Die Ess-Rebellen
Für sie bedeutet Genuss, die Vielfalt der heimischen Lebensmittel und der regionalen Küchentraditionen zu erhalten. Sie kämpfen für Slow Food im Gailtal und wollen das nun auch Urlaubern vermitteln.
Alle Menschen haben ein Recht auf gute, saubere und faire Lebensmittel." Dieser Leitsatz des Italieners Carlo Petrini stammt nicht aus unserer von Glyphosat, Fleischskandalen und Produkten dubiosen Ursprungs geprägten Zeit. Petrini sagte das vor 30 Jahren, als er Slow Food als Gegenbewegung zu Fast Food begründete.
Im Kärntner Gailtal haben sich Bauern, Produzenten, Wirte und Hoteliers zusammengetan, um seine Gedanken Einheimischen wie Urlaubern zugänglich zu machen. Sie sind ihr Vorhaben sehr professionell angegangen, haben dabei eine Zusammenarbeit mit Slow Food gesucht und sind heute quasi der Nabel der Slow-Food-Travel-Region Alpe Adria Kärnten – der allerersten dieser Regionen überhaupt.
Die Zollnerseehütte
Hoch oben über dem Gailtal, auf der Zollnerseehütte auf 1.750 Meter Seehöhe, haben sich diese Ess-Rebellen im Hochsommer zu einem Event getroffen. Es war ein einmaliges Ereignis, das zwar nicht konzentriert in dieser Form, aber dennoch nachvollziehbar ist: Die Alpenvereins-Hütte empfängt gerne Besucher, das Hüttenwirts-Paar Maria und Toni Taurer bietet sehr gute Verpflegung für Wanderer (Tipp des Autors: unbedingt den Kaiserschmarren probieren!), vornehmlich aus regionalen Produkten – doch all jene Herrschaften auf dem Startbild dieses Artikels, die sich hier trafen und die in Folge einzeln vorgestellt werden sollen, kommen nur sporadisch herauf. Aber allesamt sind sie unten im Gailtal heimisch und freuen sich auf einen Besuch.
Hans Plattner und seine Frigga
Hans Plattner und sein Team vom Alpenhotel am Nassfeld bereiteten auf der Zollnerseehütte Frigga zu, ein ziemlich deftiges Gericht aus Speck, Almkäse und Kartoffeln mit Polenta vom weißen Gailtaler Mais. Früher wurde Frigga vornehmlich auf den Almen gegessen: Die nahezu unverderblichen Zutaten konnten die Holzknechte, die Sennerinnen und die Senner wochenlang aufheben, die Frigga selbst spendete Kraft für deren schwere Arbeit.
Zwiebel, Räucherspeck, Gailtaler Almkäse sind also die wichtigsten Zutaten für eine Frigga. Wer wie Hans Plattner noch eine Polenta als Beilage zubereitet, braucht noch Maisgries (er nimmt den Gailtaler Weißen Landmais, von dem wird später noch die Rede sein), Butter und Milch. Rezepte für Frigga finden sich zuhauf im Internet, etwa hier.
Hannes Müllers Küche: unplugged
Haubenkoch Hannes Müller gilt als kulinarischer Querdenker und ist am nahen Weißensee zuhause, an dem er sein Land- und Genießerhotel Die Forelle betreibt. Das Haus hat direkten Seezugang und ist vor allem wegen Müllers extrem kreativer und strikt regionaler Küche berühmt.
Seinen Gästen bietet er öfters auch ein Abendessen "unplugged": In seiner Küche (und zum Teil auch vor dem Haus, wenn offenes Feuer im Spiel ist) bereitet er es ganz bewusst ohne elektrischen Strom zu. Auch auf der Zollnerseehütte kochte er auf diese Weise. Und zwar Filets von der Reinanke, eingewickelt in ein Huflattich-Blatt, das ganze über offenem Feuer gebraten und mit einer Steinpilz-Paradeiser-Essenz zum Dazutrinken serviert.
Hannes Müller: Bekenntnis zur Regionalität
"Es wäre grundfalsch, dem Gast, der in unsere Region kommt, internationale Küche anzubieten", sagt Hannes Müller, "denn er will ja das Land mit allen Sinnen kennenlernen. Und da gehören der Geschmackssinn und damit das Essen selbstverständlich auch dazu."
Es gehe um die Aromen, das saisonale Gemüse und das Fleisch – das alles präge den Geschmack der Region, so Müller. Also genau die Zutaten, die auch die Einheimischen für ihre Gerichte verwenden.
