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© Helmut Eckler
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August 2024

Wir müssen Verkehr europäischer denken

Verbrennerverbot, Pendlerförderung, Infrastrukturausbau, Fahrtüchtigkeitschecks:
Wir haben die Spitzenkandidaten der Parlamentsfraktionen im Vorfeld der Nationalratswahl 2024 nach ihren Positionen zu aktuellen Mobilitätsthemen gefragt.

Wie sie den Ausbau der Öffis vorantreiben will, warum sie den Klimabonus suboptimal findet und wie ihre Vision vom Verkehr der Zukunft aussieht, erklärt NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger im Interview.

Interview: Stephan Strzyzowski, Bernhard Wiesinger, Oliver Schmerold

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Oliver Schmerold, Beate Meinl-Reisinger, Bernhard Wiesinger (v.l.)

Welche Rolle soll das private Auto in der Verkehrspolitik spielen? Welchen Platz räumen Sie ihm in Stadt und Land ein?

Beate Meinl-Reisinger: Der PKW wird auch weiterhin eine wichtige Rolle im Individualverkehr spielen. Allerdings fragen sich immer mehr Menschen, wie sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. In der Stadt, wo die öffentliche Verkehrsinfrastruktur gut ausgebaut ist, sinkt die Nutzung des Autos bereits. Doch ohne solche Alternativen sind die Menschen auf das Auto angewiesen. Wir müssen also die Öffis weiter ausbauen.

Ich möchte öffentliche Verkehrsmittel und den PKW aber nicht gegeneinander ausspielen. Vielmehr glaube ich, dass die individuelle Mobilität immer eine Rolle spielen wird, weil sie Teil unserer Autonomie, Selbstbestimmung und Freiheit ist.

Die Inflation seit 2021 liegt bei 21,6%. Die monatlichen Kosten für ein Auto sind allerdings um fast 26% gestiegen. Wie wollen Sie die Autofahrerinnen und Autofahrer entlasten?

Es wäre ein Klientelismus nur eine spezielle Gruppe zu entlasten. Leider steckt Österreich auch in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage. Wir haben die höchste Inflationsrate in Westeuropa und wir sitzen auf einem enormen Schuldenberg – obwohl wir die dritthöchste Steuerbelastung in der OECD haben. Deswegen müssen wir als erstes einen Kassasturz machen, uns bei den Ausgaben einbremsen und strukturelle Reformen angehen. So können wir einen Spielraum für generelle Steuer- und Abgabenentlastung schaffen. Dabei denke ich insbesondere an die Steuern auf Arbeit, die in Österreich durchschnittlich bei 47 Prozent liegen. Diese Steuern sowie die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden. Diese Maßnahme würde allen – auch den Autofahrerinnen und Autofahrern – zugutekommen.

Der Individualverkehr wird weiterhin eine wesentliche Bedeutung haben.

Beate Meinl-Reisinger, NEOS

Die nationale CO2-Bepreisung wird bis 2027 in den europäischen ETS II Handel übergeführt. Viele Ökonomen erwarten, dass der Literpreis an der Zapfsäule dadurch um über 25 Cent pro Liter ansteigt. Ist in diesem Fall für Sie eine Senkung der Mineralölsteuer vorstellbar?

Wir sind immer Verfechter von Markt- und ein Preismodellen. Denn wenn ich eine Verhaltensänderung erreichen will, dann ist der Preis das wichtigste Signal.

Dass aber aus sozialen Gründen auch Kompensationen nötig sind, ist klar.

Diese Regierung sorgt mittels Gutscheinen und Klimabonus für Kompensation, was ich nicht für optimal halte. Zuerst zieht man es den Menschen das Geld aus der einen Tasche und gibt ihnen dann wieder einen Bonus zurück, für den sie dankbar sein sollen. Das gefällt mir von der Mentalität nicht. Wir wollen lieber den Faktor Arbeit entlasten, weil das ohnehin der größte Abgabebrocken der Menschen ist.

