Wir dürfen die weitere Entwicklung nicht vergeigen

Verbrennerverbot, Pendlerförderung, Infrastrukturausbau, Fahrtüchtigkeitschecks:
Wir haben die Spitzenkandidaten der Parlamentsfraktionen im Vorfeld der Nationalratswahl 2024 nach ihren Positionen zu aktuellen Mobilitätsthemen gefragt.

Wie er die Elektromobilität voranbringen und den Ausbau der Bahn beschleunigen will, erklärt Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen im Interview.

Interview: Stephan Strzyzowski, Bernhard Wiesinger

Welche Rolle soll das private Auto in der Verkehrspolitik spielen? Welchen Platz räumen Sie ihm in Stadt und Land ein?

Werner Kogler: Der motorisierte Individualverkehr spielt am Land überall eine Rolle. Aber auch dort, wo es noch zu wenig Anbindung an das Öffentliche Verkehrsnetz gibt, können zum Beispiel gezielt Fahrgemeinschaften unterstützt werden. In den Städten wird der Pkw dort eine Rolle spielen, wo eine gewisse individuelle Notwendigkeit, trotz guter öffentlicher Angebote, geboten ist. Wobei es den Energieverbrauch, den Flächenbedarf sowie Abgas- und Lärmfragen zu beachten gilt. Wir brauchen in den Städten Platz für Bäume, Rad- oder Busspuren und sollten nicht darauf vergessen, dass Autos bis zu 23 Stunden pro Tag stehen. Meine Priorität liegt grundsätzlich nicht beim Auto, sondern darauf, den öffentlichen Verkehr und das Schienennetz auszubauen, Platz für die Menschen zu schaffen und die Natur zu schützen.

Die Inflation liegt seit 2021 bei 21,6%. Die monatlichen Kosten für ein Auto sind allerdings um fast 26% gestiegen. Wie wollen Sie die Autofahrerinnen und Autofahrer entlasten?

In der unmittelbaren Teuerungsphase haben wir bereits einige Förderungen angehoben. Das Pendlerpauschale wurde erhöht und der Pendler-Euro ist sogar vervierfacht worden – dieser hilft vor allem Menschen mit geringen Einkommen. Die Pendlerförderung in Österreich halte ich grundsätzlich für berechtigt, weil die Höhe vom Fahrzeug, den individuellen Anforderungen der Pendler und den gefahrenen Kilometern abhängt. Allerdings ließe sich das Pendlerpauschale auch noch sozial treffsicherer gestalten, insbesondere wenn wir von Freibeträgen auf Absetzbeträge wechseln würden.

Meine Priorität liegt grundsätzlich nicht beim Auto.

Werner Kogler, die Grünen

Für das WIFO und viele Umweltökonomen ist die Unterstützung von Pendlern eine "umweltschädliche Subvention", die abgeschafft gehört. Sehen Sie das auch so?

In der klassischen Definition ist alles eine umweltschädliche Subvention, was entweder eine umwelt-schädliche Förderung ausmacht oder sich indirekt als ebensolche Steuerreduktion auswirkt. Ich spreche mich nicht gegen Pendler-Unterstützungen aus. Ich will sie aber vor allem sozial treffsicherer und ökologischer machen. Denn es ist logisch, dass jemand, der im hintersten Tal wohnt, anders behandelt werden muss als jemand, der im ersten Wiener Bezirk wohnt, was wir etwa auch bei der Gestaltung des Klimabonus im Zuge der ökosozialen Steuerreform berücksichtigt haben.

Wie lange wollen Sie die Ankaufsförderungen für E-Autos fortführen?

Ich spreche mich aktuell klar dafür aus, die Förderung fortzusetzen. Über die Höhe des Betrags kann man natürlich nachdenken. Man muss sicher in Zukunft berücksichtigen, dass die Ankaufspreise immer billiger werden. Man könnte auch die Höhe der Förderung für Luxuskarossen senken. Allerdings finde ich einen Fixbetrag für alle insofern ganz günstig, als er denjenigen, die weniger haben und jetzt nicht so schnell zum E-Auto greifen würden, besonders zugutekommt. Die Dauer der Förderungen muss davon abhängen, wann der Markt sich endgültig durchsetzt. Irgendwann wird sie auslaufen, das muss ich schon sagen. Aber der Zeitpunkt ist in der nächsten Legislaturperiode noch nicht gekommen. Noch müssen wir die Anreizwirkungen konstant aufrechterhalten.