Aber leider sei halt vieles in den letzten Jahren verkommen, etwa das Bewusstsein für die vielen Wildkräuter, die in Kärnten wachsen – und die Weitergabe des Wissens darüber. Aber wie definiert sich in diesem Teil Kärntens eigentlich der Geschmack der Region?
Hubert Zankl und sein Käse
In seinem Bio-Käsehof in Dellach im Gailtal macht er auf 840 Meter Seehöhe aus jährlich 40.000 Liter Rohmilch seiner elf Kühe, die um seinen Hof weiden, handgeschöpften Weißschimmel-"Camemberg", Hofkäse mit Rotkultur-Reifung und Bergkäse, den er zwei Jahre lang bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und einer Temperatur von fünf Grad in einem Stollen reifen lässt. Ein Kilo Weichkäse erfordert übrigens acht Liter Milch, ein Kilo Hartkäse 13 Liter.
Sein Vater erlernte das Käsen auf einer Alm in Vorarlberg, Hubert und seine Frau übernahmen 1981 den Hof in moderater Höhenlage am Fuße der Berge. Beiden war klar: "Wenn wir das durchziehen, dann nur als Vollerwerbsbauern. Und indem wir dabei voll auf Käse setzen."
Mittlerweile ist auch schon mit Lukas, Huberts Sohn, die nächste Generation aktiv. Alle drei setzen auf Nachhaltigkeit: Mit Photovoltaik- und Hackschnitzel-Anlage arbeitet der Betrieb energieautark, eine eigene Kläranlage ist im Einsatz. Die Kühe stehen den ganzen Tag (und oft auch in der Nacht) auf den Wiesen, kommen nur zum Melken in den Stall und werden im Winter mit dem selbst geernteten Heu gefüttert.
Sepp Brandstätter: der Mais-Rebell
Der Landwirt aus Würmlach bei Kötschach-Mauthen pfeift auf genormtes Saatgut und hat den Gailtaler Weißen Landmais rekultiviert. Der existierte bloß in Form einiger vertrockneter Körner in einer Scheune seines Hofs. Brandstätter erkannte das – und das Potenzial, das in der alten Sorte steckt.
Was die Behörden zuerst einmal nicht anerkennen wollten – bis ein Student der Hochschule Weihenstephan (dort kann man alles studieren, was mit Umwelt, Natur und Ernährung zu tun hat) seine Diplomarbeit darüber schrieb.
Die erfreuliche Folge: Nun ist der Gailtaler Weiße Landmais EU-zertifiziert. Er ist glutenfrei, wird Jahr für Jahr von der AGES kontrolliert und an Wirtshäuser in der Region geliefert. Auch ins Gasthaus Grünwald der Schwestern Ingeborg und Gudrun Daberer in St. Daniel, die aus dem Mais Polentagries und daraus schon zum Frühstück Plentenschmarrn zubereiten.
Brandstätter hat aber auch ein Herz für weitere fast vergessene Spezialitäten. So legt er beispielsweise auch Bärlauchknospen ein. All das verkauft er in seinem seit 1376 bestehenden Hof, der 1917 von italienischen Truppen zerschossen und 1922 wieder aufgebaut wurde. Und er ist auch Vorbild für andere Landwirte, die im Gailtal Kletzenbirnen und Kartoffeln alter Sorten rekultivieren.
Hans Steinwendner und sein Gailtaler Speck
Wann haben Schweine so richtig Schwein gehabt? Im Gailtal jedenfalls dann, wenn sie bei Hans Steinwender in Hermagor aufgewachsen sind. Dort haben sie viel Auslauf, können sich (wenn aus ihren Keulen einmal Heuspeck werden soll) nach Herzenslust den Bauch mit Heu vollschlagen, dürfen in Würde alt werden – älter als ihre Artgenossen anderswo – und werden am Ende ihres Lebens stressfrei und damit ohne Adrenalin-Ausschüttung geschlachtet.
"Wir haben das Glück, bei uns am Lerchenhof noch eine eigene Schlachtung zu haben und nicht auf die großen Schlachthöfe angewiesen zu sein", so Steinwender. Er erzählt auch, dass er die geschlachteten Tiere noch streichle: "Für uns ist Wertschätzung wichtiger als Wertschöpfung, deshalb verlassen seine Mangalitza- und Landschweine von ihrer Geburt bis zur Schlachtung nicht den Hof."
Erst dann, nach der Verarbeitung zu Gailtaler Speck, der – so urteilen jedenfalls Spezialisten aus San Daniele – dem Prosciutto in Sachen Zartheit um nichts nachstehe und ihm den ganz zarten Räuchergeschmack sogar voraus hat, verlassen sie den Hof. Für Vorbeikommende hält der Speckmeister und Hotelier sogar einen kleinen Hofladen geöffnet.
