Interview: Rosanne Cash

Sie ist die Erstgeborene des legendären Johnny Cash und schon längst aus dem Schatten seiner breiten Schultern getreten: Rosanne Cash. Ein Gespräch über die Last des schweren Erbes, Teenager-Rebellion und ihre geliebten Südstaaten.

Es ist ein rarer Moment an diesem schwülen Sommerabend in der Wiener Arena: Als Rosanne Cash und ihr Ehemann John Leventhal zum ersten Mal eine österreichische Bühne betreten, schnellen zur Abwechslung nicht hundert Handykameras in die Höhe und versperren die Sicht. Nein, das Publikum klatscht heute respektvoll, unterhält sich nicht lautstark über den vergangenen Arbeitstag, twittert und facebooked keine verwackelten Videos, sondern hält schlicht und einfach einmal den Mund. Wer heute in dieser Halle ist, will dieses Ausnahme-Konzert einfach nur genießen. Eine Stunde vorher treffen wir backstage auf eine gut gelaunte Lady, die zwar seit vielen Jahren in New York City lebt, ihre Herkunft, die US-Südstaaten, aber immer noch im Herzen trägt…

Das Album

— Mrs. Cash, ihr neues Album "The River & the Thread" ist vielleicht die schönste Liebeserklärung an die US-Südstaaten, die jemals auf Platte gepresst wurde. Was macht denn diese Region für Sie so besonders?






In den Südstaaten ist der Ur-Schlamm, aus dem wir Musiker alle gekrochen kommen






Rosanne Cash, Musikerin

Rosanne Cash: Oh mein Gott, wo soll ich beginnen? Es ist einfach der Ort, wo all die Musik entstand, die wir heute so lieben: der Rock’n’Roll, der Blues, der Country. Ich empfinde aus tiefstem Herzen unendliche Dankbarkeit für diesen wunderbaren Fluss, den Mississippi, dass an seinen Ufern der Delta Blues, der Southern Gospel, die indianische Musik der südlichen Ausläufer des Appalachen-Gebirges passieren durften. In dunklen Zeiten haben die Sklaven aus Afrika das Banjo dorthin mitgebracht, ohne das unsere Musik heute niemals so klingen würde, wie sie klingt. Die Gegend hat eine Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen, man nennt sie nicht umsonst "The Deep South". Hier ist der Ur-Schlamm, aus dem wir Musiker alle gekrochen kommen.

Einführung: die Südstaaten in 33 Bildern

Memphis, Tennessee

— Hinter dem emotionalen Song namens "Etta’s Tune" steckt eine schöne Geschichte…

Rosanne Cash: Mein Vater begann in den fünfziger Jahren mit zwei Menschen Musik zu machen, den "Tennessee Two". Einer davon, der Bassist, war Marshall Grant, und den kannte ich mein ganzes Leben lang, von klein auf. Er war bei meiner Geburt der erste Mensch nach meinen Eltern, der mich halten durfte. Bevor er 2011 starb, hat er begonnen, mich oft anzurufen und mir immer und immer wieder die selben Geschichten zu erzählen. Ich glaube, er wollte seine Erinnerungen ordnen und hat mich als historischen Fixpunkt gewählt, der stets in seinem Umfeld war. Das waren Gespräche über die vielen Jahre, die er mit meinem Vater auf Tour war, über jede einzelne Bar-Rechnung, die er dabei penibel gesammelt hatte. Zu allem gab es eine Geschichte. Er hatte einen Koffer mit jeder einzelnen handgeschriebenen Setlist von jedem einzelnen Hinterhof-Konzert seit Beginn an, komplett lückenlos. An dem Tag, als er starb, saß ich mit seiner Frau Etta an seinem Krankenbett. Und sie meinte: "Rosanne, weißt Du, was er mich 65 Jahre lang jeden Morgen nach dem Aufwachen gefragt hat? 'What’s the temperature, darling?'" Da hatte ich die erste Zeile des Songs, der die Geschichte einer großen, großen Liebe zwischen zwei Menschen erzählt. Etta und Marshall.

