Der Umstieg auf CO2-neutrale Mobilität muss sozial fair umgesetzt werden
9 Mobilitäts-Fragen im Vorfeld der EU-Wahl 2024 an Andreas Schieder, den Spitzenkandidaten der SPÖ.
Im Interview spricht Andreas Schieder über Datenhoheit im Automobilsektor, das Neuzulassungsverbot für Verbrennungsmotoren und soziale Fairness beim Übergang zur E-Mobilität. Dabei plädiert er für Konsumentenschutz, innovative Antriebstechnologien und eine subsidiäre Verkehrspolitik.
Derzeit schaffen sich die Autohersteller auf Kosten von Konsumenten, freien Werkstätten und Mobilitätsclubs ein Monopol bezüglich Daten aus dem Auto. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch das EU-Parlament hat die EU-Kommission im Dezember 2023 eine „sektorspezifische Regulierung“, die auch für Dritte einen fairen Zugang zu diesen Daten gewährleisten sollte, gestoppt. Was werden Sie tun, damit die EU-KOM in dieser Frage im Sinne der Konsumenten wieder in die Gänge kommt?
Andreas Schieder: Im Sinne des Konsumenten- und Datenschutzes werden alle unsere Bestrebungen dahin gerichtet sein, dass die Nutzer:innen bzw. Eigentümer:innen des Fahrzeuges unbeschränkt über die vom Fahrzeug gespeicherten Daten ihres Fahrverhaltens verfügen können und diese Daten auch entsprechend geschützt sind. Damit ermöglichen wir auch, dass die Nutzer:innen bzw. Eigentümer:innen diesen Datenzugriff auch an von ihnen beauftragte Personen bzw. Unternehmen übertragen können wie z.B. auf eine freie Werkstatt.
Gleichzeitig verweigern die Autohersteller die Umsetzung eines EuGH-Urteils vom 5. Oktober 2023, das den freien Zugang zu Pannenhilfe-Daten festlegt. Vielmehr lobbyieren sie bei der EU-Kommision, ihre illegalen Zugangsbeschränkungen, die für Konsumenten höhere Kosten und oftmals zusätzliche Auto-Abschleppungen bedeuten, zu erlauben. Wie wollen Sie den freien Zugang zu Pannenhilfe-Daten gewährleisten?
Das trifft auch auf Pannenhilfedaten zu. Wir werden uns für die Umsetzung der geltenden Rechtslage einsetzen. Entsprechenden Versuchen der Autolobby werden wir vehement entgegentreten.
2023 hat das EU-Parlament ein Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 beschlossen. Ihre Fraktion hat für das Verbrennerverbot gestimmt. Wie bewerten Sie das geplante Verbot aus heutiger Sicht?
Das geltende Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 samt Ausnahmen sehe ich als Innovationstreiber für die europäische Autoindustrie und damit als wirtschaftsstärkenden Faktor. Aus heutiger Sicht erscheint es bei gleichzeitigem Ausbau von alternativen Energiequellen als sinnvoll.
Die EU-Regulierungen setzen hinsichtlich individueller Mobilität praktisch ausschließlich auf E-Mobilität. Stand heute ist es jedoch völlig unrealistisch, das Klimaziel 2030 im Verkehr allein mit E-Autos zu erreichen. Ist die Fokussierung auf E-Mobilität Ihrer Meinung nach der richtige Weg? Oder sollen weitere Technologien wie E-Fuels zugelassen und gefördert werden?
Jede Maßnahme, die geeignet ist, die CO2-Emissionen nachhaltig und energieschonend zu senken, erscheint als höchst sinnhaft, darunter auch die Forschung im Bereich des grünen Wasserstoffs sowie die Verwendung von alternativen Kraftstoffen. Hinsichtlich der Verspritung von Strom zu E-Fuels ist anzumerken, dass die derzeitige Technologie an einen extrem hohen Energieaufwand gebunden ist und unseres Erachtens weder ökologisch noch wirtschaftlich erscheint.
Neben der Forcierung von Elektromobilität versucht die EU den CO2-Ausstoß des Verkehrsbereiches mit höheren Kosten (etwa durch Etablierung einer eigenen CO2- Bepreisung für Verkehr und Gebäude, ETSII) zu reduzieren. Ist es aus Ihrer Sicht sozial vertretbar, insbesondere jene Autofahrer, die sich einen Umstieg auf Elektromobilität nicht unmittelbar leisten können, mit immer höheren Kosten zu belegen?
Der Umstieg auf CO2-neutrale Mobilität muss sozial fair umgesetzt werden. Aus diesem Grund erscheinen Anschubsubventionen speziell für finanziell schwache Verkehrsteilnehmer:innen als notwendig.
Ist es zielführend und fair, dass in Zukunft Industrie und private Haushalte über zwei verschieden Handelssysteme unterschiedliche Preise für die Tonne CO2 bezahlen?
Die Ausweitung des Emissionshandels ist für uns ganz klar an soziale Ausgleichsmaßnahmen, wie sie der Klima-Sozialfonds vorsieht, geknüpft. Denn Preissignale allein werden den vielfältigen Lebensrealitäten nicht gerecht. Dass die wirtschaftlich leistungsfähige Industrie einen anderen CO2-Preis zahlt als private Haushalte, sollte an sich nachvollziehbar sein.
Es liegt keine Evidenz vor, dass ältere Personen ein höheres Unfallrisiko aufweisen, eher ist das Gegenteil der Fall.