Besitzer von E-Autos bezahlen aktuell auch praktisch keine Steuern. Wie lange soll das so bleiben?

In dem Moment, wo E-Autos, korrespondierend mit einer durchgehenden Ladeinfrastruktur, am Markt wettbewerbsfähig sind, können solche Anreize zurückgefahren werden. Wann es so weit ist, kann ich noch nicht genau voraussehen.

Sinnvoll wäre es zudem, nicht nur den Kauf von E-Autos zu stärken, sondern auch die Produktion in Europa. China und die USA subventionieren die Produktion von E-Mobilität auch. Es wäre deshalb gut, unsere Industrie zu fördern, damit die Fahrzeuge billiger werden und die Wertschöpfung in Europa bleibt. Ich habe immer davor gewarnt, dass uns China beim Elektroantrieb abhängen könnten. Leider ist es wirklich passiert. Wir dürfen die weitere Entwicklung nicht vergeigen.

Die EU fordert von ihren Mitgliedstaaten konkrete Nationale Energie- und Klimapläne (NEKP), wie sie die Klimaziele 2030 erreichen wollen. Viele Vorschläge für NEKP-Maßnahmen fußen auf der Idee, dass der Pkw-Verkehr weniger wird, wenn die Kosten empfindlich steigen. Betroffen davon sind vorwiegend Menschen mit niedrigerem Einkommen. Halten Sie diesen Ansatz für richtig?

Deshalb stelle ich mich auch gegen die pauschale Forderung, das Pendlerpauschale abzuschaffen. Kostensteigerungen, die aufgrund der CO2-Bepreisung passieren, werden mit dem Klimabonus kompensiert. Er hilft jenen, die weniger verdienen und jenen, die in Regionen mit schlechterem öffentlichem Verkehrsnetz wohnen, ganz besonders. Eine soziale Ungerechtigkeit kann ich also nicht erkennen.

Die nationale CO2-Bepreisung wird bis 2027 in den europäischen ETS II Handel übergeführt. Viele Ökonomen erwarten, dass der Literpreis an der Zapfsäule dadurch um über 25 Cent pro Liter ansteigt. Ist in diesem Fall für Sie eine Senkung der Mineralölsteuer vorstellbar?

Aktuell haben wir in Österreich die Möglichkeit, bestimmte Ausschläge zu dämpfen. Ich halte es für sinnvoll, diese Möglichkeit auch auf europäischer Ebene zu schaffen oder unser System auf nationaler Ebene weiterzuführen. Denn es ist wichtig, die unterschiedlichen Notwendigkeiten verschiedener Regionen zu berücksichtigen. Wohne ich im Waldviertel und bin auf das Auto angewiesen, oder lebe ich in einer Großstadt mit toller Infrastruktur? Wenn wir diesen Mechanismus der Entlastung aufrechterhalten können, mache ich mir um die Spritpreise ehrlicherweise wenig Sorgen.

Unter der aktuellen Bundesregierung wurden zahleiche Infrastruktur-Projekte wie der Lobautunnel, die A9 bei Graz oder die S18 gestoppt. Wie würde es in einer Regierung, der Sie angehören, mit diesen Infrastrukturprojekten weitergehen?

Wir wollen weiterhin wesentlich mehr Mittel in den Schienen- und Öffiausbau investieren als in den Straßenausbau. Aber auch aus Sicht der Grünen werden noch weitere Straßenstücke gebaut werden. Man muss allerdings bei den Projekten ansetzen, die der Sicherheit dienen, weniger Genehmigungsrisiko haben, die schneller gebaut werden können und damit rascher die Bevölkerung entlasten. Und, darauf kommt es uns am meisten an: die geringere Eingriffe in die Natur haben. Gemessen an den Flächen und an den Einwohnerzahlen haben wir bereits eines der dichtesten Straßennetze in ganz Europa. Würden wir überall noch eine dritte Spur bauen, wäre das langfristig kontraproduktiv. Was den Transit angeht, sind wir bereits der Kreisverkehr Europas. Diese Entwicklung wollen wir nicht noch weiter anheizen. Da setzen wir lieber auf den Ausbau von Bahnstrecken.

