Wiener Brut
Falco war und ist Österreichs größter Popstar. Wir begeben uns auf einen touristischen Rundgang durch seine Heimatstadt Wien – in exklusiver Begleitung.
Am Samstag, den 7. Februar 1998, saß ich mit meiner damaligen Freundin auf dem Balkon unserer Studentenwohnung in Innsbruck und wir erholten uns von einer strapaziösen Partynacht. Das 40-Quadratmeter-Anwesen, das wir bewohnten, lag direkt in der Einflugschneise des Innsbrucker Flughafens – für die meisten Menschen ein Graus, für mich als Flugzeug-Fan damals ein Traum.
Es war für mich als Mann des Westens ein typisch untypischer Wintertag in Tirol: Ein warmer Föhn strömte durchs Inntal, es hatte zweistellige Plusgrade, ich saß rauchend im T-Shirt draußen und freute mich auf den nächsten Touristen-Flieger, der gleich über unsere Köpfe hinwegdonnern würde.
Ich erinnere mich noch, dass S., meine Freundin, kurz hineingehen wollte, um mehr Kaffee zu holen – aber nicht mehr zurück kam. Erst gefühlte fünf Minuten später öffnete sie die Balkontür wieder, und ich hörte von drinnen die Stimme eines Nachrichten-Radiosprechers.
S. setzte sich neben mich und sagte ruhig: "Christoph, Falco ist tot."
Auch, wenn er manchmal aus der Stadt geflüchtet ist: Der Hans war immer leidenschaftlicher Wiener.
Markus Spiegel, Musikproduzent und Falco-Entdecker
2023: Wien, nur Wien
25 Jahre später in der Bundeshauptstadt: Ich sitze an meinem Schreibtisch in der Redaktion des auto touring und überlege anlässlich des Vierteljahrhunderts, seit dem Falco nun schon tot ist, wie ich ihm, dem mit Abstand wichtigsten Popstar Österreichs, Tribut zollen könnte.
An dieser Stelle gleich vorweg: Diese Geschichte stammt zwar aus der Feder eines Journalisten, vielmehr aber noch aus der eines Fans – an der gebotenen beruflichen Objektivität kann ich mich im Folgenden also nur orientieren, sie aber nicht immer einhalten. Ich bitte um Entschuldigung.
Meine wichtigsten zwei Zugänge, die sogar Hand in Hand gehen: Ich habe zum einen Falco nie live gesehen. Ein Umstand, der mich bis heute bitter schmerzt, wenn ich seine Alben durchhöre. Zum anderen gibt es dazu heuer noch ein Jubiläum: Vor genau 30 Jahren – am 27. Juni 1993 – passierte dieses unglaubliche Donauinselfest, bei dem Falco und seine Band österreichische Musikgeschichte schrieben. Ich habe Freund:innen, die damals im strömenden Regen standen – und beneide sie jedesmal aufs Neue, wenn wir auf dieses Thema kommen.
Was also tun? Richtig: Ich will Menschen treffen, die Falco näher waren als fast niemand sonst – und mir von ihnen zeigen lassen, wo er in seiner geliebten Heimatstadt Wien gewirkt hat.
Es folgt: Ein musikalischer Rundgang durch das Wien des Hans Hölzel, wie Falco mit bürgerlichem Namen hieß. Meine exklusiven Begleiter auf dieser Tour:
Thomas Rabitsch - Falco-Jugendfreund und Bandleader
Markus Spiegel – Falco-Entdecker und Musikproduzent
Conny de Beauclair – Falco-Teilzeit-Chauffeur und Türsteher-Legende
Juni 1993: Falco auf der Donauinsel
Treffen mit Thomas Rabitsch
Passend zum Schauplatz des legendären Konzerts kontaktiere ich zuerst Thomas Rabitsch. Schon am Telefon ist Thomas ein Gedicht an ungespielter Freundlichkeit, meine Fan-Nervosität sinkt auf ein erträgliches Level.
