Big Macs in Motion

Highlights im Hochland: Highland Games geben tiefe Einblicke in die Seele der Schotten.

Irgendwo hinter diesem Berg muss es sein. Seit Stunden fahren wir durch menschenleere Gegenden, sehen nur kahle Hügel, überwuchert von violettem Heidekraut, und überall Schafe – unendlich viele Schafe. "Lecht" heißt der bizarr-morbide Flecken oben auf der Passhöhe, so steht's zumindest in der Karte: drei Hütten, ein Schilift, ein Ratrac, Nebelschwaden, kalter Wind aus Nordost – und eine steile Straße hinunter ins Tal. Nach einer Kurvenorgie sind wir endlich in Bellabeg, Upper Donside – und da sind sie schon: in Massen, gut gelaunt und friedlich, quetschen seltsame Töne aus Fellsäcken. Nackte Wadeln überall, jeder trägt Karo – ja, es sind Schotten, definitiv. 

Natürlich hatten wir sie schon gesehen, sind wir doch schon seit Tagen im Land, waren in Glasgower Pubs, hielten nach Nessie Ausschau, machten Power-shopping in "Ednbraa" (Edinburgh), verkosteten das native Lebenselixier, den rostbraunen Whisky, und lästerten lauthals über das grauenhaft schale, warme Bier. 

Heavy Weights für Schwere Jungs


Aber dieses quirlig bunte Treiben rund um die Highland Games von Lonach ist eine völlig andere Welt. Wie aus einer Universum-Doku – ein wenig angestaubt, aber tief im Volk verwurzelt. Dieses Schottland bleibt Pauschaltouristen fast immer verborgen. Schade, denn für Schotten ist es auch nicht egal, ob man nur die Rückenflosse eines Wals erspäht oder ob sich das Bröckerl übermütig aus dem Wasser wuchtet.

Apropos Bröckerl: Er schwitzt, stampft, schnaubt, stemmt die Beine in die vom nächtlichen Regen aufgeweichte Wiese. Dann zupft er seinen Rock zurecht, der Kopf blutrot, die Lippen aufeinander gepresst. Als die riesigen Pranken den Baumstamm hochheben, vibriert die Halsschlagader. Er wankt, läuft los, mit martialischem Schrei wirft er das Riesending von sich. "Tossing the Caber", Baumstammwerfen, ist die Lieblings-Disziplin von Robb Bruce, dem Champion der Highland Games. Ein furchteinflößender, rothaariger Schrank von einem Mannsbild. Ich nehme allen Mut zusammen, spreche ihn an. Mit sanfter, rauer Stimme erklärt mir der Szene-Superstar, worum es geht: "Beim Caber-Tossing kommt es nicht darauf an, wie weit der Stamm geworfen wird, sondern wie exakt er in die Wurfrichtung fällt."

So herrlich kleinkariert

Keine zwanzig Meter entfernt von dem grobschlächtigen Kerl dann die zarte Seite der Spiele: Tanzwettbewerbe. Herzige Mädchen in bunt-karierten Röcken und Stutzen zeigen beim Highland Fling kraftvolle Sprünge und hüpfen beim Sword Dance leichtfüßig um die Klingen. Stets begleitet von einem Solo-Piper, einem Dudelsackpfeifer.

Jennifer Stewart ist die Organisatorin des Lonach Gatherings (www.lonach.org​), die als die freundlichsten Spiele der Highlands gelten. Sie führt mich ins Infield, auf den heiligen Rasen. Ich darf – eine große Ehre – neben den Judges, den Schiedrichtern, Platz nehmen. Die Heavy Weights, die Bewerbe, in denen die Big Macs, die schweren Jungs, ihre Kräfte messen, finden nun direkt vor meiner Nase statt. Mit Kugelstoßen und schottischem Hammerwerfen, bei dem sich die Athleten Eisenspitzen an die Schuhspitzen schnallen, um sich vor den Würfen im Boden festzuhaken und mehr Stabilität zu generieren. Der Hammer selbst ist eine auf einen Holzstock geschraubte rudimentäre Eisenkugel, optisch authentischer und eher als Hammer definierbar als das aktuelle Sportgerät unserer Leichtathletik-Bewerbe.

