Autofahren muss leistbar bleiben
Verbrennerverbot, Pendlerförderung, Infrastrukturausbau, Fahrtüchtigkeitschecks:
Wir haben die Spitzenkandidaten der Parlamentsfraktionen im Vorfeld der Nationalratswahl 2024 nach ihren Positionen zu aktuellen Mobilitätsthemen gefragt.
Wie er Autofahrer:innen entlasten will, welchen Stellenwert der PKW einnehmen soll und ob er eine Helmpflicht für E-Bikes will, erklärt Bundeskanzler Karl Nehammer von der ÖVP im Interview.
Interview: Stephan Strzyzowski, Bernhard Wiesinger
Welche Rolle soll das private Auto in der Verkehrspolitik spielen? Welchen Platz räumen Sie ihm in Stadt und Land ein?
Karl Nehammer: Individuelle Mobilität spielt eine ganz zentrale Rolle. Sie ist Ausdruck unserer Wahlfreiheit, ob wir öffentliche Verkehrsmittel verwenden wollen oder eben nicht. Ich verwehre mich dagegen, die individuelle Mobilität aus dogmatischen Gründen einzuschränken. Es ist kein "Entweder-oder", wir brauchen beides. Wir müssen ein attraktives Angebot schaffen, das öffentlichen Verkehr und individuelle Mobilität bestmöglich verknüpft und vor allem echte Wahlfreiheit bringt.
Die Inflation seit 2021 liegt bei 21,6%. Die monatlichen Kosten für ein Auto sind allerdings um fast 26% gestiegen. Wie wollen Sie Autofahrer:innen entlasten?
Wir haben mit mehreren Ansätzen für Entlastungen gesorgt. Zum einen durch die ökosoziale Steuerreform, vor allem aber durch die Abschaffung der kalten Progression und auch den Klimabonus. Allein die Abschaffung der kalten Progression bringt den Menschen von 2023 bis 2025 um 7,5 Milliarden Euro mehr.
Aus dem letzten Drittel der kalten Progression, das von der Politik vergeben werden kann, wollen wir das Kilometer-Geld auf 50 Cent anheben. Das bringt eine spürbare Entlastung. Darüber hinaus haben wir jene Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, mit einer Erhöhung des Pendlerpauschales und des Pendler-Euro entlastet.
Die nationale CO2-Bepreisung wird bis 2027 in den europäischen ETS II Handel übergeführt. Viele Ökonomen erwarten, dass der Literpreis an der Zapfsäule dadurch um über 25 Cent pro Liter ansteigt. Ist in diesem Fall für Sie eine Senkung der Mineralölsteuer vorstellbar?
Autofahren muss für die Menschen leistbar bleiben. Daher müssen wir schon vorher eingreifen und sicherstellen, dass so eine Entwicklung erst gar nicht stattfindet. In einer nächsten Regierung müssen wir sicherstellen, dass das Thema Individualverkehr und Entlastung der Menschen genauso wichtig ist wie die Entlastung der Umwelt. Das ist aus meiner Sicht möglich. Der Klimaschutz muss mit Vernunft und Augenmaß betrieben werden, erst danach kann man solche technischen Detailfragen beantworten.
Wie lange wollen Sie die Ankaufsförderungen für E-Autos fortführen?
Wir haben derzeit eine enorme Fokussierung auf Elektroantriebe. Entscheidend ist aber, dass es generell einen offenen Umgang mit Technologie gibt. Ich bin zum Beispiel davon überzeugt, dass Hybridantriebe oder der Einsatz synthetischer Kraftstoffe enorm an Bedeutung gewinnen werden. Auch Verbrenner sind noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung. Sie können noch deutlich weniger oder sogar gar kein CO2 mehr emittieren. Denn es kommt darauf an, was verbrannt wird und wie. Ich möchte deswegen, dass die Menschen eine breitere Förderpalette nutzen können. Hybride zu fördern ist also genauso wichtig wie Elektromobilität.
Sie setzen sich also für eine Fortführung der Förderungen ein?
Ja. Und wir müssen auf eine Weiterentwicklung verschiedener Technologien setzen. Ich bin deswegen froh, dass wir das dogmatische Verbrenner-Aus in der EU verhindern konnten. Die EU war die einzige Weltregion, die so einen radikalen Schritt gesetzt hat. Nun ist es wichtig, in Forschung und Innovation zu investieren. In Österreich hängen über 300.000 Arbeitsplätze an der Automobilindustrie. Zudem haben wir internationale Leitbetriebe im Bereich der Antriebstechnologien. Es ist also im österreichischen Interesse, dass die Palette von Verbrennungsmotor, Elektroantrieb und Hybrid breitestmöglich erhalten wird.
Wir brauchen keine grünen Dogmen.
Karl Nehammer, ÖVP
Die EU hat letztes Jahr ein Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 beschlossen, das jetzt – wie von Ihnen angesprochen – wieder wackelt. Reicht die erleichterte Zulassung grüner Verbrenner, die nur mit E-Fuels betrieben werden können aus, oder geht sie am Kern des Problems vorbei? Denn auf den Straßen werden auch nach 2035 weiterhin Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren im Betrieb bleiben.