Rosanne Cash: "Etta's Tune"


Sun Records & die Flagge

— Sollten unsere Leser Lust bekommen, einmal selbst tief in die Südstaaten einzutauchen: Welche Orte abseits der Touristenpfade empfiehlt Reiseführerin Rosanne Cash?

Rosanne Cash: Sun Records in Memphis, Tennessee. Der winzige Aufnahmeraum, wo mein Vater und Elvis erfunden wurden. (lacht) Dann der Platz in Money, Mississippi, wo Blues-Urvater Robert Johnson begraben liegt, mit der nahen Tallahatchie Bridge und ihrer spannenden Geschichte. Die müsst ihr aber selbst googlen, Leute! (lacht) Und dann, auch in der Nähe, noch die Dockery Plantation, eine ehemalige Baumwollfarm, wo einst ein unbekannter schwarzer Teenager den Blues vor sich hingepfiffen hat, um über die Runden zu kommen. Sein Name: John Lee Hooker. Das war aber ein paar Jahrzehnte, bevor er begann, riesige Konzerthallen auszuverkaufen und mit den Rolling Stones und Eric Clapton auf der Bühne zu stehen. (lacht)

— Für Europäer ist die aktuelle Diskussion um die Konföderierten-Flagge schwer zu verstehen: Ist sie ein Symbol der stolzen Südstaaten-Tradition oder eines, das für die dunkle Ära der Sklaverei steht?




Die Südstaaten-Flagge muss vor jedem Haus verschwinden!






Rosanne Cash, Musikerin


Rosanne Cash: Sie ist fürchterlich. Sie muss vor jedem Haus endlich runtergenommen werden! Diese Flagge steht für schreckliche Ungerechtigkeit. Sie war damals falsch, und sie ist heute falsch. Viele Menschen im Süden sagen, sie wäre Tradition und sei nicht mit dem Thema Sklaverei verbunden. Natürlich ist sie das, was denn sonst? Weg damit!

— In Europa wird US-Countrymusik oft als seichter Pop für konservative Hinterwäldler wahrgenommen. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen kommerziellem und echtem Country?

Rosanne Cash: Ok, ich versuche, da jetzt nicht zu werten. Mich geht das eigentlich auch nichts an, weil ich ja etwas komplett anderes mache. Sagen wir so: In der Country-Hochburg Nashville, Tennessee, gibt es unzählige Radiosender, die zwar nach Country klingen, aber eigentlich keinen richtigen Country spielen. Darum ist es mir auch lieber, wenn ich in der passenderen Nische "Americana" eingeordnet werde. 

Für Europäer ist die aktuelle Diskussion um die Konföderiertenflagge schwer zu verstehen: Ist sie ein Symbol der stolzen Südstaaten-Tradition oder eins der Sklaverei?

 

Sie ist fürchterlich. Sie muss vor jedem Haus endlich runtergenommen werden. Diese Flagge steht für schreckliche Ungerechtigkeit. Sie war damals falsch, sie ist heute falsch. Viele Menschen im Süden sagen, sie wäre Tradition und sei nicht mit dem Thema Sklaverei verbunden. Natürlich ist sie damit verbunden, was denn sonst? Weg damit!

 

AT: In Europa wird US-Country-Musik oft als seichte Popmusik für konservative Hinterwäldler wahrgenommen. Können Sie den Unterschied zwischen kommerziellem und echtem Country erklären?

 

Ok, ich versuche, da jetzt nicht zu werten. Mich geht das eigentlich auch wirklich nichts an, weil ich ja etwas komplett anderes mache. In der Country-Hochburg Nashville gibt es tausende Radiosender, die wie Country klingen, aber eben schon lange keinen Country mehr spielen. Ich weiß, die Unterscheidung ist sehr schwierig, darum fühle ich mich in einer passenderen Musiknische wohler: Wir, die da reingehören, mögen den Oberbegriff „Americana“.

