Wild, Wahnsinn, Walkner!
Sie liebt die Natur, die Berge, aufs Schifahren ist sie ganz narrisch. Eva Walkner, die zweifache Freeride-Weltmeisterin, spricht über Gefühle und Gefahren rund um ihren Extremsport.
Sie steht nicht auf High Heels, aber auf ihre zwei überdimensionalen, fetten, aufgepimpten Gürtel. Und jetzt will sie noch einen dritten. Die Weltmeister-Trophäen der Freerider gleichen denen der Boxer, würden selbst die Klitschkos vor Neid erblassen lassen. Aber Eva Walkner kämpft auf Schiern. Ihr Wettkampf-Terrain ist kein Ring, es sind die Berge der Welt. Rasante Abfahrten über Eis- und Felswände. So steil, so einschüchternd, dass selbst grimmige Box-Kraftlackln für kein Geld runterschauen möchten.
Der Weg zur Weltmeisterschaft
— Eva, du fährst mit Schiern über steilste, felsige, unpräparierte Bergwände. Wie verrückt muss man dafür sein?
Eva Walkner: Übertreib nicht! Die gleiche Frage stell’ ich mir bei Rallye-Piloten und Downhill-Bikern auch (lacht). Da ich diesen Sport professionell ausübe, sehe ich Dinge anders. Bei mir ist jeder Lauf, jeder Contest bis ins Kleinste durchdacht. Ich lese Lawinenberichte, studiere Wetterkarten, schau mir Schneeprofile an. Tage-, oft wochenlang bereite ich mich auf einen einzigen Contest vor. Sonst wird es schnell gefährlich.
— Dein Bruder ist, wie du, zweifacher-Weltmeister: im Motocross und Rally-Raid, wurde sogar Zweiter bei der berüchtigten Dakar. Liegt bei euch ein spezielles Mut-Gen in der Familie?
Eva Walkner: Ich liebe meinen Bruder, obwohl er als Kind ein kleiner verwöhnter Fratz war. Als Kinder waren wir beide abenteuerlustig, sind sportlich, frei und ungezwungen aufgewachsen. Statt am Computer zu spielen sind wir hoch hinauf zu den Tannenwipfeln geklettert oder mit der alten Puch vom Opa – einer DS 50 – zu den Nachbarn abgehaut.
— Und wann fiel deine Entscheidung für den Schi-Rennlauf?
Eva Walkner: Schon als Kind in unserem Schiclub in Kuchl. Dort war auch die Weltcupläuferin Karin Köllerer Mitglied. Sie war mein Idol. Ich war talentiert, ehrgeizig, wollte ganz nach oben, in den Weltcup. Dabei waren meine allerersten Gehversuche auf Schiern ernüchternd, nervenaufreibend, für die Eltern und für mich. Irgendwann hat es dann Klick gemacht: Von da an hab ich alle Rennen gewonnen.
— Nun, in den Weltcup hast du es ja dann geschafft. Wieso hast du dort aufgehört?
Eva Walkner: Der Schiverband hat damals rigoros aussortiert, wenn Leistungen nicht gepasst haben. Ich war oft verletzt, konnte anfangs zwar noch dem Erwartungsdruck der Cheftrainer standhalten. Als mir kurz nach einem Verletzungs-Comeback die Bänder im Sprunggelenk gerissen sind, war das Kapitel für den ÖSV erledigt. Sie haben mich rausgeworfen. Das war eine schwierige Zeit für mich.
Gewinnen ist geil
— Und dann kam gleich das Freeriden?
Eva Walkner: Zuerst hab ich die Ausbildung zur Sportjournalistin abgeschlossen, habe dann bei Premiere in der Fußball-Redaktion gearbeitet. Bis ich eines Tages mit dem Freeriden in Berührung kam. Da hab ich, der Naturmensch, sofort gewusst: Das ist es! Schnell waren alle Zelte in Wien abgebrochen und ich bin wieder heim nach Salzburg. Wegweisend war meine erste Teilnahme an einem Freeride-Bewerb 2008 in Schruns. Das war ein Spaß, bei dem ich ohne jede Erfahrung Zweite wurde. Mein erster Gedanke damals: Wenn ich als absolutes Greenhorn auf Anhieb aufs Podium fahren kann, dann geht sicher noch mehr.
