Das A-Team der Formel 1
A – wie Arzt, Ambulanz oder Adrenalin. Ein Blick hinter die Kulissen in die Arbeitswelt von Formel-1-Doc Ian Roberts und seinem Medical Car.
Egal wie schnell wir im Training auch sind, am Start sind wir immer die Letzten.“ Gewinnendes Grinsen, britischer Humor: Wir treffen Dr. Ian Roberts, den schnellsten Ambulanz-Arzt der Welt auf dem Red-Bull-Ring. Werden vorgestellt von ÖAMTC-Vizepräsident Dr. Harald Hertz, dem Vorsitzenden der AMF (Austrian Motorsport Federation). Ärzte unter sich, da geht es immer auch um berufliche Belange. Etwa wie man 20 Formel-1-Rennwochenenden und Spitals-Dienstplan auf die Reihe bekommt. Auch Sicherheit ist großes Thema. Immerhin sind beide Ärzte auch Mitglieder der Medical Commission der FIA. Dr. Ian Roberts ist der Mann, auf den die Formel-1-Piloten vertrauen. Ob Vettel, Hamilton oder Bottas, sie alle wissen: “Wenn wir crashen, womöglich verletzt sind, ist Ian Sekunden später da.“
Dr. Roberts zeigt uns seinen Arbeitsplatz, den Beifahrersitz des F1-Medical Car: Ein Mercedes-AMG C63 S, V8-Biturbo-Motor, 510 PS, Beschleunigung in 4,1 Sekunden auf hundert. Gesteuert vom Südafrikaner Alan van der Merwe, früher BAR-Testpilot. Zur Erinnerung: British American Racing, kurz BAR, war ein britischer Formel-1-Rennstall, der Ende 1998 durch Übernahme aus dem Traditionsteam Tyrrell hervorging und zwischen 1999 und 2005 zu knapp 120 Grand-Prix-Rennen antrat. Der Motorsport-verrückte Dr. Roberts hat keine Angst, im Renntrimm die Strecken der Welt zu umrunden, er vertraut völlig auf Alans Fahrkunst und Erfahrung.
Gemeinsamer Track Test bei Nacht:
Safety Car und Medical Car in Bahrain
So wie beim Safety Car sind immer zwei idente Medical Cars an der Strecke. Gewartet von zwei AMG-Technikern. Das gemeinsame High-Speed-Training startet – außer bei Nacht-Grand-Prix wie Singapur oder Bahrain – Donnerstags zwischen 14 und 15 Uhr Ortszeit. Aber nur wenigen Fans an der Strecke fällt auf, dass Alan van der Merwe von Runde zu Runde deutlich an Boden auf Bernd Mayländer im Safety Car verliert. Auch fährt Alan eine auffällig andere Linie. Der Grund: Das Safety Car ist ein Mercedes-AMG GT S, von der Konzeption ein Sportwagen. Auch die Aufgaben-Stellungen sind unterschiedlich. Das Safety Car muss das Formel-1-Feld im Falle eines Unfalls oder Trümmern auf der Fahrbahn mit Höchstgeschwindigkeit um die jeweiligen Rennstrecken führen, während das Medical Car weitgehend unbemerkt von Fernsehbildern agiert. Ärzte und Fahrer müssen samt schwerer Notfall-Ausrüstung so rasch als möglich an den Unfallort. Den Anforderungs-Profil entsprechend ist das Auto ein Serien-Kombi plus ein paar Upgrades. Im Grunde eine lahme Ente im Vergleich mit den hochgezüchteten Boliden der Königsklasse. Einziges Zugeständnis an die Formel 1: der markige Sound der aufgemotzten Abgasanlage.
Während des Trainings und Qualifyings der Formel 1 (und auch aller Randserien) steht das Medical Car am Ende der Boxengasse. Laufender Motor, voll aufgedrehte Klimaanlage, die Besatzung in feuerfester Rennmontur, Helm auf, Kinnriemen festgezurrt, Funkanlange aktiviert. Und schwer beladen: Alan und Dr. Roberts; plus ein lokaler Arzt plus 70 kg Notfall-Equipment. Fast so schwer wie eine weitere Person. Nur am Renntag fährt das Medical Car dem startenden Formel-1-Feld die erste Runde nach. “Weil gerade in den ersten Kurven, wenn die Heißsporne um Positionen kämpfen, fast immer Unfälle passieren!“, lächelt Dr. Roberts milde.
