Thaddaeus Ropac: Über Geld spricht er nicht

Er gilt als Instanz für zeitgenössische Kunst. Seine Expertise und sein Netzwerk für Kunst und für Kunstinteressierte reichen um die ganze Welt. Und er ist der Diskretion verpflichtet.

Thaddaeus Ropac gilt weltweit als einer der wichtigsten Galeristen für zeitgenössische Kunst. Er vertritt über 60 Künstler:innen mit Rang und Namen. Darüber hinaus verwaltet er auch bedeutende künstlerische Nachlässe, organisiert Ausstellungen und ist karitativ tätig. In Salzburg zum Beispiel unterstützt er ein Caritas-Heim für geflüchtete Menschen.

— auto touring ist ja ein Mobilitätsmagazin. Daher meine Einstiegsfrage: Sind Sie als global tätiger Unternehmer in allen ihren weltweiten Galerien auch oft vor Ort?

THADDAEUS ROPAC:Ich lebe in Paris, in Salzburg bin ich zu Ostern, im Sommer und bei Ausstellungseröffnungen, in London monatlich, in Seoul und New York vier bis fünf Mal im Jahr – meine Anwesenheiten sind also schon gut aufgeteilt.

— Wie wichtig sind Videokonferenzen für Sie?

THADDAEUS ROPAC:Sehr wichtig. Wir haben das so beibehalten, auch um unseren CO2-Fußabdruck einzuschränken bzw. zu verbessern. Vorher gab es das auch bei uns, aber viel seltener. Heute sind Zoom-Meetings Teil jedes Arbeitstages für mich.

— Die letzten Jahre waren und sind ja nicht einfach. Wie haben sich die Pandemie und der Krieg in der Ukraine auf Ihr Geschäft ausgewirkt?

THADDAEUS ROPAC:In der Pandemie mussten wir viele Ausstellungen verschieben oder ganz absagen. Außerdem gab es fast eineinhalb Jahre lang keine Kunstmessen. Aber vieles hat sich in dieser Zeit erfolgreich ins Netz verlagert. Wir konnten die Zeit nutzen, um unseren digitalen Auftritt noch besser aufzubauen.

— Sie sind sehr umtriebig, führen Galerien auf der ganzen Welt, sind in jeder mehrmals im Jahr anwesend. Was treibt Sie eigentlich an?

THADDAEUS ROPAC:Ich habe vor fast 40 Jahren in Österreich begonnen und habe heute das Privileg, mit einigen der bedeutendsten Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart zusammenzuarbeiten. Das ist es, was mich ständig antreibt. Das hat natürlich auch seinen Preis, dafür nehme ich vieles in Kauf.

— Als Sie erwachsen wurden, war moderne Kunst ja noch nicht wirklich im Mainstream angekommen. Gab es einen Auslöser für Ihr Interesse an zeitgenössischer Kunst?

THADDAEUS ROPAC:Es waren die Überraschung, die Irritation und vielleicht auch der Schock, die eine Installation von Joseph Beuys in mir auslösten, die ich in Wien sah. Ich konnte sie einfach nicht verstehen, das hat mich auch geärgert. Das Werk hat mir viele Fragen gestellt, ich habe mich damit auseinandergesetzt, um es zu verstehen. Berufsziel habe ich damals keines damit verbunden. Aber je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr hat es mich fasziniert.

— Hatten Sie sich davor generell für irgendeine Art von Kunst interessiert?

THADDAEUS ROPAC:Nein, nicht wirklich. Aber nach diesem Auslöser der Beuys-Installation wollte ich auf einmal selbst Künstler werden. Zumal eines der wichtigsten Zitate von Joseph Beuys lautete: "Jeder ist ein Künstler." Und jeder sollte das Potenzial des kreativen Schaffens, das in einem steckt, auch suchen, fördern und ausbauen.

Das klang ja wie ein Aufruf, Künstler zu werden. Aber ich habe rasch bemerkt, dass mir das Talent dazu fehlt und es einen großen Unterschied gibt, ob jemand am Wochenende Kunst für sich als Hobby macht oder ob es sich um Kunst handelt, die relevant ist. Dafür habe ich keine Chance gesehen, das wurde mir bald klar.

— Sie malen auch gar nicht daheim?

