Autodaten gehören Verbraucher:innen
12 Mobilitäts-Fragen im Vorfeld der EU-Wahl 2024 an Lena Schilling, die Spitzenkandidatin für Die Grünen.
Im Interview beleuchtet Lena Schilling Herausforderungen und Chancen in der europäischen Mobilitätspolitik. Sie nimmt Stellung zu Rechten der Verbraucher:innen, dem Zugang zu Pannenhilfe-Daten und der Führungsrolle, die die EU beim Übergang zu nachhaltiger Mobilität einnehmen sollte.
Derzeit schaffen sich die Autohersteller auf Kosten von Konsumenten, freien Werkstätten und Mobilitätsclubs ein Monopol bezüglich Daten aus dem Auto. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch das EU-Parlament hat die EU-Kommission im Dezember 2023 eine „sektorspezifische Regulierung“, die auch für Dritte einen fairen Zugang zu diesen Daten gewährleisten sollte, gestoppt.
Was werden Sie tun, damit die EU-KOM in dieser Frage im Sinne der Konsumenten wieder in die Gänge kommt?
Lena Schilling: Wir Grüne teilen das Anliegen, dass der Zugang zu diesen Daten gewährleistet sein sollte und in transparenter Form den Verbraucher:innen und ihren Dienstleistern zur Verfügung stehen sollte. Dafür werden wir uns auch weiterhin auf europäischer Ebene einsetzen. Wichtig ist uns in diesem Zusammenhang, dass bei der Umsetzung dieses Vorhabens der Datenschutz der Konsument:innen gewährleistet bleibt. Dazu gehört vor allem, dass eine Verschlüsselung der Daten sichergestellt wird.
Die Autohersteller verweigern die Umsetzung eines EuGH-Urteils vom 5. Oktober 2023, das den freien Zugang zu Pannenhilfe-Daten festlegt. Vielmehr lobbyieren sie bei der EU-Kommission, ihre illegalen Zugangsbeschränkungen, die für Konsumenten höhere Kosten und oftmals zusätzliche Auto-Abschleppungen bedeuten, zu erlauben. Was werden Sie tun, um den freien Zugang zu Pannenhilfe-Daten zu gewährleisten?
Urteile des EuGH müssen selbstverständlich umgesetzt werden. Die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit ist eine entscheidende Frage für die Akzeptanz der Europäischen Union in der Bevölkerung. Dass der Handel mit Daten auch beim Auto zu einem lukrativen Geschäftsmodell wird, war leider zu erwarten. Die Autodaten gehören aber den Verbraucher:innen als „Urheber:innen“. Wir treten daher für eine harte Linie auf EU-Ebene gegenüber den Herstellern und eine rasche Umsetzung des EuGH-Urteils ein.
Im Frühjahr 2023 hat das EU-Parlament ein Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 beschlossen. Ihre Fraktion hat für das Verbrennerverbot gestimmt. Wie bewerten Sie das geplante Verbot aus heutiger Sicht?
Dass ab 2035 keine Verbrenner neuzugelassen werden, ist wichtig, um den Individualverkehr in Richtung emissionsfreier Fahrzeuge zu lenken. Wir begrüßen es sehr, dass das Europäische Parlament ein klares Bekenntnis zu klimafreundlichen Technologien abgegeben und Planungssicherheit für Hersteller und Verbraucher:innen geschaffen hat. Das Elektroauto ist sauberer, leise und um ein Vielfaches effizienter als die Alternativen. Nicht zuletzt deshalb haben viele Hersteller bereits angekündigt, vor 2035 die Produktion von Verbrennungsmotoren einzustellen.
Die EU-Regulierung setzt hinsichtlich individueller Mobilität praktisch ausschließlich auf E-Mobilität. Stand heute ist es jedoch unrealistisch, das Klimaziel 2030 im Verkehr alleine mit E-Autos zu erreichen. Ist die Fokussierung auf E-Mobilität Ihrer Meinung nach der richtige Weg? Oder sollen weitere Technologien wie E-Fuels zugelassen und gefördert werden?
Batterieelektrische Antriebe sind die effizienteste und kostengünstigste Variante zur Dekarbonisierung. Insbesondere, weil die eingesetzte Primärenergie nahezu verlustfrei auf den Antrieb übertragen wird, im Betrieb keine Abgasemissionen entstehen und weniger Verschleißteile benötigt werden, sind sie deutlich klimafreundlicher. Zudem sind die laufenden technologischen Fortschritte bemerkenswert. Im Bereich der Elektromobilität sind etwa deutliche Fortschritte beim Recycling von Batterien zu erwarten, die die Umweltbelastungen dieser Technologie weiter reduzieren werden.
