Mehr als nur ein Spaßgerät
Carol Urkauf-Chen hat aus KTM Fahrrad Österreichs größten Bike-Produzenten gemacht. Vor fünf Jahren hat ihre Tochter Johanna das Ruder übernommen. Ein Gespräch über die Zukunft des Fahrradfahrens.
Allein 2022 wurden rund 500.000 Fahrräder in Österreich verkauft. Besonders die Anzahl verkaufter E-Bikes ist in den letzten Jahren rasant angestiegen. Wie verändert sich der Stellenwert des Fahrradfahrens in Österreich gerade?
Johanna Urkauf-Chen (J): Die Bedeutung des Fahrrads hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Tatsache ist, dass immer mehr Menschen Fahrräder in der Freizeit nützen, aber auch, um mobil zu sein. Radeln wird mit positiven Aspekten wie Freizeit, Gesundheit und dem Erleben der Natur verbunden. Fahrradfahren erfährt auch politisch immer stärkere Unterstützung. Nicht zuletzt, weil es einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten kann.
Wo orten Sie noch Aufholbedarf?
J: In Österreich gibt es in puncto Infrastruktur noch viel zu tun. Allerdings schreitet der Ausbau stetig voran und wir unterstützen als Hersteller auch sehr viele Projekte rund um Radinfrastruktur und Routenplanung. Wir arbeiten zum Beispiel mit vielen Tourismusregionen zusammen und unterstützen Projekte zur Förderung des Radfahrens.
Carol Urkauf-Chen (J): Unsere zentrale Aufgabe besteht allerdings darin, das bestmögliche Produkt zur Verfügung zu stellen. Viele Menschen wollen gesünder oder nachhaltiger leben und legen sich deshalb ein Fahrrad zu. Wenn sie Freude an ihrem Bike haben, bleiben viele dabei und integrieren das Radfahren in ihren Alltag.
Wie viele Menschen fahren in Österreich bereits regelmäßig mit dem Rad. Und wie viele können es realistisch noch werden?
J: Österreichweit nutzt jeder Dritte zumindest mehrmals die Woche das Fahrrad als Verkehrsmittel. Zudem können wir beobachten, dass die Distanzen und die Nutzungsdauer vor allem durch E-Bikes erheblich steigen. Dadurch vervielfacht sich die Jahresleistung insgesamt. Damit Fahrräder für möglichst viele Menschen mit ihren unterschiedlichen Anforderungen attraktiv sind, ist laufende Innovation nötig. Um die Nutzung noch mehr Menschen schmackhaft zu machen, muss vor allem die Infrastruktur weiter wachsen. Sie ist das A und O.
Geht der Ausbau Ihrer Ansicht nach schnell genug voran?
J: Wir hoffen, dass in den nächsten Jahren noch viel mehr Bewegung in die Erweiterung der Radnetze kommen wird. Denn die EU will in den nächsten Jahren viele Milliarden Euro in Fahrrad-Infrastruktur investieren.
C: Das sind enorme Summen, die in Maßnahmen wie sichere Abstellplätze, breitere Radwege und den Ausbau des Radnetzes fließen sollen. Es ist besonders wichtig, dass das Fahrrad bestmöglich in bestehende Mobilitätskonzepte eingebettet wird, wie zum Beispiel das Zugfahren. Nur so kann ein unkompliziertes und auch möglichst komfortables Pendeln und Reisen ermöglicht werden.
Während der Pandemie ist die Nachfrage nach Fahrrädern explodiert, viele Kund:innen mussten lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Wie hat sich die Nachfrage seitdem entwickelt?
J: Für die Konsument:innen gibt es gute Nachrichten: Im Handel finden sie wieder eine große Auswahl und sie bekommen rasch ihr Wunschobjekt. Das liegt auch daran, dass sich die Lieferketten wieder beruhigt haben. Die Nachfrage und die Verkaufszahlen sind dementsprechend sehr stabil.
Wo wird die Radnutzung in den kommenden Jahren stärker wachsen, in Städten oder im ländlichen Raum?