THADDAEUS ROPAC:Nein. Wenn man es mit so großen Kunstschaffenden zu tun hat, dann kann man nicht nebenher mickrige Versuche starten.

"Ich habe keine Chance für mich als Künstler gesehen."

— Es ist also Ihrer Nähe zu Beuys zu verdanken, dass Sie mitbekamen, nicht das Zeug zum großen Künstler zu haben.

THADDAEUS ROPAC:Ja, das kann man so sagen.

— Aber Beuys wurde später zu einer Art Türöffner für Ihren weiteren Weg.

THADDAEUS ROPAC:Ja. Ich war Mitglied seines Teams, durfte etwa auf der documenta 1982 in Kassel mithelfen, 7.000 Eichen zu pflanzen (Beuys' Konzeptkunst-Projekt hieß "Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung", Anm.). Auch in Berlin dufte ich im gleichen Jahr an einer seiner Installationen ("Hirschdenkmäler", Anm.) mitarbeiten.

Ich war also in seinem Team. Unbezahlt. Als ich mich dann verabschiedet habe, hat er sich bedankt und gefragt, ob er etwas für mich tun könne. Da habe ich diese Gelegenheit genutzt und ihn gebeten, mir eine Empfehlung für Andy Warhol zu geben. Die hat er dann auf eine Serviette geschrieben. Das war mein Ticket nach New York, das ich Warhol dort übergeben habe.

— Es gibt zeitgenössische Kunst und Alte Meister. Werden Beuys und Warhol eines Tages als solche wahrgenommen werden?

THADDAEUS ROPAC:Auch Alte Meister waren ja zu deren Lebzeiten zeitgenössisch und wurden von Fürsten, Königen und der Kirche gesammelt. Erst, wenn es eine Künstlerin oder ein Künstler in den Kanon geschafft hat, also in der Geschichte verankert ist, dann kann man sie oder ihn so bezeichnen.

— Wie würden Sie Kunst definieren – und wie unterscheidet sich Kunst von Kitsch? Sind das alles Fragen des persönlichen Geschmacks?

THADDAEUS ROPAC:Es gibt die Genies unter den Künstlerinnen und Künstlern, die aus der Masse dessen, was gemalt oder gemacht wird, herausragen und Teil des Kanons werden. Die Parameter, was für die große Kunst reicht oder nicht, verändern sich laufend, weil sie sich einer Zeitgeschichte anschließen, die ständig neue Themen inkludiert, aber es gibt schon Kriterien, die von umfangreichen Expertenmeinungen festgelegt und zusammengefasst werden können.

"Es gibt Kriterien, ob etwas Kunst ist oder nicht."

— Wer gehört zu den Experten, die Kunst definieren?

THADDAEUS ropac:Zum Beispiel Museumsdirektorinnen und -direktoren, Kuratierende, Kritikerinnen und Kritiker, Galeristinnen und Galeristen und andere Kunstschaffende – alle, die sich an einem Diskurs beteiligen. Es gibt aber keine in schriftlicher Form festgehaltene Entscheidung– wohl aber Ankaufslisten der großen Museen, die vergleichbar sind.

Denn wenn man in bedeutende Museen geht, sieht man heute oft ähnliche Künstler. Aber nicht, weil man sich abgesprochen hätte, sondern weil das irgendwie der gegenwärtigen Definition des Kunstbegriffs entspricht.

Die Inhalte und die Techniken, mit denen Kunstwerke gestaltet werden, verändern sich ja ständig. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die selbst keine Hand an ihr Kunstwerk anlegen – das machen ihre Assistenten –, und es gibt solche, die alles selbst fertigen. Aber das sind alles keine entscheidenden Kriterien. Alle, die Kunst schaffen, beschreiben immer ihre Zeit. Politische oder menschliche Umstände, Visionen für die Gegenwart oder die Zukunft. Sie beschreiben die intimsten Bereiche, die dunkelsten Ecken, die manchmal auszuleuchten sind. Das sind entscheidende Kriterien, wie große Kunst wahrgenommen wird.

Es gibt also so viele Ansätze, dass man diese Frage nicht pauschal abhandeln kann.

— Das heißt, Kunst ist Ihrer Meinung nach recht vielfältig?

