Die Welt zum Atmen bringen

Am Dienstag, dem 8. Februar, startet Julia Dujmovits bei den Olympischen Spielen in Beijing im Snowboard-Parallelslalom. Wir veröffentlichen aus diesem Anlass unser Interview aus Dezember 2020 hier noch einmal.

Die quirlige Burgenländerin ist keine, die stillsitzt. Wenn sie nicht gerade für ihr Comeback trainiert, gibt sie Yoga-Stunden und Firmen-Workshops, fährt zum Kiten oder arbeitet an einem ihrer Herzensprojekte. Eines davon ist es, die Welt zum Atmen zu bringen. Wie es dazu kam, verriet uns die 33-Jährige und lässt uns auch wissen, warum sie den großen Schritt zurück in den Spitzensport wagt.

— Wann hast du zum ersten Mal an ein Comeback gedacht?

Julia Dujmovits:Ich war in Hawaii, am Strand von Maui, als ich das Gefühl hatte: "Vielleicht mache ich das wieder." Vom Kopf her frage ich mich zwar, warum ich mir das noch einmal antue, aber es war eine komplette Herzensentscheidung. Als ich 2019 zufällig bei einem Training des ÖSV in Gastein dabei war und mithalten konnte, ist die ganze Idee realistischer geworden. Aber ich habe gewartet, bis es sich für mich richtig anfühlt.






Das Comeback war eine Herzens- entscheidung.






Julia Dujmovits, Snowboarderin


— Und wann hat es sich richtig angefühlt?

Julia Dujmovits:Als ich mir überlegt habe, was mir wichtig ist. Nur wegen einer weiteren Medaille würde ich es nicht machen. Denn mir ist Erfolg eigentlich nicht wichtig, ich muss für mich persönlich eine andere, neue Motivation finden. Ich liebe Herausforderungen.

— Was ist jetzt dein persönliches Ziel?

Julia Dujmovits:Mein Wunsch ist es, bei den Olympischen Spielen 2022 zu zeigen, was ich kann. Das ist mir in Korea nicht gelungen. Ich muss es niemandem beweisen, es ist eher ein Geschenk an mich selbst, es mit einem neuen Zugang zu versuchen.

— Wie kam es zu dem neuen Zugang?

Julia Dujmovits:Durch Yoga und die Gründung der Firma Re/Mind habe ich viel Neues kennengelernt und versuche, andere Ansätze in den Leistungssport zu bringen. Das macht es spannend für mich, stellt mich vor Herausforderungen und das begeistert mich! Ich begebe mich auch gerne aus meiner Komfortzone heraus und mit meinem neuen Snowboard-Projekt bin ich definitiv wieder außerhalb (lächelt).

— Bei den vielen Dingen, die du machst – wie gelingt es dir, dich zu fokussieren?

Julia Dujmovits:Mein Herz bestimmt den Fokus. Alle anderen Sachen versuche ich eigentlich nicht zu machen. Aber irgendwie bringt mir das Leben immer wieder neue Aufgaben. So sind die Firmengründung und auch das Comeback passiert.

Ich weiß, was das für eine Herausforderung wird. Aber auf die Rennen freue ich mich am meisten, die habe ich sehr vermisst. Besonders den Moment am Start. Man hat genau 45 Sekunden, in denen man hochkonzentriert und fokussiert sein muss. Das ist im normalen Leben kaum der Fall.






Nur wegen einer weiteren Medaille würde ich es nicht machen. Denn mir ist Erfolg eigentlich nicht wichtig.






Julia Dujmovits, Snowboard Olympiasiegerin


—  Kommen wir kurz zu Yoga zurück, das ist ja ein wesentlicher Teil in deinem Leben. Wie kam es dazu?

Julia Dujmovits:Ich begann vor zwölf Jahren. Eigentlich wollte ich nur etwas Neues zusätzlich versuchen. Damals war mein Zugang, dass ich damit vielleicht den Unterschied zwischen Silber und Gold erreichen kann.

— Was macht dir daran Spaß?

Julia Dujmovits:Yoga ist ein Zustand von Präsenz. Im Leistungssport spricht man oft von "flow state". Das ist sehr ähnlich. Yoga ist also viel mehr. Ich würde nicht sagen, dass mir Asanas (Körperhaltungen, Anm.) Spaß machen (lacht). Ich mache Yoga nicht als Sport, denn dann würde ich lieber Kiten, das macht mir mehr Spaß als der "herabschauende Hund" (Yoga-Position, Anm.).

Was ich liebe, ist der Zustand von Meditation, Bewegung und Atmung im Flow. Die Verbundenheit, eintauchen in das Unmögliche, kreieren, heilen. Meditieren ist wie heimkommen für mich, ich kann nicht mehr ohne. Ich reinige meinen Geist damit und kann mich gut auf meine Ziele ausrichten.

— Du bist auch ausgebildete Yoga-Lehrerin. Was fasziniert dich daran so?