Apropos Leichtathletik: Baron de Coubertin, Gründer der modernen olympischen Spiele, war von einer Highland-Games-Vorführung im Rahmen der Weltausstellung 1889 in Paris so begeistert, dass er Hammerwurf, Kugelstoßen und sogar das Tauziehen zu olympischen Disziplinen erklärte.

Dancing Queens


Ich sitze neben Alan, früher ein mittelmäßiger Highland-Athlet, wie er betont, heute Senior Judge. Er spottet: "Schau, wie hässlich diese Highlander doch sind, darum sind sie auch immer so freundlich." Todernst, ja geradezu herausfordernd blickt er mich an, wartet auf meine Reaktion. Nur jetzt nix Falsches sagen, schießt es mir durch den Kopf. Als Alan mit einem Grunzton in lautes Lachen ausbricht, entspannt sich die Situation. Er rammt mir den Ellenbogen in die Seite: "Har, har, har! All tourists like strange Scottish customs!"

Die Kämpfe der Big Macs, der Schwergewichte, haben die Highland Games weit über die Grenzen Schottlands bekannt gemacht, im Grunde sind sie aber nur ein Teil eines traditionellen Ganzen. 80 solcher Spiele finden über den Sommer in Schottland statt. Die bekanntesten sind Aboyne, Crieff und Bridge of Allan. Und natürlich Braemar im September mit mehr über 10.000 Besuchern. Schon zu Queen Victorias Zeiten stand das Braemar Gathering unter der Schirmherrschaft der Krone. Auch heute noch reisen Queen Elizabeth II. und ihre Familie vom nahen Schloss Balmoral im weinroten Bentley an, um sich köstlich zu unterhalten, manchmal sogar mit einem Touch Schadenfreude, und um die Sieger zu ehren.

Lonach Gathering: Ein Tag im August


Highland Games sind aber auch Jahrmarkt und Get-together der Clans, die beim Tug 'o' War, beim Tauziehen, voller Ehrgeiz ihre Kräfte messen. Dabei werden sie enthusiastisch angefeuert. Die Szenerie wirkt wie ein Film aus grauer Vorzeit mit einem herzhaften Schuss Slapstick, permanent beschallt vom alles durchdringenden Sound der Dudelsackpfeifer; auch für sie gibt es eigene Bewerbe. Der Volksfest-Charakter wird durch Fress- und Vintage-Buden noch verstärkt: Das Angebot erstreckt sich über typisch Schottisches, wie Haggis, Schafsmagen gefüllt mit Hafer, Gemüse und gehackten Innereien; oder den Brit-Klassiker Fish & Chips bis hin zu antiken Gürtelschnallen, Messer, Clan-Abzeichen und Fahnen. Omnipräsent das Gebräu des Hauptsponsors aus Dufftown, Glenfiddich, die Whisky-Marke mit dem goldenen Hirschen.

Doch der wahre Höhepunkt des Festes steht noch aus. Nach einem Sechs-Meilen-Anmarsch nähern sich die Lonach Highlander. Unter den Klängen von "Pibroch of Donald Dhu" ziehen die Clan Chiefs, 160 Mann, in die Arena, bis an die Zähne bewaffnet mit Schwertern und Lanzen. Manch eine der Stichwaffen war schon bei der bis heute nicht ganz verdauten Niederlage gegen England, der Schlacht von Culloden, dabei. Der Einzug beginnt, frenetischer Applaus brandet auf, die Tribünen sind zum Bersten voll. Ein Farbenrausch im Sprühregen: Die MacGregors, die Forbes, die Wallace, die Gordons und die Stewarts; Männer, Frauen, Kinder, alle in verschieden karierten Kilts und Hosen, den Tartans ihrer Clans.

