Formel Super Frau
Sie leben für ihre Leidenschaft, sind aber die Minderheit in einer Männer-Domäne. Frauen im Motorsport kämpfen nicht nur um Siege, auch gegen Vorurteile und um Respekt.
Geisteskrank, gefährlich, faszinierend. Diese Strecke muss man lieben", schwärmt Laura. Wenn sie vom Grand-Prix-Kurs raus auf die 20 Kilometer lange Nürburgring-Nordschleife biegt, führt sie ein Vollgas-Abschnitt durch dichten Wald, ohne Auslaufzonen. Das 24-Stunden-Rennen mit 160 Autos am Start empfindet sie als surreal: die Nacht, den Nebel, die campierenden Fans an der Strecke.
Wenn dann auf der Anfahrt zur Brücke von Breidscheid über ihrem KTM X-Bow GT4 ein Feuerwerk explodiert, leuchten Lauras blaue Augen. Sie fühlt sich wie im Film – und sie ist glücklich.
Aber Laura Kraihamer bewegt sich in einem Minderheiten-Programm: Frauen im Motorsport.
In Österreich werden pro Jahr gerade einmal vier Prozent aller Motorsport-Lizenzen auf Frauen ausgestellt.
Burschen verlieren nicht gern, schon gar nicht gegen Mädchen.
Bianca Steiner, Rennfahrerin und ORF-Expertin
Dabei gab es sie zu allen Zeiten: So genannte "wilde Weiber" voller Leidenschaft, die sich im Renntrimm mit der Männerwelt messen.
Elisabeth Junek aus Olmütz – sie gilt lange als schnellste Frau der Welt: 1928 führt sie im Bugatti die berüchtigte Targa Florio an, ein Radwechsel wirft sie zurück. Am Ende wird sie Fünfte.
Maria Teresa de Filippis ist 1958 die erste Frau am Start zur Automobil-Weltmeisterschaft, der heutigen Formel 1. Die Deutsche Jutta Kleinschmidt wühlt sich 2001 im Mitsubishi durch die Dünen Westafrikas zur ersten Siegerin der Rallye Paris–Dakar. Der US-Pilotin Danica Patrick gelingt 2008 im japanischen Motegi als erster Frau ein IndyCar-Sieg.
Und last but not least – die Grande Dame, erfolgreichste aller Rennsport-Amazonen: die Französin Michèle Mouton. Die impulsive Michèle gewinnt in den 1980ern vier Wertungsläufe zur Rallye-Weltmeisterschaft.
Im Gruppe-B-Audi-quattro ist sie Stars wie Stig Blomqvist, Hannu Mikkola und Walter Röhrl ebenbürtig. Den WM-Titel verpasst sie 1982 nur knapp, nach einem Ausfall in Westafrika. Später siegt sie noch am Pikes Peak und gewinnt als bislang einzige Frau die deutsche Rallye-Meisterschaft.
Heute ist Michèle Mouton FIA-Vorsitzende der Kommission für Frauen im Motorsport. Ihr Verdienst: Die Spanierin Maya Weug wird als erstes Mädchen des FIA-Programms "Girls on Track" in die Fahrer-Akademie von Ferrari aufgenommen.
Aber wann sehen wir endlich wieder eine Frau in einem Formel-1-Stammcockpit? Toto Wolff, Mercedes-Motorsportchef und verheiratet mit Susie, der letzten Frau, die ein Formel-1-Auto bewegen durfte, kennt die Antwort: "Wir müssen mehr Mädchen für den Kartsport inspirieren. Im Moment kommen auf hundert Burschen nur zwei Mädchen. Da müssen wir ansetzen, da brauchen wir einfach mehr Breite."
Das Kart als Start
Laura Kraihamer dreht ihre ersten Runden im Rotax-Junior-Kart in Ampfing. Kiebitzen fällt auf: "Des schaut guad aus!" Bianca Steiner hingegen fährt zum Spaß auf der Kartbahn Kottingbrunn.
Ich hatte immer ein mulmiges Gefühl, wenn Susie Rennen gefahren ist. Aber ich konnte daran nichts ändern, ich hab sie ja als Rennfahrerin kennengelernt.
Toto Wolff, Mercedes-Sportchef
Dort ist ein Formel-BMW des Renauer-Teams ausgestellt. Bianca, die schon mit Papas VW Golf auf Feldwegen gefahren ist, nervt, bis der Herr Papa bei Renauer anruft. Ein Test auf dem Semperit-Gelände Teesdorf wird ausgemacht.