Wenn niemand dort Dienst hat, bedient man sich ganz einfach selbst und legt das Geld für den original Gailtaler Speck, für den 12 Monate gereiften Schloss-Speck, den Lardo oder eine der Wurst- und Schinkenraritäten in eine Schale.
Feichtinger & Petschacher: Krainer Steinschaf
Ein junges Paar in einem alten Bauernhof: Leopold Feichtinger und Ulrike Petschacher haben sich mit ihrer Landwirtschaft "echt kraß" (sic!) auf einer Anhöhe über Hermagor um das Überleben einer alten Schafsrasse verdient gemacht. Das Krainer Steinschaf und die Produkte daraus von Milch über Käse bis Fleisch gibt es nur in sechs Betrieben der Region.
Die Produkte ihrer Landwirtschaft liefern die beiden an die Gailtaler Gastronomie, am Hof selbst betreiben sie einen ganz kleinen Laden, in dem sie Joghurt, Topfen und Käse vom Steinschaf sowie den eigenen Most ihrer Streuobst-Wiesen und Säfte zum Verdünnen, aber auch Schnäpse daraus feilbieten.
High Noon auf der Hütte
Im Tal haben bereits die Mittagsglocken geläutet. Hier oben auf der Zollnerseehütte ist nichts davon zu hören. Die dominierenden Geräusche, die die sonst in dieser Höhenlage gewohnte Stille für ein paar Stunden durchbrechen, sind das Knistern offener Feuer, das Brutzeln der Speisen auf Grillrosten, in Pfannen und Kesseln und das Geklapper von Geschirr und Besteck. Das Slow-Food-Event geht seinem Höhepunkt entgegen.
Manuel Ressi: Vom Steirereck nach Hermagor
Mit dabei auf der Zollnerseehütte war auch Manuel Ressi. Er hatte das Gailtal verlassen, um sich in seinem Beruf als Koch weiter zu perfektionieren, war über zehn Jahre lang im Wiener Steirereck tätig (als rechte Hand des Chefs Heinz Reitbauer und als Sous Chef), um danach wieder in seiner Heimat sesshaft zu werden.
Seit zwei Jahren betreibt er nun zusammen mit seiner Frau Claudia das Restaurant Bärenwirt am Hauptplatz in Hermagor. Dort schafft er in bemerkenswerter Weise den Spagat, der einheimischen Kundschaft als Wirtshaus und Gästen von auswärts als Gourmetlokal zu dienen. Die einen mit traditionellen Wirtshausgerichten, die anderen mit einem Menü, das sich je nach Appetit in drei bis acht Gängen genießen lässt. Wer sich voll darauf einlässt und nicht mehr fahren möchte, kann eines der Zimmer im ehemaligen kleinen Nachtwächterhaus gegenüber reservieren.
Und unten im Gailtal?
Das Alm-Event neigt sich seinem Ende zu. Seine Protagonisten brechen wieder auf, um auf ihre Höfe, an ihre Herde oder in ihre Hotels zurückzukehren. Denn dort unten erwartet sie wieder ihr Tagesgeschäft – vor allem die Hoteliers unter ihnen. Denn jetzt checken gerade neue Gäste ein, die sie betreuen müssen.
Das Gailtal von Hermagor bis Kötschach-Mauthen ist also die allererste Slow-Food-Travel-Region überhaupt. Auf der Homepage finden sich nicht nur viele Tipps für Kost und Logis, sondern auch konkrete Angebote, den Produzent/-innen der nachhaltigen Spezialitäten über die Schultern zu schauen und von ihnen zu lernen. Käsnudeln zu krendeln etwa, oder Käse herzustellen, Brot zu backen, Kräuter zu finden und zuzubereiten, Gemüse einzulegen, Speck zu räuchern und vieles mehr.
Dass dass alles nicht nur ein aufgesetzter Werbeschmäh ist, sondern die Leute im Gailtal die Sache ernst nehmen, zeigt schon allein die Tatsache, wie man mit einer aufgelassenen Bahnstrecke umgeht, die für Draisinenfahrten genutzt wird: Als diese im Frühjahr wieder mittels Glyphosat vom Unkraut befreit werden sollte, machten sie diesem Plan den Garaus, indem Freiwillige das Unkraut jäteten. Edel-Greissler Herwig Ertl begründet das Engagement der Bevölkerung glaubwürdig: "Wenn wir hier Chemie einsetzen, kommt sie auch auf die umliegenden Felder – das darf einfach in einer Bio-Region nicht sein!"