Für das WIFO und viele Umweltökonomen ist die Unterstützung von Pendlern eine "umweltschädliche Subvention", die abgeschafft gehört. Sehen Sie das auch so?

Auf dem Papier ist es sicher eine klimaschädliche Subvention. Das Problem liegt aber darin, dass wir viele Regionen haben, wo die Menschen auf das Auto angewiesen sind. An dieser Stelle muss man ansetzen und rasch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel vorantreiben.

Sind Sie dafür, dass Pendler, die auf den Pkw angewiesen sind, weiterhin stärker entlastet werden?

Ja, weil ich glaube, dass zuerst das Angebot geschaffen werden muss. Wenn es dann da ist, braucht es wirkungsvolle Anreize, damit es von den Menschen auch genutzt wird.

Wie lange wollen Sie die Ankaufsförderungen für E-Autos fortführen?

Wir werden solche Förderungen noch länger benötigen, weil Elektroautos im Preiswettbewerb leider noch nicht konkurrenzfähig sind. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir am Markt recht bald Veränderungen bei den Preisen nach unten sehen werden. Allerdings leider nicht von Seiten europäischer Hersteller. Vielmehr werden uns die USA und China um die Ohren fahren, weil wir die Entwicklung verschlafen haben.

Derzeit zahlt man für E-Autos praktisch keine Steuern. Wie lange dürfen sich E-Mobilisten noch darüber freuen, wenn es nach innen geht?

Ich finde diese Förderungen so lange sinnvoll, wie noch ein großes Potenzial an Fahrerinnen vorhanden ist, die durch die Maßnahme zum Umstieg animiert werden können. Dass auch die Infrastruktur mitwachsen muss, ist klar.

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Die EU fordert von ihren Mitgliedstaaten konkrete Nationale Energie- und Klimapläne (NEKP), wie sie die Klimaziele 2030 erreichen wollen. Viele Vorschläge für NEKP-Maßnahmen fußen auf der Idee, dass der Pkw-Verkehr weniger wird, wenn die Kosten empfindlich steigen. Betroffen davon sind vorwiegend Menschen mit niedrigerem Einkommen. Halten Sie diesen Ansatz für richtig?

Der Weg zur CO2-Reduktion führt natürlich in vielen Fällen über einen Anstieg der Preise und auch über Kostenwahrheit. Ich glaube aber, dass man sehr aufpassen muss, dass man nicht aus einer ideologischen Haltung oder einer ökonomischen Überlegenheit heraus auf Bevölkerungsgruppen vergisst.

Die EU hat letztes Jahr ein Neuzulassungsverbot für Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 beschlossen, das jetzt wieder wackelt. Reicht die erleichterte Zulassung grüner Verbrenner, die nur mit E-Fuels betrieben werden können, oder geht sie am Kern des Problems vorbei? Denn auf den Straßen werden auch nach 2035 weiterhin Millionen Autos mit Verbrennungsmotoren im Betrieb bleiben.

Bei den Klimazielen geht es nicht darum, dass wir eine Zahl auf einem Papier erreichen. Es geht um das Leben der Menschen auf dem Planeten. Wir müssen diese Ziele wirklich erreichen. Darum finde ich es auch falsch zu sagen, dass Europa nichts tun muss, weil die Chinesen auch zu wenig tun. Wir haben sehr wohl einen Beitrag zu leisten und wir sind auch ein relevanter Markt. Doch wir sind eine Partei, die auf dem Weg zu diesem Ziel auf Innovation und Technologie-Offenheit setzt. Vielleicht können E-Fuels tatsächlich einen Beitrag leisten. Allerdings glaube ich aktuell weder, dass der nötige grüne Strom für die Produktion vorhanden ist, noch an eine entsprechende Skalierbarkeit. Ich halte Elektromobilität für den zentralen Baustein. Und selbst da gibt es noch große Baustellen, woher wir den Strom bekommen und wie rasch wir die Netze ausbauen können. Hier braucht es Innovation anstatt Scheuklappen. Die Industrie benötigt auf alle Fälle Planungssicherheit. Wir dürfen im Bereich Elektromobilität nicht noch weiter hinter China und die USA zurückfallen.

