Mobilität auf dem Land
Wenn wir wollen, können wir alles erreichen – auch Arzt, Kindergarten und Supermarkt. In der Stadt geht diese Übung freilich leicht von der Hand. Aber wie ist das jetzt mit der Mobilität auf dem Land?
Als Kinder wuchsen wir beide im Wiener Speckgürtel auf, meine Kollegin Cornelia und ich. Sie südlich der Donau, meinereiner nördlich. Für Schule und Freizeit zog es sie weiter in die Peripherie hinaus, mich weiter in die Stadt hinein. Als Schüler ist dir das "Wo" eine Zeit lang ja noch relativ egal, denn Öffi-Fahren ist zu Schulzeiten selten problematisch; es gibt genügend Verbindungen, meistens jedenfalls.
Ein paar Sommer später sieht die Sache freilich schon ein wenig anders aus. Dann, wenn dich die Adoleszenz neugierig werden lässt und dein Körper von Kopf bis Fuß den Entdecker-Modus langsam hochfährt. Dann, wenn aus Küken Jungvögel werden, die zwar immer noch ins elterliche Nest zurückkehren, aber immer öfter zu immer längeren Erkundungsflügen aufsteigen.
Bei der Kollegin war’s das Studium in Wien, bei mir der Grundwehrdienst in der niederösterreichischen Pampa, die uns erstmals dazu zwangen, über unser Mobilitäts-Verhalten ernsthaft nachzudenken. Das "Wo" wurde quasi über Nacht wichtig, weil plötzlich auch das "Wie" zu klären war. Unsere Überlegungen endeten übrigens so: Studentenwohnung bei ihr, Auto bei mir.
Im Speckgürtel funktioniert das Pendeln gut
Der ÖAMTC setzt sich seit Jahren vehement für die Anliegen aller mobilen Menschen ein und präferiert ganz klar eine sinnvolle Kombination der einzelnen Verkehrsträger. Was in der Stadt teilweise schon sehr gut bis sehr, sehr gut funktioniert, ist außerhalb der städtischen Speckgürtel zumeist noch verbesserungsfähig.
Aber: Überall dort, wo Schnittstellen zwischen Individual- und öffentlichem Verkehr bestehen, wird das Angebot auch angenommen. Volle Park&Ride-Anlagen nahe der diversen Endstationen in den Randzonen der Großstädte sind der beste Beweis dafür – und sie sind ein Auftrag an die Politik, noch engagierter vorzugehen.
Klar ist für den ÖAMTC allerdings auch, dass die Bevölkerung am Land dabei nicht benachteiligt werden darf. Zwischen Arbeits- und Wohnort zu pendeln ist nämlich in den seltensten Fällen eine freiwillige Entscheidung, schon eher ein Muss, eine Notwendigkeit, weil in den strukturschwachen Regionen meist nur wenige Arbeitsplätze vorhanden sind. Ganz im Gegensatz zu den pulsierenden Ballungszentren.
Mobilitäts-Pauschale als Lösung?
Mobilität muss leistbar bleiben. Und daher ist die Einführung einer Mobilitäts-Pauschale, die entsprechend der Kosten des Arbeitsweges – egal ob mit Auto oder Öffi – ausbezahlt wird, aus Sicht des ÖAMTC auch so dringend notwendig. Ziel ist jedenfalls eine kilometergenaue Abrechnung. Mit dem Pendlerrechner wurde 2014 immerhin ein erster Schritt zu einer fairen bzw. transparenten Behandlung der Pendler gesetzt und eine langjährige Forderung des Clubs erfüllt.
Mit cleveren Ansätzen kann es auch ohne Auto funktionieren
Weiterhin gilt also: Bis die Verknüpfung der einzelnen Verkehrsträger tatsächlich funktioniert, sind die Menschen am Land nach wie vor ihres eigenes Glückes Schmied. Oft sind es sind private Initiativen und ehrenamtliche Helfer, gestützt durch Spenden, die Alten und Jungen gleichermaßen eine intakte und adäquate Mobilität ermöglichen; zu moderaten Preisen und beinahe jederzeit wohlgemerkt. Im Idealfall sogar mit Haustür-zu-Haustür-Service, zumindest aber bis zu einer Haltestelle unweit von daheim.
Die überregionale Verkehrspolitik hat versagt, neue Konzepte kamen von anderen. Die Politik darf sich trotzdem nicht vor der Verantwortung drücken.
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Anruf-Sammeltaxis etwa, die bei Bedarf wie Ersatz-Buslinien fungieren, vor allem auch dann noch fahren, wenn der Linienverkehr längst ruht – und trotzdem kostet die Fahrt mit so einem Sammeltaxi kaum mehr als ein Ticket fürs Öffi.
Oder Bürgerbusse, die vor allem den älteren Dorfbewohnern helfen, die eigenen vier Wände zumindest zeitweise wieder verlassen zu können – sei es um zum Arzt zu kommen, sei es um beim Senioren-Kränzchen wieder einmal anständig Karten zu tippeln und ein wenig Klatsch und Tratsch zu inhalieren. Das soll ja der Gesundheit auch recht förderlich sein, sagt man.
Oder Mitfahr-Netzwerke. Oder Discobusse. Oder, oder, oder. Es gibt mittlerweile unglaublich viele Projekte und Mobilitätskonzepte, auch für den wirklich weitläufigen ländlichen Raum. Ehrlich: Wir waren überrascht, wie gut organisiert manche Gemeinden (bzw. Gemeinschaften innerhalb einer Gemeinde) bereits sind. Und auf wie viele alternative Mobilitäts-Konzepte wir im Rahmen unserer Recherche gestoßen sind. Bravo! Großer Applaus dafür.
Überblick: Internationale, alternative Verkehrskonzepte auf dem Land
Wo der öffentliche Verkehr lahmt, organisieren sich Menschen weltweit ihre Mobilität selbst – hier eine kleine, feine weltweite Selektion:
IST Anrufsammeltaxi (NÖ). Versorgt werden 17 Gemeinden innerhalb des Bezirks Korneuburg, es gibt rund 800 Haltepunkte. Menschen, die nur eingeschränkt mobil sind, werden auch zu Hause abgeholt. Gebucht wird via Telefon oder online, gefahren an allen sieben Tagen der Woche von 6–22 Uhr (Freitag und Samstag sogar bis 24 Uhr). Preise: ab € 2,20; Abrechnung erfolgt im 5-Kilometer-Intervall.
Tälerbus Hinterstoder (OÖ). Der Bus verbindet von 1. Mai bis 26. Oktober das Dorfzentrum mit sämtlichen Wanderweg-Einstiegspunkten. Polsterlucke, Dietlgut und Baumschlagerreith sind im Taktverkehr bequem erreichbar. Der Tälerbus ist für Wanderer, Familien und Senioren geeignet und ist mit den vom Bahnhof Hinterstoder kommenden Bussen bzw. mit denen aus der Region abgestimmt.
Discobus (Burgenland). Die durch den Verein Discobus organisierten Nachtbusse sind in allen Bezirken des Burgenlandes von Samstag auf Sonntag unterwegs. Einzel-ticket: € 5,– bzw. € 2,– Euro (ermäßigt mit der Discobus-Card).
Blauen FahrMit (Schweiz). Das Mitfahrnetzwerk wird in der 700-Seelen-Gemeinde Blauen nur für Einwohner kostenlos angeboten. Das Angebot der Öffis ist unzureichend – über eine App am Handy sieht man, welcher Dorfbewohner dieselbe Strecke mit dem Auto fährt, und kann sich anmelden mitzufahren. Personen ohne Handy kontaktieren die Gemeinde für die Abwicklung.
ITN America (USA). Eine Non-Profit-Organisation, die älteren Menschen eine "lebenslange Mobilität ermöglichen will". Sie tut dies, indem sie Gemeinden bei der Umsetzung in vielen Belangen unterstützt. Für einen kleinen monatlichen Mitgliedsbeitrag kann rund um die Uhr ein Auto mit Fahrer bestellt werden (die Fahrer selbst arbeiten ehrenamtlich).
Fazit
Mit ein wenig Distanz betrachtet hat das Versagen der überregionalen Verkehrspolitik an manchen Stellen erst den Weg freigemacht für neue Konzepte und individuelle Lösungen. Dieser Umstand sollte die Politik allerdings keinesfalls dazu ermutigen, sich vor der Verantwortung zu drücken und die Mobilität am Land gänzlich dem Wirken und Streben privater Initiativen zu überlassen. Nein, so nicht.