J: Innerhalb der großen Städte wird es immer wichtiger, dass Zusammenspiel von Fahrrad, Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln zu erleichtern. Am Land kann das E-Bike dabei helfen weitere Distanzen zu überbrücken. Wir haben selbst viele Mitarbeiter, die jeden Tag mit Fahrrädern zur Arbeit kommen. Schlicht, weil die öffentlichen Verkehrsverbindungen hier im Innviertel nicht flächendeckend ausgebaut sind.
C: Wir gehen davon aus, dass das Fahrrad in Stadt und Land eine immer größere Bedeutung als Verkehrsträger gewinnen wird. Wir werden es nicht mehr nur als Spaßgerät verwenden. Das gelingt vor allem durch die stetig steigenden Reichweiten der E-Bikes.
Die Infrastruktur muss weiter wachsen. Sie ist das A und O.
Johanna Grabner-Urkauf, CEO von KTM Fahrrad
Wie entwickeln sich denn die Reichweiten der Akkus?
J: Die Entwicklung geht genauso rasant voran wie bei den E-Autos. Zu Beginn der E-Bikes gab es Reichweiten von 50 Kilometern, heute sind 200 Kilometer Standard. Die Akkus werden auch immer kleiner und leichter. Es zählt allerdings nicht nur die Steigerung der Akku-Reichweite, sondern auch die Steigerung der Effizienz der Motoren. Sie müssen die eingeführte Energie beim Treten optimal umsetzen. Wir beobachten also einen ergänzenden Trend zu den wachsenden Akku-Kapazitäten, hin zu leichteren E-Bikes mit sehr effizientem Motor.
Was passiert mit den Akkus am Ende ihrer Lebensdauer?
C: Wir haben in sehr vielen Ländern Kooperationen mit Organisationen, die eine Rücknahme und sachgemäßes Recycling der Akkus garantieren. Unsere Vertragspartner wickeln die Rücknahme professionell und auf dem letzten Stand der Technik ab.
Wie lange werden Fahrräder im Schnitt gefahren?
J: Bei konventionellen Rädern war nur sehr schwer zu erkennen wie alt sie sind. Aufgrund der raschen Weiterentwicklung bei E-Bikes sieht die Sache in diesem Segment anders aus. Die Innovation ist ein starker Faktor, um ein neues E-Bike zu kaufen. Wir erwirtschaften mittlerweile mehr als 30% unseres Umsatzes mit Produkten, die es im Vorjahr noch nicht gab. E-Bikes verbessern sich innerhalb von drei Jahren bei Reichweiten, Handling und Gewicht deutlich. Entsprechend öfter werden sie getauscht.
C: Die älteren Modelle werden allerdings in den allermeisten Fällen wieder verkauft oder in der Familie weitergeben.
Wie hoch ist der Marktanteil der E-Bikes in Österreich und wohin könnte er sich noch entwickeln?
C: Er liegt aktuell bei rund 35% und dieser Wert wird sicher noch steigen. Als wir das erste E-Mountainbike weltweit produziert haben, haben uns manche für verrückt gehalten. Heute sieht man Alt und Jung auf E-Bikes und die Vorteile stellt niemand mehr infrage. Ein wesentlicher Faktor für den weiteren Siegeszug der E-Bikes ist allerdings die Wirtschaftslage, die aktuell nicht gerade optimal aussieht.
J: Der Krieg, die hohen Energiepreise und die Inflation verunsichern viele Menschen, die lieber sparen wollen und den Kauf teurer E-Bikes hintanstellen. Aber Alltagsbikes im Trekkingsegment brauchen die Menschen immer. Entsprechend stabil gestalten sich hier die Wachstumsraten.
Welche technologischen Entwicklungen könnten noch mehr Menschen zum Fahrradfahren bringen?
J: Neben den Akkus und Motoren wird die Sicherheitstechnik immer wichtiger, wenn Fahrräder den mobilen Alltag vieler Menschen bestimmen. Viele Bremssysteme werden in Zukunft mit ABS ausgestattet sein. Eine große Rolle wird auch der Diebstahlsschutz spielen. Es gibt mittlerweile Systeme, mit denen gestohlene Fahrräder über Apps geortet werden können. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Motoren von E-Bikes sogar deaktivieren. Wenn sich solche Lösungen durchsetzen, werden Diebstähle sehr stark zurück gehen. Dadurch erhöht sich die Alltagstauglichkeit der Fahrräder noch einmal enorm.
