Was ist die Formel E?
Abgasfreie Flüstermotoren, Autotausch zur Halbzeit, dazu beherzte Positionskämpfe: Die neue FIA-Rennserie ist mehr als bloß der elektrifizierte Ableger der Formel 1. Wir haben uns beim ersten Saisonfinale im Londoner Battersea Park umgeschaut.
Das Publikum meckert ständig über die leisen Motoren in der heutigen Formel 1. Was die wohl erst sagen würden, wenn sie uns einmal zuschauen?“ sagt Nelson Piquet jr. und lächelt dabei, als wir im Fahrerlager kurz miteinander plaudern. Zwei Tage später wird er, der Sohn von F1-Legende Nelson Piquet, zum ersten Mal Weltmeister der Formel E sein. Aber beginnen wir von vorne…
Wir befinden uns in Londons Zentrum, im Battersea Park direkt an der Themse, wo an diesem Wochenende die beiden Finalläufe zur Formel E stattfinden. Die neue, auf Initiative von FIA-Präsident Jean Todt ins Leben gerufene Rennserie soll den Weg weisen, wie Motorsport in Zukunft umweltfreundlicher werden könnte, sprich: Elektroautos. Das Medieninteresse hält sich nach der Jahreswechsel-übergreifenden Premierensaison 2014/2015 zwar noch in Grenzen, an mangelnden Zuschauerzahlen an der Strecke (alle Karten hier in London sind ausverkauft) oder einem unattraktiven Starterfeld kann das aber nicht liegen – immerhin sitzen hinter dem Lenkrad klingende Namen wie Prost, Piquet, Senna, Trulli oder Heidfeld.
Bei unserem Lokalaugenschein soll es aber nicht in erster Linie um Rennergebnisse im Detail gehen (dass sich Piquet jr. heuer die WM-Krone aufgesetzt hat, wissen wir ja bereits), sondern darum, wie sich die Formel E anfühlt, anhört und – die wichtigste Frage überhaupt – ob man hier spannenden Motorsport erleben kann, den man bei den Benzinbrüdern der Formel 1 heutzutage bisweilen vermisst. Bereit für einen ersten Schnupper-Spaziergang um die Strecke und einen Blick hinter die Kulissen der Formel E?
Ein paar Worte zu Organisation, Technik und Ablauf eines Formel-E-Rennens („ePrix“): Vierzig baugleiche Autos werden auf die Teams verteilt (heuer deren zehn), sie sind grundsätzlich rein elektrisch betrieben und entstammen einer Koproduktion mehrerer großer Unternehmen. Das Chassis kommt von Dallara, der maximal 272 PS starke E-Motor, das Getriebe und die Elektronik von McLaren. Williams Advanced Engineering liefert die Batterien, Renault ist für die Integration des kompletten Systems verantwortlich, die Allwetter-Einheitsreifen (Slicks sind nicht erlaubt) stellt Michelin bereit – ist alles zusammengeschraubt, ergibt das einen Spark-Renault SRT_01E, der fast 1.000 Kilo wiegt und auf 225 km/h Höchstgeschwindigkeit begrenzt ist. Die Probleme mit der Akku-Reichweite kennt man auch in der Formel E: Für ein rund 50 Minuten langes Rennen benötigt jeder Fahrer zwei Autos, da nach Halbzeit die Batterien schlicht leergesaugt sind. Dann wird in der Box gegen einen vollgeladenen Boliden getauscht, der Wechsel muss mindestens eine Minute dauern, um Hektik-Fehler zu vermeiden. Gefahren wird ausschließlich auf rund 3 Kilometer langen Stadtkursen großer Metropolen wie Peking, Buenos Aires, Miami, Berlin, Moskau oder London. Soviel zur Theorie. Und was sagen die Piloten?
Smalltalk in der Boxengasse
Und wie sieht das für den Zuschauer aus? Wir begeben uns an die Strecke und lauschen erst einmal. Stille. Dann vernehmen wir in der Ferne ein Geräusch, das an jene ferngesteuerten RC-Autos erinnert, mit denen kleine Buben sonntags so gern auf leeren Supermarkt-Parkplätzen herumdüsen – aus gutem Grund, denn im Prinzip funktionieren Formel-E-Boliden ja auch nicht anders. Dann plötzlich kommt ein Pilot mit rauchenden Reifen, spektakulär über alle vier Räder schiebend, am Scheitelpunkt der Kurve an und verschwindet laut sirrend gleich wieder hinter der nächsten Biegung. Die Geschwindigkeit, mit der das hier in London auf diesem extrem engen und welligen Stadtkurs geschieht, ist atemberaubend. Die Fahrer sagen, dass die Renner viel schwieriger zu fahren sind als Formel-1-Autos: mehr Gewicht, andere Kraftentfaltung, keine Slickreifen, weniger Abtrieb. Das führt zu vielen Fehlern, und gerade das macht die Formel E auch so attraktiv: Kaum ein Rennen in der heurigen Saison, das nicht mit Crashes gespickt war. Kaum eine Runde wurde ohne heiße Zweikämpfe absolviert. Keine Frage, in punkto Action hat die Formel 1 derzeit ganz klar das Nachsehen. Erste Änderungen für die nächsten Saisonen wurden übrigens bereits angekündigt: Statt Einheitsautos sollen verschiedene Hersteller für mehr Technik-Wettbewerb sorgen. Die Akku-Kapazität soll in spätestens zwei Jahren ausreichen, um den Fahrzeugtausch zur Halbzeit obsolet zu machen. Und: Die Motorleistung soll deutlich steigen. Alles Zutaten, die für einen Erfolg sprechen. Wir sind gespannt.
Info: Die zweite Saison (2015/2016) zur Formel-E-Meisterschaft startet am 17. Oktober, der genaue Kalender und die Austragungsorte stehen derzeit noch nicht fest. Als fix gilt ein Lauf in Berlin am 21. Mai 2016, ein Österreich-Termin ist einstweilen leider nicht geplant. Alle Infos zur Formel E gibt es auf der offiziellen Website unter www.fiaformulae.com