Die Buhlschaft: Die Bühne, mein Zuhause

Stefanie Reinsperger ist die gefragteste Schauspielerin im deutschsprachigen Raum. Klar, dass Tobias Moretti sie als Buhlschaft im Salzburger "Jedermann" an seiner Seite haben wollte. Wir haben den Theater-Jungstar auf eine Melange getroffen.

Die Stunden vor Stefanie Reinpergers Auftritt: Sie steht im Fitnesstudio am Hometrainer und schaut sich auf Netflix ein paar Serien an. Später, am Weg zur Garderobe, hört die 29-Jährige Musik von einer Playlist, die sie speziell für die Rolle zusammengestellt hat – eine intensive Einstimmung. "Die Stimme und der Körper – das sind die Instrumente, mit denen Schauspieler auf die Bühne gehen; sie gehören aufgewärmt."

Stefanie fühlt sich auf der Bühne wie zu Hause – "auf der Bühne sogar noch ein bisschen wohler als privat". Ab 21. Juli steht Stefanie Reinsperger als Buhlschaft im heurigen "Jedermann" auf dem Salzburger Domplatz.

Für mich war es wichtig zu wissen, wer den Jedermann spielt

— Warum fühlst du dich auf der Bühne wohler als im echten Leben?

Stefanie Reinsperger: Weil ich alles sein kann: Ich darf ungerecht sein und Sachen ­sagen, die ich sonst nicht sagen würde. Ich trage immer den Schutzmantel der Geschichte und der Figur. Privat handle ich überlegter und bin ruhiger und das ist auch gut so, sonst hätte ich, glaube ich, nicht so viele Freunde (lacht). Meine Energie gehört auf die Bühne. Ich möchte sie den Zuschauern schenken. Wenn ich viel arbeite, dann bin ich auch viel ausgeglichener.

— Du wurdest letztes Jahr zur besten Nachwuchsschauspielerin gekürt. Hat man dein Talent schon in deiner Kindheit erkannt?
Stefanie Reinsperger: Ich habe schon mit vier Jahren in einer Kindertheatergruppe gespielt, später dann im Theater der Jugend. Mit zwölf Jahren hatte ich im Theater im Zentrum eine Aufführung. Danach kam ein Schauspieler zu mir und meinte: "Überleg dir das mal, das kann man auch studieren." Meine Eltern standen neben mir und waren ganz aufgeregt.

Ich komme aus einer Familie, in der immer schon sehr viel gespielt worden ist. Meine Schwester und ich haben sehr wenig ferngesehen. Wir haben uns verkleidet und sind in Rollen geschlüpft. Auch meine Eltern. Mein Papa hat mit Hingabe den bösen Zwerg in "Schneeweißchen und Rosenrot" gespielt – mit Stock und Bart. Dadurch war meine Fantasie bereits als Kind schon angeregt.

— Und jetzt stehst du als Buhlschaft am Domplatz bei den Salzburger Festspielen.
Stefanie Reinsperger: Ich habe als Kind bereits "Jedermann" im Fernsehen gesehen. Jetzt bin ich plötzlich mit von der Partie. Das ging wirklich schnell (lacht). Ich weiß noch, als im Winter mein Handy geklingelt hat: Es war Bettina Hering,  Schauspielchefin der Salzburger Festspiele. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass es um die Buhlschaft gehen würde. Ich war völlig in Trance. Ich habe es aber trotzdem geschafft, gleich zu fragen, wer den Jedermann spielen wird. Weil die Rolle der Buhlschaft funktioniert ja nicht alleine. Keine Rolle funktioniert ohne den Partner. Aber vor allem diese nicht! Und Tobias Moretti, der heuer als Jedermann auf der Bühne steht, hat den Wunsch geäußert, dass ich die Buhlschaft verkörpern soll. Ich bin wahnsinnig stolz. 

— Jeder spricht über das Kleid der Buhlschaft, was bedeutet es dir?
Stefanie Reinsperger: Generell sind mir Kostüme nicht so wichtig. Denn wenn ich nicht verstehe, was ich da ­sage, dann hilft mir auch eine äußere Hülle nichts. Ich will ja die Figur von innen heraus verstehen. Bei "Jedermann" ist das aber etwas anderes. Das Kleid steht ja im Zentrum der Aufmerksamkeit. Als Kind wollte ich immer die einfache Magd sein. Die arme Geschundene, die den Reichen zuarbeitet. Das sind ja im Märchen meistens die Figuren mit der reineren Seele.

Es ist wichtig, klein anzufangen

— Du hast deine Schauspielausbildung im Max-Reinhardt-Seminar in Wien absolviert. Gegen wie viele junge Talente musstest du dich behaupten?

Stefanie Reinsperger: Es werden pro Jahrgang zwölf Teilnehmer genommen. Damals hatten sich über 800 beworben. Ein Wahnsinn. Ich bin echt froh, dass ich es geschafft habe. Zu Beginn der Ausbildung dachte ich mir, oh Gott, jetzt bin ich drinnen. Aber dann geht die Angst erst richtig los: Man fragt sich, ob man Aufträge bekommen wird. Im dritten Jahr habe ich aber schon zu drehen und zu spielen begonnen und nach der Ausbildung gleich eine fixe Anstellung im Schauspielhaus Düsseldorf bekommen. Verrückt.

