Mit 120 km/h den Berg hinunter

Fabian Lentsch ist Profi-Freerider. Die abgeschiedensten Gebiete für seinen Sport erreicht er mit seinem umgebauten Feuerwehr-Truck.

Risiken minimiere ich", erzählt Fabian Lentsch, der mit Schiern Steilwände runterfährt. "Ich höre immer mehr auf mein Bauchgefühl und gehe kein Wagnis mehr ein, auch wenn das gesamte Film-Team bereitsteht." Die Freeride World Tour brach er am Höhepunkt seiner Karriere ab. Zu gefährlich waren die Gegebenheiten. Sein Ziel: Keine Hänge mehr mit schlechtem Schnee runterzubrettern. "Ich habe sieben Jahre Freeride-Wettkämpfe bestritten, ich muss mich niemandem mehr beweisen." Der 26-Jährige begann zu tüfteln und baute seinen eigenen Expeditions-Truck. Seine Gipfel sucht er sich jetzt selbst aus.

Der Weg ist das Ziel

— Du bist gerade auf dem Weg in den Iran: Ist dein Zuhause für die nächsten zwölf Monate dein Feuerwehrauto Baujahr 1986?

Fabian Lentsch:Genau. In den letzten Jahren war ich immer nur ein paar Wochen oder Monate mit dem Expeditions-Truck im Ausland, letztes Jahr sogar nur in Österreich unterwegs, aber jetzt möchte ich ein ganzes Jahr reisen. Ich spreche auch Farsi, also Persisch, und freue mich auf interessante Begegnungen und natürlich die Berge im Iran. Es wartet eine echte Herausforderung auf mein fünfköpfiges Team (inklusive der Film-Crew) und mich: Der Truck hat doch nur etwa 14 Quadrat­meter Wohnfläche. Ich werde aber zwischendurch auch alleine reisen, um mehr Zeit mit meinen iranischen Freunden zu haben.

— 14 Quadratmeter, das ist nicht viel. Wie kommst du mit dem Platz zurecht?

Fabian Lentsch:Es kommt auf die Situation an. Wenn mir jemand ein Bett in einem stehenden Zug anbieten würde, würde ich nie in dem Abteil mit fünf anderen schlafen. Aber wenn die Bahn fährt, dann schon. Ich bin gerne mit dem Nachtzug unterwegs. Denn dann hat ­alles seinen Sinn. Und das ist auch so in dem Feuerwehr-Truck. Das funktioniert, aber man muss schon auf sich und auf die anderen schauen. Alles muss seinen Platz haben – mit System. Sonst findet man nichts. Wir haben extrem viel Stauraum. Der Camper ist auf acht Personen ausgelegt.


Wir schlafen in Schubladen

— Wer hat das Feuerwehrauto umgebaut? Habt ihr viel selbst gemacht?

Fabian Lentsch:Die Konzeptionsphase des Trucks war die heftigste Zeit in meinem Leben. Etwa drei Monate habe ich ein passendes Fahrzeug gesucht und mich schlussendlich für ein ehemaliges Katastrophenfahrzeug der Feuerwehr entschieden. Denn es ist immer erst als fünftes Fahrzeug zu einem Einsatz ausgerückt – nicht als erstes mit kaltem Motor, sondern bereits warmgelaufen. Generell hatte ich bei der Umsetzung Unterstützung von Technikern und einem Tischler, aber einiges habe ich mit meinem Papa und einem Kollegen selbst gemacht. Jede Einzelheit wurde akribisch genau durchdacht. Der Tischler ist mir am Schluss schon fast durchgedreht (lacht).






Die Mechaniker sagen immer: 'Schau einfach, dass genügend Kühlflüssigkeit und Öl im Truck sind, dann fährt das Ding.' 






Fabian Lentsch, Extremsportler


Der Stauraum war natürlich das Wichtigste, neben dem Holzofen, auf dem wir kochen und der uns sogar schon bei minus 36 Grad Außentemperatur gewärmt hat. Ansonsten haben wir keine Stockbetten, sondern acht Betten in Form von "Schubladen". Am Dach sind zwei Boxen – immerhin reisen wir nicht nur mit Schi-Equipment, sondern auch mit Ausrüstung fürs Paragleiten. Und wir haben Fahr­räder und Surfboards mit.