Es führt kein Weg daran vorbei einen technologieoffeneren Ansatz zu verfolgen, insbesondere im Hinblick auf die Reduktion des CO2-Ausstoßes. Durch eine deutliche Erhöhung der Beimengung von Biotreibstoffen könnten wir beachtliche Fortschritte erzielen. Aktuell nutzen wir dieses Potenzial aber noch nicht ausreichend. Wenn wir den realen Anteil an Biotreibstoffen auf 10% erhöhen würden, wäre eine markante CO2-Reduktion die Folge. Technisch wäre sogar eine noch größere Erhöhung möglich. Es ist wichtig, solche Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Zum Glück nimmt die Diskussion auf EU-Ebene aber wieder Fahrt auf und auch die Brüsseler Bürokratie erkennt langsam das vorhandene technologische Potenzial, um die Klimaziele zu erreichen. Zudem verfügt Europa über eine hohe Expertise im Bereich des Verbrennungsmotors, und es wäre ein fataler Fehler, diese Technologie vorschnell abzuschreiben. Denn unter bestimmten Umständen könnte ein Verbrennungsmotor eine bessere Umweltbilanz aufweisen als ein Elektroauto, das seine Energie aus Braunkohlestrom bezieht. Daher ist es entscheidend, eine realitätsbasierte Sicht statt einer fiktiven Idealvorstellung zu vertreten.
Für das WIFO und viele Umweltökonomen ist die Unterstützung von Pendlern eine "umweltschädliche Subvention", die abgeschafft gehört. Sehen Sie das auch so?
Die Förderung von Pendlern dient dazu, jene zu unterstützen, die aus beruflichen Gründen auf das Auto angewiesen sind. Die Menschen können ihrem Job nachgehen und die Unternehmen benötigen die Arbeitskräfte vor Ort. Das Resultat sind Steuereinnahmen, weshalb die Förderung eine sinnvolle und gerechte Maßnahme darstellt. Zudem ist Österreich führend in der Europäischen Union, was das Bahnfahren betrifft. Das Klimaticket genießt auch eine hohe Akzeptanz bei Pendlerinnen und Pendler, da damit auch die Kombination individueller und öffentlicher Verkehr attraktiv ist. Die Pauschalannahme, dass Pendler der Umwelt schaden, ist unangemessen und entspricht nicht der tatsächlichen Situation.
Unter der aktuellen Bundesregierung wurden zahleiche Infrastruktur-Projekte wie der Lobautunnel, die A9 bei Graz oder die S18 gestoppt. Wie würde es in einer Regierung, der Sie angehören, mit diesen Infrastrukturprojekten weitergehen?
Wenn ich wieder Bundeskanzler werde, werde ich alles dafür tun, dass diese Lücken geschlossen und offene Bauprojekte umgesetzt werden.
Zwar haben wir bereits erheblich in das Schienennetz investiert und dies war auch richtig so, doch ist es nun an der Zeit, unsere Aufmerksamkeit vermehrt auf die Straßeninfrastruktur zu richten. Denn auch das Auto der Zukunft benötigt sichere Straßen.
Die EU fordert von ihren Mitgliedstaaten konkrete Nationale Energie- und Klimapläne (NEKP), wie sie die Klimaziele 2030 erreichen wollen. Viele Vorschläge für NEKP-Maßnahmen fußen auf der Idee, dass der Pkw-Verkehr weniger wird, wenn die Kosten empfindlich steigen. Betroffen davon sind vorwiegend Menschen mit niedrigerem Einkommen. Halten Sie diesen Ansatz für richtig?
Nein, ich bin ein Befürworter von Anreizen statt Bestrafungen oder Verboten – deshalb halte ich auch Förderungen für Elektro- und Hybridfahrzeugen für sinnvoll. Ich setze mich für Wahlfreiheit in der Mobilität ein. Diese ist jedoch nur dann gegeben, wenn alle Optionen auch erschwinglich sind, und nicht etwa die individuelle Mobilität nur den Besserverdienern vorbehalten bleibt. Mobilität muss für jeden leistbar bleiben – alles andere wäre ein großer Fehler für unsere gesellschaftliche Entwicklung.
Ich setze mich für Wahlfreiheit in der Mobilität ein.
Karl Nehammer, ÖVP
Diese Bundesregierung hat das Klimaticket eingeführt. Verkehrswissenschafter wie Prof. Gerd Sammer kritisieren, dass das Klimaticket in punkto CO2-Einsparungen ineffizient sei und man das Geld besser in den Ausbau des ÖV-Angebotes investieren sollte. Soll das Klimaticket bleiben?