Die EU hat letztes Jahr ein Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 beschlossen, das jetzt wieder wackelt. Reicht die erleichterte Zulassung grüner Verbrenner, die nur mit E-Fuels betrieben werden können, aus, oder geht sie am Kern des Problems vorbei? Denn auf den Straßen werden auch nach 2035 weiterhin Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren im Betrieb bleiben.

Dass ab 2035 nur mehr Neu-Pkws verkauft werden dürfen, die klimaneutral unterwegs sind, ist aus meiner Sicht völlig richtig. Bei aller Liebe zur Technologieoffenheit: Es braucht auch Planungssicherheit. Das ist wichtig für die Industrie, um die Weichen zu stellen und in Europa Wertschöpfung zu generieren. Wenn Technologieoffenheit bedeutet, dass es einen fairen Wettbewerb der innovativsten Lösungen gibt, ist das gut. Doch wir dürfen nicht auf der Bremse stehen und uns bei der Elektromobilität von den Chinesen und Amerikanern überholen lassen. Zudem haben die bundesdeutschen Kollegen Fahrzeuge, die mit E-Fuels betrieben werden, bereits erfolgreich reinreklamiert.

Könnte man nicht mit der Erhöhung der Beimengung von Biokraftstoffen mehr erreichen als mit dem Fokus auf E-Fuels, vor allem beim Fahrzeugbestand?

Die Voraussetzung ist, dass Biokraftstoffe aus Abfällen produziert werden und nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen. Wie weit sie volkswirtschaftlich sinnvoll sind und wo man wie viel Förderung zulässt, ist eine komplexe Detailfrage. Bei den E-Fuels scheint mir die Sache ein bisschen einfacher. Denn wenn E-Fuels etwas ist, das nur mit grünem Strom produziert werden kann, kommt die Physik ins Spiel. Der grüne Strom ist in jedem Fall die Basis. Und dieser grüne Strom ist in einem E-Auto ohne weitere Umwandlungsverluste nutzbar. Wenn das so ist, werden die Preise für E-Fuels deutlich teurer sein. Das wird also der Markt regulieren. Wirklich gebraucht werden E-Fuels zudem in Zukunft nicht im Pkw, sondern für Flugzeuge und Schiffe. Deswegen bin ich in diesen Bereichen sehr für die E-Fuel-Beforschung. Andere sind fixiert auf eine einzige Antriebsart: Den Verbrennermotor – sie stehen damit auf der Entwicklungs- oder Innovationsbremse.

Diese Bundesregierung hat das Klimaticket eingeführt. Verkehrswissenschafter wie Prof. Gerd Sammer kritisieren, dass das Klimaticket in punkto CO2-Einsparungen ineffizient sei und man das Geld besser in den Ausbau des ÖV-Angebotes investieren sollte. Soll das Klimaticket bleiben?

Erstens machen wir beides: Ein faires, praktisches Klimaticket und den größten Bahnausbau in der Geschichte der Republik. Und zweitens ist das Klimaticket natürlich ein Anreiz zum Umsteigen. Ich find es auch richtig, dass wir jene belohnen, die schon immer mit den Öffis gefahren sind – es kommen aber auch reichlich neue Fahrer:innen hinzu. Bis jetzt sind es 300.000. In gewisser Weise ist es auch eine soziale Maßnahme, weil Mobilität dort, wo es das Angebot gibt, erschwinglicher wird. Wir haben die Einführung mit sehr viel zusätzlichem Geld für Angebotsausbau kombiniert, denn wichtig ist, dass wir mit den Angeboten hinterherkommen, weil ja jetzt die Züge auch schon relativ voll sind.

Die Pendlerförderung in Österreich halte ich grundsätzlich für berechtigt.

Werner Kogler, die Grünen

Wie sieht Ihre Vision vom Verkehr der Zukunft aus?

Die öffentlichen Verkehrsmittel müssen bei der Raumplanung immer mitgedacht werden. Du wirst natürlich nicht überall Schienen hinlegen können, aber auch der Busverkehr und die Radwege gehören mit Hausverstand ausgebaut. Die Schweiz ist ein interessantes Beispiel, weil es dort selbst für entlegene Regionen eine gewisse Mobilitätsgarantie mit Öffis gibt. Ich denke auch, dass die Digitalisierung zur Optimierung des Verkehrs noch viel beitragen wird: von Mikro-ÖV-Schichten über Sammel-Taxis bis zur Kombination unterschiedlicher Mobilitätsangebote.