Julia Dujmovits:Das Unterrichten! Ich liebe es! Meine Schwerpunkte sind Yoga-Therapie nach Verletzungen, Vinyasa, Hatha, Mindset und Meditation. Hier ist Wissen aus vielen verschiedenen Bereichen kombiniert im Flow. Natürlich lerne und beschäftige ich mich sehr viel mit Atemtechniken, schon wegen meiner App.

— Apropos App. Wie bist du auf diese Idee gekommen, die Welt mit Atmen zu verbinden?

Julia Dujmovits:Ich war auf Necker Island in der Karibik, hatte noch Jetlag von der Reise. Es war ein Moment, eine Vision, visuell gesehen während einer Meditation. Danach passierte viel, die Idee fand Anklang, ich konnte Investoren überzeugen und gründete gemeinsam mit einem Partner die Firma. Nach vielen Arbeitsstunden konnten wir die App launchen. Die Vision der "Re/Mind App" ist es, täglich eine Minute gemeinsam zu atmen. Ein kleines Tool für eine große Veränderung.

— Ohne Visionen würde es viele Firmen nicht geben…

Julia Dujmovits:Ja, und ich glaube, es bringt mich auch wieder auf einen bestimmten Weg. Und schließlich ist es meine Vision. Aber wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, weiß ich nicht, ob ich es gemacht hätte. Es war schon ziemlich herausfordernd.

Ich war in den letzten eineinhalb Jahren täglich außerhalb meiner Komfortzone. Irgendwann wurde es schon zu meinem neuen Normal. Deswegen hat mich Corona auch nicht mehr gestresst. Mein Leben ist oft so, dass ich nicht weiß, was morgen passieren wird.

Ich liebe Herausforderungen!

Julia Dujmovits, Snowboarderin

— Du sprichst immer wieder vom Verlassen der Komfortzone, aber magst du das wirklich?

Julia Dujmovits:Ja, ich höre immer wieder von anderen "Das kann ich nicht". Natürlich ist das Verlassen der Komfortzone für jeden ein schwerer Schritt und es besteht das Risiko, sich zu blamieren. Aber ich habe mich schon mit vielen Dingen blamiert (lacht), somit stehe ich da drüber. Es ist wichtig, über dich selbst lachen zu können. Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.

Und mit jeder Erfahrung außerhalb der Komfortzone lernt man mehr über sich selbst. Man erkennt die Muster besser, warum man in bestimmten Situationen gestresst ist oder Angst hat. Das macht es so spannend. Ich liebe diese innerlichen Ängste! Ich denke, dass da sehr viel Entwicklungspotenzial drin liegt. Das Vertrauen, das man in sich selbst entwickelt, ist größer als jede Angst.

— Mit Ängsten hast du schon früh gelernt umzugehen. Du bist vor 20 Jahren knapp dem Unglück der Gletscherbahn in Kaprun entgangen. Glaubst du ans Schicksal?

Julia Dujmovits:In jenem Moment war sicher mein Bruder mein Schicksal. Mein ganzes Team fuhr in dieser Standseilbahn hinauf, nur mein Bruder und ich nicht. Wir sind schon in der Schlange zur Gletscherbahn gestanden und er hat mich damals überredet, die Gondel zu nehmen, weil es so ein schöner Tag war. An diesem Tag sind wir zum ersten Mal mit der Gondel gefahren.

— Dein ganzes Team ist damals ums Leben gekommen. Wie bist du damit umgegangen?

Julia Dujmovits:Die ersten Jahre waren sehr schwierig und da habe ich es sicher verdrängt. Das wäre sonst einfach zu viel gewesen – ich kann mir nicht vorstellen, wie ich mit 13 so ein Unglück verarbeiten hätte können. Die Heilung kam Schritt für Schritt und es nimmt mich erst in den letzten Jahren nicht mehr so mit.

Natürlich habe ich sehr daran gearbeitet, es zu verarbeiten. Vor allem die Entscheidung, mit dem Snowboarden weiter zu machen, hat mich in eine Position gebracht, in der ich immer damit konfrontiert werde, immer.

Damals, als ich 13 war, habe ich mir viele Fragen gestellt und das Leben hat mir all diese Fragen beantwortet. Natürlich braucht Heilung viel Zeit und Mut. Yoga hat mir dabei sehr geholfen, denn damit veränderst du unbewusst Dinge auf tiefen Ebenen. Mir gelang es mit Shawassa (Anm.: Endentspannung).

— Kommen wir zurück zu schöneren Themen. Du bist sehr mobil und reiselustig. Wie bewegst du dich am liebsten?

Julia Dujmovits:Bewegung im Sinne von körperlicher Bewegung findet bei mir immer in der Natur statt. Aber wenn ich eine Sache unbedingt brauche, dann ist es mein Auto. Ich würde alles andere hergeben, nur mein Auto nicht (lacht). 

— Woher die Liebe zum Auto?

Julia Dujmovits:Na ja, ich bin aus dem Südburgenland und wenn man ehrlich ist: Am Land ohne Auto ist es unmöglich (grinst). Ich liebe Autofahren, mein Auto ist mein Raum, mit meiner Musik, das ist einfach entspannend.

