"Die Zukunft beginnt jetzt"
Mit dem Mirai bringt Toyota ein Brennstoffzellen-Auto auf den Markt. Wir haben mit dem Österreicher Gerald Killmann, bei Toyota Motor Europe zuständig für Forschung & Entwicklung, über die besonderen Herausforderungen gesprochen.
Die "Brennstoffzelle" geistert schon lange durch die Medien und Technik-Blogs. Sie könnte die Zukunft unserer individuellen Mobilität sein. Technisch bestechend einfach, doch in der Umsetzung und vor allem im Treibstoff liegen die Probleme. Die Brennstoffzelle ist ein Energiewandler und erzeugt aus Wasserstoff H2 und Sauerstoff O2 (aus der Luft) elektrische Energie. Als Emission gibt es nur Wasserdampf. Ein Brennstoffzellenfahrzeug ist also eigentlich ein normales E-Auto, das sein Stromkraftwerk aber an Bord hat.
Mit dem Mirai hat Toyota nun sein erstes Serienfahrzeug mit Brennstoffzellenantrieb auf den Markt gebracht. In Österreich allerdings noch nicht. Wann, steht noch nicht fest.
— Wie oft sind Sie in Österreich?
Gerald Killmann:
Zu wenig, viel zu wenig. Ich bin jetzt seit 24 Jahren bei Toyota, 22 Jahre davon in Belgien, zwei Jahre in Japan. Dienstlich kommt man überall hin, auch nach Österreich, aber begrenzt. Privat auf Ski-Urlaub, und meine Mutter wohnt nach wie vor in Graz. Die besuche ich natürlich auch immer wieder.
— Welchen Anteil hat Toyota Motor Europe an der Entwicklung des Mirai?
Gerald Killmann:
Die Entwicklung erfolgte in Japan. Alles, das Zukunftstechnologie betrifft, wird in Japan gehalten und wir machen in Belgien die Europa-Evaluation, ob eine Technologie auch Europa-geeignet ist. Von Skandinavien bis runter Südspanien.
— Toyota arbeitet ja schon länger an der Brennstoffzelle, das ist also nicht vollkommenes Neuland. "Mirai" heißt Zukunft. Vor 20 Jahren hieß es auch, dass wir in 20 Jahren alle mit Brennstoffzellen-Autos fahren werden. Wann ist also die Zukunft?
Gerald Killmann:
Die Zukunft der Brennstoffzelle beginnt heute. Es war immer klar, dass es noch sehr viele technische Probleme zu lösen gibt. Bei den Kosten und der Produktivität haben wir noch einiges zuzulegen, also wie schnell und in welchen Stückzahlen wir diese Technologie produzieren können. Man kann durchaus den Vergleich zum Hybridantrieb ziehen: Der erste Hybrid ist 1997 in Japan auf den Markt gekommen, jetzt haben wir fast 20 Jahre später. Im ersten Jahr waren die Stückzahlen des Hybrid ein paar Hundert, das hat sich dann langsam gesteigert. Heute sind es 1,3 Millionen, die wir pro Jahr verkaufen. Bei der Brennstoffzelle können wir uns einen ähnlichen Weg vorstellen, also eine vergleichbare Geschwindigkeit. Es kann allerdings auch schneller gehen, weil es sowohl auf der Seite der Automobilhersteller als auch bei der Infrastruktur eine weltweite Zusammenarbeit gibt.
Die Brennstoffzellen-Technologie wird nicht nur die automobile Welt verändern, sondern auch die gesamte Energieversorgung, weil Wasserstoff einfach ein idealer Speicher für regenerative Energie ist.
— Wo liegen die technischen Probleme bei der Brennstoffzelle?
Gerald Killmann:
Einerseits beim Kaltstart, aber auch, dass innerhalb einer sehr kurzen Zeit die volle Leistung abgerufen werden kann.
Das zweite spannende Thema ist die Herstellbarkeit in der Großserie. Wir produzieren heuer etwa 2.000 Mirai, nächstes Jahr werden es 3.000 Fahrzeuge sein, 2020 planen wir 30.000.
— Der Toyota Mirai kostet ohne Steuern 65.000 Euro. Wie enstehen die Kosten? Sind das spezielle Materialien oder ist es die Fertigung?
GERALD KILLMANN:
Beides. Die speziellen Membranen sind teuer und der Tank mit einem Druck von 700 Bar muss extrem sicher gestaltet werden. Die Prozesse in der Fertigung sind noch nicht so ausgereift. Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass viele Materialien in der Brennstoffzelle durchaus kostspielig sind. Wir haben einen hohen Platinanteil, den wir aber schon stark gesenkt haben. In den bisherigen Brennstoffzellen hatten wir zum Schutz vor Korrosion eine Goldbeschichtung. Hier sind wir jetzt mit anderen Materialien auf Carbon-Basis unterwegs, die es auf der Kostenseite nun besser darstellen. Aber nach wie vor sind das nicht gerade die preisgünstigsten Materialien.
— Sind das Stoffe, die bei einer Großserie dann knapp werden können?
