Charles der Rote
Sauschnell, fokussiert, introvertiert: Der junge Monegasse im roten Overall ist vielleicht der Formel-1-Weltmeister von morgen. Ferrari-Pilot Charles Leclerc im Talk.
Cool wie Johnny Depp mit einem Touch Alain Delon – und immer auch ein Lauser mit null Respekt vor großen Namen. Seinen Teamkollegen, den Vierfach-Weltmeister Sebastian Vettel, hat der 21-jährige Charles Leclerc im Griff. Es scheint, als wäre er, nicht Vettel, die Zukunft der Scuderia. Der erste Formel-1-Sieg scheint nur eine Frage der Zeit. Private Schicksalsschläge haben Charles tief getroffen, auch gestärkt. Er will Weltmeister werden – für die, die er so schmerzlich vermisst: für Hervé, seinen verstorbenen Vater und Förderer, und für den so tragisch verunglückten Freund Jules Bianchi.
Der Weg in die Formel 1
— Ist mit dem Cockpit bei Ferrari ein Bubentraum wahr geworden?
Charles Leclerc:Auf jeden Fall. Davon habe ich seit frühester Kindheit geträumt. Aber ist Ferrari nicht der Traum aller Rennfahrer? Es ist schon eine große Ehre Teil dieses legendären Formel-1-Teams zu sein und den roten Renner zu steuern.
— Aufgewachsen in Monaco. Was ist deine erste Erinnerung an die Formel 1?
Charles Leclerc:Ich war drei Jahre alt. Meine Eltern waren bei Freunden eingeladen in einem Appartement direkt über Sainte Dévote, der ersten Kurve des Monaco-Grand Prix. Während die Erwachsenen von der Terrasse das Rennen verfolgten, spielten wir Kinder im Wohnzimmer. Woran ich mich bis heute erinnere, ist der brüllende Sound der Motoren von damals.
Charles der Siegertyp
— Wann war dein erster Kontakt mit Motorsport und wie wurde daraus Passion?
Charles Leclerc:Durch meinen Vater, er war ein Enthusiast. Irgendwann, ich war, glaub ich, vier Jahre alt, wollte ich nicht in den Kindergarten gehen. Ich täuschte Bauchweh vor. Die Eltern dürften mir geglaubt haben. Dennoch nahm mich mein Vater zu einer Kartbahn in der Nähe nach Brignoles in Frankreich mit. Er besuchte Philippe Bianchi, dem Vater von Jules Bianchi, dem die Kartbahn gehörte. Ich war völlig fasziniert, hab gebettelt, wollte unbedingt selbst mit so einem Kart fahren. Mein Vater und Philippe entschieden, dass ich es probieren darf. Philippe band ein Seil zwischen sein Kart und meines. So hat er mich anfangs über die Strecke geführt. Er wollte erst meine Reflexe für Beschleunigung und richtiges Bremsen sehen. Schon nach einer Runde durfte ich alleine fahren. Ich fuhr und fuhr bis der Tank leer war. Seit damals zieht es mich immer wieder nach Brignoles auf diese Kartbahn wo alles begann.
— Jules, der Sohn von Philippe Bianchi war um acht Jahre älter als du. Trotzdem wurdet ihr enge Freunde?
Charles Leclerc:Mehr noch. Jules war für mich wie ein Pate. Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht. Er war mein Mechaniker, meine Inspiration, mein Held. Zu ihm habe ich aufgeschaut. Jetzt, wo ich in der Formel 1 bin, denke ich oft an Vater und an Jules – die Menschen, die es mir ermöglicht haben, dort anzukommen wo ich heute bin. Es ist unsagbar traurig, dass beide so früh verstorben sind. Jetzt wo ich in der Formel 1 bin, bin ich voll Stolz auf all diese Erinnerungen an Jules und auch an meinen Vater. Die beiden Menschen, die es mir ermöglicht haben, dort anzukommen wo ich heute bin.
Arbeitsalltag in der Formel 1
— Träumst du davon der erste Monegasse zu sein der die Formel-1-Weltmeisterschaft gewinnt?
Charles Leclerc:Niemand kann die Zukunft vorhersagen, aber ja, ich hoffe stark, dass ich es sein werde!
— … und was würdest du als Champion als erstes tun?
Charles Leclerc:Wahrscheinlich nichts Besonderes (lächelt). Aber daran will ich auch nicht denken. Im Moment ist es wichtig gute Resultate einzufahren und mich als Fahrer weiter zu entwickeln.
— Gibt es etwa Dinge die du verbessern musst?
Charles Leclerc:Ich suche immer nach Wegen, um besser zu werden, in allem was ich tue. Wenn Du an die Spitze willst, darfst du nie damit aufhören. Im Moment etwa liegt mein Fokus auf dem Qualifying. Vor einigen Rennen wurde mir klar, dass ich an der Abstimmung des Autos für Q3 noch härter arbeiten muss. Insbesondere an der Anpassung für die jeweilige Strecke. In Frankreich hat es sich ausgezahlt, in Österreich war es perfekt.
Charles Leclerc, die rote Nummer 16, könnte als erste Monegasse die Formel-1-Weltmeisterschaft gewinnen.
— Apropos Österreich. Der Red-Bull-Ring ist die kürzeste Strecke der Tour, die Abstände im Qualifying sind daher noch viel enger.
Charles Leclerc:Auf dieser kurzen Strecke habe nicht mehr oder weniger Druck als anderswo. Es ist eine meiner Lieblingsstrecken. Und sie erinnert mich ein wenig an meine frühen Kart-Tage.
Das Spektakel von Spielberg
— Hast du das Gefühl, dass man dir in Österreich den Sieg gestohlen hat?
Charles Leclerc:Heute glaube ich, das Überhol-Manöver von Max (Anm.: Verstappen) war okay. Red Bull war schnell und sie haben gut auf ihre Reifen aufgepasst. Aber nach dieser Erfahrung gehe ich nun noch aggressiver in die Zweikämpfe. Das hat man glaub ich in Silverstone deutlich gesehen.
Zur Person Charles Leclerc
Geboren am 16. Oktober 1997 in Monte Carlo
2001: Erste Gehversuche im Kart auf der Bahn der Familie Bianchi. Jules Bianchi wird Trainer und Freund
2013: Vizeweltmeister im Kart
2014: Charles fährt Formel Renault, Jules Bianchi verunglückt beim F1-Grand-Prix von Suzuka
2016/17: Siegeszug durch GP3 und F2
2017: Tragödie & Triumph: Vater Hervé stirbt im Alter von 54 Jahren, Charles fliegt dennoch nach Baku und gewinnt den Formel-2-Lauf
2018: Formel-1-Einstieg bei Sauber n 2019: Wechsel zu Ferrari als Teamkollege von Sebastian Vettel, den er nach und nach dominiert