Aber der Liebling der Massen kommt ganz am Schluss. Socks, das Paradepferd des Highlander-Regiments, zieht den Materialwagen. Wochenlang wird das Kaltblut auf dieses Ereignis vorbereitet. Im Klartext: Das Pferd wird täglich stundenlang von mehreren Dudelsack-Pfeifern beschallt und muss lernen, dabei ruhig zu bleiben. Jahr für Jahr wird Socks neu an die Musik und die Trommeln gewöhnt. Beim Umzug darf er unter keinen Umständen scheuen.

Ross-Natur


Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich in Gedanken wieder auf der feuchten Wiese von Bellabeg über dem Bacherl mit dem gloriosen Namen Don. Dort wo das Lonach Gathering jedes Jahr am letzten Samstag im August stattfindet. 

Und außer lebendigen Erinnerungen ist mir auch etwas Haptisches von damals geblieben, meine Lieblings-Krawatte im Tartan-Look, in Royal Stewart – so herrlich kleinkariert.  

Informationen und einen detailierten Überblick sämtlicher Spiele gibt es auf der Homepage der Scottish Highland Games Association unter: www.shga.co.uk

Highland Games – a short history

Die Highland Games entwickelten sich aus keltischen Traditionen. Schon im 11. Jahrhundert hat König Malcolm III. seine Untertanen in der Nähe von Braemar versammelt, um die stärksten Kämpfer und schnellsten Läufer zu ermitteln. Die siegreichen Männer wurden dann als Leibwächter oder Boten eingesetzt. Dies war die eigentliche Geburtsstunde der Highland Games in Schottland.

In späterer Zeit sind die Mitglieder der Clans gegeneinander angetreten – und man kann heute noch diesen Enthusiasmus spüren, wenn das Tauziehen auf dem Programm steht. Heute nehmen die Clans mehr aus sozialen und zeremoniellen Gründen teil. Einige Highland Games sind Teil einer größeren Clan-Versammlung – eine Art feierliches Zusammentreffen mit Paraden, schottischer Musik, traditionellen Tänzen, Festen, sogenannten "Gatherings" und vor allem Geselligkeit.

Die Blüte der Highland Games begann im 19. Jahrhundert, ausgelöst durch den schottischen Dichter und Schriftsteller Sir Walter Scott, der in seinen Werken der geächteten Hochland Kultur mit ihrem befremdlichenTrachten, den unorthodoxen Spielen und Zeremonien Kultstatus verlieh.

Um eine bessere Organisation und ein Regulativ zu entwickeln und gewährleisten, wurde 1947 die Scottish Highland Games Association gegründet. Heute finden diese sportlichen Wettkämpfe in den Monaten Mai bis September verstreut über ganz Schottland statt. Aber auch in den ehemaligen britischen Kolonien wie etwa Kanada, Australien, Neuseeland und den USA. Und seit einigen Jahren auch in Österreich. Die größte Veranstaltung mit über 2.500 Besuchern findet in Donnerskirchen statt. Infos dazu unter: www.gordon-highlanders.com

Es gibt mittlerweile richtige Highland-Games-Profis, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Aber auch das "gemeine Volk" macht mit. Immerhin gibt es wertvolle Sachgeschenke, in jedem Fall aber Whisky zu gewinnen. Eines ist für alle Pflicht: das Antreten im schottischen Kilt.

Es gibt nicht nur die Heavy-Events wie Baumstamm werfen (Tossing the Caber), Gewicht-Weit- und -Hochwurf (Putting the Stone) oder Hammerwurf (Throwing the "Scottish" Hammer), sondern auch Lauf- und Tanzbewerbe (Hill Race und Highland Dancing) bzw. Mannschaftstauziehen (Tug 'o' War).

Neben den sportlichen Bewerben gibt es aber auch die musikalischen Bewerbe der Dudelsackpfeifer. Sie messen sich im fairen Wettstreit in Solo Piping Competitions oder in Pipe Band Contests.

Die Spiele sind ein wahres Volksfest für alle Schichten der Gesellschaft und locken alljährlich hunderttausende Touristen nach Schottland – das berühmteste ist wohl das Royal Braemar Gathering mit über 10.000 Besuchern und dem alljährlichen Besuch der Royal Family.