GERALD KILLMANN:
Nein, wir haben bei der Entwicklung ein starkes Augenmerk darauf gelegt, dass wir Materialien verwenden, bei denen die Rohstoffversorgung gesichert ist.
— Ist Kälte für den Start kritisch?
GERALD KILLMANN:
Unsere Brennstoffzelle ist bis minus 30 Grad getestet. Und wir haben spezielle Mechanismen entwickelt, um sicherzustellen, dass keine Vereisung in der Brennstoffzelle stattfindet. Zusätzlich haben wir eine Strategie entwickelt, um die Brennstoffzelle und das gesamte System möglichst schnell aufzuwärmen: Wir stellen zuerst die Leistung der Zelle im Niedervoltbereich mit relativ höhen Strömen zur Verfügung. Dadurch führen die inneren Widerstände zu einer schnellen Aufwärmung des Systems. Dann schalten wir auf hohe Spannung und niedrige Stromstärken um. Das hält den elektrischen Wirkungsgrad möglichst hoch.
— Muss ich für die Fahrzeugheizung extra Strom erzeugen?
GERALD KILLMANN:
Das ist ähnlich wie beim Verbrennungsmotor. Die Brennstoffzelle hat eine Betriebstemperatur von 80 Grad. Das heißt, mit dem Kühlmittel erwärme ich den Innenraum.
— Die Heizung geht also, anders als beim herkömmlichen Elektroauto, nicht auf Kosten der Reichweite.
GERALD KILLMANN:
Genau, das ist kein Problem. Das Brennstoffzellenauto bietet eine ähnliche Reichweite wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und es ist auch in kurzer Zeit, etwa drei bis fünf Minuten, aufgetankt.
— Derzeit sind Wasserstoff-Tankstellen noch sehr selten. Es muss ja frustrierend sein, ein Produkt auf den Markt zu bringen, das vom Umwelt-Aspekt her optimal ist, aber es kann keiner kaufen, weil es keine Tankstellen gibt.
Gerald Killmann: Wir haben uns abgesichert, dass der Wille da ist, die Infrastruktur aufzubauen. Da braucht es politische Unterstützung, Investoren und eine Vision: Wie wird 2050 Mobilität aussehen, wie kann man generell Energiesicherheit herstellen? Wasserstoff kann und muss hier einen entscheidenden Beitrag leisten. Daher arbeiten wir heute daran, wie wir diese Technologie in 20 Jahren in wirklicher Großserie herstellen können.
— Und der Weg zu den erneuerbaren Energien, zu Windstrom, zur Fotovoltaik, unterstützt das auch?
Gerald Killmann: Gerade da ist Wasserstoff der ideale Speicher, da er transportiert werden kann und vielseitig verwendbar ist, etwa in stationären Brennstoffzellen oder bei der Mobilität.
— Wird Toyota mit der Brennstoffzelle das reine Elektro-Auto, das reine Batterie-Auto überspringen?
Gerald Killmann: Nein, wir sehen es nicht als Überspringen an. Wir denken, dass der Verwendungszweck der Fahrzeuge heutzutage und in der Zukunft sehr vielseitig ist und sein wird und sich wahrscheinlich noch weiter differenzieren wird. In der Stadt haben Batterie-Kleinfahrzeuge durchaus ihre Berechtigung. Im normalen Verkehr für mittlere Strecken wird sich auch der Verbrennungsmotor, insbesondere mit der Hybridisierung, noch sehr lange halten. Auf lange Strecken gesehen denken wir, dass gerade die Brennstoffzelle einen großen Vorteil hat, dann aber auch im urbanen Bereich. Und die Brennstoffzellentechnologie sehen wir nicht nur für den Pkw, sondern durchaus auch für Busse und Lkw auf Überlandstrecken als sehr geeignet.
— Solange es die erforderliche Infrastruktur zum Auftanken nicht gibt, ist da auch an ein Plug-in-Brennstoffzellenfahrzeug gedacht, also mit einer größeren Batterie zum Aufladen über die Steckdose?
Gerald Killmann: Brennstoffzellen-Fahrzeug sind heute eine Nische, Plug-in ist auch noch eine Nische. Zwei Nischen zu kombinieren, ist nicht der Ansatz, den wir verwenden werden. Wir werden sicherlich beide Antriebsstränge auf den Markt bringen, aber zunächst einmal in eigenständiger Form.
— Nachdem im Brennstoffzellen-Fahrzeug sowieso eine Batterie an Bord ist, könnte man damit aber Reichweite gewinnen, wenn keine Wasserstofftankstelle in der Nähe ist.
Gerald Killmann: Die Batterie ist ähnlich wie bei unseren Hybrid-Fahrzeugen sehr klein, also unter zwei Kilowattstunden. Sie ist ein Pufferbatterie, um der Brennstoffzelle große Leistungssprünge zu ersparen und damit immer im optimalen Wirkungsgrad fahren zu können. Die Brennstoffzelle ist bei extrem niedriger Last – ähnlich wie der Verbrennungsmotor – hocheffizient. Da kann es also durchaus einmal sein, dass die Brennstoffzelle einmal kurz abgeschaltet wird und man nur mit der Hybrid-Batterie fährt. Wir fühlen da keinen Unterschied, weil man fährt ja immer elektrisch.