Bianca hat null Ahnung, was auf sie zukommt, aber schon ab Runde zwei lässt sie das Monoposto fliegen. Überspringt den Kartsport, fährt mit 14 Jahren Formel Junior, später Formel Renault in Italien, wo damals auch Daniel Ricciardo und Valtteri Bottas fahren. "Ich wollt' halt immer schon gegen die Besten fahren", grinst Bianca.
Mit 16 ermöglichen ihr Bernie Ecclestone und Flavio Briatore einen Formel-3000-Einsatz in Misano. Ecclestone will unbedingt eine Frau in seiner Formel 1, aber für den langen Weg zur Superlizenz fehlt Bianca das Geld. Irgendwie schafft sie es doch noch in die Formel 1: als ORF-Expertin.
Der Konnex Mann & Motor ist nicht klein zu kriegen. Frauen tun sich im Rallyesport schwerer, sonst hätte es nach Michèle Mouton noch viele Siegerinnen gegeben.
Ilka Minor, Rallye-Fahrerin
Außer der Formel 1 als Sonntagsprogramm daheim in Ferlach hatte llka Minor keinen Bezug zum Motorsport. Zufällig sei sie reingerutscht, sagt sie heute. Ihr damaliger Freund, ein Rallye-Pilot, steht plötzlich ohne Beifahrer da. In wilden Nachtfahrten über Kärntner Pässe lernt sie, wie ein Schrieb entsteht. Sie beweist Talent, zeigt Einsatz. Irgendwann wird ihr auch nicht mehr schlecht.
Heute blickt Ilka auf 137 WM-Rallyes zurück, achtmal steht sie auf dem Podium. Das Highlight: Zypern 2005, wo sie als Copilotin von Manfred Stohl neben Weltmeister Sébastien Loeb auf dem Stockerl steht – ein Gänsehaut-Moment.
"Der Konnex Mann & Motor ist nicht klein zu kriegen. Frauen tun sich im Rallyesport schwerer, sonst hätte es nach Michèle Mouton noch viele Siegerinnen gegeben", weiß Ilka Minor, die 2010 – darauf besteht sie – zum "besten Beifahrer der Rallye-WM" gewählt wird.
"Burschen verlieren nicht gern, schon gar nicht gegen Mädchen", schmunzelt Bianca Steiner, die sich im Rennen oft gegen rüpelhafte Youngsters Respekt verschaffen muss. Auf dem Hungaroring 2005 schlägt sie alle, feiert ihren ersten Formel-Renault-Sieg.
Auch Laura Kraihamer erfährt anfangs Vorurteile, auch Argwohn. Mit den Erfolgen verstummt die Kritik: Die Siegerin der X-Bow-Battle gewinnt auch die 24 Stunden von Barcelona, wird 2021 sensationell Dritte auf der Nordschleife.
Und obwohl die Suche nach Sponsoren für Frauen ungleich schwerer ist, will Laura nicht als Frau verkauft werden. Auch sie besteht drauf: "Der Fahrer Kraihamer hat gewonnen!"
Michèle Mouton im Talk
— Ein Mädchen wird in die Ferrari Driver Academy aufgenommen – ist das der Durchbruch für Frauen im Motorsport?
Michèle Mouton:Es zeigt deutlich: Unser FIA "Girls on Track – Rising Stars"-Programm ist ein wichtiger Schritt vorwärts für junge Frauen, die am Anfang des Sports stehen. Maya Weug als erste weibliche Studentin bei Ferrari ist ein historischer Moment und ein Erfolg dieses FIA-Programms. Ferrari als unser Partner wird in Zukunft sogar vier Fahrerinnen aufnehmen.
— Frauen sind in vielen Serien aktiv, außer in der Formel 1. Warum ist das so?
Michèle Mouton:Formel 1 ist ein Elitesport. Um eines von nur 20 Cockpits zu bekommen, braucht es Hingabe und Top-Leistungen, vom Kart über alle Nachwuchs-Formeln. Wir brauchen mehr junge Frauen, die von der Basis weg im Wettbewerb stehen, sich die Pyramide hinauf arbeiten. Das ist die einzige Chance, den höchsten Level, die Formel 1, zu erreichen.
Die Menschen sehen die Formel 1 so, als wäre sie der Inbegriff des Rennsports. Ich aber bin stolz, dass wir sechs professionelle Fahrerinnen in der WEC, der Langstrecken-WM, haben.
