Helga Rabl-Stadler: "Mein schöner Abschluss"
Salzburgs Festspiel-Präsidentin, die heuer ihr letztes Event zelebriert, über kalkulierte Risiken, benachteiligte Frauen und die Niederungen der Politik.
Sie ist eine starke Frau – sie war es schon zu einer Zeit, als starke Frauen noch völlig unüblich waren. Artikulierte ihre Meinung stets unerschrocken, zuerst als Journalistin, dann in der Politik und seit 26 Jahren schließlich auch als Präsidentin von Österreichs bedeutendstem Klassik-Event, den Salzburger Festspielen (heuer ab 17. Juli). Die Macherin und Netzwerkerin nimmt sich auch im Interview kein Blatt vor den Mund.
— Sie zogen im Vorjahr die Salzburger Festspiele mit einem strikten Sicherheitskonzept erfolgreich durch. Wieviel Mut war dabei im Spiel?
HELGA RABL-STADLER:Ich habe das nie als Mutprobe gesehen, sondern als strategische Entscheidung. Im Direktorium sind wir, der künstlerische Leiter Markus Hinterhäuser, der kaufmännische Direktor Lukas Crepaz und ich, Mitte März 2020 zusammengesessen und haben uns beraten.
Wir waren verzweifelt: Gerade die hundertsten Festspiele zu feiern, indem wir sie ausfallen lassen – das war undenkbar. Wir haben dann die Formel geboren, unter dem Vorrang der Gesundheit künstlerisch Sinnvolles zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen zu machen. Also: Wenn das möglich ist, dann machen wir es.
Wir haben uns allerdings nie hetzen lassen. Das war dann in der Folge sehr unangenehm. Rundherum wurden alle Festspiele und Events abgesagt, vom Electric Love Festival am Salzburgring bis hin zu Bayreuth. Die Zurufe, dass auch wir endlich absagen sollten, wurden immer lauter.
Wir haben beschlossen, dass wir dann absagen, wenn wir sehen, dass unsere Formel zur Durchführung nicht möglich ist. Mitte Mai haben wir gesehen: Es wird möglich sein, zwar nicht im Juli, aber im August. Mutprobe war das keine, Vabanque-Spiel war es auch keins – es war ein kalkuliertes Risiko.
Ich habe einem schönen Spruch von Peter F. Drucker, dem Erfinder der Management-Theorie, vertraut: "Es gibt Risiken, die einzugehen du dir nicht leisten kannst, und es gibt Risiken, die nicht einzugehen du dir nicht leisten kannst!" Meines Erachtens wäre es ein schwerer Fehler gewesen, dieses kalkulierte Risiko nicht einzugehen und auf die Jubiläums-Festspiele zu verzichten.
— Waren Sie damals sehr angespannt?
HELGA RABL-STADLER:Ich war gar nicht angespannt. Heuer war ich das eher – in den Wochen vor den Pfingstfestspielen. Denn der letzte Sommer ist entgegen jeder statistischen Wahrscheinlichkeit phantastisch gelaufen. Mit 76.000 Besucherinnen und Besuchern und über 3.000 Künstlern und Mitarbeitern ohne einen einzigen positiv getesteten Fall.
Natürlich ist es heuer einfacher, weil wir schon Erfahrung haben. Aber dass Corona noch einmal kommt – auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Und bis kurz vor Pfingsten war es noch völlig unklar, ob wir aufmachen können oder nicht.
— Sie waren mit 13 schon Zuschauerin einer Aufführung bei den Salzburger Festspielen – war die Präsidentschaft gar schon ein Kindheitstraum?
HELGA RABL-STADLER:Nein, ganz bestimmt nicht. Ich wollte immer Journalistin werden, ich habe mir vorgestellt, einmal Chefredakteurin zu werden. Schon als junges Mädchen hat es mich sehr gereizt, Meinung zu bilden oder neue Dinge darzustellen. Dass ich einmal Festspielpräsidentin würde, konnte ich nicht ahnen. Ich empfinde mich als ein Kind des Glücks, dass ich es wurde.
— Als Sie Festspielpräsidentin wurden, stand auf dem Schild Ihrer Bürotüre "Präsident"…
HELGA RABL-STADLER: Das habe ich sofort ändern lassen, habe gesagt: Bitte macht's ein "-in" dazu. Dann hat es geheißen, das zahlt sich nicht aus, die wird nicht so lange bleiben.
