Interview: Thomas Spitzer

Als Chef der EAV ist Thomas Spitzer berüchtigt für seine bitterbösen Texte in meist unschuldiger Verpackung. Auf dem definitiv letzten Album der Band geht es nun Weihnachten an den Kragen.

Die Idee zum finalen Album "EAVliche Weihnachten – ihr Sünderlein kommet…" entspringt zwar bereits der ersten Deutschland-Tour im Jahr 1979, wegen der Pandemie hat Thomas Spitzer 42 Jahre später nun aber die Zeit gefunden, sie endlich zu verwirklichen – samt hochkarätigen Gastmusikern wie Gert Steinbäcker (STS), Marco Pogo (Turbobier) oder Paul Pizzera. 

Den messerscharfen Schmäh des EAV-Cheftexters durften wir beim ausgiebigen Gespräch in der Wiener ÖAMTC-Zentrale jetzt selbst verkosten…

Ältere Leute sagen mir oft: 'Als Kind hab ich die EAV lustig gefunden, aber heute verstehe ich die Texte auch'. Dann freue ich mich immer.

Thomas Spitzer, Gründungsmitglied der "Ersten Allgemeinen Verunsicherung" (EAV)

Zur Person


Geboren am 6. April 1953 in Graz
Gründungsmitglied der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV)
Texte, Musik, Albencover und Illustrationen stammen fast ausschließlich von ihm
Eine erwachsene Tochter und ein Sohn (2)
Lebt mit seiner Familie abwechselnd in Kenia und der Steiermark
Erfolgreichstes Album: Liebe, Tod & Teufel (1987)
2019: EAV-Abschiedstournee
2021: finales Album "EAVliche Weihnachten – ihr Sünderlein kommet…"

Der "Vater Morgana" im Gespräch

— Zart besaiteten Naturen sollte man euer neues Album vielleicht eher nicht unter den Weihnachtsbaum legen, oder?

thomas spitzer: (lacht) Keine gute Idee. Und ich befürchte auch, dass wir kein Radio-Airplay damit kriegen. Die Songs stammen ja aus der Anfangszeit der EAV, als wir durch Deutschland getourt sind. Da war auf dem Tour-Plakat ein leicht exhibitionistisch veranlagter Weihnachtsmann zu sehen, worauf wir im Freistaat Bayern gleich einmal Auftrittsverbot bekamen.

Nur ein einziger Radio-DJ hat es damals gewagt, die heutige Nummer "Der geile Weihnachtsmann" – früher "Ihr Kinderlein Kommet (verdammt noch einmal") – zu spielen, den haben sie danach sofort in die Provinz versetzt. (lacht)

Ihr Sünderlein, kommet!

— Wie hast du Weihnachten als Kind erlebt und wie feierst du es heute, nachdem du selbst vor zwei Jahren noch einmal Vater wurdest?

thomas spitzer: In meiner Familie ist es früher immer turbulent zugegangen, deshalb war Weihnachten für mich immer die Zeit, in der zumindest zwei Tage Frieden war. Ich mag die Festtage aber heute immer noch sehr gern, deshalb steht bei uns in Kenia immer ein selbst gebastelter Christbaum im Haus. Dort gibt's ja kein Nadelgehölz, also gehe ich immer in den Busch und schneide Äste von einer Zedern-Art ab, die ich dann mit Lackspray gold und grün färbe. (lacht)

Was ich an Weihnachten halt nie verstanden habe: Warum beschränkt sich die Nächstenliebe immer nur auf die paar Tage, wenn sich danach eh alle wieder die Schädel einhauen? Mein größter Wunsch ans Christkind wäre deshalb, dass das mit dem friedlichen Miteinander das ganze Jahr funktioniert. Ich fürchte aber, dass man mir dieses Geschenk in diesem Leben wohl nicht mehr gönnt.

— "Klinik unter Psalmen" vom neuen Album ist beispielsweise eine ziemlich böse Abrechnung mit Missständen in der Kirche…

thomas spitzer: Bitte nicht falsch verstehen – Ich war nie gegen den Glauben an sich, ich bin in der Steiermark ja selber in einer streng gläubigen Familie aufgewachsen. Da wurde vor dem Essen noch gebetet, sonst war man verdammt im ewigen Feuer. (lacht) Mir geht's vielmehr um die Institutionen und Religionen generell. Der Dalai Lama hat einmal gesagt, dass es ohne Religionen um die Welt wohl besser bestellt wäre. Da sag ich nur: kluge Worte! Weil solange es keinen Religionsfrieden gibt, wird es auch keinen Weltfrieden geben.