Medical Car Deploy! Herzschlag und Blutdruck des Medical Car Teams schnellen hoch. „In diesen Momenten spüren wir das Adrenalin“, seufzt Dr. Roberts. “Mag ja fürs Publikum aufregend sein, nicht aber für uns: Wir sind Profis und können mit diesen Situationen umgehen!“ Der Einsatzbefehl kommt aus der Race Control von Laurent Mekies, Nachfolger von Herbie Blash. Kommuniziert wird über zwei Funkverbindungen: eine digitale plus ein analoges Backup. Über die iPads am Armaturenbrett sind Streckenplan und Fernsehbilder zugeschaltet. Dr. Roberts kann verunglückte Fahrer sogar über Funk hören. “Quite useful!“ Und stellt bereits eine erste Ferndiagnose. Auch die absoluten G-Force-Daten der Autos werden angezeigt, nicht die der Fahrer, denn die werden über die Ohrstöpsel gemessen und sind für den Arzt nicht abrufbar.
Am Unfallort ist eine schnelle Einschätzung der Lage gefragt. Bei schweren Unfällen mit Freisetzung großer Energien eilt Dr. Roberts samt kleiner Erstversorgungs-Tasche zu dem Verunglückten, während Alan, der Fahrer, mit dem „Scene Managment“, dem Sichern der Unfallstelle, beginnt. Besonders heikel ist der Einsatz im Regen, denn auch oder gerade hinter dem Safety Car brechen Formel-1-Autos mit verbrauchten Reifen gerne mal aus. Aber auch aufgewirbelte Carbonteile, ausgeflossenes, Benzin, Feuer oder Stromschlag sind permanente Gefahren der Retter. Ist alles gesichert, checkt Dr. Roberts die Vitalfunktionen des Fahrers: Wahrnehmung, Kreislauf, Atmung. “Are you okay?“, schreit er ins Cockpit. Wenn die Antwort lautet: “Yes, I‘m okay!“ und der Fahrer aussteigen kann, sind alle drei Parameter abgehakt.
Obwohl Alan kein ausgebildeter Sanitäter ist, ist er doch die zusätzliche helfende Hand. Sollte mehr Equipment benötigt werden, wird es von Alan nachgebracht. Alles höchst effizient im Kofferraum verstaut: Der rote Koffer für kritische Verbrennungen, der Defibrillator, jede Menge Spritzen, Infusionen, Katheter und Intubations-Material. Das größte Teil im Heck ist die Sauerstoff-Flasche. Der komplette Sauerstoffbedarf muss in Veranstaltungsländern vom jeweiligen Medical Supplier zugekauft werden, denn Fluglinien verweigern den Transport.
Wichtig für Dr. Ian Roberts und alle Retter an der Rennstrecke ist die Aufarbeitung, die nachträgliche Reflektion, eine Art medizinisches Debriefing. “Wir reden dann ehrlich, was wir in Zukunft noch besser oder effizienter machen müssen. Erst in diesem Momenten nehmen wir unsere persönlichen Ängste wahr.“ Und milde lächelnd fügt Dr. Roberts hinzu: “Aber vielleicht ist es auch nur das Adrenalin.“
Der Speed Doctor im Gespräch
— Vom Spitalsarzt Formel-1-Chefmediziner, wie geht das?
Ian Roberts: Durchs Zuschauen (lacht). Ich hab die wildesten Motorsport-Events verfolgt. Dabei sah ich die medizinischen Teams im Einsatz. Ich spürte sofort: Das ist es! Und irgendwann kam ich nach Silverstone als Strecken-Chefarzt.
— Seit dem Unfall von Ayrton Senna hat sich die Sicherheit der Formel-1-Autos massiv gewandelt, was hat sich in medizinischer Sicht für den Motorsport getan?
Ian Roberts: Der medizinische Sektor hat sich enorm weiter entwickelt, unabhängig vom Motorsport. Wir haben alle aktuellen Erkenntnisse für unseren Job an Board. Aber die wichtigsten Dinge die die Formel 1 so sicher gemacht haben, waren gute Ingenieurarbeit und ein gutes Reglement. Bestes Beispiel: die Überlebenszelle.
Unsere größte Sorge im Formelsport sind Kopfverletzungen.
Dr. Ian Roberts, FIA F1 Medical Rescue Coordinator
Sicherheit ist das Credo der FIA. Sichere Autos erhöhen die Überlebenschancen im Falle von Renn-Unfällen, minimieren die Verletzungsgefahr. Auch die Streckenlayouts sind heute besser mit den großen Auslaufzonen. Die zu erwartenden Verletzungen sind um vieles geringer als früher.
— Sie sind Anästhesist und Intensivmediziner. Ist diese Ausbildung für Rennunfälle ausreichend?
Ian Roberts: Fähigkeiten von Anästhesisten, Intensiv- und Notfallsmedizinern in Spitälern sind durchaus auch auf Rennunfälle übertragbar. Persönlich habe ich viel Erfahrung mit Verletzungen im Motorsport, in dem ich seit den 1990er-Jahren als Arzt dabei bin.
