Die Pracht von Flandern
Wo sich leibliches Wohl und Kunstgenuss auf geradezu ideale Weise verbinden lassen: eine Städte-Rundreise nach Brüssel, Brügge, Gent, Antwerpen und Mechelen.
Gegen 19 Uhr füllen sich die kleinen Restaurants und Cafés am "Vismarkt" (Fischmarkt) von Mechelen. Eine schon tief stehende Sonne lässt die Fassaden der bunt bemalten Bürgerhäuser glänzen und funkeln, ihre Giebel spiegeln sich im klaren Wasser der Dijle.
Über eine kleine Steinbrücke gehe ich hinüber zum Haus des Prinzen von Parma, heute ein gemütliches Gasthaus, bestelle ein "Gouden Carolus"– Bier, das aus der Brauerei Het Anker der Stadt stammt und seinen Namen dem Renaissance-Kaiser Karl V. verdankt. Musik setzt ein, untermalt die Szenerie: Es ist Glockenspiel vom Turm der Kathedrale, aber kein gewöhnliches Gebimmel, sondern eine ganze fröhliche Melodie, die nicht und nicht aufhören will, mir eine besondere Geschichte zu erzählen scheint.
Es ist die Geschichte von Flandern. Sie handelt von vergangener Pracht ebenso wie von modernem Wohlstand und Erfolg.
Mechelen ist nicht groß, rund 80.000 Menschen leben hier, die Innenstadt ist überschaubar. Touristisch steht die Stadt natürlich im Schatten des großen Dreigestirns Flanderns: Brügge, Gent, Antwerpen. Doch gerade in diesen Stunden am Ufer der Dijle erhasche ich auch als Reisender einen kleinen Einblick in das Lebensgefühl im Norden Belgiens, einer Region Europas, die viele Jahrhunderte lang mit Österreich verbunden war.
Um mit eigenen Augen zu sehen, wie eng diese Verbindung war, muss ich vom Vismarkt nur einige wenige Schritte hinüber zum Grote Markt von Mechelen gehen. Da steht sie vor der Kathedrale, stolz, elegant und mit Blumen geschmückt: die "Gretl von Österreich", Margaretha van Oostenrijk. "Die Herrschaft der einzigen Tochter von Kaiser Maximilian am Anfang des 16. Jahrhunderts", sagt Johan Dieleman, der mich durch die Stadt führt, "gilt den Bürgern von Mechelen noch heute als das Goldene Zeitalter."
Freilichtmuseum und Tausende Biersorten
Es ist wohl vor allem diese Sehnsucht nach einem Freilichtmuseum glücklicher und gelungener Zeiten, die uns immer wieder so sehr nach Flandern zieht. Tausende Biersorten und die besten Pommes frites der Welt alleine würden dafür wohl nicht ausreichen.
Eine Reise nach Flandern wird für viele Besucher:innen in erster Linie ein Städtetrip sein. Und dafür ist auf jeden Fall gute Einteilung erforderlich. Denn die Zahl der Attraktionen bzw. Sehenswürdigkeiten ist in jeder Stadt groß, an praktisch jeder zweiten Ecke lockt ein Bierlokal und nur selten lassen sich die unzähligen (Kirch-)Türme bequem per Lift erobern wie der Belfried in Gent.
Glühende Fußsohlen in Brüssel?
Eine gute Möglichkeit, sich glühende Fußsohlen und allgemeine Ermattung zu ersparen, ist die Erkundung per Boot. Vielerorts wurden schon vor Jahrhunderten die Stadtzentren zu Häfen umgebaut, um Flandern ans Meer und damit an die Welt anzubinden. Heutzutage kann man sich in einem bequemen Ausflugsboot einen ersten Überblick verschaffen, während vielsprachige launige Kapitäne Geschichten erzählen.
Um das Leben und Treiben der Städte in sich aufzusaugen, ist es auch nicht immer notwendig, mit Stadtplan oder Handy-Map von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zu hasten. Eine bessere Idee ist es, sich auf einem der zentralen Plätze niederzulassen, Szenerien und Leben auf sich wirken zu lassen.
Das gilt ganz besonders für Brüssel, das aufgrund des Flughafens und seiner Stellung als Hauptstadt Belgiens oft Ausgangspunkt für Flandern-Reisen ist. Die EU-Hauptstadt kann für Ungeübte aufgrund ihres etwas chaotischen Ambientes durchaus anstrengend sein. Mich zieht es hier sofort auf den Grand-Place, denn nach schier endlos dauernden Restaurationsarbeiten ist dieses Aushängeschild Brüssels mit seinen Zunfthäusern und dem prächtigen spätgotischen Rathaus endlich wieder uneingeschränkt zu bestaunen.