— Was sind die größten Hindernisse für Frauen im Motorsport?
Michèle Mouton:Um zu gewinnen, benötigen sie die gleichen Möglichkeiten. Viel wichtiger: auch das gleiche Material wie die männliche Konkurrenz.
— Woran liegt es, dass sich so viele Mädchen im Alter von 14 oder 15 Jahren aus dem Motorsport wieder zurückziehen?
Michèle Mouton:Jeder Mensch tickt unterschiedlich. Aber wenn man sich seine Zukunft in so einem von so starker Konkurrenz bestimmten Umfeld vorstellt, dann kann das schon sehr abschreckend, auch unerreichbar erscheinen. Vor allem für eine junge Pilotin in einem maskulin dominierten Fahrerfeld.
Auch hier bietet unser Programm Hoffnung und finanzielle Unterstützung. Es ermöglicht sowohl, sich nur auf den Wettbewerb zu fokussieren, als auch zusätzlich eine Fülle an Chancen in vielen Bereichen des Motorsports, für die wir oft die jungen Augen erst öffnen müssen.
Daher müssen wir weiterhin daran arbeiten, den Erfolg von Frauen in allen Aspekten, die dieser Sport bietet, zu promoten. Das heißt: Vorbilder herausheben und den jungen Mädchen zeigen, dass im Sport alles möglich ist und es auch für sie Chancen gibt.
— Sie haben im Rallyesport bewiesen, dass Frauen im Motorsport fähig sind, Männer zu schlagen. Wie war das möglich?
Michèle Mouton:Ich hatte ein gleichwertiges Auto, also gab es keine Entschuldigungen. Ich wollte schnell sein und ging an meine Grenzen, aber es war immer ein harter Kampf.
— Aber wie gelang der Weg an die Spitze?
Michèle Mouton:Eine lange Geschichte, die damit begann, dass ich mit 14 Jahren den Citroën 2CV meines Vater fahren durfte. Als ich später als Beifahrer mit einem Freund Rennen gefahren bin, schlug mein Vater vor, dass ich lieber selber fahren sollte. Er war mein erster Sponsor.
Ich gewann die französische Rallyemeisterschaft. Dann kam der Anruf von Audi und das Angebot, in der WM mitzufahren. Der Rest ist Geschichte.
— Wie gingen die Männer damit um?
Michèle Mouton:Das musst du sie fragen (lacht)! Ich hab nie daran gedacht, dass ich eine Frau bin. Ich ging ans Limit und wurde dafür akzeptiert. Sie waren alle Gentlemen auf und neben der Strecke. Rivalität oder Neid hab ich nie gespürt.
Lella Lombardi: Die Legende
Sie ist die einzige Frau, die es in die Punkte-Ränge der Formel 1 geschafft hat. Dabei denkt die 1943 geborene Metzgerstochter anfangs nicht im Traum daran, Rennfahrerin zu werden. Der rasante Transport ins Spital nach einem Beinbruch weckt in ihr die Liebe zur Geschwindigkeit.
1965 startet die Italienerin in der Formel Monza. 1974 erreicht sie ihr großes Ziel, die Formel 1. Geschichte schreibt sie 1975 beim Grand Prix von Spanien: Als das Rennen nach einem Unfall zur Halbzeit abgebrochen wird, befindet sie sich auf Platz sechs und erhält somit einen halben WM-Punkt. Sie bestreitet insgesamt zwölf Formel-1-Rennen. Im Sportwagen-Rennsport bleibt sie bis 1982 tätig. Lella Lombardi stirbt 1992 im Alter von nur 50 Jahren an Krebs.
Jutta Kleinschmidt: Offroad-Queen
Ob mit Motorrad oder Auto – die Deutsche kann getrost als Offroad-Königin bezeichnet werden. Insgesamt 17 Mal tritt sie bei der Rallye Dakar an, fährt sechs Mal in die Top Five. 2001 gewinnt sie als bislang einzige Frau die Gesamtwertung des Wüstenklassikers in einem Mitsubishi Pajero.