— Aktuell gibt es 20 Formel-1-Piloten plus einige Testfahrer. Inwieweit sind sie über den Gesundheitszustand jedes Einzelnen informiert?
Ian Roberts: Der allgemeine Gesundheitszustand aller Fahrer wird durch die jeweiligen Teamärzte und Physios gecheckt. Sie sind verpflichtet, mich über etwaige Verletzungen oder andere Gründe, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen könnten, zu informieren.
— War Doping ihres Wissens jemals Thema in der Formel 1?
Ian Roberts: Nicht das ich wüsste. Es gibt nahezu keine Drogen oder Prozesse, die die Leistungsfähigkeit von Fahrern steigern würden. Es gibt immer wieder überraschende Besuche von Kontrolleuren bei den Rennen, bei denen sie willkürlich Fahrer auswählen und Dopingtests unterziehen. Außerdem sind die Formel-1-Fahrer sehr bewußt, was den Umgang mit ihrer Gesundheit angeht.
—Welche Gefühle löst der Moment des Einsatzbefehls aus, Angst, Nervosität?
Ian Roberts: Aufregung! Aufregende Rennen sind zwar fürs Publikum unterhaltsam, aber nicht für uns (lacht). Im Einsatz schlägt unser Herz wesentlich schneller. Aber als Arzt und Profi habe ich – so wie die Krankenschwestern und Sanitäter – meinen Job zu machen, auch unter schwierigsten Bedingen.
—Wenn sie zu einem Crash kommen, was ist zu tun, was sind die ersten diagnostischen Schritte?
Ian Roberts: Es kommt auf die Heftigkeit an. Bei einem kleinen Crash ist es leicht, vorher zu sehen, welche Verletzungen eventuell zu erwarten sind. Bei größeren Unfällen mit Freisetzung von großer Energie sind Art und Schwere der Verletzungen der Fahrer kaum einzuschätzen. Als erstes beginnen wir mit dem „Scene Management“, dem Sichern der Unfallstelle. Dann checken wir: wie viele Autos sind involviert, ist Benzin ausgelaufen, besteht Feuergefahr, oder die Gefahr eines Stromschlags, besteht Gefahr durch herumliegende Splitter oder Trümmer, kann das Safety Car und das Feld gefahrlos vorbeifahren? Im Regen etwa können Formel-1-Autos schon bei geringer Geschwindigkeit ausbrechen, besonders hinter dem Safety Car. Dann erst sehen wir nach dem Fahrer: Ist er ansprechbar? Kann er sprechen? Ist er in der Lage selbst auszusteigen? Die ersten Checks zielen auf Wahrnehmung, Atmung und Kreislauf. Diese drei Faktoren sind rasch gecheckt, nämlich indem er sagt: Ich bin okay, und selbst aussteigt. Schock als Ausdruck von Stress durch den Unfall äußert sich in Ärger, oder Frustration, im Fall von Blutverlust ist das eine ernste Sache.
—Gibt es typische Verletzungen im Formelsport?
Ian Roberts: Unser größte Sorge sind immer noch Kopfverletzungen. Obwohl die Fahrer von einer Überlebenszelle umgeben sind, der Kopf ist frei und somit verwundbar. Daher hat sich die FIA für den Halo entschieden, um den Kopf des Fahrers in einem offenen Cockpit besser zu schützen. Der Körper vom Kopf abwärts ist durch Aufprallzone und Überlebenszelle bestens geschützt.
Der schwarze Sonntag von Suzuka 2014
— Apropos offenes Cockpit und Kopfverletzungen. Wie sehen sie retrospektiv den Unfall von Jules Bianchi in Suzuka?
Ian Roberts: Für mich als Rennarzt war das die sprichwörtliche Katastrophe. Es war sofort klar, dass die Kopfverletzung sehr ernst war. Wir mussten bei der Bergung aufpassen, ihn nicht noch mehr zu verletzen. Wegen möglicher Nacken und Wirbelsäulen-Verletzungen. Wir haben den Kopf gesichert und ihn kontrolliert aus dem Auto geborgen. Das Medical Team hat damals in Suzuka außerordentlich gut gearbeitet. Unglücklicherweise… ich denke wir alle kennen den Ausgang der Geschichte.
— Wie sieht ihre persönliche Vorbereitung auf die Rennen aus?
Ian Roberts: Planung ist das Schlüssel-Wort dafür. Speziell vor den langen Flugdistanzen achte ich darauf, viel zu schlafen und viel zu trinken. Speziell vor langen Flügen wie nach Japan oder Brasilien achte ich schon Tage vor dem Abflug auf viel Schlaf, esse gut, trinke viel und verrichte keine Nachtdienste. Wenn ich heimkomme, nehme ich mir dann noch einmal zwei Tage frei, um wieder in meiner Zeitzone anzukommen.