— Hast du keine Angst vor einer Autopanne mitten in der Wildnis?

Fabian Lentsch:Das wäre kein Problem. Wir sind ziemlich autark: Wir haben 400 Liter Wasser mit, haben einen Ofen. Es gibt immer irgendwo Holz. Wir haben die Kästen voller Essen. Im Worst Case harren wir halt irgendwo einmal ein bis zwei Wochen aus. Aber vieles kann man ja selber machen. Wir haben sogar ein Benutzer-Handbuch, da steht drinnen, wie der Motor aufgebaut ist. Das findest du heute in keinem Auto mehr. Im Iran z.B. fahren sehr viele Lkw, die so gebaut sind wie unser Truck. Die Mechaniker dort kennen sich aus und haben auch die nötigen Ersatzteile. Aber wir brauchen selten was.


Ich lasse mich kontrolliert fallen

— Du besteigst im Iran Gipfel, die du nicht kennst und fährst mit Schiern runter. Wie lernt man Freeriden auf deinem Niveau?

Fabian Lentsch:Ich bin bis zu meinem elften Lebensjahr Schirennen gefahren, das wurde mir dann zu langweilig. Danach bin ich nur noch im Tiefschnee unterwegs gewesen. Mein Papa war auch manchmal mit. Und zwar im Pitztal, da bin ich quasi aufgewachsen. Bin jeden Tag von einem bisschen höheren Felsen gehüpft, habe mir Schanzen gebaut. Ich habe mich langsam herangetastet. Heute springe ich über 25 Meter hohe Felsen, stürze mich mit bis zu 120 km/h hinunter, das ist ein kontrolliertes Runterfallen (lacht).

Und so richtig los ging’s mit 15 Jahren, habe gleich meine ersten Freeride-Contests gewonnen – obwohl ich der jüngste Teilnehmer war. Ich hätte eigentlich 16 sein müssen. Nach den ersten Absagen war ich so lästig, dass die Veranstalter meinten: "Okay, wenn dein Vater mitkommt, darfst du starten." Ich freeride somit schon über zehn Jahre, habe extrem viel Erfahrung.

— Erfahrung ist wichtig, aber trotzdem kennst du ja die Gipfel in Georgien, der Türkei oder im Iran nicht.

Fabian Lentsch:Wenn ich das Gebiet nicht kenne, kann ich mir mit dem Fernglas einiges anschauen. Ich gehe den Berg dort rauf, wo ich auch runterfahre. So sehe ich sehr gut die Gegebenheiten. Oder ich grabe sogenannte Schneeprofile: In der Grube sehe ich an der scharfen Kante die verschiedenen Lagerungen und wann es beispielsweise geregnet hat. Wenn der Schnee nicht passt, drehe ich wieder um.

— Was braucht man, um Freerider zu werden?

Fabian Lentsch:Eigentlich nur eine gute Basis auf Schiern und dann raus ins Gelände. Natürlich braucht man Talent, wie bei allen Dingen. Aber wenn man sich voll reinstürzt, den Sport mit viel Leidenschaft macht, dann wird man auch besser. Was bei Profis so leicht aussieht, ist natürlich jahrelanges Training und Vorbereitung – auch was die Lawinensituation anbelangt. Dazu gibt es in den Schigebieten heutzutage ohnehin zahlreiche Kurse. 

— Baust du auch Tricks beim Fahren ein?

Fabian Lentsch:Ich fahre gerne schnell. Ich suche extrem anspruchsvolle Abfahrten – sogenannte Lines, da wäre es zu schwierig, Tricks zu machen. Es ist einfach zu gefährlich. Ich fahre in "No-fall-zones" – darin darf ich nicht stürzen, weil ich zum Beispiel vor einem großen Felsen unbedingt aus diesem Bereich rausfahren muss. Da denke ich bei 120 km/h natürlich nicht an Tricks. Ich kann schon Front- oder Backflips, aber ich bin auch als Teenager nie in Snowparks gefahren, ich war einfach nie auf Freestyle aus.