— Wie erlebst du den Moment vor einem Wettkampf dort oben an der Kante einer dieser mächtigen Fels- und Eiswände?
Eva Walkner: Es ist ein echt heftiges Gefühl, extrem nervös. Ich fühle mich schlecht, kann weder essen noch trinken. Auch Kopfschmerzen gehören dazu. Und nach dem Rausschieben in den Hang ist alles weg, verflogen. Dieses intensive Maß an Stress, Anspannung und Adrenalin fördert meine Konzentration und ist mit ein Grund dafür, dass ich kaum Fehler mache.
— Und was passiert emotional und mental während so einer Abfahrt?
Eva Walkner: Da ist keine Zeit für Gedanken oder Gefühle. Ich bin dann in einer fokussierten Welt, nehme nur den Berg, meine Linie und meine Atmung wahr. Auch der filmende Helikopter über mir ist ausgeblendet. Es ist, als würde alles um mich herum aufhören zu existieren.
— Was sind für dich die größten Gefahren?
Eva Walkner: Lawinen! Da bin ich ein Angsthase. Aber es gibt so viele alpine Gefahren. Die meisten sind schwer bis gar nicht einzuschätzen. Daher ist permanente Weiterbildung ein Muss. Aber hundertprozentige Sicherheit gibt’s nicht, genauso wie im Straßenverkehr.
— Warum propagierst du eine Lawinen-Aktion nur für Frauen, worum geht es dabei?
Eva Walkner: Ich will mehr Frauen für unseren Sport begeistern, deren Selbstvertrauen stärken und sie für alpine Gefahren sensibilisieren (www.safeonsnow.org). Es gibt immer noch viele Frauen, die ihren männlichen Kollegen einfach hinterherfahren. Wir wollen ihnen vermitteln, dass sie selber Entscheidungen treffen müssen. Am Berg ist jeder für sich selber verantwortlich.
— Ihr seid keine Surfer, wieso fürchten sich Freerider vor "Sharks", also vor Haien?
Eva WalkneR: "Sharks" nennen wir eingeschneite Steine, die du nicht siehst, erst spürst, wenn du drüberfährst. Sehr tückisch speziell bei geringer Schneelage. So ein "Shark" hätte mich beinahe das Leben gekostet. Von diesem Erlebnis hab ich einen kleinen Knacks davongetragen.
Es bleibt keine Zeit für Gedanken oder Gefühle. Einmal gestartet, bin ich in einer fokussierten Welt. Dann nehme ich nur den Berg, meine Linie und die Atmung wahr.
Eva Walkner, zweifache Freeride-Weltmeisterin
— Wie gehst du mit so einem Knacks um – hast du Angst?
Eva Walkner: Angst holt mich runter. Würde ich aufhören, Angst zu haben, ginge ich über meine Grenzen. Und wenn ich in diesem Sport über die Grenzen gehe, kann das schlimm ausgehen. Gesunde Angst ist daher wichtig.
— Gab es einen Moment, wo du dich gefragt hast: Warum tu ich mir das an?
Eva Walkner: Niemals. Auch nicht, als ich schwer verletzt war. Dafür liebe ich das Schifahren einfach zu sehr. Ich bin tief im Herzen Naturmensch, liebe die Berge, die Kälte und den Winter. Aber zugegeben: Es gibt immer wieder heikle Momente, auch Höhen und Tiefen wie in jedem Job.
— Beim Freeriden sind eigentlich nur Start und Ziel für alle Teilnehmer gleich. Nach welchen Kriterien werdet ihr bewertet?
