Kein Beckenrandschwimmer
Mäx Beer ist als schnellster Österreicher durch den Ärmelkanal geschwommen. Dafür hat er zwei Jahre trainiert, 15 Kilo zugenommen und Kälte, Treibgut und Quallen getrotzt. Interview von Birgit Schaller.
Mäx Beer, 1972 als Markus Schneider in Tulln geboren, startete sein zweites Leben als Extremsportler erst mit 30 Jahren. Als Tontechniker begleitet er Alfred Dorfer, Conchita oder Christina Stürmer bei ihren Auftritten.
Die Triathlon-Bilanz des Niederösterreichers der Jahre 2003 bis 2013: zwei Mal Ironman in Klagenfurt, Marathons in Wien, Paris, Barcelona, Brüssel, Venedig, London, Amsterdam. Seit 2011 betreibt er Open Water Swimming – Ottensteiner Stausee (Backwaterman, 14 km), Zürichsee (26,4 km), Windermere (20 km), Attersee (20 km), Weißensee (hin und retour, 23 km), Wörthersee (hin und retour, 33 km), Staffelmarathon Manhattan (46,5 km). Auch einen Weltrekord hat er aufgestellt – von der Kanalinsel Jersey nach Frankreich (28 km) in 6:32 Stunden. Den Ärmelkanal (34 km) durchschwomm er im August 2016 in 12 Stunden und drei Minuten.
Waren Sie schon immer passionierter Schwimmer?
Mäx Beer: In der Volksschule war ich in Tulln Bezirksmeister über 25 Meter (lacht), aber eigentlich nein. Vom 15. bis zum 30. Lebensjahr habe ich keinen Sport gemacht, da war ich als Tontechniker jeden Abend unterwegs, rauchte und schlug mir die Nächte um die Ohren. Aber dann ist etwas passiert. Meine Frau sagt immer, sie ist jetzt mit einem anderen Menschen verheiratet.
Ich habe zu rauchen aufgehört, das Laufen entdeckt und mich diszipliniert.
Mäx Beer, Langstreckenschwimmer
Was hat sich verändert?
Mäx Beer: Ich habe zu rauchen aufgehört, das Laufen entdeckt und mich diszipliniert. Sehr bald erkannte ich meine Liebe zu längeren Distanzen. Ich fürchte mich eher vor schnellen fünf Kilometern als einem zügigen Marathon. Ich bin dann Marathons gelaufen, in Wien, Paris, Venedig, Amsterdam – das war mein schnellster mit 3:13 Stunden – oder in London, ein geniales Pflaster, dort laufen alle verkleidet und die Stimmung ist sensationell. Später kamen Triathlon und Ironman. Das beschäftigte mich zehn Jahre.
Wie kam der Wechsel zum Schwimmen?
Mäx Beer: Schon damals war das Schwimmen meine beste Disziplin. 2011 nahm ich am Backwaterman im Ottensteiner Stausee teil – 14 Kilometer im Neoprenanzug bei 16 Grad Wassertemperatur. Es folgte die Durchschwimmung des Zürichsees und von Seen in Österreich, mit zwei Weitschwimmpartnern. Anfang 2014 habe ich mich schließlich für die Ärmelkanalquerung angemeldet. Ich gab mir zweieinhalb Jahre Zeit, darauf hinzutrainieren.
Was sind die größten Herausforderungen?
Mäx Beer:Der Ärmelkanal ist tatsächlich der Mount Everest der Schwimmer, auch wenn ihn in einer Saison vielleicht so viele Menschen durchqueren wie an einem guten Tag auf den Everest gehen. Die Distanz ist eine Herausforderung, die Kälte, Treibgut, die Dunkelheit. Die Wellen können bis zu zwei Metern hoch sein, der Wind ist spürbar und das Wetter kann kippen. Der Kanal hat vielleicht 16 Grad Wassertemperatur und man schwimmt in einer Badehose mit Badehaube und Brille, ein bisschen eincremen mit Vaseline oder Lanolin ist erlaubt, das war’s. Die Channel Swimming Association macht sehr strikte Vorgaben zur Bekleidung – lange Hosen sind zum Beispiel verboten.
Wie haben sie sich vorbereitet?
Mäx Beer:Training, Training, Training. Dazu braucht es viel Verständnis und Unterstützung von der Familie. In unserer Wohnhausanlage gibt es ein 25-Meter-Becken – da schwimme ich regelmäßig mehrere hundert Längen. Ich habe in zwei Jahren 15 Kilo an Fettpolstern zugenommen. Das war richtig schwer, denn mein Körper ist es gewohnt, viel zu verbrennen, ich musste also deutlich mehr essen als zuvor. Um der Kälte zu trotzen, dusche ich bis heute täglich mit dem Schlauch auf der Terrasse, natürlich auch im Winter. Ich schwimme outdoor, im Tullner Aubad oder beim Eisschwimmen in der Neuen Donau.
Video: Wie du dich auf eine Ärmelkanal-Durchquerung vorbereitest.
Was war während der 12 Stunden Ihre Motivation?
Mäx Beer:Mehr als 200 Menschen beobachteten meinen Swim am Livetracker – Freunde, Bekannte und Schwimmerkollegen aus der ganzen Welt. Das war schön. Meine Begleiter haben mir das während der Verpflegungspausen mitgeteilt. Die Menschen am Boot sind eien Motivation, es darf sogar jemand zeitweise mit mir schwimmen. Mein Kompagnon ist aber leider ausgefallen – er war von der ersten Minute an seekrank und verbrachte beinahe die gesamte Zeit unter Deck auf der Toilette. Ihm ging es deutlich schlechter als mir, als ich den Strand in Frankreich erreichte.