Ob er sich mit mir auf der "Insel" treffen will, frage ich. Und: Ob er noch exakt – wirklich exakt! – den Punkt eruieren kann, über dem er am 27. Juni 1993 auf der Hauptbühne des Donauinselfests stand.
Er: "Ja, sicher. Treffen wir uns am Parkplatz, wo es von der Floridsdorfer Brücke runter auf die Donauinsel geht. Da war damals das Backstage."
Und tatsächlich: Thomas ist sogar eine Viertelstunde früher als ausgemacht dort…
Thomas Rabitsch: Falcos Bandleader
Auf der Flucht
Wir sind mit Thomas allerdings noch nicht fertig. Er lädt uns nämlich spontan in sein Studio im 16. Wiener Gemeindebezirk ein. Jenes Studio, in dem Falco viele, viele Stunden verbrachte. Und auch jener Ort, an dem er in einem kaum vier Quadratmeter großen Raum seinen allerletzten erfolgreichen Hit zu Lebzeiten einsang – nämlich diesen.
Wir folgen dem schwarzen Tesla unauffällig und speisen das mitunter mühsame Audio-System unseres elektrischen Cupra Born mit der passenden Untermalung für die Flucht zwischen Donauinsel und Ottakring…
Im Studio
Exkurs: Nova Rock 2023
Unser rund dreistündiges Gespräch im Studio von Thomas Rabitsch fand zwei Tage vor dem diesjährigen Nova Rock Festival statt – wo Thomas samt All-Star-Band für eine umjubelte Mitternachtseinlage sorgen sollte (mehr dazu gleich).
Warum dieser Hinweis? Weil Rabitsch unser Interview mehrmals kryptisch unterbrochen hat, um "etwas fertigzustellen". Sprich: Er hat Foto-Markus und mich immer wieder wortlos im Studio sitzen lassen, um für eine Viertelstunde in einem Nebenraum zu verschwinden. Was uns natürlich nicht gestört hat, denn wir haben wie kleine Kinder die unbeobachteten Momente genützt, um auf dem Chefsessel am berühmten Mischpult Platz zu nehmen und ein Selfie nach dem anderen zu schießen.
Dann aber durften wir das fertige Akustik-Projekt hören, das er de facto tatsächlich während unseres Aufenthalts finalisiert hatte:
Das Falco-Tribute-Intro zum Nova Rock 2023. Mühsam zusammengestellt aus sprachlichen Hölzel-Archiv-Soundfetzen und "ein bissl KI", wie Rabitsch meint.
Zu hören war das Sound-Snippet, bei dessen Entstehung tatsächlich nur ich und Foto-Markus dabei waren, zwei Tage später dann für 50.000 Menschen hier – beim Nova Rock 2023 (ab 01:04)…
Falcos Instagram-Wien in zwei Stunden
Wer in Wien nur kurz zu Besuch ist und deshalb wenig Zeit hat, um in Falcos Fußstapfen treten zu wollen – das sind die unkompliziertesten Fotopunkte…
3x Insta für Wien-Touristen
1986: Die Nacht der Nächte
Der wichtigste Restaurant-Tisch für Falco-Fans befindet sich in der Bäckerstraße 14 im ersten Wiener Gemeindebezirk.
Im dortigen Lokal "Oswald & Kalb" hat Hans Hölzel 1986 erfahren, dass er soeben etwas geschafft hatte, was vor und nach ihm nie mehr wieder jemand erreichen würde – nämlich mit einem deutschsprachigen Song an die Spitze der US-amerikanischen Charts zu stürmen.
Bei dem Lied handelte es sich natürlich um "Rock Me Amadeus", das für Falco Segen und Fluch zugleich war: Einerseits ein Riesenerfolg, andererseits aber auch etwas, von dem er von diesem Tag an wusste, dass er es wohl nie mehr wiederholen können würde. Er behielt Recht.