— Nach Ihrer Promotion zur Juristin waren Sie Journalistin, Unternehmerin und Politikerin, ehe Sie Festspielpräsidentin wurden. Welche dieser Funktionen hat Ihnen am meisten Freude bereitet – und welche am wenigsten?
HELGA RABL-STADLER:Ich habe eine Eigenschaft, die mir das Leben sehr erleichtert: Ich liebe immer das, was ich mache. In das mütterliche Modegeschäft bin ich nur aus familiären Gründen gegangen, Mode hat mich nie interessiert.
Ein bisschen enttäuscht war ich über die geringen Möglichkeiten zur Umsetzung in der Politik. Darüber, dass man die Ideen des politischen Mitbewerbers erst einmal heruntermachen muss, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass die anderen auch etwas können. Damals habe ich noch nicht geahnt, auf welche Tiefe die Politik einmal sinken wird.
— War es für Frauen früher schwerer, Karriere zu machen? Noch dazu, wenn Sie Kinder hatten wie Sie?
HELGA RABL-STADLER:Ja, es war sehr viel schwerer. Das empfinde ich auch heute noch als ungerecht: Es gibt noch immer viele ungelöste Probleme. Ich halte es auch für einen großen Fehler, dass es noch immer nicht genügend Nachmittags-Betreuungsplätze und Ganztags-Schulen gibt. Das ist für berufstätige Mütter wahnsinnig wichtig.
Was gute Jobs betrifft, war es auch viel schwieriger: In jeder Bank waren der Großteil der Mitarbeiter Frauen – aber nur bis zur Abteilungsleiter-Stellvertreterin. Abteilungsleiter war immer ein Mann. Ich war die allererste Frau, die Präsidentin einer Wirtschaftskammer wurde. 1985 wurde ich Vizepräsidentin, weil ich eine Frau war, 1988 Präsidentin, obwohl ich eine Frau war. Eine Vizepräsidentin fanden die damaligen Entscheidungsträger ungefährlich, aber eine Frau an der Spitze – das wollten sie nicht.
— Wie stehen Sie generell zu Frauenquoten, wie zum Gendern?
HELGA RABL-STADLER: Ich bin für Quoten, weil sich sonst zu lange nichts tun wird. Beim Gendern muss man manchmal wirklich aufpassen, dass nicht durch Übertreibungen das Gegenteil erreicht wird.
— Sie standen schon recht früh in exponierten Positionen und ließen durch rhetorisches Talent, geschliffene Reden und starke Sager aufhorchen. Wie Gerd Bacher, von dem Sie erst mit 21 erfuhren, dass er Ihr leiblicher Vater ist. Schlugen da die Gene durch?
HELGA RABL-STADLER:Ja, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe in einer Zeit studiert, in der es hieß, der Mensch sei ein Produkt aus Umwelt und Erziehung. Erzogen worden bin ich ganz anders als heute üblich: Es hieß, bloß nicht den Mund aufmachen und warten, was die Erwachsenen sagen. Das ist einer der vielen Beweise, dass bei mir die Gene durchschlagen.
— Wenn man einem Kind ständig sagt, dass es bestimmte Dinge nicht tun soll, dann wird das Kind das ja erst recht tun…
HELGA RABL-STADLER:So ist es.
— Wie gehen Sie mit den unterschiedlichen Befindlichkeiten der Leute um Sie herum um und schaffen es, alle auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen? Das ist doch eine große Herausforderung, oder?
HELGA RABL-STADLER:Es ist eine riesige Herausforderung, alle auf ein Ziel einzuschwören. Die Festspiele haben vom Hausarbeiter über den Tischler bis zum Dramaturgen alle Metiers.
Ich bin ein Fan des Vorlebens einer Idee. Ich betrete jeden Tag voller Freude, dass ich das größte Klassik-Festival der Welt mitführen darf, meinen Arbeitsplatz. Dieses Sich-Freuen und Stolz-Sein halte ich für eine ganz wichtige Motivation. Ich habe kein Talent zur Frustration und hoffe, dass auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so fühlen. Frustration kann man sich keine erlauben.
Mein Vater hat immer gesagt: Erstklassige Chefs haben erstklassige Mitarbeiter, zweitklassige Chefs haben drittklassige Mitarbeiter.
Helga Rabl-Stadler, Festspielpräsidentin
— Einerseits heißt es: Niemand, mit dem Sie arbeiten, vom Portier bis zum Superstar, sei Ihnen egal. Von Wertschätzung ist die Rede. Andererseits heißt es, Sie sind ein Kontrollfreak, der im Geheimdienst gut aufgehoben sein könnte. Ist das nicht ein Widerspruch?