Ich war körperlich super in Form und konnte am Ende noch Reserven aktivieren. Schade nur, dass ich Cap Gris-Nez – die kürzeste Strecke von Dover nach Frankreich – wegen der Strömung verpasste, das kostete mich zwei Stunden. Aber ich hatte auch großes Glück – ich durfte einen wunderschönen Sonnenaufgang über dem Meer erleben. Das war fantastisch, eine kleine Abwechslungen in den 12 Stunden. Übrigens eine großartige Zeit, normal dauert die Durchquerung 15 Stunden. Ich bin durchschnittlich mit einer Geschwindigkeit von 3,2 km/h geschwommen.
Wie verschmutzt ist der Kanal eigentlich?
Mäx Beer:Weniger als man denkt, obwohl der Ärmelkanal mit 500 Schiffen pro Tag die am stärksten befahrene Wasserstraße der Welt ist. In der Separation Zone zwischen den beiden Richtungsstreifen wälzen sich Treibgut und Quallen. Aber so blöd es klingt, selbst das ist eine willkommene Abwechslung.
Quallen als willkommene Abwechslung?
Mäx Beer:Drei haben mich erwischt, das brennt zehn Minuten und ist halb so schlimm. Es sind Tiere mit Tentakeln bis zu einem halben Meter, aber sie sind harmlos. Schlimmer war eine Stelle in der Achsel, wo ich mich aufscheuerte, obwohl ich mich am Vorabend rasiert hatte. Das habe ich noch vier Wochen lang gespürt.
Das Wichtigste ist: keine Emotionen. Wenn mich etwas im Wasser streift, bleibe ich ruhig.
Mäx Beer, Langstreckenschwimmer
Hatten sie manchmal auch Angst?
Mäx Beer:Naja, ich hatte mich gewissenhaft vorbereitet und das Boot gibt große Sicherheit. Natürlich braucht es einen starken Kopf. Das Wichtigste ist: keine Emotionen. Wenn mich etwas im Wasser streift und ich weiß nicht was, dann bleibe ich ruhig. Ich konzentriere mich auf das Schwimmen, auf die Technik.
Eine große Gefahr ist Hypothermie, die Unterkühlung – da strömt das Blut zu den lebenswichtigen Organen und zieht sich aus den Extremitäten und leider auch aus dem Gehirn zurück. Das müssen die Begleiter am Schiff ganz schnell mitbekommen.
Welche Art der Verpflegung benötigt man für so lange Schwimmstrecken?
Mäx Beer:Maltodextrin in flüssiger Form. Das ist ein langkettiger Zucker, der sehr langsam ins Blut geht, um einen raschen Energieabfall zu vermeiden. Alle halben Stunden habe ich eine Verpflegungspause gemacht. Besonders hart ist die Phase nach sechs bis sieben Stunden, da sind die Kohlehydrate in den Muskeln aufgebraucht und der Körper bezieht die Energie aus dem Fetthaushalt. Das geht sehr viel langsamer und man erlebt ein spürbares körperliches Tief. Gegen Ende hatte ich Magenschmerzen, ich habe richtig viel Meerwasser geschluckt.
Was ist die Belohnung für all die Mühe?
Mäx Beer:Ich setze mir gern fordernde Ziele. Auch wenn es am Weg weh tut, daran gewöhnt man sich. Außerhalb der Komfortzone ist viel mehr möglich, als man denkt. Ich sehe mich als motivierten Hobbysportler, der sich freut, wenn er seine Ziele erreicht.
Auch wenn es am Weg weh tut, daran gewöhnt man sich. Außerhalb der Komfortzone ist viel mehr möglich, als man denkt.
Mäx Beer
Die richtig harten Challenges bewältigen übrigens Frauen. Das liegt, denke ich, am Körperbau und der psychischen Härte. Beim bekanntesten Trainingscamp in Irland, wo die weltweite Schwimm-Elite trainiert, habe ich Shelley Taylor Smith kennengelernt. Sie hat in den 90er-Jahren alle Männer in den Langdistanzen dominiert. Und eine Amerikanerin hat erst vor ein paar Tagen den Rekord für den längsten Swim in einem stehenden Gewässer aufgestellt: 132 Kilometer in 56 Stunden ohne Unterbrechung. So etwas machen nur Frauen.
Was sind Ihre nächsten Ziele?
Mäx Beer:Im Sommer 2017 steht noch die Umrundung von Jersey an. Die Strecke von Jersey nach Frankreich habe ich ja bereits nach dem Ärmelkanal spontan zurückgelegt – und dabei einen Weltrekord aufgestellt. Das war abenteuerlich. Es war vier Wochen nach der Kanaldurchquerung – ein Platz war frei, das Wetter war gut und ich bin spontan hingeflogen. Ich musste mir dann sogar Badehose und Brille ausborgen, weil das Gepäck nicht mitgekommen ist. Am nächsten Tag war ich wieder daheim.
2018 ist die Triple Crown des Open Water Swimming geplant. Ich fliege mit meiner Familie in die USA und durchschwimme den Catalina Channel bei Los Angeles und mache danach die Manhattan Solo-Umrundung; in der Staffel bin ich diese Strecke schon 2013 geschwommen. Es gibt so viele Ziele: die Cook Strait in Neuseeland oder den Molokai-Channel in Hawaii. Im Moment freue ich mich aber darüber, dass ich endlich wieder laufen und Rad fahren darf. Da ist schon meine 12-Kilometer-Heimstrecke im Lainzer Tiergarten eine Herausforderung, denn nach soviel Schwimmeinheiten sind die Laufmuskeln ein bisschen eingerostet.
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