THADDAEUS ropac:Ja. Es gibt ganz unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler mit ganz unterschiedlichen Ansatzpunkten, die aber ähnlich wichtig sind. Eine VALIE EXPORT, die 1967 ihren bürgerlichen Namen ablegte, um sich als Künstlerin eine neue Identität zuzulegen (mit der Vorgabe, den Namen nur in Großbuchstaben zu schreiben, Anm.), hat etwas ganz anderes benützt, nämlich Fotografie, Installationen, Happenings – als ein Maler wie Georg Baselitz, der ständig dem Thema Malerei etwas Neues hinzufügen wollte und dieses Neue für sich definiert hat. Deshalb lassen sich keine eindeutigen Regeln niederschreiben.




Wir haben immer schon junge Talente gefördert. Viele von ihnen wurden dann eines Tages arriviert und bekannt.






Thaddaeus Ropac, Galerist


— Sie als Galerist vertreten ja arrivierte Künstler bzw. deren Nachlässe. Fördern Sie auch junge Talente?

THADDAEUS ropac:Natürlich, das haben wir immer gemacht. Viele dieser jungen Talente wurden dann eines Tages arriviert und bekannt. Wir haben in den letzten zwei Jahren eine ganze Gruppe junger Künstlerinnen und Künstler im Alter um die 30 ins Programm genommen, etwa Rachel Jones, Megan Rooney oder Alvaro Barrington.

Wir haben Jean-Michel Basquiat in Salzburg gezeigt, als er 23 war. Mein Programm besteht aus jungen Kunstschaffenden, die am Beginn einer Karriere stehen, und aus großen Meisterinnen und Meistern.

— Sind Sie auch als Trendscout tätig oder kommen junge Kunstschaffende auch zu Ihnen?

THADDAEUS ropac:Beides. Alle Galerien bekommen täglich Portfolios geschickt. Wir sind natürlich auch selbst daran interessiert, haben eine eigene Abteilung, die das aktuelle Geschehen ständig auf dem Radar hat. Dann wählen wir aus der Vielzahl von Kunstschaffenden diejenigen aus, die uns am meisten interessieren. Das ist ein umfangreicher Prozess.

— Ich habe gehört, Sie beteiligen sich bei jungen Talenten auch am Schaffensprozess, Sie beraten sie…

THADDAEUS ropac:Man begleitet den Schaffensprozess. Der Dialog mit den Kunstschaffenden ist enorm wichtig und die meisten wollen Feedback.

— Was treibt Künstlerinnen und Künstler mehr an: ideeller oder materieller Erfolg, sprich ihr Marktwert?

THADDAEUS ropac:Beides. Sie sind zuallererst einmal jung unerfahren und nicht erfolgreich. Sie wollen Kunst schaffen. Sie müssen erst einmal erfolgreich werden. Wir helfen ihnen dabei. Erfolg ist ja eine Anerkennung. Aber die bleibt für die meisten immer wichtiger als der Marktwert.

"Wir helfen Künstlern, erfolgreich zu werden. Das ist unser Job."

— Es gibt erfolgreiche und gehypte Künstler, die ihre große Zeit haben, dann wird es wieder ruhiger um sie, neue Namen erscheinen auf der Bildfläche. Wie funktioniert der Kunstmarkt eigentlich?

THADDAEUS ropac:Tausende Kunstschaffende suchen jedes Jahr ihren Weg in den Kunstmarkt, viele kommen von der Akademie. Das Wichtigste für sie ist, den richtigen Partner zu finden. Dann werden sie Teil eines Prozesses, der seine Zeit braucht. Wobei Instagram und soziale Medien heute diese Zeit stark verkürzen. Das erlaubt ihnen, sich schneller zu präsentieren und damit auch schneller erfolgreich zu werden als früher.

— Auf der anderen Seite gibt es ja Kunstsammelnde. Sind das Leute, die sich die bei Ihnen erworbenen Bilder ins Wohnzimmer hängen? Oder werden die Werke als Wertanlage in den Panzerschrank gesperrt? Oder sind es solche, die andere an ihrem Hobby teilhaben lassen wollen, indem sie die Werke auch an Ausstellungen verleihen?




Wir sind keine Interior Designer und daher nicht so sehr interessiert, dass sich jemand die Bilder als Deko aufhängt. Wir sind auch keine Investment-Berater.