— Das klingt nach einem perfekten Start. Musstest du auch Niederlagen erleben?

Stefanie Reinsperger: Doch, in Berlin. Gleich nach der Matura hatte ich mich für die Aufnahmeprüfung an der Ernst-Busch-Schauspielschule angemeldet. Ich bin in der Endrunde rausgeflogen. Damals habe ich niemandem erzählt, außer meiner Familie, dass ich überhaupt vorgesprochen habe. Ich habe mich einfach geschämt. Ich war total fertig, habe geweint und wollte nie wieder vorsprechen. Ich habe nichts geredet, nichts gegessen und nichts getrunken. Mein Vater und meine Mutter empfingen mich bei meiner Ankunft am Flughafen Wien mit einer singenden Stoffblume. Mein Vater sagte immer, nimm dir ein Jahr Zeit. Es gibt Schauspieler, die 30 Mal vorsprechen und nicht schlechter sind als jene, die ihre Aufnahmeprüfung auf Anhieb schaffen. Wenn man nicht genommen wird, muss das ja nicht heißen, dass man nicht gut ist, sondern vielleicht, dass man als Typ nicht reinpasst. Deswegen ist es so schwierig.






Ich spiele auch gerne auf kleinen Bühnen, da habe ich mehr Kontakt zum Publikum.






Stefanie Reinsperger, Schauspielerin


— Hast du Tipps für junge Schauspiel-Talente?

Stefanie Reinsperger: Sie sollen nicht vergessen, wo sie herkommen. Und nicht denken, dass sie eh alles können, weil sie es gelernt haben. Sondern klein anfangen – nicht größenwahnsinnig werden, sich selbst keinen Stress machen. Ich ärgere mich, wenn junge Studenten Engagements in "zu kleinen" Städten absagen – das macht mich echt ganz grantig. Es ist wichtig, klein anzufangen und Verantwortung zu bekommen und sich diese dann auch zu verdienen. Jemandem, der in einer Schauspielschule vorsprechen möchte, rate ich: Geh oft ins Theater. Da lernt man so viel. Und kann sich dabei bewusst werden, ob man davon ein Teil werden möchte. Natürlich muss man auch seine Rollen üben und wissen, was man sagt.

Volkstheater Wien – Medea von Franz Grillparzer / Regie Anna Badora


Theater ist ein Gemeinschaftssport

— Schauspiel-Angebote hast du ja genug. In der letzten Spielzeit bist du am Volkstheater in sechs verschiedenen Stücken aufgetreten. Weißt du auf der Bühne dann noch, welche Rolle du gerade spielst? ;-)

Stefanie Reinsperger: Das Stück kenne ich schon (lacht). Ich muss aber sehr wohl unterscheiden können: Und zwar habe ich einerseits die eine Titelrolle in "Kasimir und Karoline" gespielt – die Karoline ist eine exaltierte Figur, die sehr überzeichnet ist –, andererseits den Philoktet in dem Stück von Heiner Müller. Dafür brauche ich wiederum das innere Gleichgewicht. Ich darf in der Herangehensweise der Rollen nichts verwechseln. Das ist der tollste Denksport, den es gibt (lacht).

— Du hast von den speziellen Energien gesprochen, die während des Schauspiels zwischen den Akteuren entstehen. Kannst du das beschreiben?

Stefanie Reinsperger: Theater ist ein Gemeinschaftssport. Ich kann mich auf meine Rolle so viel vorbereiten wie ich will, aber wenn mein Gegenüber nicht mit an Bord ist, wird das nichts. Ein guter Regisseur schafft, dass er alle Schauspieler dazu bringt, miteinander zu schweben. Das ist dieser tolle Zustand im Theater. Es geht nicht mehr um Rollen oder Texte, es geht nur noch um Situationen. Das streben wir alle jeden Abend im Theater an.

— Wie lange brauchst du nach einem Stück, bis du wieder aus der Rolle draußen bist? Hast du dafür ein Ritual?

Stefanie Reinsperger: Dafür gibt es kein Rezept. Es kommt auf die Vorstellung an. Ich vergleiche das Theater immer sehr gerne mit dem Sport: Schifahrer haben nach der Ziel-Linie dieses Bogerl, das sie noch fahren. Dieses Bogerl ist für mich die Zeit in der Garderobe. Ich muss natürlich abkühlen nach jeder Vorstellung, denn ich spiele immer sehr, sehr, sehr anstrengende Rollen (lacht), eben auch körperlich. Ich schwitze Rotz und Wasser. Der Körper muss sich einfach beruhigen danach. Man darf nicht vergessen, dass ich während der Vorstellung in diesen zwei bis drei Stunden eine Figur so intensiv lebe – das erleben andere Menschen in Jahren nicht (lacht). Es gibt aber auch Abende, wo man als Figur selbst schon runter kommt. Als Philoktet in Heiner Müllers gleichnamigem Stück werde ich 20 Minuten vor Schluss umgebracht und darf dann in den Armen meines Partners liegen. Da machen dann die anderen die Arbeit, ich liege nur.