Die Physik-Diplomingenieurin, die vor ihrer Rallye-Karriere in der Fahrzeugentwicklung bei BMW tätig war, liebt das Extreme. Neben flotten Autorennen wie Le Mans und der Dakar beendet sie 2004 das Radrennen "Race Across America" auf Platz zwei. Ihr letztes Rennen fuhr sie 2019 bei der Baja Portugal. Im gleichen Jahr wird sie Präsidentin der Cross Country Rally Commission der FIA und engagiert sich seit 2021 für die Elektro-Rennserie Extrem E.
www.jutta-kleinschmidt.de
Maria Teresa de Filippis: Rauchende Revoluzzerin
Zuerst beweist sie ihren Brüdern mit einer Wette, dass Frauen schnell Auto fahren können. Danach der Welt. Die Zigarette zwischen den Lippen, gewinnt sie 1948 mit 22 Jahren ihr erstes Straßenrennen. Nach einigen Stockerlplätzen bis 1953 kommt sie zum Werksteam von Maserati. Ihr Formel-1-Debüt gibt sie 1958 in Belgien, wo die Neapolitanerin im roten Maserati 250 F Platz zehn erreicht.
Frauen können alles, was auch Männer können.
Maria Teresa de Filippis, Erste F1-Rennfahrerin
Nach nur drei Formel-1-Rennen beendet sie ihre Karriere 1959 nach dem Unfalltod zweier Freunde. Als Präsidentin des International Club of Former F1 Grand Prix Drivers bleibt sie dem Rennsport erhalten. Bis ins hohe Alter ist de Filippis Gast bei der Ennstal Classic, wo sie im Grand-Prix-Maserati ordentlich Gas gibt. Ihr Motto: "Frauen können alles, was auch Männer können." De Filippis stirbt 2016.
Toni Breidinger: Power-Modell
"Das Auto kennt kein Geschlecht", erzählt die 22-jährige NASCAR-Rennfahrerin Toni Breidinger und macht gleich einmal klar, dass sie vom Schubladendenken nichts hält: "Im Rennsport kämpfen Männer und Frauen auf gleichem Level gegen einander, es kommt auf mehr Variablen als nur auf körperliche Stärke an."
Sie weiß, wovon sie spricht. Mit neun Jahren fährt sie mit Zwillingsschwester Annie Go-Kart-Rennen, später Midget-Car-Rennen, wo Toni mit 19 Siegen zur erfolgreichsten Fahrerin bei USAC- (United States Auto Club) Bewerben zählt. Während ihre Zwillingsschwester aufs College geht, steht für Toni eines fest: Sie will bei NASCAR fahren.
Karrierefokussiert zieht sie mit 18 Jahren in die NASCAR-Hochburg North Carolina. Mit einer libanesischen Mutter ist Breidinger die erste arabisch-stämmige Pilotin und sich ihrer Vorbildrolle bewusst. Sie will inspirieren und in den NASCAR Cup Series künftig die Erfolgreichste aller Fahrer werden.
Toni Breidinger auf Instagram
www.tonibreidinger.com
Jamie Chadwick: Supergirl
Nur 1,60 m groß, aber superschnell: Jamie, geboren in Bath, aufgewachsen auf der Isle of Man als Tochter eines englischen Bauunternehmers und einer indischstämmigen Mutter, steht kurz vor dem Sprung in die Hockey-Nationalmannschaft, bevor sie sich für den Kartsport entscheidet. Danach folgen Jahre in der britischen GT- und Formel-3-Meisterschaft. 2017 gewinnt sie die indische Formel 2000.
Der Durchbruch gelingt ihr in den W Series, einer Single-Seater-Meisterschaft für Frauen. Als zweifache Gesamtsiegerin (2019 und 2021) und als Entwicklungsfahrerin für Williams ist sie die heißeste Anwärterin auf die Formel 1.
Jamie auf Instagram
www.jamiechadwickracing.com
Juju Noda: Das Renn-Küken
"Ich brauche keine Vorbilder, ich bin Juju und mache mein eigenes Ding", erklärt die 15-Jährige selbstsicher. Die zierliche Japanerin weiß, was sie will. Schon mit drei Jahren fährt sie ihr erstes Rennen, mit fünf ist ihr klar: "Das wird mein Beruf." Als Tochter von Ex-Formel-1-Pilot Hideki Noda ist ihr das Rennsport-Gen in die Wiege gelegt.
Juju gibt ihr Formelsport-Debüt mit neun, sie träumt davon, als erste Frau in der Formel 1 zu gewinnen. Drei Siege im Monoposto hat sie bereits eingefahren. Nach einem kurzen Ausflug in die amerikanische Formel 4 dreht sie derzeit wieder ihre Runden bei der Formel-4-Meisterschaft in Dänemark.
Juju auf Instagram
www.juju-driver.com