Auf meiner Österreich-Tour habe ich durchgehend die Rückmeldung erhalten, dass das Klima-Ticket eine positive Errungenschaft ist. Auch, weil es die Kombination aus Auto- und öffentlichem Verkehr unterstützt. Doch der Einsatz für Klimaschutz erfordert natürlich noch weitreichendere Maßnahmen, zum Beispiel die CO2-Speicherung und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Wir sollten auf alle Fälle damit aufhören, die verschiedenen Verkehrsoptionen gegeneinander auszuspielen und stattdessen ein systemisches Zusammendenken anstreben.
Wie sieht generell Ihre Vision vom Verkehr der Zukunft aus?
Meine Vision für die Mobilität der Zukunft basiert auf dem Prinzip der echten Wahlfreiheit für die Bürgerinnen und Bürger. Entscheidend ist, dass sie selbst wählen können, ob sie individuell mit dem Auto fahren oder den öffentlichen Verkehr nutzen möchten, ohne in ihrer Entscheidung eingeschränkt oder gar zu etwas gezwungen zu werden. Zusätzlich zum individuellen und dem öffentlichen Nahverkehr werden wir in Zukunft wahrscheinlich auch selbstfahrende Systeme als Angebot haben. Obwohl dies momentan noch wie Zukunftsmusik erscheint, bin ich mir sicher, dass diese Technologien eine Lücke schließen werden.
Durch eine Novelle der EU-Führerschein-Richtlinie werden die Mitgliedstaaten in Zukunft national eine regelmäßige Überprüfung der Fahrtüchtigkeit – jedenfalls für ältere Führerscheinbesitzer - einführen müssen. Soll diese regelmäßigen Überprüfungen durch Test beim Arzt oder durch standardisierte Selbsteinschätzungen umgesetzt werden?
Wir haben uns bisher gegen alle zentralistischen Vorhaben von Seiten Brüssels gewehrt, ältere Menschen zu diskriminieren. Und das werden wir auch weiter tun.
E-Bikes boomen und damit steigt leider auch die Anzahl der getöteten Radfahrenden. Überwiegend sind es ältere E-Bike-Fahrer:innen, die ohne Unfallgegner verunglücken. Halten Sie die Einführung einer Helmpflicht für E-Bikes für sinnvoll?
Wenn sich neue Situationen ergeben, müssen diese bewertet und reguliert werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Beim Umgang mit modernen Verkehrsmitteln wie Elektro-Rollern und E-Bikes gilt es, das jeweilige Gefährdungspotenzial und die erreichten Geschwindigkeiten zu bewerten. Wenn E-Bikes Geschwindigkeiten wie Mopeds ermöglichen, verstehe ich, dass man auch über die dementsprechenden Sicherheitsvorkehrungen diskutiert. Sicherheit sollte jedoch auch im Eigeninteresse der Menschen liegen.
Automobilhersteller schränken den Zugang zu Reparatur- und Wartungs-Daten immer mehr ein. Wie wollen Sie der Europäischen Kommission beim Thema “Daten aus dem Auto“ Beine machen?
Der Kauf eines Autos sollte nicht automatisch die Zustimmung zur Verwendung der eigenen Daten beinhalten. Hier ist eine klare und transparente Regelung nötig. Um so komplexe Themen auf europäischer Ebene voranzutreiben, brauchen wir allerdings Verbündete. Doch wir haben schon bei anderen Themen, wie dem angedachten Verbrenner-Aus oder der Bekämpfung illegaler Migration gezeigt, dass auch kleine Mitgliedsstaaten durch konsequentes Auftreten europaweit Druck aufbauen und zu einer Priorisierung des Themas beitragen können. Der Schutz der Privatsphäre und der eigenen Daten muss selbstverständlich gewährleistet sein.
Wordrap
Ich habe einen Führerschein für… die Klasse B.
Mein erstes Auto war… ein gebrauchter Saab.
Meine erste größere Reise ohne Eltern habe ich… mit einem VW Passat quer durch Frankreich gemacht.
Privat bin ich… mit einem VW Sharan unterwegs.
Ich bin schon einmal schneller als 130 km/h auf der Autobahn gefahren. Möglicherweise, ja.
Mit dem Fahrrad war ich das letzte Mal… vor fünf Jahren unterwegs.
Mein Dienst-Fahrzeug… wird von einem Plug-in-Hybrid angetrieben.
Mobil zu sein bedeutet für mich... Freiheit.
Klare Frage, klare Antwort
Kilometer-abhängiges Road Pricing auf allen Straßen? Nein
Ausbau von Staustrecken stoppen: Nein
Parkmöglichkeiten in Städten verteuern: Nein
Citymauten in den Landeshauptstädten: Nein
Autofreien Tag pro Monat einführen: Nein
Förderung der Elektromobilität fortsetzen: Ja
Private Dienstwagennutzung verteuern: Nein
Generelle Tempolimits reduzieren: Nein
Fahrradhelmpflicht für E-Bikes: Vielleicht
Fahrtüchtigkeits-Checks für Ältere: Nein
Klimaticket fortführen: Ja
Hier geht es zu den Interviews mit:
Andreas Babler (SPÖ)
Herbert Kickl (FPÖ)
Werner Kogler (die Grünen)
Beate Meinl-Reisinger (NEOS)