Generell sitze ich in der Garderobe mit Kollegen noch sehr gerne zusammen – oder auch mit Zuschauern. Oder ich gehe zu Fuß nach Hause und lasse meine Gedanken fließen.

Wenn ich einen Soloabend vor mir habe, kann ich davor keine Freunde treffen. Ich brauche meine Energie für die Bühne.

Stefanie Reinsperger, Schauspielerin.

Nackt sein kann für eine Rolle wichtig sein…

— Du stehst auch nackt auf der Bühne, vergisst man das mit der Zeit?
Stefanie Reinsperger: Generell ist es eine Entscheidung, die mit dem Regisseur gemeinsam getroffen wird. In meinem zweiten Berufsjahr hat mich mein Regisseur gefragt, ob ich nackt spielen möchte, weil es eben für das Stück damals wichtig gewesen wäre. Ich war völlig überfordert. Ich habe es bei der Premiere dann auch nicht gemacht – dafür nach der elften Vorstellung. Das war ok, weil es ein großartiger Regisseur war und generell ein tolles Team. Es sehen einen ja nicht nur die Zuschauer – sondern auch alle Kollegen und alle Techniker. Ich stand damals nackt zwei Zentimeter vor der ersten Reihe. Nach dem Stück gab es dann eine Riesenparty, meine Kollegen fanden es toll von mir, denn keiner hatte gewusst, dass ich nackt spielen würde. Das war ein wichtiger Schritt für mich, das hat etwas in mir freigesetzt. Ich würde es aber auch heute nicht gleich in der ersten Probe anbieten. Wenn ich das Gefühl habe, dass es zu einer Situation oder einer Figur etwas beiträgt, dann bin ich dazu bereit. In Tschechows Iwanow habe ich eine Todkranke gespielt, die vom Arzt gewaschen und mehr oder weniger missbraucht wird. Die Szene in der Badewanne habe ich natürlich nackt gespielt.

Stefanie Reinsperger als Titelfigur

Volkstheater Wien – Nora³ von Henrik Ibsen/Elfriede Jelinek<br />
Regie Dušan David Pařízek<br />
&nbsp;


Wien hat eine ganz besondere Atmosphäre

— Du hast auch einige Erfahrung&nbsp;im Film und Fernsehen sammeln können – wie etwa im Landkrimi "Die Drachenfrau". Hast du darauf wieder Lust?

Stefanie Reinsperger: Ja, das hat mir extrem viel Spaß gemacht. Ich habe aber keinen Stress, weil ich es auch ok finde, dass nicht alle alles machen können. Ich will nicht, dass die Zuschauer denken: Nicht die schon wieder. Deswegen finde ich es sehr cool, dass ich dieses Medium erst punktuell für mich entdeckt habe. Außerdem bin ich ab September wieder in einem festen Engagement mit dem Berliner Ensemble und das hat für mich Priorität. Meine Agentin und ich, wir sagen immer: Wir schaffen beides. Wenn spannende große Filmrollen kommen würden, dann muss ich schon sehr gut abwägen, was ich möchte. Ich bin froh, dass es beides gibt, denn es sind ganz unterschiedliche Medien und als Schauspieler funktioniert man in beiden unterschiedlich.

— Parallel zur Festspielzeit beginnen bereits deine Proben am Berliner Ensemble in deiner neuen Wahlheimat. Was wirst du an Wien vermissen?

Stefanie Reinsperger: Wien hat eine ganz besondere Atmosphäre: Wien hat keinen Stress. Ich mag das Ruhige, diese Langsamkeit. Berlin ist eine ganz schnelle Stadt, wo sich täglich so viel verändert. Natürlich werde ich meine Familie und meine Freunde vermissen, aber zum Glück sind die beiden Städte mit dem Flugzeug sehr schnell erreichbar. Und mein Schnitzi&nbsp;wird mir natürlich auch fehlen. Obwohl ich gar nicht oft eines esse, ich will aber zumindest die Möglichkeit haben (lacht).

Es gibt wahnsinnig viele Schauspieler und wahnsinnig wenige, die so arbeiten dürfen wie ich.

Steckbrief

Stefanie Reinsperger – Buhlschaft im Salzburger "Jedermann"


Geboren am 30. Jänner 1988 in Baden bei Wien
Max-Reinhardt-Seminar in Wien (2011)
Ensemble­mitglied am Schauspielhaus Düsseldorf (2011–2014), im Burgtheater in Wien (2014/2015) und im Volkstheater (2015–2017)
Kinofilm "Schoßgebete" (2013)
ORF-Landkrimi "Die Drachenjungfrau" (2016)
Buhlschaft in Jedermann, Salzburger Festspiele (2017)
Ab September 2017: Berliner Ensemble
Auszeichnung: "Beste Schauspielerin"&nbsp;und "Beste Nachwuchsschauspielerin", Theater heute (2015)
Nestroy-Preis "Beste Nachwuchsschauspielerin"&nbsp;(2015)
Dorothea-Neff-Preis (2015/16)