— Was bedeutet das Burgenland für dich?

Julia Dujmovits:Ich liebe das Burgenland und kenne keinen ursprünglicheren Ort auf der Welt. Es ist ebenso ein wichtiger Kraftort für mich wie meine zweite Heimat auf Maui.

— Wieso gerade Maui?

Julia Dujmovits:Nachdem ich 2010 die Spiele in Vancouver verletzungsbedingt verpasst habe, wollte ich etwas ändern und bin für zwei Monate dorthin. Das hat mich komplett verändert. Weil ich mich damit von allen meinen alltäglichen Mustern und Routinen verabschiedet habe.

Ich habe das Training anders gemacht, alles selbst organisiert. Danach hatte ich meine erste Saison, in der ich bei Großevents Medaillen gewonnen habe. Im Jahr darauf kam der Olympiasieg.

— Wie viel Zeit verbringst du üblicherweise auf der Insel?

Julia Dujmovits:Ich habe die vergangenen Sommer immer zwei Monate dort verbracht. Für mich war das nie ein normaler Urlaub, ich habe dort 30 Stunden in der Woche trainiert, meine Yoga-Ausbildung gemacht und Unterrichtspraxis gesammelt. Ich denke, es ist eine Lebenseinstellung, Arbeit und Dinge, die einen interessieren, zu kombinieren. Gäbe es diese Möglichkeit mit dem Meer in Österreich, dann müsste ich nicht wegfahren.

— Wie sehr vermisst du Maui?

Julia Dujmovits:Sobald ich wieder fliegen kann, ist die Insel mein Ziel. Natürlich hoffe ich, dass ich im Sommer wieder dort trainieren kann. Wenn nicht, muss ich andere Lösungen finden. Nach dem ersten Lockdown war ich in Griechenland, das war auch super schön, hauptsächlich was den Wind betrifft, aber anders (lächelt).

— Wie war der Lockdown für dich?

Julia Dujmovits:Beim ersten Lockdown bin ich mitten in der Nacht aufgewacht und hab nur gedacht: "Oh Gott, jetzt bin ich in Österreich eingesperrt!" Ich weiß, dass das nicht schlimm ist, aber ich bin gewohnt zu reisen und spontan wegzufahren, und es war deshalb eine große Umstellung für mich. Darum bin ich, sobald es wieder möglich war, für knapp zwei Monate nach Griechenland gefahren. Im zweiten Lockdown habe ich schon mit dem ÖSV-Snowboardteam trainiert.

— Du bist schon sehr viel gereist. Welche anderen Orte außer Maui faszinieren dich?

Julia Dujmovits:Alaska finde ich faszinierend. Es bietet das anspruchsvollste Freeriden der Welt. Da bin ich nach meinem Olympiasieg hingeflogen. Es war mein Traum, in Alaska Snowboard zu fahren. Wir sind dort Lines mit 65 Grad "drop in" gefahren, da darfst du keine Fehler machen!

Das ist aber das Coole, wenn man im Sport ein Level erreicht, bei dem man das Selbstbewusstsein und die Erfahrung hat und einfach weiß, dass man es kann. Ich versuche aber nie mit dem Risiko zu spielen, aus der Phase bin ich draußen. Mein Bruder hat unten nur zu mir gesagt: "Jetzt weiß ich, warum du Olympia gewonnen hast."

— Dein Lieblingsplatz auf der Welt?

Julia Dujmovits:Ich habe mehrere. Ich liebe das Südburgenland und Maui. Kalalau Beach auf Kaua'i, da muss man zunächst 20 Kilometer hiken, um zu dem Tal zu kommen, in dem die ersten Hawaiianer gelebt haben. Dann kommt man zu einem riesigen Wasserfall – das ist auch ein Kraftplatz für mich. Für mich sind es aber weniger die Orte als die Begegnungen, die Menschen, die mir Kraft geben.

— Wo siehst du dich in zehn Jahren? Machst du dir darüber Gedanken?

Julia Dujmovits:Um ehrlich zu sein, denke ich nicht darüber nach (lächelt). Aber wenn ich meditiere, dann sehe ich die Richtung, in die es gehen wird…

Julia Dujmovits


Geboren am 12. Juni 1987 in Güssing  
Aufgewachsen im Südburgenland 
2014 Olympia-Gold im Snowboard-Parallelslalom
Zweimal Silber bei den Weltmeisterschaften 2013 und 2015
Zweimal 3. Platz im Gesamtweltcup
2018 Rücktritt 
Ausbildung zur Yoga-Lehrerin auf Maui/ICF-Coach
Laufendes Master­studium an der FH Burgenland in Eisenstadt, Bereich Coaching und Training
2019 Gründung der Re/Mind Breathing Company, 2020 Launch der App
2020 Arbeit am Snowboard-Comeback mit dem großen Ziel Olympische Spiele 2022 in Peking