren.
Zotter bei Kakaobauern in Afrika und Südamerika
Der Weg zum Erfolg
—Was ist dann passiert?
Josef Zotter:Durch den Erfolg ging ich, wie man so sagt, aufs Eis tanzen. Ich dachte, ich hätte nun ausreichend Erfahrung und Wissen. Aber ein Unternehmen zu führen ist nicht so einfach. Kurz erklärt: Ich habe zu schnell zu viel investiert. Innerhalb von drei Jahren gab es drei Konditoreien und mehr als 50 Mitarbeiter:innen. Ich habe auch sehr viel selbst gemacht und dabei ein wenig den Überblick verloren. Da ist mir meine Liebe zur Perfektion in die Quere gekommen.
—Wie haben Sie es nach der Insolvenz angelegt?
Josef Zotter:Zunächst ging es um die Sanierung. Es war ein harter Weg, weil ich wollte weder bei der Ware noch bei den Menschen sparen. Ich musste lernen, alles Schritt für Schritt neu aufzubauen, ohne Kredite dafür zu beantragen. Das Unternehmen basiert also zu hundert Prozent auf Eigenkapital. Und ich habe mich auf eine Sache fokussiert: die Schokolade.
—Es ist also kein Start-up, das von Investoren getragen wird?
Josef Zotter:Genau. Investitionen in Start-ups sind oft wie der Einsatz im Casino: Man kann sehr viel gewinnen oder sehr viel verlieren. Aus meiner Sicht bleibt das Wichtigste die Idee und ihre Alleinstellung. Dafür befrage ich aber nicht den Markt, sondern ich mache eigentlich immer das, was ich für gut befinde. So kann ich kann heute sagen, dass ich für eine Kultur des Scheiterns stehe, die eine positive Entwicklung in Gang gesetzt hat. Und das ist oft so. Darüber spreche ich häufig mit Jungunternehmer:innen. Nach dem Scheitern war ich vorsichtiger. Und ich hatte auch Glück.
Von der Bohne zum Schokoladenriegel
—Sie produzierten schon sehr früh biologisch, zu 100 Prozent fair und von Bean-to-Bar, also von der Bohne bis zur Tafel.
Josef Zotter:Ich bin sehr früh draufgekommen, dass die Verarbeitung mit der Produktion der Bohnen beim Kakaobauern beginnt. Also fuhr ich bald nach Nicaragua. Die Bauern mussten verstehen, dass ein höherer Preis nur bei einer hohen Qualität des Produktes möglich ist. Dafür wiederum ist es wichtig, dass die Menschen in den Ländern eine gute Ausbildung haben. Meine Mitarbeiter:innen und ich sind heute in engem Kontakt mit allen Bauern von Südamerika über Afrika bis Asien. Nur so funktioniert die Partnerschaft langfristig.
—Sie sind heute auch im Ausland sehr erfolgreich.
Josef Zotter:Wir machen rund 60 Prozent des Umsatzes in Österreich, 30 Prozent in Deutschland und zehn Prozent in anderen Ländern, allen voran in den USA und in China. Das war nicht immer so. Vor einigen Jahren war der Umsatz im Ausland deutlich höher. Die Welt verändert sich. Außerdem haben sich die Transportkosten für Kakao versechsfacht, das Papier für die Verpackungen ist ebenfalls sehr teuer geworden.
—Apropos Papier. Eines Ihrer Markenzeichen sind die Zeichnungen von Andreas H. Gratze auf den Verpackungen Ihrer Schokoartikel.
Josef Zotter:Er ist ein großartiger Künstler. Andreas habe ich beim Heer kennengelernt, als wir beide sehr jung waren. Er hat dort ständig auf Blöcken herumgekritzelt. Nach dem Heer hat er Kunst studiert und wir haben uns aus den Augen verloren. Nach Jahren stand er plötzlich im Haus und begann bei uns zu arbeiten. Es war kurz vor Weihnachten und ich ließ damals erste Entwürfe für Verpackungsdesigns von Agenturen vorlegen. Ich wusste, es braucht was Lässiges. Die Entwürfe von einem Krampus zeigte ich Andreas. Er sagte nichts, nahm einen Zettel und zeichnete in einer Minute seine Vorstellung eines Krampus. Die Schokoladen sollten dann "Für Brave" und "Für Schlimme" heißen. Andreas schlug "Für Schlingel" vor. Ich nahm sein Design und ging auch auf die Schlingel-Idee ein – schließlich verkauften wir fast 80 Prozent "Schlingel". So hat unsere langjährige Zusammenarbeit begonnen.
—Sie haben überhaupt ein Herz für Kunst.
Josef Zotter:Kunst hat mich immer sehr inspiriert. In der Kunst liegt meist eine wahnsinnige Entwicklung, sie ist klar vorwärts gerichtet. Hier im Haus hängen und stehen viele unterschiedliche Kunstwerke. Im Verkaufsraum hängen Human-Fat-Paintings von Oskar Stocker, die mit abgesaugtem Menschenfett gemalt wurden, ein Statement wie ich finde. Und im Kunstpark mit Teichanlage stehen Skulpturen regionaler Künstler wie Paul Mühlbauer, Helmut Kohl oder Josef Lederer.
Biobauernhof Zotter
—Sie setzen auf mehrere Standbeine und gelten als "Andersdenker". Was heißt das genau?
Josef Zotter:Vielleicht kann man es so sagen: Ich bin beseelt davon etwas Besonderes zu schaffen. Das darf ich und das ist schön. Wir haben hier eine Erlebniswelt geschaffen. Wir zeigen die reale Produktion, es gibt 300 Verkostungsstationen, ein Schokoladen-Theater mit zwei Kinos und den Shop. Hier können Besucher:innen die vielen Variationen des Kernprodukts kaufen: hunderte Sorten von Schokotafeln, Pralinen, Biofekt, Kuvertüren, Deko, Hammerschokolade, Schokoblöcke usw. Neu sind unsere Hanf-Joints in echtem Graspapier und die Schicki Micki, eine Schoko mit Champagner in Form eines Sektkorken – ideal für Silvester.
Außerdem gibt es Schoko-Tapas, neue Produkte rein mit Dattel- oder Kokosblütenzucker, vegane Ideen oder unsere Infusionen und Shots, die als Medikamente verpackt sind, inklusive Beipackzettel. Ganz modern und beliebt ist auch unsere App "Mixing Bar", wo man 22 Milliarden, ja wirklich Milliarden, Möglichkeiten hat, seine eigene Schokolade zusammenzustellen. Sehr stolz bin ich auf unsere Choco-Roboter, lernende Roboter, die sehr feine Variationen herstellen und untereinander sogar kooperieren.
—Und es gibt einen Bio-Bauernhof…
Josef Zotter:Neben der Schokolade setzen wir auf die biologische Landwirtschaft. Draußen gibt es seit 12 Jahren den "Essbaren Tiergarten", den lieben die Kinder genauso wie die Schokolade. Es ist eine Biolandwirtschaft auf großer Fläche. Hier leben viele vom Aussterben bedrohte Rassen wie Hochlandrinder, Wasserbüffel, Strauße, Schafe, Ziegen, Lamas oder schwarze Puten. Sie leben hier und wir schlachten und verwerten die Tiere auch. Zudem gibt es den eigenen Wein Muscaris. Ganz neu planen wir "Utopia", einen Urwald mit einer Mischkultur aus Weinreben, Pflanzen und Gemüse. Und: das gesamte Werk ist zu 64 Prozent energieautark – wir nutzen Photovoltaik und ein Hackschnitzelwerk.