— Hattest du als Teenager bereits eine klares Ziel vor Augen?

Fabian Lentsch:Ich wollte immer Freerider werden, habe mir bereits als Kind die ersten Schifilme angesehen. Die Produktionen von Teton Gravity Research waren damals bereits beeindruckend. Die Typen waren meine absoluten Heros. Ich habe mich immer an ihnen orientiert. Und jetzt habe ich meine letzten Schifilme sogar mit Ihnen gedreht! (freut sich unheimlich)


Angst habe ich nicht – nur positiven Respekt

— Bist du schon einmal in eine Lawine gekommen?

Fabian Lentsch:Als 17-Jähriger wäre ich fast in eine große Lawine gekommen. Ich hatte wahnsinniges Glück, konnte auf den Schollen gerade noch rausfahren. Das war mir eine Lektion fürs Leben. Ich war jung und leichtsinnig. Heute rede ich mit meinem Team ganz offen – hat einer Bedenken vor einer Abfahrt, sagt er's. Angst habe ich keine, sondern "positiven Respekt".






Ich liebe die Geschwindigkeit, suche mir anspruchsvolles Gelände – sogenannte 'No-fall-zones'.






Fabian Lentsch, Extremsportler


— Wie sieht so eine Tour aus? Übernachtest du am Berg?

Fabian Lentsch:Ich gehe mit meiner Crew oft zwei bis drei Tage rauf: Zuerst zelten wir im Tal, dann schlagen wir ein Lager am Berg auf und am dritten Tag können wir endlich die unberührte Abfahrt – die sogenannte Line – fahren. Und wenn wir nur eine Nacht unterwegs sind, nehmen wir nur Matte und Schlafsack mit und graben eine Schnee-Höhle, da hat es dann etwa null Grad. Das ist schon sehr speziell.

Wir drehen auch einen 50-minütigen Film, somit ist das Licht entscheidend. Wir stehen dann meistens um 3 Uhr auf. Einen Schi-Film zu drehen, ist nicht einfach. Auf der Kino-Leinwand schaut alles so spektakulär aus – es steckt extrem viel Arbeit dahinter. Letztes Jahr haben wir einen 10-minütigen Film gedreht, die Online-Premiere von "Snowmads – Sense of Home" ist ab Februar auf unserem Snowmads-YouTube-Kanal zu sehen.

— Mitten am Berg bei jedem Wetter zu nächtigen, stell ich mir als echte Herausforderung vor. Denkst du dir manchmal, warum mach ich den Scheiß?

Fabian Lentsch:Ja (lacht), wenn ich drei Tage bei Schneesturm im kleinen Zelt festsitze und nichts machen kann, dann denke ich mir, das ist so sinnlos. Ich könnte daheim auf der Couch sitzen oder in Tirol Schifahren gehen. Aber wenn im Leben immer alles perfekt läuft, lernt man nichts dazu. Mit Herausforderungen formt man seinen Charakter. Ich gehe gerne an meine Grenzen.

— Und wie hast du dich dabei verändert?

Fabian Lentsch:Ich wollte Basejumpen lernen. Das ist die höchste Adrenalin-Stufe. Ich dachte mir dann, wozu? Früher war der Tag nur gut, wenn ich mich irgendwo runtergestürzt habe. Heute genieße ich auch Zeit auf meinem Balkon. Ich meditiere täglich und lese viel.

— Warum die viele Meditation?

Fabian Lentsch:Um das Leben und die Menschen um mich herum besser zu verstehen. Und was ich brauche, um glücklich zu sein. Früher hatte ich andere Ansichten. Ich dachte mir, wenn ich dieses und jenes noch hätte, dann wäre das nice – dabei ist es ja jetzt schon nice. Ich finde es generell sehr interessant, mich mit dem Geist zu beschäftigen. Ich mache das auf eine gesunde Art und Weise.


Mit den Shaolin-Mönchen im Ring

— Du warst im Sommer bei Shaolin-Mönchen, die dich Kampfsport gelehrt haben. Wie kam es dazu? Meditiert hast du dort bestimmt auch viel.