Jeanny: der geplante Skandal
Das vermutlich berühmteste Video des Falken sorgte 1985 für Unruhe in Funk und Fernsehen: Wegen des vermeintlich gefährlichen Inhalts wurde der Song von vielen TV- und Radiostationen vorerst boykottiert, in Wahrheit war die Schilderung eines psychisch kranken Stalkers, der ein junges Mädchen verfolgt, aber ein genialer Schachzug des Falco-Managements – eine bessere Werbung als das Sendeverbot konnte es gar nicht geben.
Sehen wir uns das düstere Machwerk noch einmal an…
Jeanny: die Schauplätze
Sie möchten in Wien kurz auf den Spuren des im Video komplett irre wirkenden Falco wandeln? Dann gäbe es zwei recht einfach zu erreichende Orte…
Coming Home: der 3. Bezirk
In Wien-Landstraße ist nicht nur mein Arbeitsplatz, das ÖAMTC-Mobilitätszentrum, beheimatet, sondern auch ein weiterer Schauplatz aus einem Falco-Video: die Gasometer-Türme.
In "Coming Home (Jeanny Pt. 2)" kann man Hans Hölzel über die Schulter schauen, wie er auf einen der riesigen Gasbehälter blickt. Bitte merken Sie sich diesen Screenshot aus dem Video kurz, denn 37 Jahre nach dem Dreh treffe ich dort jemanden, der für Falcos Karriere wohl sein wichtigster Mensch war.
Markus Spiegel: der Entdecker
Sofiensäle: Drahdiwaberl & Falco
So oder so ähnlich dürfte Markus Spiegel seinen wichtigsten Künstler zum ersten Mal gesehen haben: bei einem Drahdiwaberl-Konzert in den Wiener Sofiensälen (Marxergasse 17), als Hans Hölzel 1980 begann, seine selbstgeschriebene Nummer "Ganz Wien" im Zuge des sonstigen Wahnsinns der Hauptband zu spielen.
Spiegel sagt: "Als ich ihn da gesehen habe, war mir recht schnell klar, dass Hans etwas Besonderes ist."
Übrigens: Markus Spiegel ist auch aktuell wieder in Sachen Falco umtriebig – und zwar als musikalischer Konsulent des Falco-Musicals "Rock Me Amadeus", das im Oktober im Wiener Ronacher-Theater startet. Tickets gibt es zum Beispiel hier oder hier.
Schauplatzwechsel: im U4 "bei die Goldfisch’"
Wir treffen den letzten unserer drei Protagonisten dieser Geschichte, der Falco nahe war: Türsteher-Legende Conny de Beauclair. Er ist zwar schon seit einigen Jahren in Pension, als jahrzehntelanges Inventar des wichtigsten Wiener Nachtclubs darf er uns aber natürlich eine Tour außerhalb der Öffnungszeiten geben.
Treffpunkt also: Schönbrunner Straße 222. Conny lässt uns beim Hintereingang rein – und schon in den Backstage-Katakomben entdecken wir eine interessante Foto-Wand…
Verwaist
Das U4, wie es kaum jemand kennt – nämlich leer.
In eigener Sache: U4-Erinnerungen
Anno 2000 kam ich als Student nach Wien – und verbrachte, wie es sich gehört, fortan unzählige Nächte im U4 – zuerst als Gast, später dann aber auch ein paar Mal als DJ.
Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten "Auftritt" Mitte der Nuller-Jahre: Im Gegensatz zu den Besuchen davor bin ich diesmal mit meinen Plattenkoffern stolz an der langen Warteschlange vorbeimarschiert – direkt zum Eingang. Dort stand wie üblich Conny de Beauclair, der mit fairem, aber stets strengem Auge sortierte, wer in den heiligen Musik-Keller durfte – oder eben nicht.