— Also wird man bei einem Brennstoffzellen-Auto nie auf die kleine Batterie verzichten, da sie schon aus System-Gründen vorhanden sein muss?
Gerald Killmann: Ja. Aus unserer Sicht ist die Hybridisierung für jeden Antriebsstrang sinnvoll. Für den Verbrennungsmotor, auch für die Brennstoffzelle. Mit unserer Erfahrung der Hybridisierung haben wir auch bei der Brennstoffzelle gleichgenormte Bauteile aufgenommen.
— Wenn man so ein Auto entwickelt und auf den Markt bringt, schmerzt es dann, wenn der Ölpreis zu dem Zeitpunkt auf 30 Dollar je Barrel fällt?
Gerald Killmann: Nein. Wir haben Produktionsstückzahlen von 2.000 Autos weltweit. Wer heute einen Mirai in Japan bestellt, wird ihn wahrscheinlich 2018 oder 2019 kriegen. Unsere Produktionsstückzahlen sind heute noch in einem Bereich, wo die Kunden unabhängig vom Ölpreis handeln. Wir sehen – egal, wie sich der Ölpreis entwickeln wird – die Notwendigkeit zur Änderung der Energie, mit der wir uns mobil bewegen. Das ist langfristig voneinander unabhängig. Es wird vielleicht die Geschwindigkeit dieser Veränderung etwas beeinflussen, aber im Prinzip nicht dramatisch ändern.
— Wenn man in 20 Jahren in wirklicher Großserie produziert, wie könnte dann die Preislage aussehen? Sind wir dann in einem Bereich, wo auch der Private zu einem Brennstoffzellen-Auto greifen kann, weil es sich preislich nicht von einem Auto mit Verbrennungsmotor unterscheidet?
Gerald Killmann: Ich will jetzt keine Versprechungen machen, die wir dann vielleicht nicht einhalten können. Lassen Sie mich da auf unseren Hybrid zurückgreifen: Wenn jemand 1998 behauptet hätte, dass wir im Jahr 2012 einen Hybrid zu einem Preis anbieten können, der mit einem Diesel vergleichbar ist, hätte ich ihm gesagt: Man muss ehrlich bleiben. Aber es geht. Ich würde es also auf keinen Fall ausschließen – die Vision ist da und wir sehen die Möglichkeit. Toyota wird sicherlich sehr hart daran arbeiten, um das auch zu bewerkstelligen. Ob es uns gelingt, hängt von zwei Dingen ab: zunächst einmal vom technischen Durchbruch, aber auch von der Marktresonanz. Letztendlich ist es der Kunde, der entscheidet, welches Auto, welche Antriebstechnologie am Markt erfolgreich ist.
— Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Herstellern aus?
Gerald Killmann: Die ist sehr breit gefächert. Generell: Zusammenarbeit gibt es mit den meisten Herstellern auf der Evaluierungsseite und im Bereich der Infrastruktur, etwa im EU-geförderten HyFIVE-Projekt (Anmerkung: „Hydrogen For Innovative Vehicles“, www.hyfive.eu). Das ist ein gegenseitiger, positiver Aufschaukel-Effekt. Und dann arbeiten wir mit BMW sehr intensiv an der nächsten Generation der Brennstoffzelle zusammen.
— Schafft man es – besser als bei den Elektrofahrzeugen –, sich auf gemeinsame Standards zu einigen?
Gerald Killmann: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Bei den Elektroautos gibt es leider unglaubliche Unterschiede im Bereich der Spannung, ob Gleichstrom- oder Wechselstrom, bei den Anschluss-Steckern. Bei den Brennstoffzellen-Autos hat man es geschafft: Es gibt weltweit einen Tankstecker, ein Kommunikationsprotokoll zwischen Auto und Zapfsäule und zwei zugelassene Drücke: 350 und 700 Bar. Gegenüber den batterieelektrischen Autos ist das ein unglaublicher Fortschritt: Alle haben sich zuerst gemeinsam um die Standardisierung gekümmert, um unnötige Entwicklungs- und Infrastrukturkosten zu vermeiden.
— Wann kommt der Mirai nach Österreich?
Gerald Killmann: Der Mirai wird sicherlich einmal nach Österreich kommen. Derzeit konzentrieren wir uns aber mit der Markteinführung auf die Märkte mit bereits vorhandener Infrastruktur. Das sind insbesondere Dänemark, Norddeutschland und England rund um London. Es folgen dann Belgien und weitere Länder in Nordeuropa. Aber es ist eine Frage der Zeit, bis auch Österreich drankommt. Infrastruktur heißt auch Infrastruktur-Dichte. Das ist nicht eine Tankstelle für eine Stadt, das ist eine zweistellige Zahl von Tankstellen für ein Gebiet.