Pierre Bischoff: "Ich bin nicht extrem"
Der Gewinner des "Race Across America" ist bei diesem Rennen 9 Tage, 17 Stunden und 9 Minuten am Stück gefahren. Jetzt trainiert er für Russland, dort steigt das längste Ultra-Distanz-Radrennen der Welt.
Die Route der "Red Bull Trans-Siberian Extreme" ist dreimal länger als die "Tour de France" und doppelt so lang wie das 4.800 kilometerlange "Race Across America": Der Extrem-Radsportler Pierre Bischoff startet bei einem der längsten Ultra-Distanz-Radrennen der Welt, das am 18. Juli im Zentrum Moskaus beginnt. In 14 Etappen gilt es 80.000 Höhenmeter, fünf Klimazonen und sieben Zeitzonen zu überwinden. Die gesamte Strecke ist etwa so lang wie von Tarifa, dem südlichsten Punkt Europas, bis zum Nordkap und wieder retour: 9.287 Kilometer wird Pierre entlang der legendären Transsibirischen Eisenbahn strampeln.
Für mich ist es extrem, wenn man 8 Stunden am Tag im Büro sitzt.
Pierre Bischoff, Extrem-Radprofi
— Was treibt dich dazu, so etwas Extremes zu machen?
Pierre Bischoff: Was ist schon extrem? Manche Leute empfinden mich als extrem, weil ich letztes Jahr beim "Race Across America" zehn Tage am Stück Rad gefahren bin – mit ungefähr 1,5 Stunden Schlaf- und Ruhepausen pro Tag. Für mich ist es jedoch extrem, wenn man 8 Stunden am Tag im Büro sitzt. Ich brauche die Bewegung.
— Wie motivierst du dich?
Pierre Bischoff: Ich muss mich nicht motivieren, mir geht es darum, Spaß zu haben und Leute zu begeistern. Ich möchte den Alltag meiner Fans versüßen. Das bereitet mir Freude. Daraus nehme ich meine Energie und das stimmt mich positiv. Gewinnen ist nicht mein Ziel.
— Zehn Tage fast ohne Schlaf durchzufahren, macht dir wirklich Spaß?
Pierre Bischoff: Das ist wie mit dem Arbeiten: Man kann nicht täglich mit Spaß zur Arbeit gehen. Zu 90 Prozent mache ich diese Rennen aus freien Stücken. Die restlichen zehn Prozent sind jene, die einfach Überwindung kosten. Wenn ich einen weniger guten Renntag habe – schlecht sage ich prinzipiell nicht –, genieße ich eben das schöne Wetter oder die Landschaft.
Das Ultra-Distanz-Radrennen "Race Across America" führt nonstop von der Westküste zur Ostküste Amerikas. Ziel ist es, die vorgegebene Strecke von 4.800 km am schnellsten zu absolvieren.
Der Körper gewöhnt sich an den Schlafentzug
— Wie schafft es dein Körper, den Tag und die Nacht durchzufahren?
Pierre Bischoff: Viele Menschen haben das schon erlebt: Es gibt Zeiten, in denen man nicht so viel schlafen kann. Der Körper arrangiert sich nach ein paar Tagen und gibt sich mit wenig Schlaf zufrieden. So ist es auch beim Rennen: Die ersten drei bis vier Tage muss man sich durchbeißen – und danach versteht der Körper, dass er nur eine bis eineinhalb Stunden Schlaf am Tag bekommt. Ansonsten mache ich Power Naps im Safety Car, etwa 15 Minuten. Das Auto fährt ja immer hinter mir her. Und wenn ich nicht schlafen darf, unterhalten mich meine Betreuer.
— Wie wirst du unterhalten?
Pierre Bischoff: Meine Fans leben mein Rennen auf Facebook mit und posten immer wieder etwas auf meine Seite. Meine Betreuer lesen mir diese Fanpost vor, während ich am Rad sitze.
— Wie sieht eine typische Ruhepause aus?
Pierre Bischoff: Ich schlafe zum Beispiel 45 Minuten im Wohnmobil. Danach werde ich "schock-geweckt". Das Licht wird angemacht und ich werde gewaschen, frisch gemacht und auch "fremdangezogen". Mein Team trägt mich aus Sicherheitsgründen aus dem Wagen hinaus. Die Verletzungsgefahr ist einfach zu groß, denn das Wohnmobil hat zwei Stufen. Ich werde auf dem kurzen Stück zum Fahrrad auch gestützt. Sobald ich auf dem Rad sitze, kann ich wieder eigenständig fahren. Die Betreuer fragen mich dann, wie ich geschlafen oder ob ich das Essen gut vertragen habe.
Sieger des "Race Across America"
Kontrollierter Sekundenschlaf
— Hast du Erfahrung mit Sekundenschlaf während des Fahrens gemacht?
Pierre Bischoff: Ja. Im Normalfall mache ich einen "kontrollierten" Sekundenschlaf. Ich informiere meine Betreuer und sag ihnen, dass ich jetzt die Augen kurz zumache und geradeaus weiterfahre. Das ist beim Radfahren möglich – im Vergleich zum Autofahren –, weil man körperlich aktiv ist und man nur eine kurze Strecke zurücklegt. Ich trete mit den Beinen weiter, schließe die Augen und atme einmal tief ein und wieder aus. Ich lasse meinen Kopf locker, damit sich mein Nacken entspannen kann. Meine Betreuer beobachten mich dabei aus dem Safety Car. Sobald ich zucke oder vom Weg abkomme, hupen sie sofort.
Positives Denken hilft
— Wie wichtig ist die mentale Stärke im Leistungssport neben der körperlichen Fitness?
Pierre Bischoff: Der Körper kann sich in einer halbstündigen Schlafpause nicht erholen. Deswegen muss er entsprechend trainiert sein, dann kann man das Rennen auch durchfahren. Ich habe generell eine sehr positive Einstellung zum Leben. Ich sag immer: Der Optimismus obliegt jedem Menschen selbst. Während des Rennens kann ich ein irres Hoch haben und im nächsten Moment bricht die Welt zusammen. Ich habe aber ein sehr positives Krisenmanagement. Ich freue mich auch auf die Krise, weil es dann wieder eine neue Herausforderung ist.
— Und was sagst du dir in der Krise?
Pierre Bischoff: Ich sage mir, "das ist gerade Mist, aber mach jetzt das Beste daraus!" Ich lasse mein Team im Safety Car neben mir und meine Fans daran teilhaben, damit sie auch wahrnehmen können, wie so eine Krise aussieht. Sie endet dann meistens mit Humor. Auf meiner Facebook-Seite gibt es auch Live-Videos dazu.
— Wie viele Kalorien nimmst du während so einer harten Tour täglich zu dir?
Pierre Bischoff: Während des Rennens zwischen 10.000 und 12.000. Ich trinke ungefähr neun bis zwölf Liter isotonische Getränke am Tag. Das sind allein etwa 2.000 Kalorien. Ansonsten esse ich mein selbst zusammengestelltes Müsli mit Chia- und Leinsamen, Kokosflocken und heißem Wasser. Eine Portion hat etwa 500 Kalorien. Ich brauche davon etwa acht am Tag. Grießbrei mit Butter und Polenta stehen auch auf meinem Speiseplan.
Quer durch Russland: 9.287 Kilometer in 23 Tagen
— Im Juli geht’s nach Russland zur "Red Bull Trans-Siberian Extreme", da bist du dann 23 Tage am Stück unterwegs.
Pierre Bischoff: Genau. Ich fahre ein Etappenrennen, das heißt, es gibt auch vorgegebene Schlafpausen. Insgesamt sitze ich bis zu 350 Stunden auf dem Rad und die längste der 14 Etappen beträgt 1.400 Kilometer.
— Wieviele Stunden kannst du schlafen zwischen den Etappen?
Pierre Bischoff: Das hängt davon ab, wie schnell ich bin. Bei der langen Etappe hat man theoretisch einen Tag Ruhe.
— Freust du dich auf die Herausforderung?
Pierre Bischoff: Ich freue mich drauf, ein neues Land kennenzulernen, das mit vielen Vorurteilen leben muss. Ich bin gespannt, ob sich diese Vorurteile bestätigen oder nicht. Ich habe bis jetzt aber immer positive Erfahrungen gemacht, also wird es auch in Russland so sein.
Das Abenteuer: "Red Bull Trans-Siberian Extreme"
Training auf Mallorca
— Für das "Red Bull Trans-Siberian Extreme" trainierst du gerade auf Mallorca. Wie sieht dein Tag aus?
Pierre Bischoff: Ich arbeite auf Mallorca für ein Schweizer Radunternehmen. Die Gäste können dort mit mir als Guide radfahren. Es ist für mich ein gutes Grundlagen-Training. Richtig trainieren gehe ich jedoch vor oder nach diesen Touren. Ich stehe am liebsten zeitig in der Früh auf und fahre dem Sonnenaufgang entgegen, der ist immer besonders schön auf Mallorca. Dann frühstücke ich und danach geht’s mit den Gästen los.
Unterm Jahr trainiere ich im Schnitt 10 bis 15 Stunden pro Woche. Mehr schaffe ich nicht und der Körper braucht auch seine Ruhephasen. Auf Mallorca sind es 25 bis 40 Stunden pro Woche.
Ich fahre Rennen, weil es mir Spaß macht. Es geht mir dabei nicht ums Gewinnen.
Pierre Bischoff, Gewinner des "Race Across America"
Wandern im Dreiländereck
— Was machst du an den Tagen, an denen du keinen Sport machst?
Pierre Bischoff: In Tirol gehe ich mit meiner Freundin auf den Berg spazieren. Freunde sagen oft zu mir, "du bist ja wieder sportlich unterwegs" – aber das ist kein Sport für mich (lacht).
— Und wo gehst du wandern in Tirol?
Pierre Bischoff: Da ich inzwischen in Nauders lebe, komme ich in den Genuss der Vielfalt des Dreiländergrenzgebiets. Hier besteige ich am liebsten die wanderbaren Gipfel. Den spektakulären Ausblick ins Engadin genieße ich an der Fluchtwand in Nauders und den höchsten Berg Südtirols von Plamort aus. Wenn ich abgelegener wandern will, bieten sich die Seitentäler des Wipptals an. Die meisten Ausflügler passieren ausschließlich die Brenner Straße, sodass man sich in diesen verschlafenen Arealen gut erholen kann. Meine Favoriten sind der Obernberg am Brenner sowie Madern, wo man einen schönen Blick auf die Tuxer Gipfel hat.
— Auf welcher Radroute kann man dich unterm Jahr während deines Trainings zufällig treffen?
Pierre Bischoff: Für flache Runden nutze ich die gut ausgebauten Radwege Richtung Landeck oder Kufstein. Die Via Claudia Augusta nach Meran ist meine Haupttrainingsstrecke – vor allem im Winter. Sollte ich auf dem Weg Hunger bekommen, kaufe ich Äpfel bei einem Bauern, die mir die nötige Energie für den Rest des Weges geben.
Steckbrief
Pierre Bischoff – Gewinner des härtesten Radrennens der Welt
Geboren am 30. 11. 1984 in Ludwigshafen
Studierte Wirtschaft mit Schwerpunkt Foodmanagement
Arbeitet im Hotel "Mein Almhof" in Nauders als Animateur
Extremradfahrer im Langdistanzbereich
3. Platz "Race across the Alps" (2010)
1. Platz "MountainBike 24 Stunden" in Duisburg (2013)
3. Platz "Race around Austria" (2014)
2. Platz "Glocknerman" (2014)
1. Platz "Race Across America" (2016)
Nächstes Ziel: "Red Bull Trans-Siberian Extreme" (Juli/August 2017)