Wie stehen Sie zu einer erhöhten Beimengung von alternativen Kraftstoffen, um insbesondere die CO-Emissionen der Bestandsflotte sofort und unmittelbar zu senken?
Der effizienteste alternative Kraftstoff für Elektrofahrzeuge im Sinne der EU-Vorgaben (RED II-RL) ist Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Aus diesem Grund hat die österreichische Bundesregierung Anreize geschaffen, um die vorgesehenen Beimischungsverpflichtungen zu erfüllen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die nachhaltige Produktion von alternativen Kraftstoffen begrenzt ist und nicht zulasten der Umwelt oder der Nahrungsmittelproduktion gehen darf.
Wie ist Ihre Haltung zu Wasserstoff bzw. E-Fuels: Sollen E-Fuels in „grünen Verbrennern“ auch auf der Straße eingesetzt werden oder nur in Schiffen und Flugzeugen?
Vor dem Hintergrund realistischer kurz- bis mittelfristiger Verfügbarkeiten hat der Einsatz von Wasserstoff bzw. E-Fuels dort oberste Priorität, wo eine Dekarbonisierung sonst schwierig oder derzeit nicht möglich ist. Dies sind die Industrie und im Verkehrssektor vor allem die Schifffahrt und der Luftverkehr. Hier fördert die von der Bundesregierung beschlossene Wasserstoffstrategie die (Weiter-)Entwicklung von Wasserstofftechnologien mit knapp drei Milliarden Euro bis 2030.
Ist es sinnvoll, dass die EU mit deutlichen höheren Standards als die USA die Hürde für die Erzeugung von klimafreundlichem Wasserstoff und E-Fuels extrem hoch steckt oder verhindert sie damit die Entwicklung eines Marktes?
Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe als Energieträger sind aus unserer Sicht nur dann sinnvoll, wenn sie aus erneuerbaren Energien und ohne umweltschädliche „Nebenwirkungen“ hergestellt werden. Um dies zu gewährleisten, sollten aus unserer Sicht entsprechende Standards durch die Europäische Union festgelegt werden. Europaweite Standards würden zudem Planungssicherheit für Verbraucher:innen und Industrie sicherstellen.
Neben der Forcierung von Elektromobilität versucht die EU den CO2-Ausstoß des Verkehrsbereiches mit höheren Kosten, etwa durch Etablierung einer eigenen CO2-Bepreisung für Verkehr und Gebäude, zu reduzieren. Ist es aus Ihrer Sicht sozial vertretbar, insbesondere jene Autofahrer, die sich einen Umstieg auf Elektromobilität nicht unmittelbar leisten können, mit immer höheren Kosten zu belegen?
Für uns Grüne ist es zentral, Klimaschutzmaßnahmen so zu gestalten, dass Menschen mit geringem Einkommen nicht auf der Strecke bleiben. Deshalb haben wir auch den Klimabonus so gestaltet, dass er Menschen mit niedrigeren Einkommen überproportional entlastet. Dieses Prinzip gilt für uns natürlich auch für den Umstieg auf die klimafreundlichere E-Mobilität. Damit der Umstieg auf E-Mobilität keine Frage des Einkommens ist, hat die Bundesregierung die Förderung von Elektrofahrzeugen massiv ausgebaut.
Ist es zielführend und fair, dass in Zukunft Industrie und private Haushalte über zwei verschieden Handelssysteme unterschiedliche Preise für die Tonne CO2 bezahlen?
Der Verkehrssektor ist einer der Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an einer Trendwende bei den Treibhausgasemissionen aus dem Verkehr. In einigen Verkehrsbereichen ist die CO2-Reduktion einfacher als in anderen, was ein jeweils spezifisches Vorgehen rechtfertigt. Wichtig ist dabei, dass Planungssicherheit und technologische Klarheit gewährleistet sind.
Der Verkehrssektor ist einer der Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen.
Lena Schilling, Die Grünen
Die EU arbeitet gerade an einer Reform der EU-Führerschein-Richtlinie. Einer der meistdiskutierten Punkte ist dabei die mögliche Einführung regelmäßiger, verpflichtender medizinischer Überprüfungen für ältere Führerscheinbesitzer.
Sind Sie für oder gegen die Einführung solcher Überprüfungen und wie stehen Sie zu freiwilligen Fahrtüchtigkeits-Checks?