Fabian Lentsch:Ich bin immer interessiert an neuen Dingen. Ein Kollege hat mich gefragt, ob ich mitkommen möchte. Ich hatte wenig Erwartung. Ich war für sechs Wochen in einer Shaolin-Schule und habe Thunder gelernt, das ist Shaolin-Kickboxing, und auch das typische Kung Fu. Das war echt hart. Voraussetzung an der Teilnahme war nur, dass man eine gewisse Grundfitness mitbringt. Ich dachte mir, die habe ich (lacht). Aber bereits nach den ersten Tagen war ich fix und fertig. Ich habe ganz andere Muskeln beansprucht als sonst und von 5.30 Uhr bis 19 Uhr fünf Tage pro Woche durchgehend trainiert: Kraftaufbau, Kickboxen, Dehnen, Laufen, Tai Chi und Qi Gong. Letzteres ist sehr meditativ. Manchmal haben wir eine Haltung für 45 oder sogar 60 Minuten eingenommen und uns dabei nicht bewegt, manchmal auch sitzend. Ansonsten ist die Schule auf Kampfkunst ausgerichtet. Das war eine perfekte Saison-Vorbereitung. Ich bin jetzt extrem fit. 

Ich lerne täglich

— Wer inspiriert dich? Hast du irgendwelche Vorbilder? 

Fabian Lentsch:Ja, aber eher aus dem täglichen Leben – keine Superstars. Ich lerne gerne von Menschen, die ich treffe. Das kann auch ein einfacher Bauer im Himalaya sein. Oder ein Fischer in der Nähe von Athen. Mit ihm bin ich zwei Tage fischen gegangen. Er hat ein kleines Boot, fängt nur kleine Fische und flickt ständig seine Netze. Das ist sehr mühsam. Ich habe ihn gefragt, warum er nicht die großen Fische fangen möchte. Er meinte, dass er dann ein größeres Boot und größere Netze bräuchte. Er wisse nicht wozu, denn er habe jetzt viel Freizeit und das sei ihm wichtiger. Generell lerne ich während meiner Reisen so viele Leute kennen. Ich möchte diese Erfahrungen an jeden weitergeben, der Abenteuer liebt und in die Kultur eintauchen möchte. Deswegen habe ich im Sommer mit meinem Freund Jules das Reiseunternehmen Snowmads Travel gegründet. 

Unterwegs mit Snowmads Travel

— Welche Touren kann man mit Snowmads Travel buchen?

Fabian Lentsch:Von Winter- über Motorrad- bis zu Trekking-Trips. Unsere Kunden wohnen bei Gastfamilien. Uns ist wichtig, dass das Geld dort bleibt, wo es hingehört. Wir möchten unseren Kunden einfach coole Reisen ermöglichen – hautnah bei den Einheimischen. Sie sollen die Momente leben und nicht nur irgendwo hinfahren, um eine coole Instagram-Story zu machen. Vielleicht kommen auch spirituelle Reisen dazu. In Tirol bieten wir ein Freeride-Package an. Generell sind wir für alles ganz offen und schauen, welche Kunden wir für das Jahr 2020 haben und was sie erleben möchten.

Steckbrief: Extremsportler Fabian Lentsch


Geboren am 24. Mai 1993  
Wohnt in Völs bei Innsbruck  
Als Kind Schirennen gefahren  
Mit 15 Jahren als jüngster Teilnehmer gleich 2 Freeride Contests gewonnen  
Freeride World Tour (FWT) in Neuseeland (2010)
Juniorenrennen der Freerider in Fieberbrunn (1. Platz, 2011), im Pitztal (1. Platz, 2012)  
Freeride World Tour (FWT), letzter Bewerb als Profi (2015)  
Gründet Snowmads (2016): Ski Road Trips im umgebauten Feuerwehr-Truck nach z.B. Iran, Georgien und Griechenland  
Zeppelin Ski Drop (Brandnertal 2019)  
Gründet das Reiseunternehmen "Snowmads Travel" (2019)
youtube.com/snowmads_world
instagram.com/snowmads
instagram.com/fabian_lentsch