Diese Bundesregierung hat das Klimaticket eingeführt. Verkehrswissenschafter wie Prof. Gerd Sammer kritisieren, dass das Klimaticket in punkto CO2-Einsparungen ineffizient sei und man das Geld besser in den Ausbau des ÖV-Angebotes investieren sollte. Soll das Klimaticket bleiben?

Ich finde das Klimaticket sinnvoll. Es ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher praktisch und es wird gut angenommen. Trotzdem bräuchten wir kein Gratisklimaticket für alle 18-Jährigen im Wahljahr. Es wäre viel wichtiger, dass der Infrastrukturausbau vorangetrieben wird. Oftmals scheitert er aber nicht einmal am Geld, sondern am Föderalismus. Deswegen fordern wir schon lange, bei Raumordnungsfragen und großen Infrastrukturprojekten eine Bundeskompetenz. Wir müssen uns auch sehr genau ansehen, welche Finanzierungsmodelle für den Ausbau infrage kommen. Vielleicht können wir mit privaten Anbietern gemeinsam Dinge auf die Beine stellen und Fondslösungen nutzen. Das Beispiel der Westbahn zeigt, dass sich Wettbewerb durchaus positiv auf das Angebot auswirkt. Nur mit staatlichen Akteuren werden wir die Herausforderungen vermutlich nicht stemmen können.

Ich finde das Klimaticket sinnvoll.
 

Beate Meinl-Reisinger, NEOS

Unter der aktuellen Bundesregierung wurden zahleiche Infrastruktur-Projekte wie der Lobautunnel, die A9 bei Graz oder die S18 gestoppt. Wie würde es in einer Regierung, der Sie angehören, mit diesen Infrastrukturprojekten weitergehen?

Wir sind der Meinung, dass man auch Alternativen zum Lobau-Tunnel prüfen muss, aber es ist klar, dass die aktuelle Infrastruktur überlastet ist. Anders sehe ich die Sache bei der Stadtstraße, die Aspern mit der Südosttangente in Wien verbinden soll. Sie ist notwendig, um diesen ganzen neuen Stadtteil wirklich zu erschließen. In diesem Zusammenhang finde ich auch den Protest der Grünen unehrlich, weil das Projekt beschlossen worden ist, als sie in der Wiener Stadtregierung waren.

Generell plädiere ich dafür, dass der Kulturkampf ein Ende hat. Beim Ausbau von Infrastruktur muss immer geklärt werden, wo die Mittel am sinnvollsten eingesetzt sind und wir müssen auch beim Ausbau der Schiene schneller vorankommen.

Wie sieht denn generell Ihre Vision vom Verkehr der Zukunft aus?

Wir müssen Verkehr europäischer denken. Für den Ausbau der transnationalen Verbindungen benötigen wir staatenübergreifende Anstrengungen. Die Argumente von früher, dass man das Schienennetz aus militärischen Gründen nicht zusammenführen kann, sind hoffentlich in einem vereinten Europa Geschichte.

Betrachtet man den Verkehr innerhalb Österreichs, ist die lokale Perspektive wichtig. Wir müssen auch für entlegene Gegenden attraktive Angebote schaffen. Dafür benötigen wir nicht nur die Bahn, sondern zum Beispiel auch E-Shuttle-Busse, die kleinräumig wichtig Verbindungen schaffen können. Auch der Individualverkehr wird weiterhin eine wesentliche Bedeutung haben – vor allem für die letzte Meile. Allerdings werden wir beispielsweise für die Zustell-Logistik smartere, klimafreundlichere Konzepte im urbanen Raum brauchen. Denn schon heute machen die Packerl-Zusteller einen wesentlichen Teil des Verkehrs in Wien aus.