Wir Grüne sind gegen verpflichtende medizinische Überprüfungen. Gesundheitschecks für Verkehrsteilnehmer:innen sollten unserer Ansicht nach auf freiwilliger Basis erfolgen und nicht an ein bestimmtes Alter gebunden sein. Denn gesundheitliche, physische oder psychische Beeinträchtigungen, die Einfluss auf die Fahrtauglichkeit und Sicherheit der Verkehrsteilnehmer:innen haben, können bei Menschen jeden Alters auftreten. Aus diesem Grund setzen wir uns auch stark für den Ausbau des freiwilligen Fitness-to-Drive-Testangebots ein.
Die EU versucht in der letzten Zeit verstärkt mit Guidelines oder Best-Practice- Beispielen auf Fragen der lokalen Verkehrspolitik Einfluss zu nehmen, obwohl ihr der Vertrag von Lissabon dafür keine Kompetenzen gibt. Wie sehen Sie die Rolle der EU punkto lokaler Verkehrspolitik? Soll sie sich einmischen oder diese Kompetenz gemäß dem Subsidiaritätsprinzip lokalen Verwaltungskörpern überlassen?
Um der Klimakrise entschieden zu begegnen, bedarf es einer supranationalen Anstrengung, weshalb wir Grüne in der EU einen wichtigen Partner sehen. Das gilt natürlich auch für den Umstieg auf eine umweltfreundlichere Mobilität. Das „Fit for 55"-Paket beispielsweise zeigt, wie die EU uns auf dem Weg zur CO2-Reduktion unterstützen kann und liefert sehr gute Best Practices, welche Maßnahmen wie gut funktionieren. So können wir von den Erfahrungen anderer Mitgliedstaaten profitieren und gezielt Maßnahmen ergreifen, die uns helfen, unsere Ziele zu erreichen und unseren Planeten zu schützen.
Die EU hat mit der Ambient Air Quality Directive beschlossen, die Emissionswerte für Feinstaub, NOx und Ammoniak etc. noch einmal drastisch herabzusetzen. Es ist absehbar, dass das in Österreich zu Maßnahmen zwecks „Luftsanierung“ führen wird. Sind Sie dafür, dass künftige Maßnahmen zwecks Luftreinhaltung primär die Hauptverursacher dieser Verunreinigungen treffen oder treten Sie dafür ein, jene Bereiche, die man am leichtesten belasten kann, wie z.B. den Straßenverkehr mit Tempolimits, mit strengeren Auflagen zu belasten?
Die verkehrsbedingte Luftverschmutzung macht nach wie vor viele Menschen krank und führt in einigen Fällen zum vorzeitigen Tod. Trotz der jüngsten Rückgänge der Luftverschmutzung sind weitere wirksame Maßnahmen erforderlich, die vor allem bei den Hauptverursachern der Luftverschmutzung ansetzen. Die genaue Ausgestaltung dieser Maßnahmen muss jedoch immer von Fall zu Fall entschieden werden und kann nicht pauschalisiert werden.
Die zentralen Standpunkte im Überblick
Lena Schilling, Spitzenkandidatin der Grünen für die EU-Wahl 2024, tritt für einen transparenten Zugang zu Autodaten bei Wahrung des Datenschutzes ein und fordert die Umsetzung von EuGH-Urteilen zur Pannenhilfe-Datenfreigabe. Sie unterstützt das Verbrennerverbot ab 2035 und sieht batterieelektrische Fahrzeuge als beste Lösung für die Verkehrsdekabonisierung. E-Fuels sollen lediglich in der Schifffahrt und Luftfahrt eingesetzt werden. Schilling befürwortet sozialverträgliche Klimaschutzmaßnahmen und lehnt obligatorische medizinische Führerscheintests ab, setzt aber auf freiwillige Fahrtüchtigkeits-Checks. Sie sieht die EU bei der Luftreinhaltung als wichtige Unterstützung für Mitgliedstaaten.
ÖAMTC Unterschriftenaktion
Um für den Pannenfall einen freien Datenzugang zu sichern, organisiert der ÖAMTC eine Unterschriftenaktion. Nehmen auch Sie teil.
Zur Unterschriftenaktion
Interview zur EU-Wahl mit Andreas Schieder, SPÖ.
Interview zur EU-Wahl mit Harald Vilimsky, FPÖ.
Interview zur EU-Wahl mit Helmut Brandstätter, NEOS.
Interview zur EU-Wahl mit Reinhold Lopatka, ÖVP.