Wenn immer mehr Fahrräder den mobilen Alltag bestimmen: Was muss passieren, damit das Miteinander der verschiedenen Verkehrsteilnehmer optimal funktioniert?
J: Das Bewusstsein für die Bedürfnisse anderer Verkehrsteilnehmer wächst, da sich die Gruppen immer stärker mischen. Immer mehr Autofahrer:innen fahren ja auch mit dem Rad. Ohne den erwähnten Ausbau der Infrastruktur wird es aber nicht gehen.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für KTM?
C: Nachhaltigkeit fördern wir in erster Linie durch unsere hohen Ansprüche an die Qualität unserer Produkte. Wir wollen eine möglichst lange Lebensdauer sichern. Ein wesentlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit ist auch das Bekenntnis zur Fertigung in unserem Stammwerk in Mattighofen in Oberösterreich.
J: In der Produktion wird natürlich auch auf Nachhaltigkeit geachtet: von der Energieeffizienz bis zur Vermeidung von Müll und Recycling. Wir nützen auch erneuerbare Energie, besonders Photovoltaik und Erdwärme. An einem sonnigen Tag kann unsere Photovoltaikanlage ein Drittel des benötigten Stroms liefern. Zudem wollen wir Arbeitsplätze in der Region schaffen und sichern. Das ist eine große Verantwortung, die wir als Eigentümer sehr ernst nehmen. Der größte Hebel liegt allerdings sicher in unserem Produkt, das im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern einen viel kleineren Co2-Fußabdruck hat.
Wie entsteht das Design der Bikes?
J: An erster Stelle steht immer die Funktionalität. Denn Design bedeutet mehr als nur Farbe. Wir wollen Ästhetik und Funktionalität vereinen und erarbeiten alle Designs in Teamwork bei uns im Haus. Dabei fließen die jahrzehntelangen Erfahrungen ein, die viele von uns haben.
Apropos Erfahrung: Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit von Ihnen beiden im Alltag? Können Sie voneinander lernen?
C: Wir ergänzen uns sehr gut. Johanna weiß sehr viel über unsere Produkte und sie lernt extrem schnell dazu. Da sie sich gerade sehr intensiv um ihre zwei kleinen Kinder kümmert, springe ich natürlich wieder öfters ein. Aber sie ist immer über alles informiert und über Videokonferenzen mit dabei. Grundsätzlich bin ich aber eine sehr strenge Lehrerin. (lacht)
J: Meine Mutter ist vor allem eine sehr gute Lehrerin. Und der Erfolg kommt ja nicht von ungefähr. Dafür braucht es eine klare Linie. Seit ich hier gemeinsam mit meiner Mutter arbeite und seit ich auch meine zwei Kinder habe, verstehe ich noch besser, was sie all die Jahre für die Firma, aber auch für die Familie geleistet hat. Ich habe immens großen Respekt vor ihr und bin sehr dankbar, dass ich von ihr lernen darf.
Carol Urkauf-Chen und Tochter Johanna Grabner-Urkauf:
1984 gründet Carol Urkauf-Chen „Carol Cycles“ in Taipeh.
Sie lernt den Fahrradgroßhändler Hermann Urkauf kennen, sie heirateten und ziehen nach Österreich.
1991 kauft er den Fahrradanteil der angeschlagenen KTM
1995 steht die Firma wieder vor dem Konkurs
1996 übernimmt Carol Urkauf-Chen die Leitung
Zu dem Zeitpunkt hat sie zwei kleine Kinder und spricht kaum Deutsch.
In den Folgejahren führt sie KTM auf den Erfolgspfad
2018 wechselt Carol Urkauf-Chen in den Aufsichtsrat
Ihre Tochter Johanna Grabner-Urlauf übernimmt die Geschäftsführung des millionenschweren Unternehmens.