E-Bikes boomen und damit steigt leider auch die Anzahl der getöteten Radfahrenden. Überwiegend sind es ältere E-Bike-Fahrer:innen, die ohne Unfallgegner verunglücken. Halten Sie die Einführung einer Helmpflicht für E-Bikes für sinnvoll?

Ich trage selbst immer Fahrradhelm und bin ehrlich gesagt überrascht, wenn jemand ohne Helm mit dem E-Bike fährt. Eine Verpflichtung ist zwar denkbar, wichtiger finde ich aber, dass ein Bewusstsein geschaffen wird und die Menschen aus Überzeugung auf Nummer Sicher gehen.

Durch eine Novelle der EU-Führerschein-Richtlinie werden die Mitgliedstaaten in Zukunft eine regelmäßige Überprüfung der Fahrtüchtigkeit – jedenfalls für ältere Führerscheinbesitzer - einführen müssen.
Soll diese regelmäßigen Überprüfungen durch Test beim Arzt oder durch standardisierte Selbsteinschätzungen umgesetzt werden?

Studien haben ergeben, dass sich regelmäßige Gesundheitschecks für Ältere nicht positiv auf die Unfallstatistik auswirken. Deswegen sehe ich keinen Sinn in einer Verpflichtung. Ich würde auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit setzen. Vermutlich wird es allerdings Anreize brauchen, da wohl viele ältere Verkehrsteilnehmer:innen um ihre Autonomie und Selbstbestimmung fürchten.

Automobilhersteller schränken den Zugang zu Reparatur- und Wartungs-Daten immer mehr ein. Wie wollen Sie der Europäischen Kommission beim Thema "Daten aus dem Auto" Beine machen?

Wir pochen sehr auf die Datensouveränität und Datenautonomie. Wenn entsprechende Regularien fehlen, ist das fatal. Ich möchte, dass jeder autonom über die eigenen Daten verfügen kann. Niemand sollte in irgendwelche Systeme gezwungen werden, in denen er völlig transparent ist. Ich setze mich auch für den freien Zugang für Pannenhelfer und freie Werkstätten ein. Wenn Automobilhersteller versuchen, Hürden beim Zugang zu Autodaten, die für Reparaturen benötigt werden, einzubauen, schadet das den Konsumenten. Es darf keinen Vertragszwang geben. Diese Position sollten wir auch im Nationalen Parlament bekräftigen.

Wordrap

Ich habe einen Führerschein für… die Klasse B.
Mein erstes Auto war… ein Peugeot 106.
Meine erste größere Reise ohne Eltern… habe ich mit dem Flugzeug gemacht.
Derzeit fahre ich privat… mit dem Rad, Öffis, Taxis, der Bahn und einem Opel Combo Life.
Sie sind schon einmal schneller als 130 kmh auf der Autobahn gefahren? Könnte sein.
Das letzte Mal mit den Öffis gefahren… bin ich gestern.
Das letzte Mal mit dem Fahrrad gefahren… bin ich letzte Woche.
Mein Wahlkampffahrzeug… fährt mit einem Elektroantrieb.
Mobil zu sein bedeutet für mich… Freiheit und Selbstbestimmung.

Klare Frage, klare Antwort

  1. Kilometer-abhängiges Road Pricing auf allen Straßen? Nein
  2. Ausbau von Staustrecken stoppen: Vielleicht
  3. Parkmöglichkeiten in Städten verteuern: Ja
  4. Citymauten in den Landeshauptstädten: Ja
  5. Autofreien Tag pro Monat einführen: Nein
  6. Förderung der Elektromobilität fortsetzen: Ja
  7. Private Dienstwagennutzung verteuern: Nein
  8. Generelle Tempolimits reduzieren: Nein
  9. Fahrradhelmpflicht für E-Bikes: Nein
  10. Fahrtüchtigkeits-Checks für Ältere: Nein
  11. Klimaticket fortführen: Vielleicht

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