Als DJ der Nacht war für mich natürlich alles klar: "Hi, ich leg’ heut auf", waren meine ersten bemüht coolen Worte zu Conny – und er winkte mich freundlich durch.
Als ich dann unten im großen, noch leeren Raum meinen Soundcheck machte, konnte ich es nicht fassen. Ich, Falco-Fan von Kindheit an, würde in seinem Stammlokal Musik für tanzwütiges Publikum spielen dürfen. Ein Moment, den ich nie vergessen werde.
Umso mehr freut es mich, wenn ich Conny (der sich natürlich nicht mehr an den schüchternen DJ von damals erinnern kann), heute als Journalist treffen darf.
Der Exil-Bayer kam 1972 nach Wien, ist seitdem hiergeblieben – und avancierte selbst zur Szenegröße des Wiener Nachtlebens.
Den faszinierendsten Eindruck, den wohl jeder, der Conny trifft, hat: Wie kann ein Türsteher, dessen Job in erster Linie mit "Härte" verbunden ist, derartig höflich, bedacht, sympathisch und so gar nicht aggressiv wirken?
Und natürlich: Was hatte er mit Falco zu tun?
Conny de Beauclair: der Freund im Hintergrund
Letzte Station
Wir verlassen das U4 und fahren gemeinsam mit Conny zum Wiener Zentralfriedhof – dem meines Erachtens nach mit Abstand schönsten aller internationalen Hauptstadt-Friedhöfe, die ich bisher besucht habe (und ich kenne einige davon, da ich dieses morbide Sightseeing pflege, weil ich Stille gern mag und die Geschichten hinter den Grabsteinen noch viel mehr).
Falco hat auf dem riesigen Areal des Zentralfriedhofs ein "ehrenhalber gewidmetes Grab" der Stadt Wien – in der Gruppe 40 (und zwar exakt hier). Für Besucher, die keine Ahnung von der schieren Größe haben: Man sollte – egal, ob per Auto oder öffentlich – bei Tor 3 parken oder aussteigen. Dann sind’s rund 7 Minuten Fußweg. Andernfalls ist es mitunter ein deutlich längerer Marsch.
Conny ist wegen ein paar grüner Ampeln, die wir verpassen, ein bisserl früher da als ich und Foto-Markus. Wir kommen aber rechtzeitig zu seinem üblichen Ritual: "Ich bin vielleicht ein, zweimal im Jahr beim Grab. Und ich hab immer zwei Rosen mit. Eine weiße und eine rote. Die weiße bekommt zuerst immer Maria, die Mama vom Hans, die direkt neben ihm liegt. Das übersehen ja immer alle. Die rote leg ich dann zum Hans."
Newsflash: Das Falco-Begräbnis im ORF
Am Zentralfriedhof
Zum Schluss: das verlorene letzte Konzert
Als ich mit Thomas Rabitsch in seinem Studio in Ottakring saß, tauchte meine Frage auf, wann er zum letzten Mal mit Falco gespielt hat.
Eine Frage, die mehr Reaktion hervorrief als ich dachte. Denn: Thomas hat tatsächlich sehr viele Jahre lang versucht, einen ganz bestimmten Mitschnitt zu bekommen. Der Grund: Das Konzert passierte am 18. Dezember 1997 im Zuge einer internen Lauda Air-Weihnachtsfeier in den Wiener Sofiensälen.
Und: Es war nicht nur das letzte Konzert, bei dem Thomas an der Seite von Hans Hölzel stand, sondern auch das einzige Mal, dass Falcos letzter Hit "Out Of The Dark" live gespielt wurde.
Von dem Mitschnitt, damals semi-professionell mit nur einer Kamera als "one shot" gefilmt (und von dem es keine Mischpult-Aufnahmen gibt), hat Thomas ("für mich selbst") akribisch bearbeitet.
Das Resultat ist für Falco-Fans wie mich zum Niederknien gut.