Fang das CO2

Das Abfangen von CO2 direkt bei den stärksten Verursachern ist ein ausgereiftes Verfahren, das hilft, Treibhausgasemissionen in den Griff zu bekommen, sagt Professor Franz Josef Radermacher.

Elektromobilität ist nicht unumstritten, prägt aber unsere Gegenwart und Zukunft. Europäische Gesetzgebung und Autoindustrie steuern zielstrebig auf sie zu, über Alternativen scheint nicht mehr viel nachgedacht zu werden.

Abgesehen von Fragen der Versorgungssicherheit erscheint es Experten des ÖAMTC jedoch nach wie vor unmöglich, die CO2-Emissionsziele des Pariser Klimaabkommens allein mit Elektromobilität zu erreichen. Deshalb werden früher oder später (vermutlich bei der 2026 erfolgenden Neubetrachtung der EU-Vorgaben für die Pkw-Flottenverbräuche) E-Fuels ins Spiel kommen müssen.

"Das Problem sind nicht fossile Energieträger", sagt Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung und ehemaliger Professor an der Universität Ulm sowie Mitglied des Club of Rome. "Das Problem ist, dass durch Verbrennungsprozesse CO2 in die Atmosphäre eintritt. Es geht also darum: Kann man das vermeiden?"

Seine Antwort lautet: Ja, man kann. Radermacher will das Treibhausgas gar nicht erst in die Atmosphäre gelangen lassen. "Wir müssen CO2 dort reduzieren, wo wir den größten Hebel dafür haben", sagt er.

Freigesetztes Kohlendioxid müsse direkt bei den stärksten Emittenten abgefangen werden – z.B. Kohlekraftwerken, Zementwerken und bei der Stahl- und Eisenproduktion. Das hat mehrere Vorteile:

— CO2 sei an solchen "Punktquellen" um mehrere Zehnerpotenzen konzentrierter vorhanden als in der Atmosphäre. "Es ist viel einfacher, CO2 aus dem Abluftstrom eines Kohlekraftwerks rauszuholen", sagt der Professor.

— Und dadurch wesentlich billiger: "Für Direct Air Capture, das Herausfiltern von CO2 aus der Atmosphäre, müssen derzeit mindestens 500 Euro je Tonne angesetzt werden. Das Abfangen bei Punktquellen kostet nur ein Zehntel davon."




Für das Herausfiltern von CO2 aus der Atmosphäre müssen derzeit mindestens 500 Euro je Tonne angesetzt werden. Das Abfangen bei Punktquellen kostet nur ein Zehntel davon.






Franz Josef Radermacher, Wirtschaftswissenschaftler


Zukunftsmusik? Nein: "Die Methode wird seit mehr als 30 Jahren erfolgreich vor allem in Nordamerika betrieben", erklärt Radermacher. "Dort nennt man das 'Enhanced Oil Recovery': Man fängt das CO2 bei Kohlekraftwerken ab und bringt es in erschöpfte Gas- und Ölfelder ein, in denen durch die Förderung der Druck abgesunken ist. Das erhöht den Druck wieder und man kann mehr Öl und Gas fördern."

Auch Norwegen mache das in großem Stil. Der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre habe angeboten, sämtliche europäische CO2-Emissionen der nächsten 100 Jahre abzunehmen und in Öl- und Gasfeldern unter der Nordsee zu verpressen.

Das CO2 werde auf diese Weise laut Radermacher nicht nur gehindert, in die Atmosphäre zu gelangen, sondern darüber hinaus – unschädlich für das Klima – unter der Erdoberfläche oder dem Meeresboden gespeichert.

Das Verfahren heißt Carbon Capture Utilization and Storage (CCUS) und sei allein schon durch die erhöhte Produktivität der Gas- und Ölfelder rentabel.

Das sei aber nur eine Möglichkeit. Das "abgefangene" Treibhausgas kann auch dazu verwendet werden, daraus in Weltregionen, in denen erneuerbare Energie im Überfluss verfügbar ist, E-Fuels zu erzeugen. Diese zweifache Nutzung des fossilen CO2 ist anfangs deutlich günstiger, als aus der Luft gefiltertes CO2 zu verwenden.

Radermacher: "Es ist besser, zum Start einer Technologie Kompromisse einzugehen, um E-Fuels rasch leistbar zu machen. Das machen uns die USA vor." Mit zunehmendem technischen Fortschritt könne dann ausschließlich aus der Luft gewonnenes oder beispielsweise biogenes CO2 verwendet werden.

Bemerkenswert ist der sozialpolitische Aspekt von Radermachers Thesen. Es bedürfe nicht unbedingt eines völligen Wandels unseres Lebensstils, meint er, wie viele ihn aus Klimaschutzgründen für notwendig halten.

Wenn es nämlich je gelänge, Direct Air Capture unter 100 Euro pro Tonne – zu einem Fünftel der heutigen Kosten – zu betreiben, dann brauchten wir uns über das Klima keine Sorgen mehr zu machen. Dann, so Radermacher, könnten drastische Einschränkungen vermieden werden.

Es wäre auch eine Chance für Entwicklungsregionen, Wohlstand zu erlangen.

Wie realistisch diese Vision ­einer technologischen Lösung ist, kann nur die Zukunft zeigen.

Podcast: Prof. Radermacher im O-Ton

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Wir müssen CO2 dort reduzieren, wo wir den größten Hebel dafür haben.

Prof. Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung