"Was Europa allein macht, ist wirkungslos"

Interview mit Prof. Hans-Werner Sinn über CO2-Besteuerung, Interventionen der EU, stabile Erdölförderungen und Absurditäten politischer Prozesse.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn ist deutscher Wirtschaftswissenschaftler und war bis 2016 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München.

auto touring sprach mit ihm anlässlich eines Symposiums des ÖAMTC am 28. April zum Thema "E-Fuels oder Verbrenner-Verbot?" (Nähere Informationen unter diesem Link, hier sind auch Videos der einzelnen Fachvorträge abrufbar.)

— Welche Rolle spielt die Automobilindustrie in Europa?

Hans-Werner Sinn: Für Europa insgesamt ist sie nicht so wichtig wie für Deutschland und Österreich. In unseren Ländern ist sie die Schlüsselindustrie. Es sind direkt 900.000 Arbeitsplätze dort vorhanden, und indirekt sind ein paar Millionen Menschen betroffen. Die Automobilindustrie ist so etwas wie der glühende Kern der Industrie an sich, um das sich vieles herumrankt – das liegt auch daran, dass die Autos vorwiegend exportiert werden.

— Wie sehen Sie das Umschwenken der EU zur Elektromobilität?

Hans-Werner Sinn: Ich weiß die Vorzüge von Elektroautos im Fahrbetrieb und in den Innenstädten sehr wohl zu schätzen. Die EU-Kommission spielt aber bei ihrem Versuch, diese Autos in den Markt zu pressen, mit gezinkten Karten, denn es stimmt einfach nicht, dass E-Autos kein CO2 ausstoßen, wie sie es in ihrer CO2-Verordnung unterstellt. Es gibt beim derzeitigen Energiemix und auch im nächsten Jahrzehnt keine technischen Möglichkeiten, den Flottenverbrauch der Autos so zu reduzieren, dass Emissionsziele von etwa 47 Gramm pro km erreicht werden, außer man mogelt die E-Autos auf Null herunter.






Die Entscheidung der Hersteller, die Entwicklung von Verbrennungsmotoren einzustellen, ist keine Reaktion auf die Märkte, sondern auf die politische Vorgabe aus Brüssel.






Hans-Werner Sinn, Ökonom


— Automobilhersteller haben bereits erklärt, die Entwicklung von Verbrennungsmotoren einzustellen.

Hans-Werner Sinn: Das ist verständlich, weil die EU diese Motoren fast schon verboten hat. Die Entscheidung der Hersteller ist keine Reaktion auf die Märkte, sondern auf die politische Vorgabe aus Brüssel. Nach außen hin wird proklamiert, hinter dieser Vorgabe stehe der Versuch, die Welt vor dem Klimawandel zu schützen, doch in Wahrheit geht es um den Versuch einflussreicher Kräfte in Brüssel, den deutschen Exporterfolgen die Spitze zu nehmen und die französische Industrie zu stützen.

Sie dürfen nicht vergessen, dass die Franzosen früher auf Elektroautos gesetzt haben als die deutsche Automobilindustrie, und in Frankreich macht das ja auch Sinn. Frankreich hat billigen Atomstrom und kann auf dieser Basis jetzt Elektroautos betreiben. Außerdem kann es seinen Strom in andere Länder verkaufen. Mit dem grünen Mäntelchen, das dem Öko-Dirigismus umgehängt wird, lassen sich prächtige Geschäfte machen.

Tatsächlich wird der Umwelt nicht wirklich geholfen, denn die Brennstoffe, die wir Europäer aufgrund dieser Verordnung nicht mehr verbrauchen, bleiben ja nicht in der Erde, sondern werden anderswo hin geliefert. Die Ölscheichs werden nicht aufhören zu extrahieren, sondern werden sich wegen der fallenden Weltmarktpreise, die die europäische Politik indiziert, eher noch mehr Erdöl absetzen, um ihren Hofstaat weiter zu finanzieren.

Über fallende Weltmarktpreise, die sie selbst induzieren, finanzieren die Europäer den asiatischen und amerikanischen Aufschwung in Form von immer mehr Verbrennungsmotoren und anderen Mineralöl konsumierenden Maschinen und Apparaten, die dort in Betrieb genommen werden.

— Wären Sie für eine andere Bemessung oder anderes Regelwerk in dem Zusammenhang?

Hans-Werner Sinn: Das richtige Regelwerk, wenn Europa CO2-Ausstoß sparen will, ist ein weltweiter CO2-Preis über alles, ob das nun der Hausbrand ist, also die Heizung von Gebäuden, oder ob das die chemische Industrie oder der Verkehr ist – überall müssten nach Maßgabe eines einheitlichen CO2-Preises, der sich durch ein weltweites Emissionshandelssystem endogen ergibt, Sparanstrengungen induziert werden. Alle, oder fast alle Länder, müssen mitmachen. Sonst erreicht man nichts.

Im übrigen wird die Geschichte dann zeigen, welche Technologie die beste ist. Das sollte man nicht anordnen, sondern dem Markt überlassen. Ich wage zu bezweifeln, dass es überall nur das Elektroauto ist, weil die Batterieproduktion teuer und CO2-intensiv ist. Aber der Zug scheint abgefahren zu sein. Die Politik ist wild entschlossen, die Technologie fest vorzugeben.

Das richtige Regelwerk, wenn Europa CO2-Ausstoß sparen will, ist ein weltweiter CO2-Preis über alles, ob das nun der Hausbrand ist, die chemische Industrie oder der Verkehr – überall müssten nach Maßgabe eines einheitlichen CO2-Preises Sparanstrengungen induziert werden.

Hans-Werner Sinn, Ökonom

— Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die europäische oder vielmehr die deutsche Automobilindustrie im Zuge dieser politisch motivierten Transformation ihre führende Stellung behält?

Hans-Werner Sinn: 50 zu 50. Elektroautos zu bauen, ist leichter. Die Stärke der deutschen und auch österreichischen Automobilindustrie besteht darin, Motoren zu fertigen – aus bis zu 4.000 Einzelteilen, Metallteilen unterschiedlichster Legierung, die alle bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Das ist eine Komplexität, auch im Bereich der Zulieferkette, die nur wenige Länder so gut beherrschen wie Deutschland.

Setzen wir jetzt einfach Elektromotoren an die Stelle, liegt die neue Schwierigkeit eher im Bereich der elektronischen Steuerung, und da sehe ich im Moment noch nicht, dass Deutschland die Nase vorn hat. Wenn es beispielsweise darum geht, intelligente selbstfahrende Autos mit Elektromotoren zu bauen, dann denkt man wohl eher an Kalifornien.  

— Welche Konsequenzen wird diese Transformation für die Beschäftigungen in der Automobilindustrie haben?

Hans-Werner Sinn: Die Beschäftigung wird auch unter günstigen Bedingungen zurückgehen, einfach weil man sehr viel weniger Arbeitskräfte braucht, um E-Autos zu bauen als mechanische Autos mit Verbrennungsmotoren.






Die Geschichte wird zeigen, welche Technologie die beste ist. Ich wage zu bezweifeln, dass es überall nur das Elektroauto ist.






Hans-Werner Sinn, Ökonom


Strukturwandel ist immer schwierig. Ich glaube schon, dass die Gesellschaft sich an die neue Struktur mit weniger Beschäftigten im Automobilbau gewöhnen wird. Es werden neue Jobs an anderer Stelle entstehen, nur insgesamt ist der Lebensstandard dann niedriger.

Wenn man die Industrie künstlich in bestimmte Sektoren zurückdrängt und Unternehmen zwingt, Ausweichreaktionen vorzunehmen, dann finden die zwar statt und es gibt auch wieder neue Arbeitsplätze, das ist schon richtig, nur sind solche Ausweichreaktionen ökonomisch Programme zur Schadensbegrenzung, aber nicht zur Schadensvermeidung. Im Übergang bin ich optimistisch, was die Flexibilität der Volkswirtschaft betrifft, aber pessimistisch bezüglich des Glaubens, dadurch ließe sich ein Fortschritt schaffen, der mehr Wohlstand und mehr Umweltqualität bringt.

— Nun setzt BMW nach wie vor auf den Verbrennungsmotor, VW hat klar gesagt, in Richtung Elektromobilität zu gehen. Warum ist die Industrie so gespalten?

Hans-Werner Sinn: Das sind betriebswirtschaftliche Einschätzungen. Den Firmen bleibt ja, wie gesagt, kaum etwas anderes übrig, wenn sie die Mogelformel der EU erfüllen wollen. Es ist freilich ein bisschen verwunderlich, dass gerade VW auf diesen Zug aufsteigt, denn die Kunden von VW haben meistens keine eigene Garage, in der sie ihr Auto aufladen können.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, wie erfolgreich das ist. Die Börsen feiern VW, es ist auch eine bewundernswerte Leistung, solch einen Riesenkonzern so schnell umzusteuern. Dass der Börsenkurs sich so dramatisch entwickeln würde, haben selbst die Optimisten nicht vorhergesehen. Es ist eine Reaktion auf diese Entscheidung – die ja als solche betriebswirtschaftlich vollkommen in Ordnung ist. Was soll VW denn machen? Man kann ja nicht die EU-Beschlüsse ändern, sondern muss sich daran anpassen. Die Kritik kann sich also gar nicht gegen VW richten, sondern nur gegen die EU, die mit dirigistischen Mitteln und abenteuerlichen Mogeleien bei der Flottenverbrauchsformel diese Ergebnisse erzwingt.

— Gilt das auch, wenn sich letztendlich die Elektromobilität durchsetzt?

Hans-Werner Sinn: Nun, ich vermute, dass sie irgendwann letztlich angenommen wird, es sind ja die politischen Vorgaben. Den Menschen bleibt nichts anderes übrig. Sie fahren dann diese Autos, und die Firmen produzieren sie. Insgesamt wird das eine teure Angelegenheit, denn der Strom ist sehr teuer und bezüglich der Umwelt ist möglicherweise gar nicht viel gewonnen, weil auch Elektroautos CO2 emittieren, und nicht zu knapp. Das große Problem ist die Batterie, die mit einem riesigen CO2-Rucksack daherkommt, und diesen anfänglichen CO2-Ausstoß muss man über viele Tausend Kilometer verteilen, doch so lange leben die meisten Autos gar nicht.

In dem eingeschränkten Sinne ist Planwirtschaft immer erfolgreich, weil sie ja vorgibt, was sein soll. Sie ist nur nicht erfolgreich im Sinne der Schaffung von Lebensstandard in der Bevölkerung. Was die EU vorhat, ist ein Programm, das letztlich zu Lasten der realen Lohnentwicklung der Menschen in Europa geht.

— Auch die chinesische Autoindustrie setzt sehr stark auf Elektromobilität, da können die dirigistischen Eingriffe der EU aber keine Rolle spielen, da China keine nennenswerten Stückzahlen nach Europa exportiert…

Hans-Werner Sinn: China hat seinen eigenen Dirigismus. Das ist ja einer der Gründe, weshalb VW umgeschwenkt ist. Die Firma ist stark in China engagiert und macht den Löwenanteil ihres Umsatzes dort. Das macht es aber nicht besser. Es ist immer noch nicht der Markt, sondern die Politik. Die Chinesen müssen die Luft in ihren Riesenstädten säubern. Da ist es verständlich, dass sie die Verbrennungsmotoren aus den Innenstädten raushaben wollen. In der EU ist das ein ganz anderes Thema. Da sind es nicht die Stickoxide und andere für die Atmung schädlichen Abgase, sondern es ist – jedenfalls vorgeschoben – das Weltklimaproblem. Nur vorgeschoben, denn in Wahrheit steckt dahinter Industriepolitik zugunsten eigener Hersteller.

— Wie realistisch ist es eigentlich, dass ein Industriestaat wie Deutschland irgendwann seinen Energiebedarf ausschließlich durch alternativ erzeugte Energie decken kann?

Hans-Werner Sinn: Das ist unrealistisch, weil der Flächenbedarf viel zu groß ist – Deutschland ist zu dicht besiedelt dafür – und weil die wetterabhängigen Stromlieferanten halt nur sehr volatile Energie liefern. Es geht mal rauf und mal runter. Ab und zu gibt es die Dunkelflauten, da wird weder Solarstrom noch Windstrom erzeugt, und ab und zu gibt es sehr viel Strom, sodass man nicht weiß, wohin damit. Deutschland verkauft dann den Strom ins Ausland zu negativen Preisen, das heißt, der Strom wird zu "Abfall", dessen Abnahme man anderen bezahlt. Das ist die Realität, und dieses Problem wird immer größer, wenn der Marktanteil von Wind und Sonnenstrom steigt, denn dann werden die überschießenden Stromspitzen immer größer und man weiß nicht, wie man sie los wird.

Man muss also sehen, dass man den Strom irgendwo ablädt, oder man stellt die Windflügel ab und bezahlt die Hersteller trotzdem, doch dann hat man einen gewaltigen Effizienzverlust. Die Volatilität des wetterabhängigen Stroms macht eine Autarkie-Lösung unmöglich.

Batterien zur Glättung werden auf Dauer viel zu teuer bleiben, wie Acatech und die Leopoldina festgestellt haben. Für die saisonale Glättung reichen sie nie und nimmer. Die einzige Lösung, die hier am Horizont zu sehen ist, ist die Entwicklung einer Wasserstofftechnologie, sodass überschießende Stromspitzen für die Wasserstoffherstellung verwertet werden können. Den Wasserstoff speichert man dann bis zu einem Zeitpunkt, an dem es Defizite in der Stromerzeugung auszugleichen gibt. Nur ist das alles sehr, sehr teuer.

— Wäre diese Energie-Autarkie mit Kernenergie erreichbar für europäische Staaten? Theoretisch gesprochen, denn natürlich haben Deutschland und Österreich sich explizit dazu bekannt, keine Kernenergie nutzen zu wollen.

Hans-Werner Sinn: Das ist die Rechnung der Franzosen. Es ist die geheuchelte Position der Grünen, zu sagen, wir könnten den Strom in Europa aufbringen – dann fahren die deutschen Autos mit tschechischem und französischem Atomstrom, und Deutschland selbst steigt aus der Kernkraft aus, weil das angeblich zu unsicher ist.

In Wahrheit sind Kernkraftwerke überhaupt nicht besonders unsicher, es sterben jedes Jahr viel weniger, relativ zur erzeugten Energie, als in allen anderen Energiesparten. Selbst Solarpaneele kosten mehr Tote im Verhältnis zu dem bisschen Energie, das da erzeugt wird. Und das, obwohl Unglücksfälle wie Tschernobyl und Fukushima stattgefunden haben. Die Risiken werden medial überschätzt und zwar dramatisch. Beim Kohle-Abbau sterben ganz besonders viele Leute, in den Minen und an Lungenkrebs. Da hat man Zahlen, die sind um Zehnerpotenzen größer als die möglichen Todeszahlen im Falle einer Havarie eines Kernkraftwerks.

— Was halten Sie von der Erzeugung von E-Fuels im industriellen Maßstab?

Hans-Werner Sinn: Ich glaube schon, dass sich das etablieren wird, wenn der Marktanteil von Wind- und Sonnenenergie weiter ausgebaut wird. Dann liegt die einzige Möglichkeit, diesen Strom zu verwerten, in der Wasserstoff-Erzeugung. Um die Energie dann an die Räder zu bringen, sind E-Fuels eine mögliche Methode, die gewisse Vorteile gegenüber einem mitgeführten Wasserstofftank  hat.

— Sie kennen ja die Initiative von neun europäischen Ländern, u.a. auch Österreich, die EU solle ein Datum für das Verbot von Verbrennungsmotoren festlegen. Damit wird doch zum Ausdruck gebracht, die Technologie einer Verbrennung per se sei das Schlimme und nicht der Einsatz fossiler Brennstoffe.

Hans-Werner Sinn: Dass die Umweltminister so einen Beschluss fassen und dann in der EU Druck erzeugen, ist ein Unding. Da kommen die Umweltminister aus ganz Europa zusammen, treffen sich in Brüssel, bilden einen Ministerratund treffen einen Beschluss. Und wenn sie Glück haben, übernimmt ihn die EU und das Parlament setzt sich drauf und macht daraus eine Verordnung oder eine Richtlinie.






Das ist ein Unding, eine Absurdität der europäischen Demokratie.






Hans-Werner Sinn, Ökonom
Das geht sowohl an der nationalen Regierung als auch am nationalen Parlament vorbei. Zu Hause, im eigenen Kabinett, kämen die Umweltminister gar nicht damit durch. Die Fachminister entscheiden in Brüssel und die nationalen Parlamente müssen sich dem beugen, indem sie die Richtlinien in nationales Gesetz übertragen. Das ist eine von Juristen vielfach beklagte Absurdität der europäischen Demokratie.

— Würde man die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor verbieten, hätte das Ihrer Meinung nach Auswirkungen auf den Wiederverkaufswert von Bestandsfahrzeugen?

Hans-Werner Sinn: Ja, ich vermute aber – umgekehrt, wie viele meinen –, dass die Werte dieser Autos steigen werden. Weil die einzige Chance, ein vernünftiges Auto zu haben, das einen überall hinbringt, eben ein altes Auto sein wird. Ich würde sagen, wer sich noch ein richtiges Auto sichern will für die Zukunft, der muss jetzt noch eines kaufen oder zusehen, dass er noch einen schönen Gebrauchtwagen kriegt, der unter alten rechtlichen Bedingungen erzeugt wurde.

— Der ÖAMTC ist der Ansicht, dass sich die Klimaziele rein durch den Austausch der derzeitigen Flotte an Bestandsfahrzeugen durch Elektrofahrzeuge, zumindest einmal bis 2030, unmöglich erreichen lassen. Wie sehen Sie die Situation?

Hans-Werner Sinn: Im Automobilbau ist sowieso nicht so viel zu erreichen, das ist schon ziemlich ausgereizt. Wir müssen an die Gebäude ran. Die Gebäudeheizungen müssten sich ebenfalls diesen Einsparbemühungen stellen, und das würde durch einen einheitlichen CO2-Preis automatisch passieren.

Aber ich wiederhole: Dass die Einsparungen, zu denen man sich im Pariser Abkommen verpflichtet hat, tatsächlich dem Klima helfen, wage ich zu bezweifeln – denn die Brennstoffe, die wir nicht mehr verbrennen, die sind ja noch da und werden zu fallenden Weltmarktpreisen anderswo hin geliefert.

Beachten Sie: Trotz des riesigen Auf und Ab bei der Nachfrage, welches beim Rohöl zu Preisänderungen in dramatischem Ausmaß nach oben und nach unten geführt hat, ist die Produktion in den letzten 20, 30 Jahren ganz stabil gewesen. Der leicht wachsende Trend war davon völlig unberührt, die Ausschläge kaum zu sehen. Das liegt daran, dass die Nachfrage jeweils nur in Teilen der Welt auf und ab ging, so dass die anderen Teile die jeweils nicht mehr nachgefragten Mengen zu fallenden Preisen kauften oder zu steigenden Preisen hergaben.

In der Coronakrise hat sich das geändert. Warum? Weil eben die Nachfrage nicht nur in Teilregionen der Welt zurückging, sondern weltweit. Wenn alle weniger kaufen, bleibt den Ölscheichs nichts andere übrig, als ihre Mengen zu reduzieren. Die unilaterale Klimapolitik Europas entspricht dem ersten Fall. Was die Europäer an Brennstoffen freigeben, weil sie grüner werden, nehmen die anderen auf und verbrennen es.

Das CO2 kommt nur anderswo in die Atmosphäre, aber für das Klima ist das einerlei.






Das Pariser Klima-Abkommen ist Augenauswischerei. Denn die Brennstoffe, die wir nicht mehr verbrennen, sind ja noch da – und werden zu fallenden Weltmarktpreisen anderswo hin geliefert.






Hans-Werner Sinn, Ökonom
Insofern ist es Augenauswischerei, dass das Klima-Abkommen mit 200 Ländern auf der Erde beschlossen werden konnte, denn nur 30 von diesen 200 Ländern haben sich zu einem verbindlichen Mengenziel bereit erklärt. Dass 170 Länder zugestimmt haben, dass diese 30 sich einschränken, verwundert nicht. Das als Erfolg zu feiern ist abwegig.

— Zum besseren Verständnis: Sie sagen, solange die Fördermengen stabil bleiben, kann der CO2-Ausstoß global einfach nicht sinken.

Hans-Werner Sinn: Ja, und die bleiben nicht nur stabil, sondern sie wachsen und wuchsen in der Vergangenheit immer weiter, und zwar ganz kontinuierlich – obwohl es gewaltige Preisaufschläge gab, wenn irgendwo in der Welt eine Rezession war und die Nachfrage zurückging.

Diese Preisaufschläge haben aber im Aggregat aller Länder nie zu einer Mengenbegrenzung geführt, weil die Erdölexporteure an ihren Mengenplanungen festhieltenund andereLänder entsprechend mehr gekauft haben.

Wenn nun aufgrund des Klimaabkommens ein Teil der Welt, also 30 Länder von 200, ihre Nachfrage einschränkt, dann ist das ebenso: Dann führt das zu einer Preissenkung bei Rohöl, aber nicht zu einer Verringerung der Extraktion. Die kann ich nur dann erwarten, wenn alle Länder weniger kaufen. Insofern wird die europäische Politik vollkommen sinnlos verpuffen, wenn es nicht gelingt, die anderen Großverbraucher der Welt mit verbindlichen Mengeneinschränkungen ins Boot zu holen.

— Für das Erreichen der Flottenziele ist es für die Fahrzeughersteller einerlei, in welchem Markt sie die Fahrzeuge verkaufen. In den nationalen Treibhausgas-Bilanzen werden alternative Kraftstoffe, synthetische oder biogene, sehr wohl entsprechend angerechnet. Setzt das die richtigen Anreize?

Hans-Werner Sinn: Das ist ein Widerspruch in sich, den müsste man auflösen, indem man es auch den Autoherstellern anrechnet, wenn sie ihre Autos in Ländern wie beispielsweise Schweden verkaufen, wo mehr E-Fuels oder Bio-Kraftstoffe verwendet werden.

— Inwiefern halten Sie steuerliche Anreize für den Mehreinsatz von alternativen Kraftstoffen für gerechtfertigt? Die Mineralölsteuer müsset ja schon aufgrund ihrer Bezeichnung wegfallen.

Hans-Werner Sinn: Steuerliche Anreize sind auf jeden Fall besser als Ge- und Verbote, weil sie die Spielräume nicht so stark einengen und dem Erfindergeist der Ingenieure weniger Schranken auferlegen.

Ich wiederhole: Es gibt nur ein Instrument, das aus ökonomischer und umweltökonomischer Sicht angemessen ist, und das ist der einheitliche CO2-Preis in Europa und vor allem auch im Rest der Welt. Weil natürlich alles, was Europa alleine macht, ohne dass die anderen mitmachen, wirkungslos ist – und nicht nur gering in der Wirkung, weil Europa klein ist. Sondern wirkungslos!