EAV: "Schlingel Bell" (2021)


Reunion und Supergroup

— Auf "EAVliche Weihnachten" findet sich im Prinzip die Originalbesetzung der EAV wieder, dazu die kompletten STS, außerdem "Ostbahn-Kurti" Willi Resetarits und heimischer Nachwuchs wie Paul Pizzera oder der auch politisch umtriebige Marco Pogo von Turbobier. Da hat Corona ausnahmsweise einmal geholfen, oder? 

thomas spitzer: Absolut. Vor allem die jungen, jetzt extrem angesagten Buben wie der Pogo oder der Pizzera hätten ja sonst niemals Zeit für mich gehabt, sondern wären irgendwo auf Tour gewesen. Ich habe jeden von denen fürs Album das Lied, das sie darauf singen, deshalb selbst aussuchen lassen und ihnen gesagt, sie sollen es so behandeln, wie sie es für richtig halten. Die brauchen ja keinen alten Dinosaurier wie mich, der ihnen was vorschreibt. (lacht)

EAV & Turbobier: "A klanes Feuer" (2021)


Reflektieren

— Tut es dir eigentlich im Nachhinein weh, dass die EAV immer als Blödel-Kombo wahrgenommen wurde statt als die kluge politische Band, die ihr immer wart?

thomas spitzer: Natürlich. Wir hatten ja neben dem, was ich als unsere "keimfreien Hits" bezeichne, auch eine Unzahl an tiefgründigen Nummern. Und wir waren sicher nicht nur die "Blödel-Barden aus Österreich", wie wir in Deutschland oft bezeichnet wurden.

Meine Maxime bei unseren Konzerten war deshalb auch immer, dass es in den ersten zwei Stunden höchstens zwei Hits geben durfte. Erst im Zugaben-Block kam dann die Party zum Tanzen und Mitsingen. Und wider Erwarten hat das immer funktioniert. Ich glaube auch nicht, dass bei uns jemals irgendwer im Publikum heimgegangen ist, weil ihm fad war. (lacht)

Aber ich selbst fand halt Songs wie "Sofa" oder "Die Intellektuellen" immer besser als zum Beispiel den "Märchenprinz". Trotzdem blicke ich nicht im Zorn zurück. Ältere Leute sagen zu mir oft: "Als Kind hab ich die EAV lustig gefunden, aber heute verstehe ich die Texte auch." Da freue ich mich dann immer.

"Küss die Hand, Herr Kerkermeister" (live 1987)


Resignieren

— Seit einiger Zeit überholt die politische Realität im In- und Ausland alles, was Kunst, Kabarett und Karikatur überhaupt abbilden können. Ärgert dich das?

thomas spitzer: Das hat schon mit dieser kaum mehr karikierbaren Präsidentenfigur in den USA begonnen, weil es sich bei diesem Menschen ja um eine Karikatur seiner selbst handelt. Noch mehr ärgert mich aber die Sprachverrohung und die nicht mehr existente Diskussionskultur. Was Politiker heute ungestraft sagen dürfen, hätte früher zur sofortigen Amtsenthebung geführt.

Damals sind die Leute – egal, welcher Fraktion – zwar auch im Gasthaus gesessen und haben einander nach dem fünften Bier mit roten Schädeln und flüssigem Mundwerk beschimpft, aber die haben halt zumindest noch miteinander geredet. Heute wird nur mehr hinterrücks beinhart vernichtet, vorzugsweise im Internet.

Was mich momentan aber freut, sind junge Menschen, die etwas Positives auslösen. Ich denke da zum Beispiel an die Greta, um die es gibt Gezeter. (lacht) Und ich hoffe inständig, dass diese Jugend das wieder richtet, was wir alten Deppen angerichtet haben.

Leben in Afrika

— Stichwort Greta Thunberg: Musst du dich, der schon seit vielen Jahren zwischen Österreich und Kenia pendelt, da nicht auch selbst bei der Nase nehmen?

thomas spitzer: Ich hab's einmal mit Schwimmen probiert, das war aber schon recht anstrengend und ich dachte, dass ich das meinem geschundenen Kadaver nicht antun kann. (lacht) Nein, im Ernst: Früher bin ich beruflich natürlich pausenlos im Flieger gesessen, heute fliege ich mit der Familie aber tatsächlich nur mehr ein- oder zweimal jährlich.

Wir essen außerdem maximal einmal in der Woche Fleisch, und das auch nur, wenn wir wissen, wo es herkommt. Und ich habe mir noch nie in meinem Leben ein neues Auto gekauft. Ich hab zwar gerne englische Oldtimer gesammelt, mit dem einen, den ich noch besitze, bin ich aber seit 15 Jahren keinen einzigen Meter mehr gefahren und betrachte ihn eher wie ein schönes Gemälde.

Dazu kommt, dass ich bei modernen Autos ohnehin die ästhetische Vielfalt vermisse. Die interessieren mich nimmer. Und in Kenia haben wir seit längerer Zeit gar kein Auto mehr, sondern sind komplett aufs Fahrrad umgestiegen.

— Was sind denn die größten Unterschiede zwischen deinem Leben in Afrika und dem in Österreich?

thomas spitzer: Ich habe dort gelernt, sehr bescheiden zu werden. Unser Gejammere über kleine Unzulänglichkeiten funktioniert in Afrika nämlich überhaupt nicht. Ist man in Europa unzufrieden, empfehle ich wirklich, für drei Wochen ein afrikanisches Dorf zu besuchen. Die Einsicht, dass es einem sehr, sehr gut geht, kommt dann recht schnell.

Tipp zum Schluss

Das definitiv letzte EAV-Album "Ihr Sünderlein kommet…" ist (Vinyl oder CD) nahezu ausverkauft – fündig werden Sie zum Beispiel noch im offiziellen Shop, wo es auch noch Deluxe-Versionen der Doppel-LP gibt.