HELGA RABL-STADLER:Ein Kontrollfreak, nein?! Dazu bin ich viel zu vertrauend. Wenn man zu jemandem Vertrauen hat, wird man meistens auch nicht enttäuscht. Ich bin sehr selten personell enttäuscht worden. Ich sehe mich als gute Teamarbeiterin, arbeite sehr gerne mit Frauen zusammen, ich kann gut loben und mich gut über den Erfolg von anderen freuen. Auch dabei ist mir mein Vater ein Vorbild. Er hat immer gesagt: Erstklassige Chefs haben erstklassige Mitarbeiter, zweitklassige Chefs haben drittklassige Mitarbeiter.
— Sie erleben heuer Ihre letzten Festspiele. Unwiderruflich?
HELGA RABL-STADLER:Ja, unwiderruflich. Es ist ein schöner Abschluss, nach dem Jubiläumsjahr zu gehen. Und dass ich von den 100 Jahren mehr als ein Viertel davon als Präsidentin mitbestimmt habe.
— Was werden Sie in Ihrem Leben danach tun? Haben Sie nicht Angst, in ein schwarzes Loch zu fallen?
HELGA RABL-STADLER:Ja.
— Wirklich?
HELGA RABL-STADLER:Ja, mehr sage ich jetzt nicht (lacht). Trotzdem steht mein Entschluss fest: Man soll gehen, wenn man noch gehen kann.
— Werden Sie Ihrem Nachfolger bzw. Ihrer Nachfolgerin Ratschläge geben oder sich ganz herausnehmen?
HELGA RABL-STADLER:Sicher nicht. Ich werde mich ganz heraushalten.
— Gibt es etwas aus Ihrem öffentlichen Leben, dass Sie damals anders gemacht hätten, wenn Sie die Erfahrungen von heute gehabt hätten?
HELGA RABL-STADLER:Weil ich als Journalistin begonnen habe, was ja ein ziemlicher Einzelkämpfer-Beruf ist, habe ich zu Beginn zu wenig Netzwerke geknüpft. Was mir anfangs bei den Salzburger Festspielen passiert ist, dass ich ganz alleine gekämpft und einiges Negatives miterlebt habe, würde mir heute nicht mehr passieren. Aber ich bin niemand, der in der Vergangenheit lebt. Ich glaube, auch ein Grund meines Erfolges ist, dass ich mich voll auf die Bewältigung der Herausforderungen der Gegenwart konzentriere. Und die sind groß genug.
— Ganz etwas anderes, was sich viele fragen: Wie schaffen Sie es, den ganzen Tag lang immer tiptop in Erscheinung zu treten?
HELGA RABL-STADLER:Oh, das ist ja gar nicht wahr. Das Schöne ist, ich habe das Gefühl, dass vor allem Frauen mich mit so viel Sympathie begleiten. Ich glaube, dass andere, auch nicht mehr so junge Frauen sich freuen, dass eine 73-Jährige noch nicht verschwunden ist, sondern selbstbewusst ihren Beruf macht. Das war vor 40 Jahren anders, da hat mich viel Neid verfolgt. Jetzt spüre ich sehr viel Unterstützung.
— Sie sind seit 1972 Clubmitglied. Welche Bedeutung hat der ÖAMTC für Sie?
HELGA RABL-STADLER:Ich finde, er ist ein herrliches Sicherheitsnetz. Wenn es ihn nicht schon gäbe, müsste man ihn erfinden. Glücklicherweise habe ich ihn noch nicht sehr oft gebraucht – einmal, als die Batterie im Winter leer war. Der ÖAMTC ist eine der Organisationen, deren Funktionieren wir in Österreich als Selbstverständlichkeit voraussetzen, der aber etwas ganz Wichtiges ist, über dessen Existenz wir glücklich sein dürfen.
Dr. Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele
Geboren am 2. Juni 1948 in Salzburg
Studierte Rechts-, Publizistik- und Politikwissenschaften
1970 Promotion zur Dr. jur.
Erste journalistische Tätigkeiten bei "Die Presse" und "Wochenpresse"
1974–78 innenpolitische Kolumnistin beim "Kurier"
Ab 1978 Mitarbeiterin, später Gesellschafterin im familieneigenen Modehaus
1983–90 Abgeordnete der ÖVP
1988–94 Präsidentin der WKO Salzburg
Seit 1995 Präsidentin der Salzburger Festspiele
Das sind unwiderruflich meine letzten Festspiele. Man soll gehen, wenn man noch gehen kann.
Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele