Marcus Wiebusch, das Hirn von Kettcar
In Zeiten billiger Kaugummi-Popmusik setzt der 49-jährige Hamburger mit seiner Band Kettcar einen Kontrapunkt. Ein Gespräch über politische Songs, Tourbus-Regeln und durchschnittene Zäune. Plus Album-Gewinnspiel!
Wenn Marcus Wiebusch am 20. Jänner in Wien das Geburtstagsfest des Radiosenders FM4 beendet hat, wird er mit "Sommer '89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)" den größten Hit der Kettcar-Bandgeschichte gesungen haben und danach still in den Tourbus Richtung Graz steigen.
Der Zwei-Meter-Hüne spricht abseits von Album-Tonspuren nicht gern. Für uns gab's aber eine seltene Ausnahme: Wir durften ihn vorab eine Woche lang backstage begleiten und dabei ausführlich mit ihm plaudern…
(Nachlese: eine Woche im Tourbus mit Thees Uhlmann und Kettcar)
Marcus Wiebusch im Interview
– Marcus, ist es für dich als Punk im Herzen eine Ironie der Geschichte, dass die Firma, die das Kettcar-Spielzeugauto erfand, gerade wegen Insolvenz samt Steueraffäre im Gespräch ist, deine Band dafür aber erfolgreicher als je zuvor?
Marcus Wiebusch: Nun, das tut mir natürlich leid. Vielleicht liegt's ja daran, dass die Kids heute lieber mit ihren Handys spielen als auf einem Kettcar herumzudüsen (lacht).
– Musikhistorisch wollten Punkmusiker nie Stars sein. Dich himmeln trotzdem viele Fans an. Wie gehst du damit um?
Marcus Wiebusch: Ganz ehrlich: Ich finde das noch immer unangenehm. Andererseits ist es aber auch eine Form von Bestätigung für meine Arbeit. Deshalb muss man das in Kauf nehmen. Ich versuche, den Menschen, die meine Musik gut finden, auf Augenhöhe zu begegnen. An Punk hat mich immer fasziniert, dass es keine Unterschiede zwischen den Leuten im Publikum und denen auf der Bühne gibt. Viele Popstars werden heute ja nur wegen ihrer Person und nicht wegen ihrer Musik für toll befunden. Ich möchte aber nicht anders wahrgenommen werden als der Typ, der ich bin. Ich bin kein Idol oder so was.
Es macht uns zu Menschen, wenn wir anderen Menschen helfen, die durch Zäune wollen. Nicht mehr, nicht weniger.
Marcus Wiebusch
– In der Popmusik ist das konservative Biedermeier wieder eingezogen, euer Album "Ich vs. Wir" als unbequemes Polit-Statement funktioniert trotzdem hervorragend. Warum?
Marcus Wiebusch:Moment. Es funktioniert nur für unsere Verhältnisse gut. Die Popularität von Kettcar kann sich nicht mit Andreas Gabalier oder Helene Fischer messen. Da kann unsere kleine Indiepop-Idee niemals dagegenhalten. Seit ich Musik mache, war nämlich klar, dass das nie für alle bestimmt sein wird. Ich selbst fand immer Künstler gut, die eine Nische bearbeiten und nicht den großen Mainstream, da folge ich meinem Herzen. Wenn wir aber so wie jetzt doch ein politisches Album machen, versuche ich trotzdem, damit so viele Menschen als möglich zu erreichen. Mit dem Song "Sommer '89" zum Beispiel, dessen Erfolg ich sehr gut und richtig finde.
– "Sommer '89", die fiktive Geschichte eines Fluchthelfers zu DDR-Zeiten, hat explizit nichts mit der aktuellen Migrationsdiskussion zu tun, sagst du. Gab es trotzdem Gegenwind?
Marcus Wiebusch:Klar. Interessanterweise vor allem von linker Seite, die meint, dass man das ja nicht vergleichen darf. Mach ich doch gar nicht! Ich will mit dem Lied und dem Video dazu nur erinnern, dass dieses Bild vom Helfen durch Zäune damals wie heute ein extrem menschlicher Akt ist. Es macht uns zu Menschen, wenn wir anderen Menschen helfen, die durch Zäune wollen. Nicht mehr, nicht weniger.
– Das Video spielt im Burgenland, der Co-Chef deines Musiklabels, Thees Uhlmann, hat eine starke Österreich-Affinität. Kettcar auch?
Marcus Wiebusch:Österreich war von Anfang an sehr, sehr gut zu uns, vor allem Wien war immer eine Bank. Auch wenn wir bei euch manchmal in kleineren Hallen spielen, fühlt sich das von der Stimmung her meist an wie ein riesiges Konzert in Deutschland. An dieser Stelle darf ich übrigens verraten, dass es nach unseren beiden Jänner-Konzerten heuer noch was Größeres bei euch geben wird.
– Ich habe dich vergangenen Sommer backstage dabei beobachtet, wie du den Text von "Sommer '89" vorm Konzert nochmal im Kopf durchgehst wie ein im Käfig hin- und her wandernder Wolf. Wie merkst du dir diese elendslangen Zeilen?
Marcus Wiebusch:(lacht) Genauso wie du damals in der Schule, wenn du etwas auswendig lernen musstest. Aber stimmt schon: Bei dem Song ist der Text doppelt kompliziert, weil er keine Reime hat und nicht im Rhythmus zur Musik ist. Live muss ich mich dabei hundertprozentig konzentrieren und halte beim Singen die Augen geschlossen, um dazu die Bilder vom Video zu visualisieren. Fakt ist, dass ich danach immer klitschnass bin.
Kettcar live 2018
20.1. Wien – Ottakringer Brauerei
21.1. Graz – Orpheum
Website: www.kettcar.net
– Wird das Touren schwieriger, je älter du wirst?
Marcus Wiebusch:Ach, zuerst denkt man immer, man schafft das nicht, und dann geht’s ja doch wieder (lacht). Derzeit spielen wir die längste Tour der Bandgeschichte, mit kaum freien Tagen zwischen den Shows. Als Veteranen der Straße wissen wir aber, wann was wie und warum ist.
Dazu kommt, dass mit der Popularität natürlich auch der Reisekomfort steigt. Es ist nicht mehr so wie früher, als wir mit dem gemieteten Mercedes Sprinter nach dem Konzert noch zehn Stunden in die nächste Stadt gefahren sind.
Außerdem bin ich derzeit auch entspannt, weil wir ein verdammt gutes Album im Gepäck haben, wo man dann jede Nacht wahnsinnig Lust drauf hat, diese Songs live zu spielen.
– Wenn man soviel unterwegs ist: Kannst du Familienleben und Freundeskreis vernünftig pflegen?
Marcus Wiebusch:Ich habe eine Frau und zwei Söhne, die der wichtigste Teil meines Lebens sind. Und es liegt in der Natur der Sache, dass wir nach so vielen Jahren ein eingespieltes Team sind, was meine langen Abwesenheiten betrifft.
Darüber hinaus hab ich schon auch noch einen intakten Freundeskreis. Die wissen aber, dass Marcus Wiebusch in bestimmten Phasen halt nicht einfach so kurz zum Fußballschauen vorbeikommen kann, sondern irgendwo in der Weltgeschichte herumtourt. Ich sehe meinen Beruf so, als ob ich zur See fahren würde: ein paar Wochen weg, dann wieder im Hafen.
– Gibt’s bei Kettcar Tourbus-Regeln, an die sich jeder zu halten hat?
Marcus Wiebusch:Wir sind eigentlich nicht so die Regel-Typen. Das einzige, worauf wir wirklich Wert legen, ist die Sache mit fremden Personen im Bus. Es muss einiges passieren, dass wir jemanden, der nicht zur Crew gehört, da mit rein nehmen. Wir sind über die Jahrzehnte einfach eine Einheit geworden, die auch sehr viel Persönliches im Bus bespricht, das nur die Band etwas angeht. Es würde sich dann irgendwie unpassend anfühlen, wenn man morgens in der Koje aufwacht und gegenüber eine wildfremde Person schnarchen sieht.
Speziell bei den tollsten Momenten einer Tour, also jenen, in denen man mit dem Nightliner nach einem guten Konzert wieder aus der Stadt raus rollt und voll mit Adrenalin ist, fühlt man sich als Band wie eine Mannschaft, die eigentlich niemanden dabei haben will, der dieses einzigartige Gefühl stören könnte.
– Möchtest du uns noch ein schlechtes und ein gutes Tour-Erlebnis erzählen?
Marcus Wiebusch:Da muss ich nachdenken, weil ich ja schon richtig, richtig lange dabei bin. Aber die heftigste Erfahrung war wohl 1996 in San Francisco mit meiner damaligen Band "…But Alive", wo wir Vorband einer US-Combo waren. Da hätten wir in einer Wohnung in einem echt üblen Viertel der Stadt übernachten sollen, die aber unglaublich gestunken hat und wo wir das sichere Gefühl hatten, dass wir gleich ausgeraubt oder zusammengeschlagen werden würden. Also sind wir abgehauen und haben uns lieber würdelos zu siebt ein kleines Motelzimmer neben der Autobahn geteilt. (lacht)
Der schönste Tour-Moment war wiederum, als 2002 das erste Kettcar-Album rauskam und wir im Jahr darauf auf dem großen Hurricane-Festival in Deutschland spielen durften. Als junge Band hatten wir einen der ungeliebten Nachmittags-Slots, bei denen in der Regel kaum jemand kommt. Wir stehen also vor der Show hinter der Bühne und beobachten auf einmal einen Strom von Menschen, der sich auf uns zu wälzt. Erster Gedanke: "Das gibt's doch nicht, dass die alle wegen unserer kleinen Dödel-Band kommen." Im Endeffekt waren 5.000 Leute im Zelt, und noch einmal 5.000 standen draußen an, weil es zu voll war. Da wussten wir: Es geht bergauf.