Eva Walkner: Wir dürfen die Abfahrt frei wählen. Die Wahl der sogenannten "Lines" ist Wettkampf-entscheidend. Bewertet wird der Gesamteindruck aus Flüssigkeit, Kreativität und Schwierigkeitsgrad. Dazu die Cliff Drops, die Sprünge über Felsabbrüche und unsere Sicherheit am Schi. Erschwert werden die Läufe durch Bruchharsch und Spuren im Hang. Nur ganz selten haben wir guten und unverspurten Pulverschnee.
— Wird immer gerecht bewertet?
Eva Walkner: Natürlich nicht. Die Eindrücke der Wettkampfrichter sind subjektiv. Auch ich bin schon extrem schlecht bewertet worden, aber damit finde ich mich ab. Klar ist auch: Am Ende setzt sich Konstanz immer durch. Es ist auch für die Judges nicht ganz leicht, an einem Tag über 70 Freerider gleich und gerecht zu bewerten.
— Das Wort Freiheit steckt schon drin im Namen eurer Disziplin, seid ihr wirklich freier als eure Kollegen auf der Weltcup-Tour?
Eva Walkner: Das ist ja das Tolle daran. Obwohl wir Frauen, verglichen mit den Alpinen, einen lächerlichen Betrag verdienen. Aber darum geht’s nicht. Ich als zweifache Weltmeisterin kann mich frei bewegen, gehe shoppen, ohne erkannt zu werden. Ich möchte mit den großen Schi-Stars nicht tauschen wollen – die keine Privatsphäre haben.
— Seid ihr die neuen Hippies?
Eva Walkner: So sieht es vielleicht von außerhalb aus, aber wer vom Sport leben will, muss verdammt viel dafür arbeiten. Auch mit den Sponsoren brauchst du eine gute Basis und Zusammenarbeit. Freeriden ist für mich ein Fulltime-Job.
— Zwei Konkurrentinnen sind in den Bergen verunglückt, wie gehts dir damit?
Eva Walkner: Solche tragischen Ereignisse machen mich sehr nachdenklich. Und so sage ich auch einfach immer öfter: Nein! Nehme längst nicht mehr so viel Risiko in Kauf wie noch vor einigen Jahren. Aber generell bin ich jemand, der sich gerne pusht – sportlich, nicht was das Risiko betrifft, an die Grenzen bringt.
— Reisen gehört zum Job Freerider dazu. Erlebst du Länder anders als die Läufer und Läuferinnen im Schi-Weltcup?
Eva Walkner: Eindeutig ja. Im alpinen Schizirkus hat man keine Zeit für Sightseeing. Das ist bei uns anders. Ich bereise viele spannende Länder wie den Iran oder Kaschmir, hab auf einer Hütte auf dem Olymp in Griechenland übernachtet und unterwegs viele Freundschaften geschlossen. Ich bin aber auch bescheidener geworden, weiß, in welchem Überfluss ich hier in Österreich lebe. Fließendes, sauberes Wasser etwa ist in vielen Ländern keine Selbstverständlichkeit. Und nach jeder Amerika-Reise freue ich mich auf unser Wasser daheim – ohne Chlorgeschmack.
— Denkst du auch an die Zeit danach?
Eva Walkner: Ich arbeite jetzt schon eng mit meinem Bruder Matthias eng zusammen, betreue ihn in Presseangelegenheiten. Nebenbei fotografiere ich auch noch leidenschaftlich.
Eva Walkner und die große Freiheit
Geboren am 16. Juni 1979 in Kuchl.
Eva und ihr jüngerer Bruder Matthias, heute Motocrosser, wachsen frei und sportlich auf. Eva steht mit drei Jahren zum ersten Mal auf Schiern.
1995 Einstieg in den Schi-Rennsport (Europacup).
Am 3. Jänner 1999 ihr erster Weltcupstart beim Damenslalom in St. Anton/Arlberg.
2001 Bänderriss und Ende der alpinen Karriere.
Am 2. April 2009 gewinnt sie den ersten Freeride-Contest in der Slowakei.
2015 und 2016 wird sie Freeride-Weltmeisterin.
www.evawalkner.com