Racing statt TikTok
Die Generation Z ist ehrgeizig und weiß, was sie will. Vorhang auf für Beweisstücke A, B und C aus dem heimischen Nachwuchsmotorsport.
Eigentlich sind es nur ein paar Schritte, doch die Welt, in der man landet, ist eine komplett andere. Wenig Glamour, kaum Weltstars, keine Politiker:innen und statt prestigeträchtiger Motorhomes für mehrere Millionen Euro stehen hier gewöhnliche Lkw und Zelte. Enger ist es auch. Ich stehe im Fahrerlager der Top-Nachwuchsserien Formel 2 und 3 am Red Bull Ring, die im Rahmenprogramm der Formel 1 fahren. Wer es bis hierher geschafft hat, ist einem Cockpit in der Königsklasse schon recht nahe.
Buntes Treiben: Das F2/F3-Fahrerlager am Red Bull Ring.
Formel-3-Fahrer Charlie Wurz
"Ab der Formel 4 oder Formel Regional und ganz sicher in der Formel 3 und Formel 2 sind nur noch die besten jungen Fahrer der Welt im Feld", weiß auch Charlie Wurz. Der Sohn von Alexander Wurz gehört seit diesem Jahr selbst zu dieser Elite, er fährt in der Formel 3.
Kart-Staatsmeisterin Ivonn Simeonova
Ein brauner Holztisch, eine graue Eckcouch drum herum – eigentlich ist an diesem Wohnzimmer in Wien nichts ungewöhnlich. Würde da nicht das viele Gold und Silber vom Holztisch glänzen. Dutzende Pokale funkeln um die Wette und mittendrin die 14-jährige Ivonn Simeonova. "Mit fünf saß ich das erste Mal im Kart", erzählt sie aufgeweckt. Sieben Jahre später, 2023, gewinnt sie die heimische Kart-Meisterschaft in der Junior-Klasse. 2024 gewinnt sie die Serie erneut – und triumphiert auch in der Region Zentraleuropa.
Motocross-Europameister Ricardo Bauer
Erneuter Szenenwechsel. Ein Kaffee in Eisenstadt, die Sonne knallt auch jetzt noch, am späten Nachmittag, erbarmungslos herunter. Ricardo Bauer kommt direkt von der Motocross-Strecke, es ist ein Trainingstag. Wobei: Eigentlich ist für den 13-jährigen Burgenländer, der 2022 Motocross-Europameister in der 65-Kubik-Klasse wurde, fast jeder Tag ein Trainingstag: Mentale Übungen, Kraft- und Ausdauersport sind genauso wichtig wie die Praxis auf den Strecken.
Charlie Wurz, Ivonn Simeonova und Ricardo Bauer: drei österreichische Nachwuchstalente, die in unterschiedlichen Serien fahren, die an unterschiedlichen Stellen ihrer Karriere stehen, unterschiedlich alt sind. Dennoch lassen sich viele Gemeinsamkeiten finden. auto touring wollte von ihnen wissen: Wie lebt es sich als blutjunge:r Motorsportler:in? Welche Herausforderungen gibt es? Wovon träumen sie? Wie gut lässt sich das Training mit der Ausbildung vereinbaren? Und wie sind sie eigentlich zum Motorsport gekommen?
Rennsport als Familientradition
Letzte Frage, erste Antwort – und eine der eben erwähnten Gemeinsamkeiten: Die Begeisterung fürs Vollgasgeben haben alle von ihren Eltern mitbekommen, wenngleich in unterschiedlichen Ausprägungen. Klar, bei Charlie Wurz weiß man’s: Sein Vater Alex gewann zwei Mal das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, ging 69 Mal in der Formel 1 an den Start und ist dem heimischen Publikum als TV-Experte auch heute noch präsent. Der Vater von Ricardo Bauer ist auch ein wenig Enduro gefahren. Nur hobbymäßig, wie er anmerkt, aber doch.