Portraits einer Lady

Teenager-Rebellion

— Wie kann man sich vorstellen, als Tochter der Cash-Familie aufzuwachsen? Musik rund um die Uhr und manchmal schaut Elvis Presley zuhause vorbei?

Rosanne Cash: (lacht) Mein Vater kannte Elvis gut, aber ich kann mich nicht erinnern, dass er einmal bei uns war. Ich sehe aber Patsy Cline, Carl Perkins, Tammy Wynette und Kris Kristofferson im Wohnzimmer sitzen. Und ich war einmal in der Küche, als Bob Dylan bei Dad zu Besuch war. Musik gab’s rund um die Uhr, ja. Auch wenn mein Vater auf Tour war, war da noch immer meine Mom, die diese Chance genützt hat, uns Kinder mit Ray Charles zu beschallen. (lacht) 

— Konnten Sie als Teenager überhaupt rebellieren?




Wie sollst du als Kind gegen jemanden rebellieren, der selbst ein Rebell ist?






Rosanne Cash, Musikerin


Rosanne Cash:Als großer Fan der Beatles, die für Erwachsene damals ja ein Werk des Satans waren, habe ich es zumindest versucht. (lacht) Mit meinem Vater war das aber gar nicht so leicht, weil er ja immer für alles Musikalische offen war. Er hat meinen Bruder sogar einmal zu einem Heavy-Metal-Konzert geschleppt, um, wie er sagte, seinen Horizont zu erweitern. Wie sollst du als Kind gegen jemanden rebellieren, der selbst ein Rebell ist? Meine Mum war aber strenger. Die mochte die Beatles gar nicht. Aber ich kann mich erinnern, als sie zum ersten mal in den Staaten live im Fernsehen in der Ed Sullivan Show zu Gast waren. Da hat sie meinen Schwestern im Wohnzimmer, wo der Fernseher stand, Redeverbot mit Strafandrohung erteilt, wenn sie mich das nicht in Ruhe ansehen lassen. Heute denke ich, dass ich gegen solche Eltern gar nicht rebellieren konnte, zumindest was Musik betrifft. Ich musste nur etwas finden, das mir allein gehört. Und das waren eben die Beatles.

Johnny & Rosanne

Der Vater

— Wir können diese Frage gern überspringen, wenn Sie möchten. Aber ist es auch als Erwachsene noch schwierig, mit dem Erbe des Übervaters zu leben?

Rosanne Cash: Ich habe schon mit vielen solchen, nennen wir sie: gleichgesinnten, Kindern gesprochen, denen es ähnlich ging und geht. Man braucht nur an Julian und Sean Lennon zu denken. Ich weiß mittlerweile aber, dass die Konstellation weitaus schwieriger ist, wenn es um einen Mann und seinen Sohn geht. Für mich war’s einfacher, weil mich schon allein die weibliche Stimme von der meines Vaters unterscheidet. Andererseits mache ich seit 38 Jahren Musik, und noch immer wollen Menschen, die ich treffe, durch mich hindurchsehen, um dahinter Johnny Cash zu finden. Wird nicht passieren, Leute, ihr frustriert nur euch selbst und mich dazu. Manche sind so unsensibel und sagen: "Dein Vater war Wahnsinn, du bist aber auch irgendwie okay."


Der Oscar

— Ganz ehrlich: War "Walk the Line", der Oscar-prämierte Blockbuster über das Leben Ihres Vaters, ein guter Film?

Rosanne Cash:Nein. Er war technisch, schauspielerisch und vor allem gesanglich von Reese Witherspoon und Joaquin Phoenix natürlich grandios gemacht, keine Frage. Aber man kann ein so kompliziertes Leben wie das meines Vaters unmöglich in zwei Stunden pressen. Und glauben Sie mir, ich kenne die realen, unverklärten Minuten, die nicht auf der Leinwand zu sehen waren, immerhin aus erster Hand.