Die Stadt der Beatles

Liverpool: Kein Ort auf dieser Welt ist so eng mit der eigenen Musikgeschichte verwachsen. Wir begeben uns auf die Spuren seiner vier berühmtesten Söhne: John, Paul, George & Ringo.

Irgendetwas liegt in der Luft an diesem Abend im nordenglischen Liverpool. Menschen in den Gassen der Innenstadt pfeifen allseits bekannte Melodien, aus unzähligen Pubs dröhnen Songs von ausschließlich einer Band, und das ansonsten recht breit gestreute Repertoire der Straßenmusiker ist auffällig einseitig. "Kein Wunder", klärt uns eine junge Passantin freudestrahlend auf: "Er kommt doch heute endlich wieder einmal heim!".

"Er", das ist Sir Paul McCartney, eines von vier Mitgliedern der wohl größten Rock-Band der Musikgeschichte – den Beatles. Am Abend wird der 73-Jährige ein umjubeltes Konzert geben, bei dem er in drei Stunden 40 Nummern spielt. Begleitet von 11.000 Liverpudlians, die jede Zeile lautstark mitgrölen. Allein die letzten fünf Minuten von "Hey Jude" wird er nur das Publikum allein singen lassen – und wir mittendrinnen. Aber beginnen wir von vorne...






So ferry, cross the Mersey, and always take me there, the place I love.






Gerry and the Pacemakers, Ferry Cross the Mersey (1965)
Wer mit dem Flugzeug in Liverpool ankommt, dem wird sofort klar, worum sich in dieser Stadt alles dreht: Schon der Flughafen heißt nämlich John Lennon Airport – benannt nach dem charismatischsten, aber auch schwierigsten Mitglied der "Fab Four".

Wir wollen uns aber vorerst einmal nicht mit der Geschichte der Beatles aufhalten (darüber wurden ohnehin bereits Millionen Abhandlungen geschrieben), sondern stürzen uns lieber gleich mitten ins Geschehen der nordenglischen Hafenstadt am River Mersey – jenem Fluss, der verantwortlich ist für das nebenstehende Zitat aus dem berühmten Song, welcher noch heute bei jeder Überfahrt aus den Lautsprechern der Fähren tönt. Bei einem kurzen Schnupper-Rundgang verschaffen wir uns einen ersten Überblick…






I was raised in Liverpool but I grew up in Hamburg.






John Lennon, in einem Interview von 1978


Erste Anlaufstelle für jeden Fan: die einzigartige "Beatles Story". Für das weitläufige Museum an den Albert Docks sollte man sich mindestens vier Stunden Zeit nehmen, am besten an einem verregneten Tag (was im englischen Norden ohnehin kein Problem darstellen sollte). Hier kann man in die Hamburger Anfangstage der Beatles eintauchen und über die nachgebaute Reeperbahn spazieren, das winzige Büro ihres legendären Managers Brian Epstein bestaunen, ins psychedelische U-Boot "Yellow Submarine" klettern oder vor jenem Piano innehalten, auf dem John Lennon die Friedens-Hymne "Imagine" komponiert hat. Schauen wir doch am besten gleich einmal rein…






I can't think of a better way to rock out the end of the century than with a Rock'n'Roll party at the Cavern.






Paul McCartney,, in einem Interview Ende Dezember 1999


Nach dem Museumsbesuch wollen wir nun aber die realen Schauplätze der Liverpooler Beatles-Historie erkunden. Dazu wandern wir zuerst einmal in die Mathew Street. Die rund einen halben Kilometer lange Fortgeh-Meile im Zentrum beheimatet auch den berühmten Cavern Club. Er gilt als die Brutstätte der Beatles, am 21. März 1961 haben sie hier zum ersten Mal gespielt, und noch heute tropft der kondensierte Schweiß von der Decke des unterirdischen Gewölbes, wenn die Band gut ist. Paul McCartney schaut alle paar Jahre auf ein intimes Überraschungskonzert vorbei (siehe Zitat rechts), dazwischen sieht man immer wieder auch bekannte aktuelle Künstler wie Jake Bugg oder allabendlich eine der zahllosen Beatles-Coverbands, die für Touristen hier die sechziger Jahre aufleben lassen. Lust auf einen Abend im Cavern? Dann folgen Sie uns jetzt am besten in die Mathew Street…