Einen schönen ruhigen Kontrastpunkt finde ich in der Bar "À la Mort Subite" einige Gassen weiter. Der Name "Zum plötzlichen Tod" hat übrigens nichts mit dem möglicherweise übermäßigen Bierkonsum von Gästen zu tun, sondern bezieht sich auf ein Kartenspiel, das von Brüsseler Beamten in der Mittagspause oft schnell und abrupt beendet werden musste.
Der Zauber von Brügge
Brüssel ist laut, international, ein bisschen hektisch. Wenn man so will, ist Brügge das fast genaue Gegenteil davon. Die mit 35.000 Einwohner:innen doch recht kleine Stadt wirkt wie ein riesiges Freilichtmuseum. Die alten Fassaden der Bürgerhäuser spiegeln sich in den Grachten, zeugen noch heute vom Wohlstand jener Zeit, als die Handelsstadt noch einen Zugang zum Meer besaß.
Brügges Ambiente einer Museumsstadt führte in Vor-Pandemie-Zeiten zu einem regelrechten Ansturm von Touristen aus aller Welt. Das ist vorerst einmal vorbei. Während ich durch die Straßen spaziere, begegne ich vor allem Reisenden aus dem Süden Belgiens, der französischsprachigen Wallonie, die im Pandemie-Sommer den Norden ihres Landes erkunden.
Alle treffen einander dann wieder in der – eh klar – Brauerei. Hier erfahre ich bei einem launig geführten Rundgang viel über die sogenannte Bier-Pipeline, die unterirdisch durch die Stadt führt. Auch belehrt man mich, dass kein einziger der elf Millionen Belgier auf die Idee käme, ein Bier banausenmäßig aus einem schmalen Glas zu trinken, da es sein volles Aroma nur in kelchförmigen Gefäßen entfalten könne. Aha!
Gent: eine Stadt als lebendes Kunstwerk
Nicht einmal eine Stunde Fahrzeit ist es von Brügge nach Gent (gesprochen übrigens: "Hent"). Von allen Städten Flanderns bietet Gent wohl den besten Mix. Die Stadt wirkt auch keinesfalls wie ein Museum, obwohl sie zahlreiche Kunstschätze von Weltrang beherbergt, darunter den Genter Altar der Brüder van Eyck in der Kathedrale mit der sogenannten "Anbetung des Lammes" im Zentrum.
Jahrelang wurde das Kunstwerk restauriert, jetzt kann es im Rahmen einer mit virtuellen Effekten unterstützten Führung wieder eingehend bestaunt werden. Erzählt wird dabei auch seine bewegte Geschichte: Der von den Nationalsozialisten geraubte Altar landete am Ende des Zweiten Weltkrieges im Salzbergwerk von Altaussee, wo er von US-amerikanischen Soldaten geborgen werden konnte. Genau, den "Monuments Men" aus dem Film mit George Clooney!
Tipp für Individual-Reisende: Rechtzeitig hier ein Zeitfenster für einen Besuch reservieren!
Von Ostende nach Antwerpen und Leuwen
Ungern verlasse ich Gent, denn ein einziger Tag war für diese Stadt voller Wunder viel zu wenig. Mein Weg führt mich an die Küsten Flanderns. Ostende macht gerade eine tiefgreifende Veränderung durch. Seit der Fährverkehr nach England eingestellt wurde, setzt die Stadt mit wachsendem Erfolg neben Bade- und Kurtourismus auf (moderne) Kunst und vor allem sehr viel Kultur.
Davon hat Antwerpen an der Schelde schon seit Jahrhunderten mehr als genug. Ausgangspunkt von Reichtum fast jeder Spielart war die 1532 errichtete Börse, wo unter freiem Himmel verhandelt wurde, damit Gott von oben alles gut im Auge haben konnte. In modernen Zeiten machten Diamantenhandel und Modeindustrie die Antwerpener reich. Man sagt: In Brüssel wird das Geld ausgegeben, das hier verdient wird.
Fixpunkte eines Besuches sind wohl das Rubenshaus und die Kathedrale mit berühmten Bildern des Meisters aus Flandern.
Bevor ich wieder nach Hause reisen muss, habe ich noch Gelegenheit, auch der Universitätsstadt Leuven einen Besuch abzustatten. Das prächtige gotische Rathaus fasziniert mich. Doch ich muss mir auch eingestehen, dass ich mich nach sieben Tagen Flandern an prächtigen Fassaden irgendwie sattgesehen habe. Da tut es gut, dass man die Innenräume der berühmten Bibliothek auch dann besuchen kann, wenn man nicht eingeschrieben ist.
In beiden Weltkriegen war die Bibliothek zerstört worden und wurde zweimal wieder aufgebaut. Jetzt kann auch ich wieder ihren daher symbolträchtigen Lesesaal bewundern, diese ganz besondere Pracht von Flandern.
Klicken Sie hier zu den Angeboten des ÖAMTC-Reisebüros.
Aktuelle Reise- und Gesundheits-Informationen zu Flandern (bzw. Belgien) sowie zur Rückreise nach Österreich gibt es hier.