Thaddaeus Ropac, Galerist


THADDAEUS ropac:Wir sind keine Interior Designer und daher nicht so sehr interessiert, dass sich jemand die Bilder als Deko aufhängt. Wir sind auch keine Investment-Berater. Unser Interesse gilt Sammlern, die wirklich Interesse an der Kunst haben. Aber Sammler geben ja meist viel Geld aus, da ist es schon wichtig, dass das klug ausgegeben wird. Wir sind nicht so naiv, das nicht nachvollziehen zu können. Auch wenn sie sich die Bilder in ihrem Zuhause aufhängen: Für Sammler ist der dekorative Nutzen zweitrangig.

— Wie geht es Ihnen, wenn Sie eingeladen sind, und im Raum hängen Reproduktionen und Kaufhauskunst?

THADDAEUS ropac:Das kommt ehrlich gesagt selten vor. Aber man darf auch nicht arrogant werden. Wenn es Menschen gibt, die sich an Kunst erfreuen, und Reproduktionen die einzige Möglichkeit dazu sind, dann ist das vollkommen in Ordnung. Die Kunst darf auch nicht zu sehr in ihrem Elfenbeinturm verschwinden. Da bin ich gelassen.

— Was raten Sie jemandem, der sich für Kunst interessiert, aber sich noch wenig auskennt und über ein beschränktes Budget verfügt? In Galerien zu gehen, sich signierte Lithografien zuzulegen?

THADDAEUS ropac:Der wichtigste Rat ist, sich vor dem Kauf des ersten Bildes Zeit zu nehmen, in Museen und Galerien zu gehen. Dabei merkt man rasch, bei welcher Kunst man sich am wohlsten fühlt – bei klassischer, bei zeitgenössischer, bei der Malerei, bei Skulpturen oder Installationen. Das ist ein Prozess. Man sollte sich zuerst Bücher über Kunst kaufen, um zu lesen, zu lernen und zu schauen. Das Schauen ist dabei noch wichtiger als das Lesen.

— Was halten Sie von den Pop-up-Stores, in denen man Werke jungen Künstler erwerben kann?

THADDAEUS ropac:Da ist natürlich die Frage, ob die Werke den Qualitätskriterien entsprechen. Aber wenn die Menschen ihren Spaß damit haben, ist das schon in Ordnung.

"Der wichtigste Rat ist, sich vor dem Kauf des ersten Bildes Zeit zu nehmen, in Museen und Galerien zu gehen."

— Sind Fälschungen für Sie ein Thema?

THADDAEUS ropac:Ja, aber zum Glück eher selten, da wir hauptsächlich mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten.

Zuerst klären wir die Provenienz: Wann das Kunstwerk erworben wurde, welche Besitzer es vorher hatte und ob man das Werk aus der Literatur kennt. Wenn die Künstlerinnen und Künstler noch leben, können wir sie im Zweifelsfall ja fragen. Wenn es sich um verstorbene Kunstschaffende handelt, ist die Fälschungsquote höher. Hier ist die Provenienzrecherche extrem wichtig.

Wenn die Provenienzkette brüchig ist, das Werk weder in der Literatur noch in Archivmaterial zu finden ist, dann werden wir es nicht ankaufen.

— Verraten Sie mir das teuerste Werk, das Sie jemals verkauft haben?

THADDAEUS ropac:Nein, wir sind der Diskretion verpflichtet.

— Und das billigste?

THADDAEUS ropac:Auch nicht, das wäre zu banal.

— Sie sind ein sehr erfolgreicher Galerist. Wie gehen Sie mit Ihrem Erfolg um? Versuchen Sie, der Gesellschaft etwas zurückzugeben?

THADDAEUS ropac:Ja, das ist mir wichtig. Wir machen an jedem Standort jährlich eine Ausstellung, deren gesamter Erlös karitativen Projekten zugute kommt. In Salzburg arbeiten wir gerne mit "Licht ins Dunkel" zusammen oder haben uns etwa an einem Caritas-Wohnheim für geflüchtete Menschen engagiert.

Aktuell gibt es bis bis 18. März 2023 in der Salzburger Galerie von Thaddaeus Ropac in der Villa Kast Ausstellungen von Emilio Vedova ("Venezia Muore") und Oliver Beer ("Resonance Paintings – Blue Notes") zu sehen. Über Ausstellungen in allen seinen Galerien informiert Ropac hier.