Als wir den Cavern Club verlassen, ist es bereits dunkel draußen, und das Nachtleben in der Mathew Street pulsiert. Die Liverpudlians sind zwar ein ruppiges Hafenstadt-Völkchen mit beeindruckendem Bierdurst und gesegnet mit tiefschwarzem britischen Humor, aber ähnlich gastfreundlich wird man selten wo empfangen. Im Laufe des Abends kommen wir mit einigen Musikern ins Gespräch…






Penny Lane is in my ears and in my eyes, wet beneath the blue suburban skies I sit and meanwhile back in.






Penny Lane, Songtext (1967)
Um den schweren Kopf der letzten Nacht zu entlüften, fahren wir am nächsten Morgen nach Woolton, einen ruhigen und grünen Vorort von Liverpool. Hier lebt die gehobene englische Mittelklasse, hier finden sich die Wurzeln von Paul McCartney und seinen Freunden John Lennon und George Harrison. Auch wenn es oft – nicht zuletzt von ihnen selbst – behauptet wurde: Bis auf Schlagzeuger Ringo Starr, der im armen Hafenviertel Dingle aufwuchs, mussten sich die anderen nie mit den Arbeiterschicht-Problemen der fünfziger Jahre abmühen.

Für heute haben wir uns vorgenommen, den Schulweg des kleinen John Lennon nachzuspazieren: vom gutbürgerlichen Haus "Mendips" in der Menlove Avenue 251, in dem er bei seiner Tante Mimi aufwuchs, durch den weitläufigen Calderstones Park bis zur Quarrybank High School, von der der erste Bandname der Beatles ("The Quarrymen") abstammt. Unweit finden sich auch zwei musikalisch wohlbekannte Adressen: Strawberry Field, jenes hinter hohen Hecken versteckte Grundstück, auf dem früher ein Waisenhaus der Heilsarmee stand und auf dem der junge Lennon gern spielte, und Penny Lane – die unscheinbare Straße aus dem gleichnamigen Song von 1967…






Why would I retire? Sit at home and watch TV? No thanks. I'd rather be out playing.






Paul McCartney, in einem Interview 2015 auf die Frage, wann es für ihn genug sei.


Wie eingangs erwähnt ist unser letzter Abend in Liverpool gleichzeitig auch das Highlight der Reise: ein Konzert von Paul McCartney in seiner Heimatstadt. In einem Interview hat der Sir einmal gemeint, er würde jeden Auftritt wie ein "W" gestalten – also laut und schnell beginnen, dann eine ruhige Phase einlegen, daraufhin wieder Gas geben usw. – Sie erkennen das Muster. Und so stehen wir staunend in der Halle, fahren mit auf der Gefühls-Achterbahn, begleitet von bis heute unfassbaren Songs wie "Eight Days a Week", "Let It Be", "Lady Madonna" oder "Helter Skelter". McCartney gönnt sich in diesen drei Stunden keine Pause, bis auf die seit Jahren gefärbte Haarpracht ist von seinen 73 Lenzen nichts zu bemerken. Unwürdige Banausen kritisieren gern die vermeintliche "Geldmacherei vor der Pension", dabei ist das passende Gegenargument so einfach: Nein, dieser Mann hätte schon ab 1970, dem Trennungsjahr der Beatles, nie mehr arbeiten müssen. 

Vollgepumpt mit einer ordentlichen Portion Glücks-Adrenalin spuckt uns die Echo Arena schließlich in die kühle Liverpooler Nacht, draußen lachen sich völlig unbekannte Menschen gegenseitig an, und wir wissen: Das war jetzt etwas ganz Besonderes, an dem wir teilhaben durften.