Andreas Schieder, SPÖ
Die EU arbeitet gerade an einer Reform der EU-Führerschein-Richtlinie. Einer der meistdiskutierten Punkte ist dabei die mögliche Einführung regelmäßiger, verpflichtender medizinischer Überprüfungen für ältere Führerscheinbesitzer. Sind Sie für oder gegen die Einführung solcher Überprüfungen und wie stehen Sie zu freiwilligen Fahrtüchtigkeits-Checks?
Es liegt keine Evidenz vor, dass ältere Personen ein höheres Unfallrisiko aufweisen, eher ist das Gegenteil der Fall. Hauptunfallursachen sind Unachtsamkeit bzw. Ablenkung, erhöhte Fahrgeschwindigkeit und Alkohol. Hier sind unbedingt weitere Verkehrssicherungsmaßnahmen im Rahmen der Vision Zero zu treffen, nicht bei einer schikanösen Überprüfung von Seniorinnen und Senioren. Die Mobilität der Landbevölkerung würde durch diese Maßnahme erheblich eingeschränkt werden. Es liegt damit eine Altersdiskriminierung vor. Die bisherige Überprüfung der Fahrtauglichkeit im Anlassfall erscheint als wesentlich geeigneteres Mittel, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Auch in Deutschland ist die Pkw-, Motorrad-Fahrerlaubnis unbefristet gültig, Verkehrsminister Wissing und der deutsche Verkehrssicherheitsrat lehnen die EU-Pläne ab. Freiwillige Fahrtüchtigkeits-Checks würden ältere Verkehrsteilnehmer:innen diskriminieren, weil diese die Kosten dafür tragen müssten.
Die EU versucht in der letzten Zeit verstärkt mit Guidelines oder Best-Practice-Beispielen auf Fragen der lokalen Verkehrspolitik Einfluss zu nehmen, obwohl ihr der Vertrag von Lissabon dafür keine Kompetenzen gibt. Wie sehen Sie die Rolle der EU in punkto lokaler Verkehrspolitik? Soll sie sich einmischen oder diese Kompetenz gemäß dem Subsidiaritätsprinzip lokalen Verwaltungskörpern überlassen?
Das Subsidiaritätsprinzip hat seinen Sinn darin, dass Regelungen, deren Inhalte lokal besser zu regeln sind als auf EU-Ebene, auch von diesen Stellen (Gemeinden, Länder) geregelt werden sollen. Genau dieser Tatbestand liegt bei den von Ihnen angesprochenen Maßnahmen vor und wir unterstützen die Kompetenz der jeweiligen Gebietskörperschaft für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen.
Die EU hat mit der Ambient Air Quality Directive gerade beschlossen, die Emissionswerte für Feinstaub, NOx und Ammoniak etc. noch einmal drastisch herabzusetzen. Es ist absehbar, dass das in Österreich zu Maßnahmen zwecks „Luftsanierung“ führen wird. Sind Sie dafür, dass künftige Maßnahmen zwecks Luftreinhaltung primär die Hauptverursacher dieser Verunreinigungen treffen oder treten Sie dafür ein, jene Bereiche, die man am leichtesten belasten kann wie z.B. den Straßenverkehr über Tempolimits mit strengeren Auflagen zu belasten?
Die österreichische Regelung zu Verkehrsmaßnahmen zur Luftreinhaltung (Immissionsschutzgesetz-Luft, IG-Luft) regelt sehr konkret Maßnahmen, um Umweltbelastungen zu vermeiden. Das IG-Luft wurde auch für die spezielle Situation Österreichs als Transitland geschaffen. Es wird nötig sein, diese Regelungen im europäischen Kontext aufrechtzuerhalten, um eine Transitlawine – speziell am Brennerkorridor – zu verhindern. Grundsätzlich sollen sich Maßnahmen zur Luftreinhaltung am Verursacherprinzip orientieren.
Die zentralen Standpunkte im Überblick
Andreas Schieder, SPÖ-Spitzenkandidat, setzt sich für die uneingeschränkte Verfügung von Fahrzeugdaten durch Nutzer und für Datenschutz ein. Er befürwortet das Neuzulassungsverbot für Verbrennungsmotoren ab 2035 und sieht darin einen Innovationstreiber. Schieder unterstützt CO2-reduzierende Technologien inklusive grünem Wasserstoff, hält aber E-Fuels für derzeit unökonomisch. Der Umstieg auf E-Mobilität soll sozial fair sein; er fordert Anschubsubventionen für einkommensschwache Personen. Schieder lehnt verpflichtende Gesundheitstests für ältere Fahrer als diskriminierend ab und betont die Wichtigkeit des Subsidiaritätsprinzips in der lokalen Verkehrspolitik sowie das Verursacherprinzip bei Luftreinhaltungsmaßnahmen.
ÖAMTC Unterschriftenaktion
Um für den Pannenfall einen freien Datenzugang zu sichern, organisiert der ÖAMTC eine Unterschriftenaktion. Nehmen auch Sie teil.
Zur Unterschriftenaktion
Interview zur EU-Wahl mit Lena Schilling, Die Grünen.
Interview zur EU-Wahl mit Harald Vilimsky, FPÖ.
Interview zur EU-Wahl mit Helmut Brandstätter, NEOS.
Interview zur EU-Wahl mit Reinhold Lopatka, ÖVP.