E-Bikes boomen und damit steigt leider auch die Anzahl der getöteten Radfahrenden. Überwiegend sind es ältere E-Bike-Fahrer:innen, die ohne Unfallgegner verunglücken. Halten Sie die Einführung einer Helmpflicht für E-Bikes für sinnvoll?

Denkbar sind weitergehende Maßnahmen grundsätzlich schon, aber sinnvollerweise muss man so eine Verpflichtung davon abhängig machen, welche Geschwindigkeiten Verkehrsmittel erreichen und welche Gefahren damit einhergehen. Letztlich ist das Tragen eines Helms sicher eine Frage der Hausverstands.

Automobilhersteller schränken den Zugang zu Reparatur- und Wartungs-Daten immer mehr ein. Wie wollen Sie der Europäischen Kommission beim Thema "Daten aus dem Auto" Beine machen?

Dazu haben wir vor dem Sommer einen einstimmigen Beschluss im Parlament im Sinn der Konsumentenfreundlichkeit herbeiführen können. Bei dem Thema gilt es mehrere wesentliche Aspekte zu beachten: Einerseits ist die Konsument:innenfreundlichkeit wichtig, damit rasch geholfen werden kann, wenn zum Beispiel eine Panne behoben werden muss. Natürlich ist auch der individuelle Datenschutz ein hohes Gut. Und dann stellt sich auch noch die Frage, was man alles tun könnte, wenn die Daten entsprechend genützt werden könnte. Ich denke da beispielsweise an eine Optimierung der Verkehrssteuerung. Möglich wären auch unterschiedliche Mautraten zu unterschiedlichen Zeiten. Im Ergebnis muss immer der Vorteil für die Nutzerinnen und Nutzer im Vordergrund stehen. Herstellerinteressen dürfen nicht so weit gehen, dass sinnvolle Services unterbunden werden.

Durch eine Novelle der EU-Führerschein-Richtlinie werden die Mitgliedstaaten in Zukunft national eine regelmäßige Überprüfung der Fahrtüchtigkeit – jedenfalls für ältere Führerscheinbesitzer - einführen müssen. Soll diese regelmäßigen Überprüfungen durch Test beim Arzt oder durch standardisierte Selbsteinschätzungen umgesetzt werden?

Die Debatte ist von Europa hereingeschwappt. Als Regierung, aber auch als Grüne haben wir dazu Stellung bezogen – auch unter Abwägung aller Risiken. Ich glaube, dass wir auf Anreize und Freiwilligkeiten setzen sollten. Dann wird auch die Akzeptanz für die Sache selbst am Schluss größer sein als durch Vorschriften.

Wordrap

Ich habe einen Führerschein… der Klasse B.
Privat hatte ich… nie ein eigenes Auto, mein Dienstwagen ist… ein E-Auto.
Meine erste größere Reise ohne Eltern habe ich… mit der Bahn nach Italien gemacht.
Derzeit fahre ich… privat in Graz mit dem Fahrrad, der Straßenbahn und dienstlich mit dem E-Auto.
Sind Sie schon einmal schneller als 130 kmh auf der Autobahn gefahren? Ja.
Das letzte Mal mit den Öffis gefahren bin ich… vorige Woche nach Bregenz.
Mit dem Fahrrad war ich das letzte Mal… vor zwei Wochen unterwegs.
Als Wahlkampffahrzeug dient… das E-Auto.
Mobil zu sein bedeutet für mich… schnell und einfach an mehreren Orten sein zu können.

Klare Frage, klare Antwort


Kilometer-abhängiges Road Pricing auf allen Straßen? Nein
Ausbau von Staustrecken stoppen: Vielleicht
Parkmöglichkeiten in Städten verteuern: Ja
Citymauten in den Landeshauptstädten: Vielleicht
Autofreien Tag pro Monat einführen: Nein
Förderung der Elektromobilität forsetzen: Ja
Private Dienstwagennutzung verteuern: Ja
Generelle Tempolimits reduzieren: Vielleicht
Fahrradhelmpflicht für E-Bikes: Nein
Fahrtüchtigkeits-Checks für Ältere: Nein
Klimaticket fortführen: Ja

Hier geht es zu den Interviews mit:


Karl Nehammer (ÖVP)
Andreas Babler (SPÖ)
Herbert Kickl (FPÖ)
Beate Meinl-Reisinger (NEOS)