Und in Ivonn Simeonova Familie sind ohnehin einige Racer: Von der Rallye-fahrenden Großmutter bis hin zum Vater, der Formel Easter fuhr. "Der Papa will mit mir zu Ende bringen, was er begonnen hat", lacht Simeonova. Nur die Mama sei nicht gar so talentiert am Volant. Allzu häufig sehe sie die beiden nicht. Nachdem sie die zweite Klasse Volksschule in Österreich besucht hatte, zog die Familie zurück nach Bulgarien. Glücklich war die Kartfahrerin dort nicht: "Ich hatte hier meine Freunde und die Rennstrecke war auch nur eine halbe Stunde entfernt." Nach rund dreieinhalb Jahren kehrte Ivonn nach Österreich zurück – ohne Eltern. Seitdem lebt sie bei ihrer Tante. Ohne sie geht gar nichts: Sie managt das Social-Media-Profil ihrer Nichte, fährt mit ihr zu Rennen und unterstützt sonst noch, so gut es geht. 48 Stunden vor unserem Treffen seien sie noch in Schweden bei der Karting Academy Trophy gewesen, einer Serie der FIA, in der die nationalen Motorsportverbände, hier die AMF, ein Nachwuchstalent entsenden, das sich mit der globalen Konkurrenz messen kann. Wegen der Fahrerei habe Simeonovas Tante dieses Jahr schon fünf Mal das Öl in ihrem Auto nachfüllen müssen.
Mentoren und Sponsoren
Unterstützung ist alles. Das weiß auch Ricardo Bauer, der neben seiner Familie vor allem von Trainer Philipp Ringhofer Rückhalt bekommt, auf und abseits der Motocross-Strecke. Und auch Charlie Wurz fühlt sich von seinem Umfeld "sehr gut unterstützt", wie er sagt. Nachsatz: "Aus dem, was ich von Sponsoren, Eltern und Freunden bekomme, muss ich das Maximum rausholen."
Auf dem Weg zu ihrem großen Ziel, wie bei Charlie ist das die Formel 1, kann Ivonn Simeonova auch auf externe Hilfe setzen: Sie wurde bei "More than Equal" aufgenommen. Das Programm von Motorsport-Koryphäe David Coulthard und Unternehmer Karel Komárek hat das Ziel, Rennfahrerinnen zu fördern, die systematischen Barrieren, mit denen sie konfrontiert sind, einzureißen – und die erste Formel-1-Weltmeisterin überhaupt hervorzubringen. In der Praxis bedeutet das etwa, dass Ivonn die Möglichkeit bekommt, bald ein Formel-4-Rennauto fahren zu können.
"Der Motorsport muss unbedingt mehr Mädchen anziehen. Solche Programme helfen dabei. Auch, weil sie den Mädchen und ihren Eltern zeigen, dass man es schaffen kann", sagt Charlie Wurz. Dass die erst im Anrennen ist, zeigt auch folgende Anekdote: Als ich Ivonn brav gendernd auf ihre Konkurrentinnen und Konkurrenten anspreche, unterbricht sie mich schnell und mit Grinsen im Gesicht: "Konkurrenten!"
Zwischen Sport und Privatleben
Und abseits der Konkurrenten? Wie sieht’s bei den Youngsters mit Schule, Freunde, Freizeit aus? Es sind sich gleichende Antworten: Zwischen Motorsport und Privatleben gäbe es eigentlich keinen Unterschied, meint Charlie Wurz: "Man muss das ganze Leben nach dem Sport ausrichten." Ausmachen tue ihm das aber nichts, denn: "Motorsport ist mein Leben." Und klar, ein bisserl Freizeit bleibe schon. Die nutzt er – ebenso wie Ricardo Bauer – am liebsten für Sport. Und Ivonn Simeonova? Bei der Frage nach einem Hobby abseits des Rennsports winkt sie ab. Von einem Plan B will sie sowieso nichts wissen. Es zählt nur Plan A: die Formel 1.
Schule statt Status
Viel Zeit für Freizeit bleibe ja so oder so nicht, denn wenn sich Ivonn nicht gerade mit ihren Konkurrenten matcht, geht sie zur Schule, wie das eben auch jene 14-Jährige tun, die keinen Spitzensport betreiben. Dass das Leben als Jung-Motorsportler oft weniger glamourös ist, als sich das mancher vorstellt, erzählte schon DTM-Sieger Thomas Preining dem auto touring.
Das zeigt auch diese Geschichte: Weil Ricardo Bauer zu Hause unterrichtet wird, musste er vor wenigen Wochen eine große Prüfung absolvieren. Am Montag erst kam er vom EM-Finale zurück, ab Dienstag standen Examen auf dem Programm. "Die Wochen davor waren schon sehr schwierig", erzählt uns Trainer Ringhofer. Und auch Charlie Wurz meint, Zeit für die Schule zu finden, sei herausfordernd. Scherzhafter Nachsatz: "Sonst wird die Mama grantig, dann ist das Leben echt schwer."